„Epstein war ein wichtiges Zahnrad in einem globalen Machtapparat“

„Epstein war ein wichtiges Zahnrad in einem globalen Machtapparat“

„Epstein war ein wichtiges Zahnrad in einem globalen Machtapparat“

Ein Artikel von Marcus Klöckner

Abgründig – das ist der Fall des umtriebigen, im Gefängnis verstorbenen Jeffrey Epstein. Missbrauch, Kompromat, Politik, Geheimdienste: Vieles wird mit dem Leben und Wirken des US-Amerikaners, der eigentlich Lehrer war, aber zu seinem Lebensende mehrere Hundert Millionen US-Dollar schwer gewesen sein soll, in Verbindung gebracht. Der Journalist und Filmemacher Tahir Chaudhry hat in einem exzellent recherchierten Buch den Fall Epstein ausgeleuchtet. Über Ab- und Hintergründe spricht er im Interview mit den NachDenkSeiten. Von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Marcus Klöckner: „Kundenbindung läuft über sogenannte Fickpartys“ – so steht es im Vorwort zu Ihrem Buch. Was ist damit gemeint? Und: Damit sind wir dann auch direkt beim Fall Epstein, oder?

Tahir Chaudhry: Das schreibe nicht ich, sondern der ehemalige Hedgefonds-Milliardär Florian Homm. Er war selbst Teil der Finanzelite, für die es eine gängige Methode ist, Geschäftsleute und Kunden durch sexuelle Exzesse zu binden und gleichzeitig erpressbar zu machen. Es geht um strategische Machtsicherung und Sex als Währung, um Netzwerke zu sichern und Hierarchien zu festigen.

Sexualität ist nun mal eine der stärksten menschlichen Triebkräfte. Sie öffnet Menschen auf der intimsten Ebene, senkt Hemmungen und überlagert rationales Denken. Sexuelle Verführung ist vielleicht das effektivste Einfallstor und Lockmittel für den Zugang zu Macht und Kontrolle. Erstens, sie kann Menschen dazu bewegen, sensible Informationen preiszugeben und sie in kompromittierende Situationen zu bringen, die sie manipulierbar machen, aus Furcht vor sozialem und beruflichem Ruin.

Ich würde tatsächlich noch einen Schritt weiter gehen und die Erpressten nicht nur als Opfer sehen, sondern als bewusste Mitspieler. Viele von ihnen könnten bereit gewesen sein, die Gefahr der Kompromittierung in Kauf zu nehmen, um Zugang zu elitären Netzwerken zu erhalten, die Figuren wie Epstein verwalteten.

Bevor wir tiefer einsteigen: Wie würden Sie jemandem, der noch nie von Epstein gehört hat, erklären, wer er war? Aber auch: Warum ist eine Auseinandersetzung mit dem Fall Epstein von Interesse?

Epstein war ein sehr wohlhabender, intelligenter, charismatischer und mysteriöser Mann, der Einfluss bis in die höchsten Kreise von Politik, Wirtschaft und Kultur hatte. Er sammelte gezielt potenziell schädigende Informationen über einflussreiche Menschen und fungierte dann als eine Art Informationsbroker, der die Interessen verschiedener Machtzirkel bediente.

Warum man das alles wissen muss? Diese Frage stelle ich mir als Journalist eher selten, denn für mich zählt in erster Linie die Suche nach der Wahrheit – unabhängig davon, wie unbequem sie ist. Aber für den Leser, den Rezipienten liegt der Nutzen auf der Hand: Es wäre schon ganz nett, wenn mir jemand sagen würde, dass es nur eine Fata Morgana ist, der ich hinterherjage; dass all die Energie und Hoffnung, die ich darauf projiziere, sich am Ende in Luft auflösen werden. Hinter der Fassade demokratischer Institutionen und Prozesse agieren auch Kräfte, die nicht vom Volk gewählt wurden, aber dennoch die Macht ausüben. Diese „Beherrscher unserer Herrschenden“ manipulieren die Abläufe der Demokratie, nutzen Einfluss, Geld und Kontrolle, um Entscheidungen in ihrem Sinne zu lenken.

Lassen Sie uns noch etwas vorab genauer klären. Es gibt einen „Fall Epstein“, damit setzt sich ihr Buch auseinander. Es gibt aber auch einen größeren Rahmen, der mit einer eiskalten Politik, mit Kapital und mit Geheimdiensten zu tun hat. Auch damit setzen Sie sich auseinander. Den Fall Epstein kann man nicht verstehen, wenn man die Perspektive nicht erweitert. Wird die Perspektive erweitert, besteht die Möglichkeit, zu begreifen, dass es Teile im Finanzsektor, aber auch der Politik gibt, deren Abgründe tiefer sind, als es viele wahrhaben wollen. Würden Sie dem zustimmen? Lässt sich das so sagen?

Ja, vollkommen. Die internationale Elite der multinationalen Konzerne – wenige Hundert Familien, einige Tausend Milliardäre – streben unermüdlich nach mehr Kapital, mehr Macht und mehr Kontrolle. Mit ihrer Dominanz im Finanzsektor und ihrer Beherrschung zentraler Rohstoffe und Produktionsmittel lenken sie über ein dichtes Netzwerk aus Lobbygruppen, Stiftungen, Medien sowie Bildungs- und Forschungseinrichtungen ganze Gesellschaften. Der Bürger wird in einem System gefangen, das ihn durch ständig geweckte “Bedürfnisse” in endlosen Konsum drängt, während die Profiteure dieser Maschinerie an den Schalthebeln der globalen Macht sitzen. Doch selbst diese scheinbar gottgleichen Akteure des Finanzsektors sind nicht unfehlbar – sie haben Schwächen.

Und da kommen Akteure wie Epstein ins Spiel.

Ja, denn sie verstehen Kapital in all seinen Formen – sei es Geld, Macht oder der Mensch selbst – und nutzen die Schwächen dieser Eliten gezielt, um Abhängigkeit und Kontrolle zu schaffen. Für sie ist der Mensch oft nur eine Ressource mit einem Preis, den es auszuhandeln gilt. Epstein war also ein wichtiges Zahnrad in einem globalen Machtapparat. In meinem Buch verdichte ich zahlreiche Indizien, die keinen anderen Schluss zulassen als den, dass Epstein ein Mann der Geheimdienste wie dem Mossad und der CIA war. Er agierte nicht, wie oft im Mainstream behauptet wird, allein zu seinem eigenen Vorteil, sondern verfolgte strategische Ziele im Auftrag dieser Machtzirkel.

Die Finanzbranche, einschließlich der ihnen übergeordneten Institutionen wie der Internationale Währungsfonds, die Weltbank und die Zentralbanken, ist fast überall von Geheimdiensten durchdrungen.“ Auch das steht im Vorwort.

Ja, der IWF, die Weltbank, die Zentralbanken, aber auch die Weltgesundheitsorganisation, die Welthandelsorganisation und sogar die Vereinten Nationen selbst sind Ordnungsinstrumente für das “Chaos der Welt”. Ihre Grundideen mögen nobel und löblich gewesen sein – gedacht, um Frieden, Gerechtigkeit und Stabilität zu fördern –, doch inzwischen dienen sie primär den Interessen von Eliten, die in der nördlichen Hemisphäre leben und globale Kontrolle ausüben.

Florian Homm gehörte zum Geldadel, der sich selbst als „Masters of the Universe“ betrachtete. Geld ermöglicht vieles – Macht, Ressourcen und Einfluss –, doch die höchste Stufe ist aus meiner Sicht der Zugang zu umfassenden Informationen. Der Informationsadel, der das Wissen und dessen gezielte Nutzung kontrolliert, steht über allem.

Das Vorwort hat Florian Homm verfasst. Kurz: Wer ist er? Wie konnten Sie ihn für ein Vorwort gewinnen?

Florian Homm ist ein ehemaliger Hedgefonds-Manager, der einst als Symbol des Raubtierkapitalismus galt und zu den mächtigsten Akteuren der internationalen Finanzwelt zählte. Er gehörte laut dem Manager Magazin in den 2000er-Jahren zu den 15 aggressivsten und mächtigsten Investoren Deutschlands. Ihn lernte ich in meiner journalistischen Ausbildungszeit kennen. Im Auftrag einer großen deutschen Redaktion wurde ich zu ihm geschickt, um ihn im Rahmen eines Porträts „fertigzumachen“. Ziel war es, Homm durch ein kritisches Interview für den Artikel zu demontieren. Ich lehnte ab, weil ich den Menschen Homm kennenlernte, der durch manche Höllen gegangen war, um zu verstehen, dass er sich auf einem Irrweg befand. Das mit dem Artikel wurde zwar nichts, aber wir wurden Freunde. Vor der Abgabe des Manuskripts fragte ich ihn, ob er bereit wäre, das Vorwort für mein Buch zu schreiben, und zu meiner Überraschung sagte er sofort zu.

Lassen Sie uns etwas genauer in den Fall Epstein einsteigen. Epstein war eigentlich Lehrer, aber er war auch Investmentbanker und Vermögensverwalter. Epstein war sehr reich, mächtig. Sie schreiben von einem Vermögen von einer halben Milliarde. Er bewegte sich in der High Society, oder vielleicht genauer: Die „feine Gesellschaft“ bewegte sich bei ihm. Er war Vertrauter von Präsidenten, von Adeligen. Er war verurteilter Sexualstraftäter. Und da ist noch der Vorwurf der Pädophilie. Um wirklich zu verstehen, wie all das hier zusammenhängt, muss man wohl ihr Buch lesen. Aber helfen Sie uns, versuchen Sie bitte, die Zusammenhänge herunterzubrechen. Verstehe ich das richtig: Will man den Epstein verstehen, ist ein Begriff zentral: „Kompromat“.

In den Dimensionen der oberen 0,001 Prozent hatte er ein vergleichsweise bescheidenes Vermögen. Seine Macht gründete jedoch weniger auf Geld als vielmehr auf seinen Kontakten und den Informationen, die er gesammelt hatte. Tatsächlich war belastendes Material – Kompromat – der Schlüssel zu Epsteins Machtstellung. Seine Villen waren mit Kameras ausgestattet, die die intimen und oft illegalen Handlungen seiner Gäste dokumentierten. Diese Aufnahmen dienten als „Versicherung“ und ermöglichten es ihm, selbst hochrangige Persönlichkeiten zu kontrollieren. Diese Methode, die seit Jahrzehnten von Geheimdiensten angewandt wird, perfektionierte Epstein zu einem System.

Aber dieses System ist gefährlich.

Womöglich wurde es Epstein zum Verhängnis: Als es durch zahlreiche Klagen zu bröckeln begann, fühlten sich zu viele mächtige Personen und Institutionen bedroht.

Was rund um den Fall Epstein bekannt wurde, ist aber vom Prinzip her alles andere als „neu“. Im Grunde genommen geht es um ein sehr altes Vorgehen. Stichworte: „Sexspionage“ und „Honigfalle“.

Ja, das sind bewährte Methoden. Gleich im ersten Kapitel gebe ich drei Beispiele: Mata Hari, Tänzerin und Spionin im Ersten Weltkrieg, nutzte Verführung, um Geheimnisse zu sammeln. J. Edgar Hoover, FBI-Direktor, kontrollierte durch Überwachung und Erpressung. Eli Cohen, israelischer Spion, infiltrierte die syrische Regierung und lieferte entscheidende Informationen.

Das vielleicht stärkste Argument dafür, dass Epstein im Auftrag von Geheimdiensten arbeitete, ist der Fall von Alexander Acosta, dem ehemaligen US-Bundesstaatsanwalt.

Was war da?

Acosta handelte 2008 einen Deal aus, der Epstein trotz schwerwiegender Vorwürfe ein äußerst mildes Strafmaß einbrachte und seine Netzwerke weitgehend unangetastet ließ. Später, 2017, wurde Acosta von US-Präsident Donald Trump zum Arbeitsminister ernannt. Während des Übergangsprozesses wurde er vom Trump-Übergangsteam auf den Epstein-Fall angesprochen. Acosta rechtfertigte den Deal mit der Aussage, dass ihm gesagt worden sei, Epstein „gehört dem Geheimdienst” und er solle „die Finger davon lassen”, weil das „über deiner Gehaltsklasse” sei.

Wie denken Sie über das Ableben Epsteins? War es Selbstmord? Was spricht für, was gegen Selbstmord?

Der angebliche Selbstmord Epsteins ist höchst fragwürdig. Im Kapitel „Tödliches Geheimnis“ liste ich die wichtigsten Ungereimtheiten auf, die der damalige US-Generalstaatsanwalt William Barr, der die Vorgänge im New Yorker Hochsicherheitstrakt untersuchte, als „das Ergebnis eines perfekten Sturms von Fehlern“ bezeichnete. Dazu gehören der Ausfall der Überwachungskameras, eingeschlafene Wachleute, gefälschte Kontrollberichte, die Verlegung seines Zellmitbewohners, schwerwiegende Verletzungen, die auf Strangulation hindeuten, unzureichende Notfallreaktionen und zahlreiche weitere Unstimmigkeiten. Besonders die Untersuchungsergebnisse des unabhängigen Pathologen Michael Baden, der auf jahrzehntelange Erfahrung bei Obduktionen zurückblickt, überzeugen mich davon, die offizielle Todesursache massiv zu anzuzweifeln.

Wie gesagt, in Ihrem Buch fokussieren Sie auf Epstein, aber auch den größeren Rahmen. Gibt es die Strukturen, in die der Fall Epstein eingebettet ist, auch in anderen Ländern? Immer mal wieder lüftet sich der Vorhang, Missbrauchsskandale und Ungeheuerliches kommen ans Licht. Stichworte: Saville, Dutroux, Casa Pia, für Deutschland sei an den Film „Jagdgesellschaft“ erinnert, aber auch wieder in den USA der „Franklin Cover-Up“: Haben Sie diese Fälle auch auf dem Schirm?

Ja, solche Strukturen sind global und durchziehen verschiedene Branchen. Derzeit beschäftige ich mich intensiver mit dem Fall P. Diddy, dem milliardenschweren Rapper und Label-Chef, der sich wie ein Epstein der Musikbranche darstellt.

Titelbild: Copyright Lawrey/shutterstock.com

Lesetipp: Tahir Chaudhry: Wem diente Jeffrey Epstein? Vorwort von Florian Homm, Fifty-Fifty, Frankfurt am Main 2024, Softcover, 300 Seiten, ISBN 978-3946778394, 25 Euro.