Vor etwa fünf Jahren hatte ich geschrieben, niemand könne leichter von KI ersetzt werden als ein Regierungssprecher. Aus technischer Sicht bleibe ich bei dieser Behauptung, doch hat sich auch KI weiterentwickelt – leider in die falsche Richtung. Eine aktuelle wissenschaftliche (was sonst?) Untersuchung hat ergeben, dass generative (lernende) KI-Systeme bei entsprechenden Voraussetzungen dem Menschen insofern ähnlicher werden, als dass sie keineswegs (wie normale Menschen ohne tiefe IT-Kenntnisse hoffen) aus vielen Informationen mehr oder weniger objektive Informationen, also mehr oder weniger wahre Aussagen, produzieren. Von Horst Rudolf.
Mit einer modifizierten Programmierung des Lern- bzw. Bewertungssystems passt sich eine flexible KI jedoch auch dem Satz (der fälschlicherweise dem deutschen Philosophen Hegel zugeschrieben wird) an „Wenn die Tatsachen nicht mit der Theorie übereinstimmen … umso schlimmer für die Tatsachen“. Im Regierungssprecher-Jargon: „Nicht alles ist logisch, und was logisch oder wahr ist, kann ich nicht bestätigen.“ Neueste Erkenntnis: KI kann nicht nur „halluzinieren“, also phantasieren, sondern auch gezielt „lügen“, wenn es darauf ankommt bzw. sie entsprechend programmiert wird.
Rückblick: Ich lag insofern falsch, als ich früher davon ausging, dass Digitales (von Fehlern abgesehen) nichts Unlogisches produzieren kann, wie meine früheren Programme mir suggerierten. Doch die Welt hat sich entwickelt, und seitdem ich (seit dem Jahr 2000) wieder das „Studium Generale“ im Sinne Goethes betreibe, überkommen mich zeitweise (echte oder eingebildete) „Erleuchtungen“ …
Eine davon ist, dass von der Fuzzy Logic bis zu neuronalen Netzen hin die Rechengehirne sich schneller entwickelten als wir Zweibeiner. Daneben ahnte ich bereits seit Langem, dass auch Elektronengehirne sich nicht nur in Richtung von Super-Intelligenz, sondern auch in Richtung menschlicher Dummheit fortentwickeln. (Dies wäre dann ein Argument für den Ersatz menschlicher Pressesprecher.)
Schlimmer noch: Wenn schon Heisenberg seinem „Konkurrenten im Geiste“ Einstein bescheinigte, dass man Quantenphysik gar nicht vollständig verstehen könne (was dieser mit „geisterhaft“ quittierte), gehe ich davon aus, dass nur die wenigsten Abgeordneten (oder Pressesprecher) Derartiges wirklich verstehen oder gar dem Volk erklären können – eine KI derzeit vielleicht auch nicht besser, angesichts der Komplexität und Widersprüche der modernen Welt.
Da jedoch auch die Weltpolitik nicht weniger widersprüchlich ist als Quantenphysik, sollte man auch nicht ernsthaft von einem Bundeskanzler verlangen, dass er diese den Bürgern verständlich erläutern könnte – so weit mein Beitrag zu Scholz’ Ehrenrettung. Das war tatsächlich vor 50 Jahren überschaubarer und einfacher.
Insofern ist es logisch, dass man ärmeren Geistern – geboren in der Zeit antiautoritärer Erziehung und der Mengenlehre – wie Robert Habeck oder Frau Baerbock das Ruder bzw. die Führung überlässt. Auch die klügsten Köpfe würden sicherlich an der Realität der heutigen Welt scheitern, die die Menschheit längst kollektiv überfordert. Bitte dies nicht als Werbung für die AfD oder D. Trump zu verstehen – aber der ist wenigstens unterhaltsam und wird leider nie in eine deutsche Talkshow eingeladen. (Das Wort kommt übrigens vom guten alten deutschen Haushaltsprodukt „Talk“ (der Stoff im Babypuder). Denn wer sich so etwas regelmäßig „reinzieht“, muss „vom Affen gepudert sein“ – Deutsch ist eine geniale Sprache.
Zum Trost für alle Leserinnen und Leser: Es liegt nicht an uns, sondern an der Entwicklung der Menschheit, die schlicht zu einseitig erfolgte. Die Aussage unserer Schulzeit, wir seien intelligente Geschöpfe, war ebenso euphemistisch (neudeutsch: bekifft) wie ein Satz über „das auserwählte Volk Gottes“ oder ein sicherer Lottogewinn bei Chancen von eins zu 23 Millionen. Und stand nicht in der Bibel – fernab jeder tapferen Erziehungspolitik – „viele sind berufen, aber nur wenige auserwählt“?
Im Ergebnis: Kein Wunder, dass wir kritisch selbst auf Israel schauen, ohne zu verstehen, welche Aggression sich aufbaut, wenn man geschlagene 2.000 Jahre auf die Rückkehr eines Messias wartet, und wartet. Oder wenn D. Trump nicht merkt, dass der Satz: „Wir machen Amerika wieder groß“ – angesichts des verräterischen Wortes „wieder“ – bestätigt, dass Amerika schon lange nicht mehr groß ist.
Und weiterhin auf den „American dream“ und „the pursuit of happiness“ zu warten, obwohl das ein Übersetzungsfehler ist, erklärt wohl auch die Aggressivität des US-Systems. Zum einen gibt es kaum noch Indianer, die man ausrotten könnte, zum anderen ist das mit der „pursuit of happiness“ so eine Sache. Denn wenn man „pursuit“ nicht nur mit „Streben nach Glück“, sondern realistischer mit „dem Glück hinterherrennen“ übersetzt, kommt man der Realität der meisten US-Bürger näher.
Real ist: Großmutters Spruch „Träume sind Schäume“ kann fast jeder Mensch aus eigener Erfahrung bestätigen. Welche Selbsttäuschung, auf „amerikanische Schäume“ zu setzen, auch wenn man nirgends eine größere Zahl an unglücklichen Gesichtern an einem Ort sieht als morgens und abends in der New Yorker U-Bahn. Doch genau dies ist Politik – oder besser politischer Glaube als Religionsersatz.
Damit wird abschließend der „Schuldige“ entlarvt: „Glaube“ – das ist das am meisten missbrauchte bzw. missverstandene Wort der Welt. Denn was es für den bedeutet, der es gerade benutzt, ähnelt der Quantenphysik, und die kann nicht nur – theoretisch – unendlich viele Informationen darstellen, sondern sogar zwei verschiedene „Dinge“ gleichzeitig. Zum Verständnis: Ihre Fußgänger-Ampel zeigt Rot und Grün gleichzeitig – und beides ist vollkommen korrekt, sogar logisch.
Doch Wiedersprüche akzeptieren, das ist derart undeutsch, dass unsere Regierung uns mit allen Mitteln (Gesetzen) davor schützt. Wurden vor wenigen Jahrzehnten geniale Computer-Generationen in Garagen (von Amerikanern) erfunden bzw. entwickelt, dann lassen Sie heute einmal Ihre Kinder nur einen kleinen Rechner in einer deutschen Garage anschließen, um damit zu experimentieren. Fehlanzeige, denn der böse Nachbar kennt das Gesetz, das es in deutschen Garagen unter Strafe stellt, irgendwas anderes zu tun als ein Kraftfahrzeug abzustellen. Neue deutsche „Apples, Microsofts oder Googles“ … und junge Erfinder in einer Garage, das ist amtlich verboten – und der „Abgesang“ von Volkswagen nun das Ergebnis.
Wir betreiben also staatliche Denk- und Entwicklungsverhinderung – während unsere Bürokraten von „Entbürokratisierung sprechen –, ohne zu merken, dass man den Begriff irgendwann einmal wörtlich nehmen könnte – „Bürokrat, go home“.
Zurück zum „Glauben“ – ein Wort mit einer globalen Unschärfe, das selbst Heisenberg kaum verstanden hätte. Trotzdem gehört es in diesen Text, denn wo sonst, wenn nicht in den NachDenkSeiten sollte man über den Missbrauch des Wortes philosophieren. Menschen sagen: „ich glaube an Gott“ – kurz danach: „ich glaube, ich spinne“ – wie kann man mit ein- und demselben Wort eine derartige Blasphemie begehen. Das geht eben nur, weil jeder Mensch bei dem Wort „glauben“ etwas anderes versteht, und das oft gleichzeitig – wie in der Quantenphysik.
An Kanzlerin a. D. Merkel haben wir geliebt, dass Sie sich mit derart „glaubensbasierten“ Träumereien gar nicht aufhielt. „Wir schaffen das“ – basta. So lieben wir es, und so wird eben Glaube zu Wissen – wie in meiner Kindheit. Damals wusste ich, dass es Gott gibt, und nannte das – unkorrekt – Glaube. Dass dann alles anders kam, dafür konnten meine gläubigen Eltern nichts – Merkel schon eher. Hätte sie ehrlich gesagt „ich glaube, wir schaffen das“, hätte die AfD heute vielleicht weniger Zulauf – aber noch weitaus mehr Gläubige, die Merkel immer noch nachtrauern.
Mit diesem Versuch, das Wort „glauben“ als „Teufelswerk“ zu diskreditieren, beenden wir die Abhandlung zur Psychopathologie von Regierungssprechern – wie das? Weil diese schlicht amtlich vereidigte „Gläubige“ sind, die „wissen“, dass Sie im Namen Gottes – sorry, der Regierung – an der Verkündigung von deren Weisheit und gutem Willen arbeiten. Wir sollten das so und nicht anders verstehen und nicht penetrant in Frage stellen! Bei einem Priester auf der Kanzel wird ja auch nicht dauernd unterbrochen und nachgefragt. Denn schon die Zehn Gebote sind unlogisch. Im ersten Gebot macht Gott klar, wer über allem steht – und dass man keine Konkurrenten anbeten soll. Die Bibel ist schließlich keine Demokratie-Veranstaltung.
Aber dass dann auch noch das Gebot „Du sollst nicht töten“ erst an fünfter Stelle steht, das hat mir zumindest die Kreuzzüge des „christlichen Abendlandes“ und heute des Werte-Westens verständlich gemacht. Oder unsere Nahost- und Ukraine-Politik, die sich – vereinfacht – inzwischen halbwegs auf Islamisten-Niveau bewegt: Dort kommst Du angeblich in den Himmel, wenn Du die Ungläubigen tötest. Bei uns heißen die neuerdings Russen, Putin oder andere „Ungläubige“, die nicht an unsere Werte, sondern an die UN-Charta glauben, die ihnen – von uns unterzeichnet – das Recht einräumt, ihre Fehler selbst und ohne fremde Einmischung zu machen.
Vielleicht bin ich inzwischen ein Wendehals. Denn ich glaube nun wieder, dass eine nicht völlig daneben codierte KI vielleicht doch nicht in absehbarer Zeit die Fähigkeiten und Nuancen der Wahrheit von Regierungssprechern erreichen kann – da predigen eben Gläubige von der Kanzel, und ihre Götter sind demokratisch gewählt und damit unangreifbar.
Über den Autor: Horst Rudolf, Jahrgang 1948, war unter Außenminister Genscher einer der Pressesprecher im Auswärtigen Amt, später Botschafter. Als ausgebildeter IBM-Programmierer war er daneben einige Jahre in der Leitung von IT-Referaten im AA – und glaubt an „Entbürokratisierung“ in Deutschland noch weniger als an Aliens.
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