Das Wien Museum – ein wichtiger Ort, lokale wie Weltgeschichte zu vermitteln – doch eine heftige Lücke in der Zeitleiste irritiert

Das Wien Museum – ein wichtiger Ort, lokale wie Weltgeschichte zu vermitteln – doch eine heftige Lücke in der Zeitleiste irritiert

Das Wien Museum – ein wichtiger Ort, lokale wie Weltgeschichte zu vermitteln – doch eine heftige Lücke in der Zeitleiste irritiert

Ein Artikel von Frank Blenz

Reisen ist die Sehnsucht nach dem Leben (Kurt Tucholsky). Die Welt ist schön. Reisen bildet. Der Heimkehrende hat den Koffer voller Eindrücke. Zum Aufenthalt in einer schönen Stadt wie Wien gehört der Besuch von Galerien und Museen. So auch bei mir: Ich hatte das städtische Wien Museum auf dem Zettel, Haus der Geschichte über eine Metropole im permanenten Kampf für eine bessere Gesellschaft oder im Streben der Mächtigen, sich zu nehmen, was sie wollen. Der Gang durch den modernen, eindrucksvollen Neubau erwies sich als friedlicher Volltreffer. Doch es gab einen Makel. Ich dachte bei einem wichtigen Abschnitt der Wiener Historie, da fehlt etwas. Ich wunderte mich nicht, werden Geschichten öfter nicht ganz erzählt oder gar verschwiegen. Ein Beitrag von Frank Blenz.

Vom Auf und Ab einer großen Stadt

Durch ein Haus wie das Wien Museum zu wandeln ist, als ob man sich in den Rumpf einer intensiv mit Daten gefütterten Zeitmaschine begibt. Die Dauerausstellung „Wien. Meine Geschichte“ zeigte mir Wien als ein Musterbeispiel der folgenreichen Entwicklung einer großen Stadt, einer Gesellschaft, die sich über die Jahrhunderte auf einen beeindruckenden zivilisatorischen Weg begab und nach und nach wichtige Errungenschaften verzeichnen konnte. Aus der Geschichte zu lernen, wie es so schön heißt – das geschah teils eindrucksvoll. Doch ebenso kam es immer wieder zum machtvollen wie boshaften Zurückdrängen von fortschrittlichen, sozialen, humanistischen Ideen, Konzepten, Rechten. Wenige profitierten, viele nahmen Schaden.

Im Wien Museum lag für mich eine wohltuende Friedensmahnung in der Luft, waren Mut bereitende Aktivitäten zu bestaunen. Für die Kinder und Jugendlichen gab es Interakivitäten, Mitmach-Museum pur. Was Frieden ist, erfuhren Kinder wie Große auf Schildern. Doch trat beim Rundgang ebenso wieder Ernüchterung ein wegen des aufgezeigten, nicht klein zu bekommenden, latenten bis offenen Fanatismus gesellschaftlich einflussreicher Kräfte und ihrer Gefolgschaften. In den Geschichten Wiens wurde von Schuld, von Not, von Elend erzählt. „Nie wieder!“ – diesen Wunsch nahm ich als Besucher später mit und wusste doch: Die heutigen Zeiten sind wieder mal anders – wieder mal bedrohlich, schlimm.

Von Macht und Missbrauch

Wien, die alte Residenz und Festungsstadt. Die Frage stand im Raum des Museums: Wer hat die Macht? Die Episoden zeugten von der arroganten wie folgenschweren Anmaßung der wechselnden Machthabenden, die unter anderem neben der weltlichen auch die religiöse Herrschaft zu beanspruchen und zu missbrauchen wussten. Machtmissbrauch, der ist bis heute auf der Tagesordnung so wie einst bei den Habsburgern, so bei dem unbarmherzigen Kampf Katholische Kirche versus lutherische Ideen und weiter unvermindert tobend in den folgenden Epochen bis in die Gegenwart.

Die zweite osmanische Belagerung

Detailliert wurde mir eine spannende Erzählung einer heftigen Auseinandersetzung um Wien präsentiert. Die Etage für dieses Zeitfenster wurde Geschichtslabor genannt. 1683 in Wien, das osmanische Heer belagerte die Stadt. Zu sehen waren Aufmarschpläne, Grafiken, Rüstungen sowie Informationen, wie und wann und wo die Gegner des Osmanischen Heeres vorgingen. Ein sehr schön erhaltenes Gemälde, das die Schlacht zeigte, erwies sich als eine umfassende Darstellung eines Zeitzeugen vor Ort. Das Ende ist bekannt: Wien wurde von den Osmanen nicht eingenommen.

Aufklärung, humanere Zeiten brechen an, doch dann …

Von dem Wort „Arbeit“ wurde gesprochen. In Zeiten aufkommender Aufklärung gewann der Begriff der „Nützlichkeit“ eines Menschen, einer Person an Bedeutung. Der Nutzen definierte sich zunehmend über seine Arbeitsleistung. Auch zu erfahren war, dass so wie einst auch heute derjenige, der keinen bezahlten Job hat, oft gesellschaftlich unter Druck gesetzt oder ausgegrenzt werde.

Dann drehte die Zeitmaschine auf, Kaiser Joseph II. verfügte die Aufhebung der Leibeigenschaft, die Modernisierung des damaligen Gesundheitssystems und Toleranz gegenüber allen Religionsgemeinschaften. Doch alles hat seinen Preis, wenn Mächtige sich gütig zeigen: Joseph II. baute an einem diktatorischen Zentralstaat und bestimmte eine umfassende Überwachung der Untertanen. Was war das für ein Satz aus seinem Mund: „Alles für das Volk, nichts durch das Volk.“ Im Jahr 1771. Die Herrscher damals wussten schon, dass dem Volke die Macht zu geben keine gute Idee für die wenigen Mächtigen wäre.

Die nächste Welle des gesellschaftlichen Auf und Ab

Freiheit oder Ordnung? Todesstrafe, Folter oder das Ende von beiden? Ab 1815 wurden liberale und demokratische Ideen wieder zurückgedrängt. Es folgten Unterdrückung, Überwachung, Zensur. Das städtische Bürgertum von Wien zog sich vermehrt ins Private, in die Nische zurück. Dieses Zurückziehen, so ein Verhalten ist heute wieder zu beobachten – mit fatalen Folgen. Soziale Missstände verstärkten sich damals, die politische Ungleichheit wuchs: 1848 entlud sich die aufgestaute Wut und Verzweiflung der Bürger – so konnte es nicht weitergehen – in der Revolution.

Doch wieder setzte eine Abwärtsspirale ein, die Revolution, der Aufbruch misslang. Alles geriet unter Beobachtung. Eine sogenannte „Heilige Allianz“ reaktionärer Kreise beschloss auf dem Wiener Kongress, die Zeit zurückzudrehen. Bespitzelung und Zensur zogen in den Alltag der Menschen in Wien und damit im ganzen Land ein. Zeitungen, Universitäten, Vereine, Kunst und Kultur wurden streng bewacht und reglementiert.

Ein besonderes Zimmer war im Museum zu sehen: das „Grillparzer Zimmer“. Dort, wo Beamte des 19. Jahrhunderts lebten, so wie Franz Grillparzer. In späteren Nazizeiten galt das Zimmer als Beispiel des männlichen Geniekults, der großdeutsche Dichter Grillparzer – ein Star der Faschisten.

Das 20. Jahrhundert: Kriegsbegeisterung, Kriegsanleihen, Wien heim ins Reich

Erster Weltkrieg, Begeisterung, Kriegsanleihen. Später gab es kein Lernen aus der Geschichte in den 1930er-Jahren. Die Wiener zeigten sich vom Führer überaus begeistert. Beeindruckend die Bilder, die Filmchen von der Massenhysterie. Viele traten in die Partei ein. Die Wiener Juden wurden dagegen wieder (wie schon mehrfach in der Wiener Geschichte) verfolgt, gepeinigt, enteignet, in Vernichtungslager abtransportiert. Beklemmend wirkten Fotos auf mich, die Kommandos der Gestapo zeigen, wie sie vor Häusern posierten, ein Offizier breitbeinig, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Zu sehen war eine Liste mit Namen, Familien, Adressen, die alle „durchgestrichen“ waren, weil „erledigt“. Die Autoren des Wien Museums benannten das Geschehen deutlich: Viele Menschen in Wien hatten sich schuldig, hatten mitgemacht.

Mit einem Mal ist der Krieg vorbei, von 1945 keine Rede

Die Ausstellung beeindruckte mich, ich stand sprachlos im Raum der Vitrinen über die Judenverfolgung, über den Fanatismus der Wiener zu Hitler. Und dann? Der neue Raum: Hier war plötzlich von Wiederaufbau die Rede und vom Aufschwung bis hinein in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ich stand da und war verwundert, fragte: Wo war der Zweite Weltkrieg, wo war der Raum der Geschichte über die Angriffe 1945 auf Wien, über die Kämpfe um die Stadt, über die Befreiung durch die sowjetische Rote Armee und durch die anderen Alliierten? Ich fragte eine Besucherin, die sich als Wienerin vorstellte, ob ich dafür etwa in eine andere Etage gehen müsste. Sie verneinte und fragte, ebenfalls verwundert, warum es diese – wir nannten sie so – „Lücke“ gab. Es war eine unnötige, eine peinliche Lücke, kritisierte nicht nur ich. Es war eine Lücke, die, wie ich empfand, irgendwie typisch zu dieser heutigen, jetzigen Zeit passte. Nicht die ganze Geschichte erzählen, schien mir das Motto zu sein.

Die bis hierher vielseitige, ich würde sagen durchaus vollständig wirkende, chronologische Exposition wurde mit dem Auslassen wichtiger Daten für die Besucher eine weniger gute. Ich kam mir uninformiert vor. Eine schlichte Frage: Warum wurde die osmanische Belagerung umfassend besprochen? Warum wurden die Zerstörung, der Häuserkampf der Fanatischen und die Befreiung Wiens 1945 nicht besprochen, dieser Zeitabschnitt lediglich mit wenigen, geradezu versteckten Sätzen in der Abteilung Wiederaufbau „angerissen“?

Das Internet half mir

Dank Internet informierte ich mich noch im Wien Museum auf auswärtigen Seiten über das, was ich an und für sich vor Ort erwartet hatte. Was ich erfuhr: Dieser dramatische Teil der Geschichte Wiens 1945 war schockierend. Die Bevölkerung erlitt ab 1945 große Zerstörungen an Gebäuden durch heftige wie sinnlose Luftangriffe der westlichen Alliierten, war zu lesen. Doch die Nazibegeisterung in der Stadt schien ungebrochen zu sein, viele Wiener waren noch in der NSDAP.

Die Rote Armee stand vor Wien und nahm schließlich die Stadt ein, ihre Verluste waren beträchtlich (18.000 Soldaten). Statt Wien aufzugeben und die Waffen endlich zu strecken, kämpften einige fanatische Wiener auf Kosten ihrer Mitbürger um jede Straße, jede Brücke. In der Stadt nutzten Plünderer ihre Chance im Chaos. Zu Brandstiftungen kam es, um noch mehr Beute zu machen. Ein Brand griff auf den Stephansdom über – das berühmte Kirchengebäude wurde stark beschädigt. Nach dem Brand wirkte eine hässliche Erzählung auf die Menschen, die in Wien noch lange Zeit unter der Bevölkerung verbreitet wurde: Die Russen hätten den Dom auf dem Gewissen. Aha, da war er wieder, der „Die Russen waren es“-Spruch. Die Rote Armee hatte aber keine Aktie daran.

In der Nähe des Wien Museums, gleich gegenüber der imposanten, protzigen Villa der Französischen Botschaft, befindet sich ein Platz, der eine Gedenkstätte für die Rote Armee ist. An diesem von den Wienern „Russendenkmal“ genannten Ort lief ich vorbei und fand es legitim und normal, mit so einem Ort an die Zeit von damals zu erinnern. Ich dachte: Das Wien Museum sollte in seiner umfänglichen Zeitmaschine diese Phase in die Dauerausstellung aufnehmen.

Eine gute Neuigkeit: eine wichtige Ausstellung

Dann gab es doch noch eine gute Neuigkeit für mich. Meine Neugier lohnte sich, ich fand eine Information im Netz: eine Vorschau, dass ein Kuratorenteam des Wien Museums im kommenden Jahr vom 10. April bis zum 7. September 2025 eine Sonderausstellung „Kontrollierte Freiheit – die Alliierten in Wien“ präsentieren wird. Gut und folgerichtig wäre es, würde dieser Teil der Wiener Historie anschließend Platz in der Dauerausstellung „Wien. Meine Geschichte“ finden.

Nach der Befreiung Wiens Anfang April 1945 prägten unvorstellbare Zerstörungen, extreme Wohnungsnot, Hunger und Kälte das Leben der Menschen. Trotzdem gab es sofort wieder Kultur. Schon am 27. April wurde der Betrieb auf Befehl der sowjetischen Kulturoffiziere wiederaufgenommen. Wenig später wurden auch die anderen Alliierten – Frankreich, Großbritannien und die USA – kulturell aktiv. Ab September erfolgte damit neben der politischen auch eine kulturelle Neuorientierung. Nie zuvor war Wien in so kurzer Zeit mit so intensiven kulturellen Einflüssen aus anderen Ländern konfrontiert. Das primäre Ziel der Alliierten war jedoch nicht die Internationalisierung der Wiener Kulturlandschaft. Die zahlreichen Kulturaktivitäten sollten, neben dem wirtschaftlichen und politischen Wiederaufbau, die emotionale Basis für das Entstehen eines Österreich-Bewusstseins bewirken – also die Ausbildung eines eigenen, von Deutschland unabhängigen Selbstverständnis (sic).

Die Ausstellung „Kontrollierte Freiheit. Die Alliierten in Wien“ beleuchtet den prägenden Einfluss des vielfältigen kulturellen Angebots – von Ausstellungen, Büchern, Filmen, Radiosendungen über Sprech- und Musiktheater bis hin zu Zeitungen. Sie dokumentiert damit einen bis heute nachwirkenden Erfolg: die Schaffung einer demokratischen österreichischen Identität.

(Quelle: Wien Museum)

Titelbild: Old Town Tourist/shutterstock.com

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