Bis zur Bundestagswahl werden die Bürger noch eine massive Meinungsmache für NATO-Interessen erleben. Die Vorgeschichte des Ukrainekriegs wird dabei weiterhin skrupellos verzerrt. Von Bernhard Trautvetter.
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Die Öffentlichkeit wird bis zum Wahltag am 23. Februar 2025 verstärkt mit selektiven Nachrichten, also mit Desinformation indoktriniert werden. Das geschieht auch in der Verkleidung vorgetäuschter demokratischer Aufklärung. Die Wahl zwischen den traditionellen Parteien bietet in dieser Frage keine grundsätzliche Alternative, denn sie sind sich in der einseitigen Sicht einig, nur Russland sei die Gefahr und Aufrüstung die Quelle der Sicherheit und der Freiheit. Die Wahl bei den „etablierten“ Parteien wird dann die sein zwischen der Lüge einer notwendigen Kriegstüchtigkeit und der Unwahrheit, Waffen würden Frieden bringen. Die Bündnisgrünen schreiben auf ihrer Web-Startseite unter ›Sicherheit, Frieden, Abrüstung‹:
„Frieden und Sicherheit sind angesichts der weltweiten Krisen und Kriege und der sich zuspitzenden Auseinandersetzung von Autokraten und Demokratien keine Selbstverständlichkeit. (…) Das zeigt der russische Angriffskrieg in der Ukraine.
Deutschland muss in der Lage sein, sich und seine Partner zu verteidigen.“
Ähnlich klingen die Worte von Olaf Scholz am 4. Dezember im Bundestag, denen zufolge der „brutale Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine“ anhält; Olaf Scholz fügte an, dass Deutschland die Ukraine bei ihrem Kampf um Unabhängigkeit und Souveränität unterstütze. Dazu passend erklärt die CDU unter dem Motto »Für ein Europa, das schützt und nützt«, die „Sicherheit wird herausgefordert: durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine …“
Die Eröffnung der Kirche „Notre Dame“ in Paris brachte ein Treffen von Donald Trump mit Wolodymyr Selenskyj mit sich, bei dem Selenskyj seine Freude ausdrückte: „Wir alle wollen, dass dieser Krieg so bald wie möglich und auf gerechte Weise beendet wird“. Das Wort ‚gerecht‘ heißt für Selenskyj den Sieg über Russland und eine NATO-Mitgliedschaft für die Ukraine.
Es wird immer wieder der Vorwurf erhoben, russische Desinformation untergrabe die Demokratie in Europa und sei ein Instrument hybrider Kriegsführung der Diktatur des Despoten im Osten. Auch Akteure wie die Bundeszentrale für politische Bildung beteiligen sich an dieser Darstellungsweise:
„Putins Führerdiktatur nähert sich zunehmend einer totalitären Herrschaft an. Die ›Nationalisierung der Eliten‹, Repressionen sowie die Militarisierung von Staat und Gesellschaft werden vorangetrieben.“
Das Bundesverteidigungsministerium triumphiert:
„Seit Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine vor gut zwei Jahren begann, ist die Bundeswehr ins Zentrum öffentlichen Interesses gerückt … Für die deutsche Bevölkerung ist Russland nach wie vor eine Bedrohung für die Sicherheit des eigenen Landes. Darum spricht sich eine Mehrheit für die Ertüchtigung der Bundeswehr aus, denn das Schutzbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger ist nach wie vor groß.“
Mit solchen Äußerungen unterstellt das Ministerium Russland einen für uns gefährlichen Expansionsdrang, der auch auf Deutschland zielt, da in Moskau „ein super-aggressives, gewaltbereites, kleptokratisches Mafia-Regime“ herrsche, wie es die ehemalige NATO-Führungs-Expertin Babst ausdrückt.
Wenn mit dieser Propaganda sogenannte Verteidigung zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe erklärt wird, folgen Konsequenzen in Form von Einschnitten für die soziale Sicherheit, die Kultur, Gesundheit und Bildung, was im Wahlkampf spürbar werden wird, auch wenn es die NATO-Lobby ausblendet. Der Widerstand dagegen wird durch die Meinungsmache minimiert, der ARD-Deutschlandtrend berichtete im Dezember 2024, dass z.B. auch der Klimaschutz deutlich an Bedeutung verloren hat.
Zentrale Hintergründe des Ukraine-Krieges werden von der Propaganda der NATO-Lobby ausgeblendet, die NATO-Ostexpansion ist der wirkliche Grund für den Ukraine-Krieg. Hintergründe:
Jens Stoltenberg erklärte im September 2023 im EU-Parlament, dass Russland mit der Invasion in die Ukraine verhindern wollte, dass die NATO mit militärischer Infrastruktur bis an die Westgrenze Russlands heranrückt.
Die NATO-Ostexpansion stellt allen Beschönigungen zum Trotz keine Open-door-Politik dar, die die NATO alleine entscheiden darf. Sie widerspricht dem internationalen Recht.
Die NATO hat den Wortbruch seit dem Versprechen des damaligen US-Außenministers James Baker gegenüber Michail Gorbatschow bei den Verhandlungen über die Vereinigung der zwei deutschen Staaten, sie werde sich keinen Zentimeter („not an inch“) nach Osten hin ausdehnen, bewusst bis zur Kriegsgefahr vorangetrieben.
Der damalige US-Botschafter in Moskau sagte 2008: „Während eines Pressebriefings am 22. Januar als Antwort auf eine Frage über den Antrag der Ukraine auf einen MAP (Membership Action Plan) sagte das Außenministerium, dass ›eine radikale neue Erweiterung der NATO eine ernsthafte politisch-militärische Veränderung bewirken kann, die unweigerlich die Sicherheitsinteressen Russlands beeinträchtigen wird‹. Der Sprecher betonte weiter, dass Russland mit der Ukraine durch bilaterale Verpflichtungen verbunden sei, die im Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und Partnerschaft von 1997 festgelegt sind. In ihm verpflichten sich beide Parteien, ›sich nicht an Aktionen zu beteiligen oder diese zu unterstützen, die die Sicherheit der anderen Seite beeinträchtigen könnten‹. Der Sprecher merkte an, dass die ›wahrscheinliche Integration der Ukraine in die NATO die vielseitigen russisch-ukrainischen Beziehungen ernsthaft verkomplizieren‹ würde und dass Russland „geeignete Maßnahmen ergreifen“ müsse. Die Ukraine und die NATO-Bestrebungen der Ukraine und Georgiens treffen nicht nur einen wunden Punkt in Russland, sie geben Anlass zu ernster Sorge über die Folgen für die Stabilität in der Region“.
Wohlgemerkt: Hier wird nichts über Putin gesagt, sondern über Russland, also über die gesamte Staatsführung. Passend erklärte der letzte US-Botschafter in der Sowjetunion im TAZ-Interview im September 2014:
„Als wir den Kalten Krieg beendet und politisch dabei geholfen haben, Osteuropa zu befreien, war klar, dass wir Russland für ein freies und vereintes Europa einbeziehen müssen. Wir wussten auch, wenn man ein Instrument des Kalten Krieges – die NATO – in dem Moment vor bewegt, wo die Barrieren fallen, schafft man neue Barrieren in Europa. Und genau das ist jetzt geschehen. Wenn wir Frieden wollen, dann sollten Russland, die Ukraine und die Länder Ost- und Westeuropas in einer einzigen Sicherheitsgemeinschaft sein. … Wir, also jene, die das Ende des Kalten Krieges verhandelt haben, haben immer gewarnt: Macht keine Sicherheitsangelegenheit daraus. Benutzt keine Kalter-Krieg-Allianz. … Und dann begann die Eröffnung von Militärbasen, unter anderem in Polen – gegen nicht existierende Raketen aus Iran – Für die Russen war das eine Provokation. 2008 entschied die NATO, die Ukraine auf eine Spur zur Mitgliedschaft zu setzen. Ein in seinem Inneren tief gespaltenes Land, direkt vor Russlands Türe. Das alles waren sehr dumme Schachzüge des Westens. Heute haben wir die Reaktion darauf. … Wenn China anfangen würde, eine Militärallianz mit Kanada und Mexiko zu organisieren, würden die USA das nicht tolerieren. Wir würden uns auch nicht auf abstrakte Prinzipien von internationalem Recht beschränken lassen. Wir würden das verhindern. Mit jedem Mittel, das wir haben. Jedes Land, das die Macht dazu hat, würde das tun.“
Das alles war und ist den Führungskräften bekannt: Sie haben den Krieg riskiert und tun jetzt so, als betreibe Russland einen imperialistischen, unprovozierten und beispiellosen Angriffskrieg, auf den die NATO mit Sicherheitsgarantien und Abschreckung reagieren müsse, auch mit der Aufblähung aller Militär-Ausgaben in den NATO-Staaten.
Die Öffentlichkeit soll die wirklichen Entwicklungen und die rechtlichen Fakten nicht im Bewusstsein haben, wenn sie am Wahltag über den neuen Bundestag entscheidet und wenn sie Haushaltseinschnitte zugunsten des Militärsektors hinnehmen soll.
Titelbild: breakermaximus / Shutterstock