Sieht die Bundesregierung Israels Massenbombardements in Syrien vom Völkerrecht gedeckt?

Sieht die Bundesregierung Israels Massenbombardements in Syrien vom Völkerrecht gedeckt?

Sieht die Bundesregierung Israels Massenbombardements in Syrien vom Völkerrecht gedeckt?

Ein Artikel von: Redaktion

Israel hat diese Woche fast jeden Tag Angriffe gegen Syrien geflogen und dabei Hunderte von Zielen bombardiert sowie mit Bodentruppen die völkerrechtlich zu Syrien gehörenden Golanhöhen vollumfänglich besetzt. Israelische Armeeeinheiten stehen mittlerweile 20 Kilometer vor der Hauptstadt Damaskus. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, wie die Bundesregierung das Vorgehen Tel Avis völkerrechtlich bewertet. Die Antwort trug Züge einer Verschwörungstheorie. So implizierte der Sprecher des Auswärtigen Amtes unter anderem, dass die vollständige Vernichtung der syrischen Flugabwehr im Einvernehmen mit „den neuen syrischen Akteuren“ geschah. Von Florian Warweg.

Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 11. Dezember 2024

Frage Warweg
Herr Fischer, Israel hat in den letzten Tagen über 300 Ziele in Syrien bombardiert, hat die völkerrechtlich zu Syrien gehörenden Golanhöhen vollumfänglich besetzt und steht jetzt in Qatana, 20 Kilometer vor der Hauptstadt Damaskus. Wie bewertet die Bundesregierung aus völkerrechtlicher Perspektive sowohl die Besetzung der Golanhöhen als auch das Vorrücken bis kurz vor Damaskus sowie die massenhaften Bombardierungen in den letzten Tagen?

Fischer (AA)
Herr Warweg, es tut mir leid, dass Sie immer nur einmal in der Woche kommen, aber über die Golanhöhen haben wir vor zwei Tagen schon gesprochen.

Zusatz Warweg
Das Protokoll habe ich brav gelesen.

Fischer (AA)
Dann ist es ja gut, dann kennen Sie ja unsere Haltung. – Was den Rest angeht, hat sich die Außenministerin gerade vor der Presse geäußert und einen Acht-Punkte-Plan für ein freies, demokratisches Syrien vorgestellt. Dabei ist sie auch auf Ihre Frage eingegangen und hat beispielsweise – ich paraphrasiere – gesagt, dass Nachbarn wie die türkische und israelische Regierung, die Sicherheitsinteressen geltend machen, mit ihrem Vorgehen nicht den Prozess stören dürfen, der in Richtung einer Bildung einer Übergangsregierung und einer besseren Zukunft für die Syrerinnen und Syrer führt.

Zusatzfrage Warweg
Das wäre jetzt aber mitnichten eine Antwort auf meine Frage. Ich wollte wissen, ob das Auswärtige Amt die massenhafte Bombardierung Israels von Zielen in Syrien als vom Völkerrecht gedeckt sieht oder nicht. Die Außenministerin hat die Angriffe jetzt ja weder explizit verurteilt noch unterstützt. Können Sie mir sagen „ja, vom Völkerrecht gedeckt“ oder „nein, nicht vom Völkerrecht gedeckt“?

Fischer (AA)
Herr Warweg, wir rufen alle Akteure zur Zurückhaltung auf. Klar ist auch, dass für uns die Sicherheit und Stabilität in der Region von zentralem Interesse sind. Das Vorgehen, das wir beobachtet haben, wirft natürlich eine Reihe von Fragen auch völkerrechtlicher Natur auf. Mir sind die genauen Umstände vor Ort aber nicht bekannt, und mir ist zum Beispiel auch nicht bekannt, ob es möglicherweise Kontakte zwischen der israelischen Regierung und den neuen syrischen Akteuren gegeben hat. Von dort hören wir nichts, und solange mir die Umstände nicht vollständig bekannt sind, kann ich auch keine völkerrechtliche Einordnung vornehmen.

Frage Towfigh Nia (freier Journalist)
Herr Fischer, Sie betonen ja immer wieder Israels Recht auf Selbstverteidigung. Gestehen Sie dieses Recht auch Syrien zu? Hat Syrien also das Recht, sich gegen diese Angriffe zu wehren, oder sagen Sie einfach: Nein, die sollen das einfach so über sich gehen lassen?

Fischer (AA)
Ich habe gerade ja gesagt, dass mir noch nicht einmal bekannt ist, ob es in dieser Frage nicht möglicherweise sogar einen Austausch zwischen Israel und den syrischen Akteuren gibt. Denn am Ende muss man ja sehen, dass sowohl Israel als auch die HTS beispielsweise gegen die Hisbollah gekämpft haben und dass beide gegen die syrische Armee vorgegangen sind. Insofern sind das Fragen, die ich hier nicht beantworten kann. Was zum Beispiel die Zerstörung der Chemiewaffen angeht, waren ja diejenigen, die jetzt die Macht in Damaskus übernommen haben, auch diejenigen, die besonders unter ihrem Einsatz gelitten haben. Von daher müssten Sie zunächst einmal die neuen syrischen Vertreter fragen, wie sie die Entwicklung selber einschätzen.

Zusatzfrage Towfigh Nia
Das heißt, aus Ihrer Sicht hat Israel keinen Völkerrechtsbruch begangen?

Fischer (AA)
Ich habe ja vorhin gesagt, dass dieses Vorgehen sicherlich völkerrechtliche Fragen aufwirft. Ich bin aber nicht in der Lage, das vollständig für Sie einzuordnen, weil mir die Umstände des Vorgehens nicht bekannt sind.

Frage Clasmann (Bundeskorrespondentin dpa)
Herr Fischer, wie beurteilen Sie die neue Lage in der syrischen Provinz Deir ez-Zor, wo es ja noch Kämpfe gegeben hatte?

Warum ist der Bundesregierung hier erneut das passiert, was im Untersuchungsausschuss Afghanistan schon kritisiert worden war, nämlich dass BND und Auswärtiges Amt im Fall einer neuen Entwicklung sehr langsam reagiert haben? Ich habe am Samstag um 18 Uhr noch nachgefragt, da wurde ich auf das Sprecherzitat vom Freitag zurückverwiesen. Das entbehrt nicht einer gewissen Absurdität.

Wann will die Bundesaußenministerin nach Syrien reisen? Was wäre eine Voraussetzung für einen solchen Besuch?

Fischer (AA)
Frau Clasmann, ich glaube, wir gehören in der Tat zu denjenigen, die besser als andere vorausgesehen haben, dass die Dinge in Syrien in Bewegung sind. Das war auch einer der Gründe dafür, dass wir uns den Versuchen widersetzt haben, das Assad-Regime anzuerkennen und die Beziehungen zu normalisieren; denn wir wussten, dass dieses Regime hohl ist und in großen Schwierigkeiten ist. Wir haben alle beobachtet – Sie haben das auch gesehen -, dass die Hisbollah ihre Kämpfer abgezogen hatte, und wir haben gesehen, dass Russland auf seinen völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Ukraine fixiert ist.

Insofern hat uns das nicht vollständig überrascht. Es war nur so, dass Sie den jeweiligen akuten Zeitpunkt nicht voraussehen können. Wenn ich ein Bild benutzen soll: Die syrische Suppe hat gekocht, es war aber unklar, wann sie überkocht. Ich glaube, dass sie gekocht hat, das haben wir sehr gut gesehen. Insofern haben wir uns auch vorbereitet, was Sie auch daran sehen, dass wir heute mit einem Acht-Punkte-Plan, der ja auch nicht aus dem Nichts kommt, an die Öffentlichkeit gegangen sind und den mit unseren Partnern teilen und abstimmen. Insofern würde ich diesen Vorwurf in dieser Weise zurückweisen.

Dass wir uns am Samstag um 18 Uhr nicht zu einer dynamischen Entwicklung äußern, von der wir wissen, dass sie am nächsten Morgen schon überholt ist, liegt, glaube ich, auf der Hand, zumal wir am Samstagabend davon ausgehen konnten, dass Herr Assad am Sonntagmorgen nicht mehr in der Stadt sein wird. Ich glaube, wir hätten uns und letztlich auch Ihnen keinen Gefallen getan, wenn wir in diesen paar Stunden mit einem neuen Statement auf den Markt gegangen wären. Auch das will ich noch einmal klarstellen.

Zu Ihrer Frage, was wir zur Türkei sagen: Auch dazu hat sich die Ministerin geäußert. Zum einen ist sie auf die Zehntausenden Kurdinnen und Kurden eingegangen, die auf der Flucht sind und auch Angst vor einem Sturm auf Kobanê haben. Sie hat begrüßt, dass es nun anscheinend zu einem Waffenstillstand zwischen den türkisch unterstützten Milizen und der kurdischen SDF gekommen ist, und hat erklärt, dass es bei aller Vorsicht und ohne zu wissen, ob das abschließend belastbar ist, doch erst einmal eine gute Nachricht ist.

Vorsitzende Wefers
Es gab noch die Frage, ob die Ministerin Reisepläne hat.

Fischer (AA)
Sie wissen ja, dass wir Reisen erst ankündigen, wenn sie tatsächlich vor der Tür stehen. In dem Acht-Punkte-Plan gibt es aber tatsächlich auch einen Punkt zu unserer Präsenz. Wir haben zwei Dinge gemacht: Zum einen ist Staatsminister Lindner zum Syrien-Koordinator im Auswärtigen Amt benannt worden. Er wird sich jetzt auf den Weg in die Region machen und war am Wochenende auch schon in der Region bei der Manama-Konferenz – wie Sie wissen, waren dort alle relevanten Spieler vor Ort – und hat dort auch Gespräche geführt. Gleichzeitig bereiten wir eine erste Reise auf Ebene der Kolleginnen und Kollegen in Richtung Damaskus vor.

Frage Jung (Jung & Naiv)
Ich hätte eine Frage zu den militärischen Aktivitäten in Syrien: Herr Fischer und ebenfalls Herr Stempfle, die Amerikaner bombardieren angeblich ISIS-Stellungen, wie sie sagen. Das passiert im Rahmen der Operation Inherent Resolve. Die Bundeswehr ist ja Teil dieser Operation bzw. das ist Teil des Bundestagsmandats zum Einsatz COUNTER DAESH. Heißt das, dass die deutsche Luftwaffe gerade bei den Angriffen der Amerikaner in Syrien hilft? Können Sie das einmal erklären?

Stempfle (BMVg)
In der Tat haben wir Soldaten im Irak und in Jordanien stationiert. Dort sind insgesamt rund 300 Soldaten, die zwei wesentliche Aufgaben haben, nämlich das Wiederstarken des IS zu verhindern und den Irak zu stabilisieren; das sind die beiden Hauptaufgaben. Dazu zählt zum Beispiel, dass es zum Fähigkeitsaufbau der irakischen Streitkräfte kommt – all solche Dinge. Dafür ist unser Kontingent dort vor Ort.

Zusatzfrage Jung
Das heißt, die Luftwaffe oder die Bundeswehr hilft jetzt nicht bei den Bombardierungen der Anti-ISIS-Koalition, der sie ja angehört, in Syrien, das können Sie ausschließen? Das hat die Bundeswehr ja in der Vergangenheit getan.

Stempfle (BMVg)
Ich kann nicht beurteilen, ob es Bombardierungen durch die USA in Syrien gibt.

Zusatzfrage Jung
Das haben die Amerikaner ja selbst gesagt. 75 Bombardierungen in den letzten Tagen.

Stempfle (BMVg)
Ich habe deutlich gemacht, dass wir an den beiden Einsätzen, also der Operation Inherent Resolve, die Sie angesprochen haben, und der NATO-Mission im Irak, beteiligt sind; da sind unsere Soldaten dabei. Ich betone noch einmal, worum es geht: Es geht darum, den Irak in einer schwierigen Situation, in der es um den Irak herum gerade viele Herausforderungen gibt, zu stabilisieren. Das ist die Aufgabe der Soldatinnen und Soldaten.

Zusatzfrage Jung
Können Sie das vielleicht einmal prüfen? – Herr Fischer, vielleicht können Sie uns da helfen? Die Bundesregierung hat ja selber geschrieben, dass die Bundeswehr durch Beiträge zur Operation Inherent Resolve, der internationalen Anti-ISIS-Koalition, unterstützt. Jetzt bombardieren die Amerikaner offiziell in Syrien ISIS-Stellungen. Können Sie sagen, ob die Bundeswehr dort in irgendeiner Weise beteiligt ist, oder können Sie das nachreichen?

Fischer (AA)
Die Amerikaner haben in der Tat bekanntgegeben, dass sie gegen ISIS vorgehen. In welchem rechtlichen Rahmen die Amerikaner das unternehmen, das weiß ich nicht. Sie können sich aber sicher sein, dass die Bundeswehr immer im Rahmen ihres vom Bundestag vorgegebenen Mandats handelt.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 11.12.2024

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