Menschenrechte – unveräußerlich und unteilbar sind sie. Darauf macht das Bundesjustizministerium in einem Tweet vom Dienstag aufmerksam. Was dann in fast 2.000 Kommentaren folgt, zeigt allerdings: Das eine ist politisches Gerede, das andere eine verstörende Realität aus der Coronazeit. Anders gesagt: Hier die Sonntagsrede, da eine Maßnahmenpolitik, die nun mit ihrem Umgang mit den Grund- und Menschenrechten konfrontiert wird. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.
Am Dienstag war der Internationale Tag der Menschenrechte. Die NachDenkSeiten merkten in einem Beitrag an: Gültig: jeden Tag. Diesen Hinweis dürften wohl alle unterschreiben: Politiker, Bürger, Regierungskritiker. Die Grund- und Menschenrechte gelten immer. 365 Tage im Jahr. Rund um die Uhr. Sie sind unteilbar. Leider ist Papier geduldig – egal, welche Unterschrift auf ihm steht. Um Recht um– und durchzusetzen, braucht es den politischen und den juristischen Willen. Zu den Menschenrechten gehört das Recht auf Freiheit, Gleichheit, das Verbot der Diskriminierung, der Schutz vor willkürlicher Verhaftung, der Schutz der Freiheitssphäre des Einzelnen usw. In der Coronazeit haben Politiker und Gerichte zentrale Rechte mit Füßen getreten.
Freiheit? Ausgangsbeschränkungen waren ein massiver Angriff auf die Freiheit.
Gleichheit? „Gleich“ war nur noch, wer geimpft war.
Diskriminierungsverbot? Aufgrund eines fehlenden Impfnachweises durften Bürger etwa kein Restaurant oder Hotel betreten.
Schutz vor willkürlicher Verhaftung? Wer zur falschen Zeit auf einem öffentlichen Platz aus dem Grundgesetz vorlas, wurde von der Polizei niedergerungen.
Schutz der Freiheitssphäre? Wie passt das zu Polizeibesuchen in den eigenen vier Wänden, weil eine Person aus einem anderen Haushalt anwesend ist?
Die Maßnahmenpolitik – da gibt es gar nichts schönzureden – war ein in der Bundesrepublik Deutschland beispielloser Übergriff des Staates auf Grund- und Menschenrechte. Da hilft auch kein noch so richtig formulierter Tweet des Bundesjustizministeriums.
Universell, unveräußerlich und unteilbar: #Menschenrechte schützen vor Diskriminierung, sichern Selbstbestimmung und garantieren Freiheit. Klar ist: Sie sind keine Selbstverständlichkeit – sie brauchen Engagement und Zusammenhalt, hier und weltweit.
In den Augen vieler Bürger, die unter den Maßnahmen gelitten haben, müssen diese Zeilen wie ein Hohn klingen.
Kein Wort zu Corona. Kein Wort zu dem Maßnahmenexzess. Keine Worte der Einsicht, geschweige denn eine Bitte um Verzeihung. Stattdessen veröffentlicht das Ministerium ein Bild, auf dem sagenhafte 17 Mal untereinander zu lesen ist: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Die Botschaft soll wohl lauten: Je öfter es gesagt wird, desto mehr trifft es auch zu. Was tatsächlich die Motivation hinter diesem Auftritt des Ministeriums ist, ist nicht bekannt. Vielleicht glauben diejenigen, die diesen Tweet verfasst oder zur Veröffentlichung veranlasst haben, was sie da schreiben. Nur fällt das wiederrum dem Betrachter schwer zu glauben. Denn das ginge nur unter völliger Ignoranz oder Verkennung der vergangenen Ereignisse. Und so sehen sich die Nutzer der Plattform X gezwungen, dem Ministerium in fast 2.000 Kommentaren Gedächtnisstützen anzubieten.
Der Journalist und Autor Bastian Barucker erinnert an die einrichtungsbezogene Impfpflicht und schreibt dem Ministerium ins Stammbuch: „Alle Menschen in diesem Land, egal ob Impffreund oder impfkritisch, Maskenmuffel oder Maskenfan wissen oder ahnen, dass die Würde des Menschen antastbar ist.“
Der X-Nutzer „Prof Freedom“ verweist auf ein Bild von maskentragenden Kindern und merkt an: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Der Journalist Henning Rosenbusch veröffentlicht ein verstörendes Video von Szenen, die die harte Vorgehensweise von Polizisten gegen Demonstranten auf Grundrechtedemos zeigen. Die Journalistin Milena Preradovic merkt mit Ironie an, ob in Bezug auf das veröffentlichte Bild die „Maus ausgerutscht“ sei oder ob der „Praktikant Schicht“ gehabt habe. Die X-Nutzerin „Sonia“ fragt das Ministerium: „Wo war während 2G ihr Einsatz für Menschenrechte? Das haben sie mitentschieden!“
Und so geht es weiter und weiter, Kommentar für Kommentar. Verstörende Bilder, beklemmende Videoaufnahmen. Im Ausgangstweet des Ministeriums herrscht „Sonnenschein“. Darunter: Donnerwetter!
Bezeichnend auch: Es findet kein Dialog statt. Kein Eingehen vonseiten des Ministeriums auf die Kommentare und teils schweren Vorwürfen und Anklagen. Nichts. Und so wird – unfreiwillig – sichtbar, wie tief der Graben zwischen Politik und Bürgern in dieser Zeit ist. Hier der offene Realitätsbruch, da das Schreien und die Verzweiflung der Demokratie. Und dazwischen als Puffer: politische Ignoranz.