Ein 800-seitiger Bericht der brasilianischen Bundespolizei deckt die Details des geplanten Staatsstreichs und Mordanschlags auf Präsident Lula da Silva auf. Die Verschwörung, angeführt von Ex-Präsident Jair Bolsonaro, zielte darauf ab, Lulas Wahlsieg rückgängig zu machen. Mit Hilfe von Militärs und gezielter Desinformation sollte ein Klima für den Putsch geschaffen werden. Die Umsetzung des Plans scheiterte jedoch schlussendlich an internen Konflikten. Nun stehen 37 Verdächtige, darunter hochrangige Offiziere, vor Gericht. Von Telma Luzzani.
„Jetzt kann niemand mehr leugnen, dass ein Staatsstreich geplant war, um uns an der Übernahme der Präsidentschaft zu hindern.”
So Brasiliens Präsident Lula da Silva am 28. November in Brasília, nur wenige Meter von dem Ort entfernt, an dem am 8. Januar 2023 eine Pro-Bolsonaro-Bewegung in den Kongress eingedrungen war und versucht hatte, den Planalto-Palast (Sitz des Präsidenten) zu besetzen, um seine Regierung zu stürzen. (Die NachDenkSeiten berichteten).
Dieser Aufstand – bekannt als der Angriff auf den Platz der drei Staatsgewalten – war die letzte verzweifelte Aktion des Plans, auf den Lula in seiner Rede Bezug nahm. Die Verschwörung, die einige Monate zuvor von einem Teil des Oberkommandos der Streitkräfte ausgeheckt worden war, ging weit über einen Staatsstreich hinaus. Ziel war es, den damaligen Präsidenten Jair Bolsonaro an der Macht zu halten. Geplant waren die Ermordung Lulas, seines Vizepräsidenten Geraldo Alckmin und des Richters am Obersten Gerichtshof Alexandre de Moraes.
Die Details der zivil-militärischen Verschwörung sind in einem 800-seitigen Bericht der Bundespolizei enthalten. Zwei Jahre lang hatte die Behörde Nachrichten auf Mobiltelefonen und Computern ausgewertet, Razzien und Verhöre durchgeführt und Spuren verfolgt, die unweigerlich in Büros oder Kasernen endeten und auf Bolsonaro als Kopf der Bande hinwiesen.
„Die im Laufe der Ermittlungen erlangten Beweise zeigen eindeutig, dass der damalige Präsident Jair Messias Bolsonaro die Handlungen der kriminellen Organisation, die einen Staatsstreich anstrebte, plante, ausführte und die direkte und effektive Kontrolle darüber hatte (…), was jedoch aufgrund von äußeren Umständen, die sich seiner Kontrolle entzogen, nicht ausgeführt wurde”, heißt es im Bericht.
Bolsonaro ist der erste Militär in der Geschichte Brasiliens, gegen den die Justiz wegen des Versuchs eines Staatsstreichs ermittelt.
Obwohl noch nicht bekannt ist, wie weit die Verbindungen des Putschversuchs und des geplanten Mordanschlags reichen, deutet die stärkste Hypothese darauf hin, dass diese „äußeren Umstände”, die die Umsetzung verhinderten, tatsächlich auf eine interne Auseinandersetzung innerhalb der Streitkräfte zurückzuführen sind. Die Verbrechen konnten nicht ausgeführt werden, weil die damaligen Befehlshaber des Heeres und der Luftwaffe den Plan nicht unterstützt hätten.
Brigadeleutnant Carlos de Almeida Baptista Júnior, ehemaliger Kommandeur der brasilianischen Luftwaffe, sagte der Polizei, dass der damalige Armeechef, General Marco Freire Gomes, Bolsonaro gewarnt habe, dass er verhaftet werden müsse, wenn er einen Putschversuch unter Aussetzung der Verfassung per Dekret unternehmen würde. Der ehemalige Befehlshaber der Marine, Admiral Almir Garnier Santos, unterstützte dagegen nicht nur den Putsch, sondern bot Bolsonaro seine Truppen an. Garnier Santos weigerte sich, vor der Polizei auszusagen.
Operation Grüner und Gelber Dolch
„Für die Hinrichtung von Präsident Lula wurden sein angeschlagener Gesundheitszustand und seine häufigen Krankenhausbesuche in Betracht gezogen und die Möglichkeit der Verwendung von Gift oder chemischen Produkten zur Herbeiführung eines Organversagens erwogen”, heißt es in dem mit Genehmigung der brasilianischen Justiz veröffentlichten Polizeibericht.
Der Plan, der an die südamerikanischen Militärputsche des letzten Jahrhunderts erinnert, wurde „Grüner und Gelber Dolch” genannt (die Anspielung auf ein Attentat und die brasilianische Flagge ist offensichtlich).
Das Attentat wurde in der Wohnung eines bekennenden Verteidigers der brasilianischen Militärdiktatur, General (R) Walter Souza Braga Netto, besprochen, der während der Regierung Bolsonaro Stabschef und Verteidigungsminister war und bei den Wahlen 2022 als sein Vizepräsident antrat. Die Morde sollten am 12. November 2022, nach Lulas Wahlsieg, erfolgen. Das Dokument, das die Schritte des Attentats enthält, wurde völlig ungestraft im Planalto-Palast gedruckt, als dieser noch von Bolsonaro besetzt war.
Weitere hochrangige Funktionäre, die angeklagt sind, sind General Augusto Heleno Ribeiro Pereira, ehemaliger Sicherheitsminister; Anderson Torres, früherer Polizeibeamter und Ex-Justizminister, der auch wegen der Freigabe des Gebiets am 8. Januar 2023 für den Angriff auf den Platz der drei Staatsgewalten verhaftet wurde, und Valdemar Costa Neto, Vorsitzender der Liberalen Partei, der Bolsonaro angehört. Unter den 37 Angeklagten (25 davon Militärs) befindet sich nur ein Ausländer: der argentinische Internet-Publizist Fernando Cerimedo, Gründer des Portals La Derecha Diario, der an den Präsidentschaftskampagnen von Bolsonaro (2018) und Javier Milei (2023) beteiligt war.
Ohne Moos nix los
Ein weiterer wichtiger Mann war General Mario Fernandes, dem eine der radikalsten Positionen der Putschistengruppe zugeschrieben wird. Fernandes war amtierender Generalsekretär der Präsidentschaft und leitete das Elitekommando Kids Pretos (Schwarze Kinder, so genannt, weil sie schwarze Sturmhauben tragen), das auf Infiltration und Destabilisierung spezialisiert war.
Eines der Beweisstücke gegen Fernandes ist eine Tonaufnahme, in der der Militäroffizier Einzelheiten über den geplanten Hinterhalt auf Richter De Moraes erzählt und einräumt, dass Bolsonaro von der Verschwörung wusste.
Bislang wurden fünf Rädelsführer verhaftet, vier Militärs und ein Polizist. Während des G20-Gipfels in Rio de Janeiro wurden die bereits erwähnten Mario Fernandes, Hélio Ferreira Lima, Rafael Martins de Oliveira, Rodrigo Bezerra de Azevedo und der Polizist Wladimir Matos Soares, ehemaliger Leibwächter der Ex-Präsidentin Dilma Rousseff und zur Zeit des gescheiterten Staatsstreichs Mitglied von Lulas Sicherheitsabteilung, festgesetzt.
Die Kids Pretos
Gemäß dem Operationsplan „Punhal Verde e Amarelo” sollten viele der kriminellen Handlungen – einschließlich der Hinrichtungen von Lula, Alckmin und de Moraes – von den Kids Pretos durchgeführt werden, dem Spitznamen für Soldaten, die beim Kommando für Sondereinsätze der brasilianischen Armee ausgebildet wurden. Dieses Kommando hatte unter anderem auch den Auftrag, ein „Büro für institutionelles Krisenmanagement” einzurichten.
Bolsonaro bestritt, von dem Operationsplan gewusst zu haben. Sein ehemaliger Adjudant und engster Vertrauter, Oberstleutnant Mauro Cid, gestand jedoch nach einem dreistündigen Verhör, dass sein Chef an der Ausarbeitung des Plans zur Ermordung Lulas und zur Durchführung eines Putsches beteiligt war. Nach einem Monat Haft nahm Cid den Vorteil der „belohnten Denunziation” in Anspruch und seine Haftstrafe wurde reduziert.
Die Plan „Grüner und Gelber Dolch” verfügte über fünf Zellen, die sich mit der Verbreitung von Falschnachrichten, der Aufwiegelung des Militärs, der Suche nach legalen Auswegen, der Durchführung von Putschversuchen und der Geheimdienstarbeit befassten. Bolsonaros Befehle „durchdrangen alle organisatorischen Kerne, aber er handelte direkt in dem Kern, der für die Desinformation gegen das Wahlsystem verantwortlich war”, so die Untersuchung.
Gefährliche Verbindungen
Zu den 37 Personen, die von der brasilianischen Bundespolizei beschuldigt werden, gehört Fernando Cerimedo, ein argentinischer Spezialist für die Manipulation von Mediennetzwerken und die Verbreitung von Falschnachrichten. Ihm wird vorgeworfen, Mitglied der Zelle „Desinformation und Angriffe auf das Wahlsystem” zu sein, eine der fünf Zellen der Operation und die einzige, die Bolsonaro direkt unterstellt war. Der Argentinier, der enge Beziehungen zu Eduardo Bolsonaro, dem Sohn von Jair Bolsonaro, unterhält, spielte bei den „neuen” Staatsstreichen des 21. Jahrhunderts eine wichtige Rolle: die Verbreitung der Behauptung eines Wahlbetrugs, ein vorheriger und notwendiger Schritt, um ein Klima für einen Putsch zu schaffen. Die Ähnlichkeit mit der Atmosphäre, die bei den letzten Wahlen in Venezuela und in Bolivien (2019) vor dem Putsch gegen Evo Morales geschaffen wurde, ist kein Zufall.
Am 4. November 2022 wurde ein Video, das angebliche Fehler in den elektronischen Wahlurnen anprangerte, in den Netzwerken verbreitet und schaffte es, in der brasilianischen Öffentlichkeit Zweifel zu säen. Dem reuigen Mauro Cid zufolge „versuchte das selbsternannte Hasskabinett (Gabinete do Ódio), dem Cerimedo angehörte, über digitale und über andere Kanäle die Idee zu verbreiten, dass die brasilianischen Präsidentschaftswahlen gefälscht waren, und ermutigte seine Anhänger, vor Kasernen und Einrichtungen der Streitkräfte Widerstand zu leisten und das richtige Umfeld für das Eingreifen der Streitkräfte zu schaffen”.
Die Untersuchung des Komplotts wurde letzte Woche dem brasilianischen Generalstaatsanwalt Paulo Gonet übergeben, der in den nächsten 15 Tagen entscheiden muss, ob er die Klage an den Obersten Gerichtshof weiterleitet oder nicht.
In Argentinien ordnete Bundesrichter Daniel Rafecas unterdessen die Verhaftung von 61 Anhängern der Bolsonaristen an, die wegen ihrer Beteiligung an dem gescheiterten Staatsstreich verurteilt worden waren.
Übersetzung: Vilma Guzmán, Amerika21
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