Die ukrainische Seite hat, mit kaum verhohlenem Stolz, erklärt, dass sie die dschihadistischen Verbände, namentlich die Al-Kaida-Abspaltung HTS, die seit Ende November gegen die syrischen Regierungstruppen in die Offensive gegangen sind, in Kampftaktiken und Einsatz von improvisierten Kampfdrohnen ausgebildet und ausgerüstet hat. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, ob dieses Vorgehen Kiews für den Kanzler auch unter „Verteidigung unserer Werte“ fällt und ob die Bundesregierung ausschließen kann, dass Gelder und Ausrüstung, die an die Ukraine gingen, von dieser genutzt worden sind, um damit Dschihadisten-Verbände in Syrien und Subsahara-Afrika auszubilden und auszurüsten. Von Florian Warweg.
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Hintergrund
Am 1. Dezember veröffentlichte die Kyiv Post, die wichtigste englischsprachige Zeitung des Landes, einen ausführlichen Artikel unter dem Titel „Von der Ukraine ausgebildete und von der Türkei unterstützte syrische Rebellen führen Angriff auf Aleppo an“.
Darin heißt es unter anderem:
„Die in der Region Idlib ansässigen Rebellengruppen (…) hatten eine operative Ausbildung durch Spezialeinheiten der Khimik-Gruppe des ukrainischen Hauptnachrichtendienstes HUR erhalten. Das Ausbildungsteam konzentrierte sich auf Taktiken, die während des Krieges in der Ukraine entwickelt wurden, einschließlich des Einsatzes von Drohnen.
Der Khimik-Gruppe des HUR wird der Angriff auf einen russischen Militärstützpunkt am südöstlichen Stadtrand von Aleppo am 15. September zugeschrieben, bei dem russische Angriffsdrohnen und „getarnte improvisierte Sprengsätze“ zerstört wurden, wie eine Quelle des militärischen Geheimdienstes der Kyiv Post berichtet.“
Dazu muss man wissen, dass die Kyiv Post regelmäßig von ukrainischen Geheimdiensten als „exklusive“ Ausspielplattform für Meldungen und Videos zu Angriffen von ukrainischen Spezialeinheiten in Zusammenarbeit mit örtlichen Dschihadisten-Gruppen in Syrien und Subsahara-Afrika genutzt wird. Beispielhaft sei auf den Artikel „EXKLUSIV: Ukrainische HUR-Spezialkräfte nehmen russische Drohnenbasis in Syrien ins Visier“ von September 2024 sowie den von November 2023 unter dem Titel „EXKLUSIV: Videos zeigen ukrainische Spezialeinheiten bei der „Säuberung“ von Wagner-Kämpfern in Sudan“ verwiesen.
Die Wochenzeitung, die 2008 von dem US-Amerikaner Jed Sunden gegründet wurde und sich seit 2018 im Besitz des syrischen Geschäftsmanns Adnan Kivan befindet (nach dessen überraschendem Tod im Oktober 2024 übernahm sein Sohn Ruslan Kivan), hat sogar eine eigene Rubrik „HUR“ (Abkürzung des Militärnachrichtendienst der Ukraine), in der entsprechende Verlautbarungen und Videos des Geheimdienstes veröffentlicht werden.
Neben ukrainischen Quellen gibt es auch zahlreiche weitere Quellen, die die Zusammenarbeit von ukrainischen Geheimdiensten und Militärausbildern mit den Dschihadisten-Formationen von HTS bestätigen. Exemplarisch sei auf diesen Beitrag der türkischen Zeitung Aydinlik sowie auf diesen von dem auf Berichterstattung zu Westasien spezialisierten Online-Magazin The Cradle verwiesen.
Diese von der Ukraine eingeräumte Zusammenarbeit mit der Dschihadisten-Gruppierung HTS, die einst al-Nusra hieß und mit al-Kaida affiliiert war, wirft natürlich die Frage auf, inwieweit in die Ausbildung und Ausrüstung dieses Verbandes für die Ukraine bestimmte deutsche Unterstützungsgelder und militärische Ausrüstung geflossen sind. Eine Dschihadistengruppierung, der schwerste Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Dies hatte auch das Auswärtige Amt am 2. Dezember eingeräumt.
„Die HTS wurde in der Vergangenheit von den Vereinten Nationen als Terrororganisation gelistet, das wissen Sie. Sie hat sich in den letzten Jahren darum bemüht, sich von ihren dschihadistischen Ursprüngen zu distanzieren. Vor einigen Jahren hieß sie ja noch Al-Nusra-Front und war mit Al-Qaida affiliiert. Von diesen hat sie sich getrennt und, wie gesagt, bemüht sich darum, zumindest nach außen hin, einen anderen Kurs einzuschlagen und in ihrem Herrschaftsgebiet in Idlib staatsähnliche zivile Strukturen aufzubauen. Ob man diese Bemühungen ernst nehmen kann, wird sich jetzt ja auch daran zeigen, wie die HTS zum Beispiel mit den Minderheiten in Aleppo umgeht, zum Beispiel der christlichen Minderheit, und wie sie mit den Zivilistinnen und Zivilisten umgeht, die jetzt neu in ihrem Herrschaftsgebiet sind.
Aber es gibt trotzdem, und auch das muss man wahrscheinlich sagen und gehört zur Wahrheit dazu, immer wieder auch Berichte aus den letzten Jahren über Folter und sozusagen Festsetzung bzw. Inhaftierung von Menschen, die mit der HTS politisch nicht übereinstimmten, in den Gebieten. Insofern, glaube ich, diese Einschätzung sollte fürs Erste reichen.“
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 4. Dezember 2024
Frage Warweg
Die ukrainische Seite hat ja mit kaum verhohlenem Stolz erklärt, dass sie die dschihadistischen Verbände, namentlich die Al-Qaida-Abspaltung HTS, die derzeit gegen die syrischen Regierungstruppen in die Offensive gegangen ist, in Kampftaktiken und dem Einsatz von improvisierten Kampfdrohnen ausgebildet und ausgerüstet hat. Dazu gibt es unter anderem auch einen ausführlichen Bericht in der „Kyiv Post“. Den Hintergrund der HTS hat der Herr Fischer ja am Montag hier schon ausgeführt, sie hießen einst Al-Nusra- und waren Al-Qaida-affiliiert. Meine Frage wäre, da der Kanzler bei seinem kürzlichen Ukrainebesuch ja noch einmal betont hatte, dass Deutschland an der Seite Kiews steht, ob das auch für die Ausbildung und Bewaffnung von Dschihadisten durch die Ukraine in Syrien gilt. Werden da aus Sicht des Bundeskanzlers auch unsere Werte verteidigt?
Regierungssprecher Hebestreit
Herr Warweg, ich finde es immer wieder faszinierend, wie Sie Dinge zusammenbinden, die nicht zusammengehören. – Zu diesem Fall: Das hat keinerlei Rolle beim Besuch des Bundeskanzlers gespielt. Wir stehen an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer, nachdem sie von Russland seit bald drei Jahren mit einem erbarmungslosen Vernichtungskrieg überzogen werden, der weiterhin die Infrastruktur, die Energieinfrastruktur und Zivilisten unter Beschuss nimmt, und das vor dem dritten Kriegswinter. Das ist die Botschaft, die der Bundeskanzler deutlich gemacht hat, dass wir dazu stehen und sie unterstützen. Wir unterstützen sie militärisch, wir unterstützen sie politisch, wir unterstützen sie finanziell, und in Deutschland sind knapp 1,3 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer untergekommen, um Schutz vor diesen furchtbaren Angriffen zu suchen. Das ist das Thema, das der Bundeskanzler auch mit Präsident Selenskyj besprochen hat, und darauf bezog sich auch seine Aussage.
Zusatz Warweg
Das ist zum einen noch keine Antwort auf meine Frage, wie der Kanzler das ukrainische Vorgehen in Syrien bewertet.
Hebestreit
Das kann ich Ihnen beantworten: Das bewertet der Bundeskanzler gar nicht.
Zusatzfrage Warweg
Aber kann die Bundesregierung denn vollumfassend ausschließen, dass Mittel und Ausrüstung, die an die Ukraine gingen, von dieser genutzt worden sind, um entsprechende Dschihadisten-Verbände in Syrien oder auch Sub-Sahara-Afrika auszubilden?
Hebestreit
Ich kenne den Verdacht noch nicht einmal, den Sie hier äußern. Ich habe keinerlei Hinweise darauf, dass der von Ihnen geäußerte Verdacht in irgendeiner Weise virulent wäre.
Zusatzfrage Warweg
Ich wollte lediglich fragen, ob Herr Fischer denn dazu mehr Informationen vorliegen. Vielleicht zeigt sich das Auswärtige Amt ja informierter als der Regierungssprecher.
Fischer (AA)
Ich werde mich dem Regierungssprecher selbstverständlich anschließen und mich auch nicht an irgendwelchen Spekulationen beteiligen.
Zusatz Warweg
Das sind öffentliche Ausführungen der ukrainischen Seite. Ich habe ja auch noch einmal auf eine der Quellen hingewiesen, die „Kyiv Post“, eine der bekanntesten englischsprachigen Zeitungen, die sonst oft auch im Gegenzug von Ihnen zitiert wird und die das sehr detailliert aufgedröselt hat.
Hebestreit
Herr Warweg, ich glaube nicht, dass wir uns hier je auf irgendwelche einzelnen Medienberichte gestützt haben. Insofern müssen Sie zur Kenntnis nehmen, wie wir das jetzt Ihnen gegenüber dargelegt haben. Ihre Kommentare können Sie machen, wie Sie wollen – das ist Ihr gutes Recht -, aber wir können nur in Bezug auf das antworten, wofür uns Fakten vorliegen.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 04.12.2024
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