„Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit“ – US-Präsident Joe Biden, sein Sohn Hunter und Donald Trump

„Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit“ – US-Präsident Joe Biden, sein Sohn Hunter und Donald Trump

„Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit“ – US-Präsident Joe Biden, sein Sohn Hunter und Donald Trump

Ein Artikel von Hubert Seipel

Washington, das Weiße Haus, Juli 2019. Es ist Wahlkampf, in vier Monaten wird ein neuer Präsident gewählt. Die klassische Paarung. Republikaner gegen Demokraten. Donald Trump will ein zweites Mal gewählt werden. Sein Gegner heißt Joe Biden. Die demokratische Partei knabbert immer noch an ihrer Niederlage bei der letzten Wahl, als Donald Trump die Favoritin Hillary Clinton besiegte. Für die Demokraten noch immer unvorstellbar. Aber auch die Medien lagen mit ihrer selbstsicheren Vorhersage einer sicheren Niederlage Trumps daneben. Von Hubert Seipel.

Die neue Formel für den anstehenden Wahlkampf hat sich nicht geändert. Gut gegen Böse. Hier ein unberechenbarer rechtsradikaler Narzisst, von Wladimir Putin aus Moskau gesteuert, gegen einen Vertreter des wahren Amerika, jener garantierten moralischen Überlegenheit, die nach eigenen Angaben bekanntermaßen Demokratie und Menschenrechte verteidigt.

Das ist die Ausgangslage an jenem Tag für Donald Trump. An diesem Donnerstagvormittag kurz nach neun Uhr lässt sich der amerikanische Präsident mit dem ukrainischen Amtskollegen in Kiew verbinden. Es ist eine wohlkalkulierte Geste politischer Beziehungspflege. Donald Trump gratuliert Präsident Selenskyj, der selbst erst drei Monate im Amt ist, zu dem weiteren Sieg bei den Parlamentswahlen einige Tage zuvor. Selenskyj habe „einen fantastischen Job gemacht“, eröffnet der amtierende US-Präsident das Gespräch. Viele hätten seiner neuen Partei keine Chancen eingeräumt und dann dieser Sieg. Selenskyj gibt die Komplimente postwendend zurück. Er habe von Trump gelernt, und von Trump lernen, heißt, siegen lernen, sagt er sinngemäß. Er hoffe, dass er und Trump nun öfters Kontakt haben. Es gebe viel zu besprechen.

Die Stimmung ist gelockert, es ist das zweite Gespräch der Politiker per Telefon. Der Mann im Weißen Haus unterstreicht einmal mehr, dass die USA der einzige wahre Freund der Ukraine seien. Angela Merkel etwa tue beispielsweise nichts für die Ukraine, so der amerikanische Präsident. Auch die anderen europäischen Länder wie Frankreich täten nichts.

Der ukrainische Präsident nimmt die Steilvorlage an. Sein amerikanischer Kollege habe „zu hundert Prozent recht“, pflichtet Selenskyj bei. Merkel und Macron machten bei Weitem nicht so viel für das Land wie die Vereinigten Staaten. Vor allem machten sie viel zu wenig Druck auf Moskau. Ganz anders Washington, und dafür sei er Trump dankbar. Er wolle in Zukunft auch in Energiefragen viel stärker mit den USA kooperieren, die Ukraine kaufe bereits amerikanisches Öl ein.

Die Vereinigten Staaten sind für die Ukraine überlebensnotwendig, stellen Hunderte von Millionen für Militärhilfe für Kiew bereit, und ohne Washingtons Fürsprache vergibt auch der Internationale Währungsfonds keine Kredite an das klamme Land.

Dann kommt Donald Trump zum eigentlichen Anliegen seines Anrufes. „Ich möchte gerne, dass Sie uns einen Gefallen tun“, wirbt der US-Präsident um Unterstützung. Es habe so viele unerfreuliche ukrainisch-amerikanische Verwicklungen die vergangenen Jahre über gegeben, die zu Hause in den Staaten eine große Rolle spielten. Da gebe es beispielsweise „viel Gerede über Bidens Sohn“.

Es geht um Hunter Biden, den Sohn von Joe Biden – politischer Konkurrent und einst Vizepräsident unter Barack Obama. Das „Gerede“, das Trump anspricht, zirkuliert in den beiden Hauptstädten seit Monaten. Präsident Barack Obama hatte während seiner Amtszeit Joe Biden, die Nummer zwei im Weißen Haus, zum „Point man“ für die Ukraine ernannt. Bidens Job war es, sich nach dem Umsturz 2014 in Kiew darum zu kümmern, dass das Land wieder auf die Füße kommt. In dieser Machtposition soll Joe Biden den damaligen Präsidenten Poroschenko unter Druck gesetzt haben, den eigenen Generalstaatsanwalt zu feuern, um persönliche Interessen zu bedienen.

Der staatliche Ankläger hatte Ermittlungen gegen die ukrainische Energiefirma Burisma wegen krummer Geldgeschäfte eingeleitet. Das Unternehmen ist die größte private Gasfirma des Landes. Was die Ermittlungen so pikant machte, ist die Familienaufstellung der Bidens. Burisma hatte Hunter Biden ein lukratives Aufsichtsratsmandat in Kiew angedient – zur gleichen Zeit, als Vater Joe Biden im Weißen Haus für das Land zuständig wurde. Sohn Hunter war bislang nicht durch einschlägige Kenntnisse der Ukraine oder des Gas-Gewerbes aufgefallen, allerdings beruflich stets im Kielwasser seines Vaters gesegelt.

Der amerikanische Vizepräsident macht nun eine US-Zustimmung zu einem Milliardenkredit des Internationalen Währungsfonds an die Ukraine von der Entlassung des ukrainischen Generalstaatsanwalts Wiktor Schokin abhängig, der die Ermittlungen führte. Das Land braucht das Geld dringend, steht vor dem Bankrott.

Er wäre ihm dankbar, lässt Donald Trump seinen Amtskollegen aus der Ukraine am Telefon wissen, wenn er, Selenskyj, dieser unfairen Geschichte nachgehen und ihn mit Informationen auf dem Laufenden halten könnte. Für Wolodymyr Selenskyj ist die Bitte des US-Präsidenten eine Chance, nicht nur im Gespräch zu bleiben, sondern weiter ins Geschäft zu kommen.

„Ich habe verstanden. Ich weiß Bescheid“, sagt er am Telefon. Der nächste Generalstaatsanwalt werde, so Selenskyj, „zu hundert Prozent meine Wahl sein“, da „wir nun die absolute Mehrheit haben … Wir werden uns darum kümmern“. Die beiden Präsidenten verabreden, in Kontakt zu bleiben.

Donald Trump geht es weniger darum, mögliches Unrecht zu sühnen. Der Republikaner sucht in der Ukraine nach handfesten Belegen für einen Machtmissbrauch von Joe Biden, um den politischen Gegner im Wahlkampf anzugreifen. Die Vorwürfe gegen Joe Biden, die Trump im Wahlkampf einsetzen wird, lauten Korruption und Erpressung: Der einstige amerikanische Vizepräsident habe dem eigenen Sohn kraft seines Amtes zuerst einen millionenschweren Job bei der Gasfirma besorgt und dann den ukrainischen Präsidenten erpresst, Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen eben dieses Unternehmen zu stoppen.

Josef Robinette „Joe“ Biden, Jahrgang 1942, gehört seit Jahrzehnten zum politischen Inventar der Demokratischen Partei. Jetzt ist er der älteste gewählte Präsident, den die USA je hatten. Die Wahl 2020 ist seine letzte Chance. Es war Joe Biden selbst, der die politische Tretmine platziert hat. Bei einer Veranstaltung des „Council on Foreign Relations“ am 23. Januar 2018 in Washington beschreibt er vor laufenden Kameras, wie er bei seinem unermüdlichen Kampf gegen die Korruption Präsident Poroschenko in Kiew mit der Drohung unter Druck setzte. „Ich habe zu ihnen gesagt: Ihr kriegt die Milliarde nicht. Ich werde hier abreisen – ich glaube, es war sechs Stunden später. Wenn der Staatsanwalt bis dahin nicht gefeuert ist, bekommt ihr das Geld nicht“, erzählt Joe Biden auf der Veranstaltung. „Nun ja, der Mistkerl. Er wurde gefeuert. Und sie haben ihn durch jemanden ersetzt, der zu der Zeit zuverlässig war.“ Es sei im übrigen kein Alleingang gewesen, sondern er habe Rückendeckung von Barack Obama bekommen. Was er nicht sagt, ist, dass sein Sohn Hunter bei jener Firma, gegen die der Generalstaatsanwalt ermittelt, kurzfristig eingestellt wurde.

Auch wenn Donald Trump in der Wahl seiner Mittel bekanntermaßen nicht wählerisch ist, im Fall Joe Biden geht es um mehr als nur um mangelndes Fingerspitzengefühl. Es geht um einen klassischen Interessenskonflikt.

Als der US-Vizepräsident zum ersten Mal am Ostersonntag 2014 an Bord der Air Force Two von Washington nach Kiew aufbricht, herrscht in der ukrainischen Hauptstadt Chaos. Auf dem zentralen Unabhängigkeitsplatz sind noch die Spuren des gewaltsamen Umsturzes zu sehen. Präsident Janukowytsch, der für den russischsprechenden Teil der Ostukraine stand, und sein innerer Zirkel sind nach Russland geflohen.

Ein Umsturz, den Washington seit 2004 nach Kräften gefördert hat. „Niemand bestreitet, dass ausländische Hilfe für den Erfolg der Orange-Revolution entscheidend gewesen ist“, schrieb selbst die Frankfurter Allgemeine damals und führt sämtliche amerikanischen Förderer namentlich auf. „Viele Organisationen, die in der Ukraine aktiv waren, von der staatlichen USAID über die Parteiinstitute der Demokraten und Republikaner NDI und IRI werden direkt oder indirekt von amerikanischen Steuergeldern finanziert, die teils vom Weißen Haus und teils vom Kongress kommen.“

Das Briefing, das Joe Biden nach seiner Ankunft in Kiew in der US-Botschaft vor Ort erhält, ist ernüchternd. Die US-Administration hat zwar aus dem Personal der Sieger eine Übergangsregierung mit ausgewählt und Wahlen für einen neuen Präsidenten organisiert, aber die Probleme sind nach dem „Regime Change“ nicht weniger geworden.

Korruption, Gewalt, Verteilungskämpfe – und wenig Aussicht auf Besserung. Das Land befindet sich im Bürgerkrieg. Joe Biden selbst hatte zuvor im Weißen Haus auf militärische Härte gesetzt. Nun ist der US-Vizepräsident der wichtigste Ansprechpartner der ukrainischen Elite. Er soll dafür sorgen, dass das Land sich weiter Richtung Westen bewegt.

Schläge und Ratschläge

Die Vorschläge, die Joe Biden unterbreitet, sind mehr als nur Vorschläge. Das Land braucht jede Form von Hilfe. Die USA werde Kiew technisch und auch sonst unter die Arme greifen, um nun die anstehende Präsidentenwahl zu organisieren, erklärt der Mann aus Washington. Der Präsidentschaftskandidat, den die USA fördert, steht fest. Ein alter Bekannter aus der politischen Landschaft der Ukraine und notorisch flexibel: Petro Poroschenko, achtundvierzig Jahre alt, ein selbstbewusstes Mitglied der alten Elite und seit Jahren in der Politik. Zuerst diente er 2004 in der Regierung des prowestlichen Wiktor Juschtschenko, dann im Kabinett von dessen prorussischem Gegner und Nachfolger Wiktor Janukowytsch. Als die Proteste auf dem Maidan zunehmen, wechselt Poroschenko in der Endphase der Regierung einmal mehr die Seite und schließt sich den Demonstranten an, um nach dem Regierungswechsel wieder eine tragende Rolle zu spielen. Er ist nicht auf die Politik angewiesen. Hauptberuflich ist er Milliardär und besitzt ein weitverzweigtes Firmenimperium – von der Pralinenproduktion bis zum eigenen Fernsehsender reicht sein Portfolio. Er ist einer der reichsten Männer der Ukraine.

Damit das Land auf den richtigen Weg kommt, haben die Vereinigten Staaten begonnen, zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds ein Milliardenpaket zu schnüren. Wie dieser richtige Weg aussieht, erklärt Biden auch. Die Ukraine soll sich vom russischen Erdgas abkoppeln und gemeinsam mit dem großen Bruder Amerika eigene Kapazitäten aufbauen, fordert der amerikanische Vizepräsident vor der Presse, damit „Russland nicht mehr länger Energie als politische Waffe gegen die Ukraine und Europa“ benutzen kann. „Stellen Sie sich einmal vor, wo Sie heute stehen würden, wenn Sie den Russen sagen könnten: Behaltet euer Gas! Wäre das nicht eine andere Welt?“

Dann gibt der Mann aus den USA den versammelten Hoffnungsträgern für eine bessere Zukunft noch einen persönlichen Rat. „Die Zeit der Korruption und Kleptokratie“, also jene Form der persönlichen Bereicherung durch gesellschaftliche Privilegien, sei nun vorbei. „Die Vereinigten Staaten sind bereit, der Ukraine Schritt für Schritt zu mehr Transparenz zu verhelfen, um das Vertrauen der Menschen wieder zurückzugewinnen.“

Bindungen und Verbindungen

Auch die Familie Biden gewinnt nach der Rede schnell an Vertrauen vor Ort, vor allem bei den Oligarchen in der Gasindustrie. Einen Monat nach dem Besuch von US-Vize Biden in Kiew und der Zusage, in die ukrainische Energiewirtschaft zu investieren, meldet der größte private Gaskonzern des Landes auf der Website des Unternehmens einen prominenten Neuzugang. Hunter Biden, der Sohn des Vizepräsidenten, wird ab sofort den Verwaltungsrat der Firma Burisma Holdings verstärken. „Hunter Biden wird für die Rechtsabteilung verantwortlich sein und die internationalen Beziehungen für das Unternehmen pflegen“, heißt es in der Pressemitteilung. Der Sohn des US-Politikers ist von sich und der neuen Aufgabe überzeugt. Er werde den Konzern „in Fragen der Transparenz, Corporate Governance und Verantwortungsgefühl“ neben vielen anderen Dingen bestens beraten, erklärt Biden junior selbstbewusst in dem Statement. „Die Menschen der Ukraine werden davon profitieren.“

Es ist vor allem Hunter Biden, der von dem neuen Job profitiert. 50.000 Dollar wird er die nächsten Jahre pro Monat verdienen. Hunter hat weder Erfahrung im Gasgeschäft, noch hatte er zuvor beruflich etwas mit der Ukraine zu tun. Hunter Biden ist beruflich Sohn des erfolgreichen Politikers Joe Biden. „Hunter Bidens Karriere verlief in weiten Strecken parallel zur Arbeit seines Vaters als Senator und Vizepräsident“, schreibt die Washington Post. Der junge Rechtsanwalt arbeitet als Lobbyist für Klienten, die im Kongress etwas erreichen wollten, während Joe Biden einer der einflussreichsten Strippenzieher des Parlaments ist.

Etwa für das Kreditkarteninstitut MBNA, das wiederum seinen Vater im Wahlkampf sponserte. Dafür stimmte der demokratische Abgeordnete Joe Biden bei Gesetzesvorlagen im Kongress regelmäßig mit den Republikanern für die Interessen der Finanzindustrie.

Das Prinzip der Familienförderung wie in der Ukraine hatte zuvor auch schon in China funktioniert. Im Dezember 2013, einige Monate vor dem neuen Job bei Burisma, fliegt der US-Vizepräsident dienstlich zu offiziellen Gesprächen nach Peking. Auch Sohn Hunter ist mit an Bord der Air Force Two. Es wird ein erfolgreicher Trip für die Familie. Joe Biden nennt beim Abflug aus dem Reich der Mitte den chinesischen Präsidenten Xi Jinping einen „guten Freund“, und Hunter Biden wird Teilhaber einer amerikanisch-chinesischen Investitionsfirma, bei der auch die staatliche Bank von China Anteile hält.

„Wenn man es wohlmeinend betrachtet, sieht die Ernennung des Sohnes des amerikanischen Vizepräsidenten in den Verwaltungsrat eines ukrainischen Gaskonzerns nur nach normaler Vetternwirtschaft aus. Wenn man es weniger wohlmeinend betrachtet, ist das Ganze schlicht abscheulich“, kommentierte damals die Washington Post Hunter Bidens Ernennung. „Man kann sich nur verwundert fragen, wie hoch das Gehalt sein muss, um einfach mal so amerikanische Softpower zu diskreditieren. Ziemlich hoch, nehmen wir an.“

Das Geld ist gut angelegt. Der Chef der Burisma Holding, Mykola Slotschewskyj, diente einst als Minister für Umwelt und Rohstoffe und war in das Visier der Staatsanwaltschaft geraten. Als der Generalstaatsanwalt, Wiktor Schokin, die Ermittlungen wieder aufnimmt, die sein Vorgänger gestoppt hatte, intervenieren sowohl der US-Botschafter vor Ort als auch der amerikanische Vizepräsident beim ukrainischen Staatspräsidenten. Biden fordert, den unbotmäßigen Beamten zu feuern. Die Begründung: Der Staatsanwalt sei korrupt. Beweise für die Anschuldigungen legt die US-Administration nicht vor. „Sie müssen weißer als Schnee sein, sonst werden Sie von der ganzen Welt verlassen“, macht Joe Biden in einem Telefongespräch Druck auf Poroschenko in Anspielung auf die weit verbreitete Korruption im Land.

Männer mit Gewissen

Am 9. Dezember 2015, als der Generalstaatsanwalt noch immer im Amt ist und weiter ermittelt, greift Joe Biden zu brachialen Mitteln. In einer Rede im ukrainischen Parlament fordert der US-Vize die Abgeordneten auf, den Generalstaatsanwalt zu entlassen. Ansonsten würden die USA eine Milliarden-Dollar-Kreditgarantie kippen. Es ist eine jener pathetischen Ansprachen, die Joe Biden später als seine beste Rede bezeichnen wird.

Auch Amerika, wo er herkomme, sei „dank einer Revolution geboren worden“, schlägt Biden gleich zu Beginn den großen historischen Bogen von Kiew ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Damals, in jenen Tagen der Kolonisation, als „Männer mit Gewissen“ aus Massachusetts oder Pennsylvania erklärten, dass man zwar verschiedene Sprachen spreche, aber „ein unveräußerliches Recht“ habe – „das Recht auf Freiheit“. Die Abgeordneten in der Rada in Kiew „haben die historische Chance, als das Parlament in die Geschichte des Landes einzugehen, das nun die Säulen der Freiheit errichtet hat, nach der sich das ukrainische Volk verzehrt“.

Und damit die Sache auch nicht falsch verstanden wird, erteilte Biden den versammelten Abgeordneten gleich einen Schnellkurs in politischem Realismus. Er sei hier, um Europa gegen die russische Aggression zu stärken. „Das ist der Augenblick für die Ukraine“, beschwört die Nummer zwei aus dem Oval Office. „Ergreifen Sie die Chance, es könnte Ihre letzte sein.“ Biden offeriert der Ukraine milliardenschwere US-Kredite. Vorausgesetzt, die Politik bekämpfe von heute an die grassierende Korruption. Natürlich würde er, Joe Biden, „niemals einer anderen Nation vorschreiben, was gut für sie ist“. Doch da es Sache des Parlaments ist, über Wahl oder Abwahl eines Generalstaatsanwaltes zu entscheiden, hat der US-Politiker dann doch einen guten Ratschlag parat. Die Justiz müsse „neu aufgestellt werden“, empfiehlt der Gast aus Übersee mit besorgter Stimme. „Vor allem der Bereich des Generalstaatsanwaltes muss dringend überholt werden.“

Die Version, die er an diesem Tag staatsmännisch und mit historischer Perspektive den Parlamentariern präsentierte, hatte er am Tag zuvor weniger diplomatisch und verkürzt schon einmal dem Präsidenten des Landes diktiert. Es war jenes Ultimatum, mit dem er sich später auf der Veranstaltung des „Council on Foreign Relations“ brüstete. Dort behauptete er, er habe die Absetzung innerhalb von sechs Stunden bewirkt. Tatsächlich sollte es noch gut drei Monate dauern, bis der Generalstaatsanwalt seinen Schreibtisch räumte.

„Wenn Sie mich fragen, was die Motive von Joe Biden waren“, antwortet der einstige Generalstaatsanwalt Wiktor Schokin auf Nachfrage: „Es waren die Aktivitäten der Firma Burima und die Verwicklungen seines Sohnes Hunter, und dass die Staatsanwaltschaft ihm im Nacken saß. Das waren die einzigen Gründe, warum er meinen Rücktritt erzwang.“

Das Telefongespräch, das Donald Trump mit Wolodymyr Selenskyj im Juli 2019 führte, bleibt nicht geheim, und auch die Bitte des amerikanischen Präsidenten nicht, sein Gesprächspartner solle ihm einen Gefallen tun. Wie bei Gesprächen von Präsidenten üblich, hören Spitzenbeamte der Administration mit und fertigen routinemäßig eine Abschrift für das Archiv an. Diesmal bleibt es nicht bei dem regulären Verwaltungsakt.

Die Absprache der beiden Spitzenpolitiker wird eine weitere Schlammschlacht in Washington auslösen. Das Schreiben landet im August 2019 auf dem Tisch von Michael Atkinson. Atkinson ist Generalinspektor der Gemeinschaft der US-Geheimdienste ICIG. Er fungiert damit als eine Art interner Oberaufseher sämtlicher Nachrichtendienste, der – unabhängig von politischen Weisungen – Missstände untersuchen und aufdecken soll.

Auf sieben Seiten schildert ein anonymer CIA-Agent detailliert, wie Donald Trump seine Macht missbraucht haben soll. Er sei zwar bei vielen der Treffen, die er als Beleg anführt, nicht dabei gewesen, räumt er ein, aber die Kollegen, die dabei waren und Zeugen der Ereignisse, seien höchst glaubwürdig. Außerdem verweist er auf schriftliche Unterlagen, die das Oval Office unterdessen als geheim einstufen ließ, um Beweismaterial unter Verschluss zu halten.

Das Weiße Haus hatte vor dem delikaten Gespräch mit der Ukraine zugesagte Militärhilfen von rund 400 Millionen Euro erst einmal auf Eis gelegt – eine Anordnung, so der Informant, „die direkt vom Präsidenten ausging“. Viele offizielle Mitarbeiter, „die konkret über den Inhalt des Anrufs Bescheid wissen, haben mich darüber informiert, dass der Präsident das Gespräch benutzte, um persönliche Interessen zu verfolgen“, so der Informant.

Für die Demokraten ist das Schreiben, das der Generalinspektor der Geheimdienste weitergibt, die Gelegenheit zum Generalangriff. Seit dem Amtsantritt des Republikaners sind die Demokraten im Dauerwahlkampf, versuchen nachzuweisen, dass der Republikaner Trump zu Unrecht und nur wegen unzulässiger russischer Hilfestellung im Weißen Haus gelandet ist.

Der Höhepunkt ist ein Dossier eines britischen Ex-Geheimdienstlers, demnach Trump bei einem Besuch in Russland Prostituierte in Moskau für ungewöhnliche Dienste bezahlt haben soll, die der russische Geheimdienst gefilmt habe. Ein klassisches „Kompromat“ also, um den amerikanischen Präsidenten jederzeit erpressen zu können. Der „Steele-report“ geht innerhalb von Minuten viral. Von CNN über New York Times oder Washington Post bringen alle wichtigen Medien die Beschuldigungen. Es wird Jahre dauern, bis sie sich distanzieren. Auch in Deutschland fordern die Medien den Rücktritt. „Trump muss aus dem Weißen Haus entfernt werden. Schnell, er ist eine Gefahr für die Welt“, schreibt der Spiegel. Und plädiert „mit Hilfe der Weltgemeinschaft“ für einen Regimewechsel, weil es die amerikanischen Wähler offenbar nicht verstanden haben. Ein Vorschlag, den das Blatt ansonsten exklusiv für Russland reserviert hat. Ein unabhängiger Sonderermittler wird Jahre später nach 500 Durchsuchungsbeschlüssen und hunderten von Zeugenaussagen einen 400 Seiten starken Bericht vorlegen, der die Vorwürfe zurückweist.

„Diener des Volkes“

Donald Trump reagiert auf die Veröffentlichung des Gespräches mit dem ukrainischen Präsidenten, wie er immer reagiert. Auf Twitter macht er sich über die Demokraten und die Vorwürfe lustig. „Wieder so eine Fake-News-Geschichte – es hört nicht auf! Wenn ich mit ausländischen Staatsführern am Telefon rede, ist klar, dass viele Leute dabei zuhören, Leute von US-Agenturen, aber natürlich auch andere Länder selbst. Kein Problem.“ Trump weiß, dass das Amtsenthebungsverfahren keine Chance hat. Zwei Drittel der Senatoren müssen für die Amtsenthebung stimmen, und im Senat haben die Republikaner eine knappe Mehrheit. Der Senat stimmt gegen die Amtsenthebung.

Wolodymyr Selenskyj lernt schnell. Als seine neue Partei „Diener des Volkes“ kurze Zeit später die absolute Mehrheit erringt, wählt das Parlament eine neue Generalstaatsanwältin. Schließlich habe er die nötige militärische Unterstützung gegen Russland bekommen, um die Unabhängigkeit des Landes weiter vorantreiben zu können, erklärt er seine ersten wichtigen Erfahrungen der New York Times.

Die ukrainischen Gasgeschäfte des Juniors Biden werden für Joe Biden zum Albtraum während des Wahlkampfs 2019, auch wenn er damals gegen Trump gewann. Wer für diesen Ärger allerdings in Wirklichkeit verantwortlich war, erklärte der demokratische Kandidat öffentlich auf seiner Website.

In hellblauem Hemd und dunkelblauem Blazer, vor einer dunkelbraun getäfelten Holzwand mit sanftem Licht warnt er vor der Verschwörung: „Putin und die Russen mischen sich in unsere Wahlen ein und versuchen zu bestimmen, wer Präsident wird.“ Der Grund? „Der russische Präsident weiß, dass seine Tage der Tyrannei zu Ende gehen.“ Dann schickt der einstige Kandidat noch eine theaterreife Drohung hinterher: „Die Dinge werden sich ändern, Herr Putin. Die Amerikaner werden die Wahl entscheiden. Nicht Sie!“

Vier Jahre später entscheiden sich allerdings die Amerikaner gegen ihn. Die eigene Partei setzt ihn im letzten Moment als Kandidat für die anstehende Wahl ab, und nominiert kurzerhand Kamala Harris als Ersatzkandidatin. Allerdings ohne Erfolg. Donald Trump gewinnt mit klarem Vorsprung.

Für Joe Bidens Sohn Hunter bleibt nur noch eine letzte Möglichkeit, um für weitere Verfehlungen nicht zur Rechenschaft gezogen zu werden. Papa Biden begnadigte mit einer seiner letzten Amtshandlungen am 1. Dezember 2024 seinen Filius im Justizverfahren als oberster Dienstherr der amerikanischen Justizbehörde per Verordnung. Die Begnadigung des US-Präsidenten deckt vorsichtshalber alle „Straftaten gegen die Vereinigten Staaten“ zwischen 1. Januar 2014 und 1. Dezember 2024 ab. Seine Begründung für die Begnadigung, den außergewöhnlichen politischen Akt mit außergewöhnlicher rechtlicher Reichweite: Statement from President Joe Biden | The White House

„For my entire career I have followed a simple principle: just tell the American people the truth. They’ll be fair-minded.“

„Während meiner gesamten Karriere bin ich einem einfachen Prinzip gefolgt. Sag den amerikanischen Bürgern einfach nur die Wahrheit. Sie sind fair.“

Der Ukraine schickt er als letzte Hilfestellung Langstrecken-Raketen, die nun auch tief in den russischen Luftraum eindringen können. Schließlich weiß Joe Biden, dass Dankbarkeit auch gelegentlich eine politische Kategorie ist.

Titelbild: Andrew Leyden / Shutterstock