Kein Tag vergeht ohne Versuche, Deutschland noch weiter in einen verlorenen Krieg zu ziehen, der im Vorfeld leicht hätte verhindert werden können. Laut Außenministerin Baerbock stehen nun der Einsatz der Bundeswehr „zur Friedenssicherung“ in der Ukraine sowie eine NATO-Mitgliedschaft des Landes im Raum. Ein Waffenstillstand wäre zu begrüßen und er müsste einerseits natürlich gesichert werden – aber von deutschen Soldaten? Gegen Russland? Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Annalena Baerbock schließt einen Bundeswehreinsatz zur „Friedenssicherung“ in der Ukraine nicht aus, wie Medien berichten. Sollte es zwischen der Ukraine und Russland zu einem Waffenstillstand kommen, könnten laut der Bundesaußenministerin auch deutsche Soldaten zur „Friedenssicherung” eingesetzt werden. Neben einer solchen internationalen Präsenz zur Absicherung eines Waffenstillstandes stünden außerdem Sicherheitsgarantien wie eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine im Raum, sagte die Grünen-Politikerin beim NATO-Außenministertreffen in Brüssel.
Die neue EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas hatte bereits am Wochenende gesagt, dass sie es für denkbar hält, dass europäische Soldaten einen möglichen Waffenstillstand in der Ukraine absichern. Die Soldaten dafür könnten ihren Angaben zufolge auch aus Ländern kommen, die sich bereits in der Vergangenheit offen für Gespräche über eine Truppenentsendung geäußert hatten. Dazu würden zum Beispiel Frankreich oder die baltischen Staaten zählen.
Ein Waffenstillstand bräuchte einen Rahmen
Diese Aussagen muss man auf verschiedenen Ebenen betrachten: Einerseits müsste ein Waffenstillstand im Ukrainekrieg, der sehr zu begrüßen wäre, realistischerweise abgesichert werden. Insofern sind Überlegungen über Absicherungen prinzipiell ein Schritt in die richtige Richtung, einen Waffenstillstand überhaupt für denkbar zu halten und ihn praktisch zu ermöglichen.
Darum finde ich den Gedanken von „Blauhelm-Soldaten“ zur Beobachtung einer bei einem Waffenstillstand festgelegten Linie im Ukrainekrieg nicht generell abwegig. Man könnte sogar sagen, dass das endlich mal ein zumindest teilweise realistischer Vorschlag von Baerbock ist – denn er setzt die realistische Einschätzung voraus, dass es keinen militärischen „Sieger“ im Ukrainekrieg geben wird, dass es also irgendwann einen Waffenstillstand geben muss, der dann einen Rahmen braucht. Bereits das Abrücken vom Maximalziel des militärischen „Sieges“ wäre eigentlich zu begrüßen.
Aber wie sollten denn Soldaten aus NATO-Staaten eine „Friedenssicherung“ gewährleisten? Schließlich haben die sich teilweise gegenüber Russland alles andere als neutral verhalten und haben sich aus Sicht von Russland durch militärische Unterstützung teilweise zur Kriegspartei gemacht. Das Szenario, dass NATO-Soldaten direkt russischen Linien gegenüberstehen, könnte ein großes Potenzial an weiterer Eskalation eröffnen. Ich finde es auch schwer vorstellbar, dass Russland dem zustimmen würde.
Erinnert sei auch daran, dass es bereits die Minsker „Friedenspläne“ für den Donbas gegeben hat, die von europäischer Seite wohl vor allem genutzt wurden, um der Ukraine Zeit für Hochrüstung zu verschaffen. Mit dieser Taktik haben sich einige Politiker später gar gebrüstet, siehe hier zu Minsk. In diesem Artikel geht es um die sabotierten Friedensverhandlungen von Istanbul im Jahr 2022. Erinnert sei zusätzlich an die Tatsache, dass der Ukrainekrieg sich spätestens seit 2014 angekündigt hatte und selbst 2022 direkt im Vorfeld noch leicht durch Diplomatie ganz hätte abgewendet werden können.
Als besonders absurd erscheint mir die aktuelle Idee von einer offiziellen Entsendung deutscher Soldaten in die Ukraine, die dann russischen Soldaten direkt gegenüberstehen würden. Der Grund dafür ist nicht nur die wichtige Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg, sondern auch der Fakt, dass sich die deutsche Regierung in den letzten Jahren als besonders eifriger Unterstützer der Ukraine aufgespielt hat und dadurch Neutralität, Einfluss und diplomatischen Spielraum zerstört hat.
Zudem würde in dieser Konstellation, wie gesagt, ein Krieg zwischen der NATO und Russland wahrscheinlicher. Würde man den Vorstößen von Kallas und Baerbock Böses unterstellen wollen, könnte man mutmaßen, dass genau diese Eskalation ein Hintergedanke der Vorschläge ist – und eben nicht die „Friedenssicherung“.
„Sollen sie dann auch auf russische Soldaten schießen?“
Deutliche Kritik an dem Vorstoß von Baerbock äußerte Sahra Wagenknecht gegenüber dem Spiegel:
„Baerbocks Vorschlag ist der endgültige Beweis, dass sie in ihrem Amt hoffnungslos überfordert ist. Auf keinen Fall darf Baerbock erneut Außenministerin werden. Deutsche Soldaten in die Ukraine zu schicken, ist völlig daneben! Sollen sie dann auch auf russische Soldaten schießen? Die Entsendung von Nato-Soldaten wäre per se das Gegenteil von Friedenstruppen und Deeskalation. (…) Baerbocks Vorschlag ist der endgültige Beweis, dass sie in ihrem Amt hoffnungslos überfordert ist.“
Deutsche Truppen in die Ukraine zu schicken, sollte allein schon die deutsche Geschichte verbieten, so Wagenknecht weiter:
„Dass der Außenministerin dies egal zu sein scheint, zeugt von einem geschichtsvergessenen Bellizismus, der sich bei den Grünen immer weiter ausprägt.“
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erklärte laut Medienberichten in der Regierungsbefragung am Mittwoch, dass er die Diskussion ablehne. Es sei „ganz unangemessen“, jetzt darüber zu spekulieren, was genau nach dem Ende des Krieges passiere. Nach Scholz’ Darstellung wurden die Aussagen der Außenministerin nicht richtig wiedergegeben. Letztlich habe Baerbock versucht, „eine diplomatische Antwort“ zu geben und „weder Ja noch Nein zu sagen“, erläuterte er. Scholz betonte, er sei sich sowohl mit Baerbock als auch mit Verteidigungsminister Pistorius einig, dass der Krieg in der Ukraine „kein Krieg zwischen Russland und der NATO“ werden dürfe.
Aktuellen Äußerungen von SPD-Politiker Ralf Stegner würde ich teilweise zustimmen. Stegner sagte einerseits, es müsse selbstverständlich sorgfältig geprüft und diskutiert werden, welche Rolle Deutschland bei der Konfliktbeilegung spielen könne. Aber: „En passant deutsche Truppen ins Gespräch zu bringen, entspricht dieser zwingend gebotenen Sorgfalt eher nicht. So oder so bedürfte all das intensiver Erörterungen im Parlament.“ Und auch hier stimme ich Stegner zu:
„Gut an dieser Meinungsäußerung der Außenministerin sind die endlich einsetzende Diskussion über eine Beendigung dieses schrecklichen Krieges und neue diplomatische Anstrengungen für einen Waffenstillstand und dessen Absicherung.“
Das Gerede von einem „Sieg“ der Ukraine
Entsprechend gibt es auch Kritik an Baerbock von der Seite, die bereits den prinzipiellen Gedanken an einen Waffenstillstand in der Ukraine als Frevel und Unterwerfung interpretiert, weil damit ein „Sieg“ der Ukraine in Abrede gestellt würde. Beispielhaft für diese Seite sagte etwa der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion Jürgen Hardt:
„Ich halte es für falsch, über diese Frage zu spekulieren. Solche Überlegungen nähren den Zweifel daran, dass die Ukraine in der Lage ist, die territoriale Integrität des Staatsgebietes mit eigenen Soldaten wiederherzustellen und in diesem Sinne den Krieg, den Russland vom Zaun gebrochen hat, zu gewinnen.“
Ich finde Baerbocks Äußerungen zu einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine und einer Beteiligung der Bundeswehr an einer „Friedenstruppe“ falsch und gefährlich. Aber: Gedanken zur praktischen Umsetzung eines Waffenstillstands jetzt immer noch indirekt als „Wehrkraftzersetzung“ zu skandalisieren und einen unrealistischen militärischen Sieg der Ukraine als die einzig gültige Lösung des Konfliktes zu definieren – das finde ich noch verantwortungsloser.
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Titelbild: Screenshot/ZDF