Wir dulden keinen Rassismus … und sind dabei selbst rassistisch

Wir dulden keinen Rassismus … und sind dabei selbst rassistisch

Wir dulden keinen Rassismus … und sind dabei selbst rassistisch

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Jede Woche werden in Gaza Hunderte Palästinenser von israelischen Bomben getötet und Tausende verletzt. Seit Beginn des israelischen Vernichtungskriegs summiert sich die Zahl der Getöteten auf mindestens 44.502 – ein Großteil der Opfer sind Kinder. In der in Deutschland geführten Debatte finden diese Opfer nur am Rande statt. Zynisch könnte man sagen: „Immerhin!“, die Opfer afrikanischer Kriege schaffen es noch nicht einmal in unsere Nachrichten und sind uns ohnehin vollkommen egal. Ein Debattenbeitrag von Jens Berger.

Warum hat man in Deutschland eigentlich so wenig Empathie für die Menschen in Gaza? Das Leiden dort ist allgegenwärtig. Niemand kann sich darauf berufen, nichts davon gewusst zu haben. Dennoch gleicht die Berichterstattung eher einer kühlen bürokratischen Aufzählung. „Bei Luftschlägen der israelischen Armee sind … und nun zum Sport“. Kann es sein, dass uns die Opfer in Gaza vergleichsweise egal sind, weil es sich um Muslime handelt? Wären wir empathischer, wenn die toten Kinder keine schwarzen Haare und Kopftücher, sondern blonde Zöpfe hätten? Vermutlich.

Dafür haben wir aber ein großes Herz für jeden getöteten Ukrainer. Aber die sind ja auch weiß und christlich und zählen daher offenbar mehr als die Muslime in Gaza oder gar die Afrikaner in Ländern, die wir noch nicht einmal auf der Landkarte finden würden. Gute Opfer, schlechte Opfer. Das ist Rassismus in Reinkultur und er ist auch und vor allem in den Kreisen ganz und gäbe, die sich selbst ansonsten als aufrechte Antirassisten feiern

Wissen Sie, wer oder was „Tigray“ ist? Nein, Tigray ist kein neuer Elektro-SUV von VW, sondern eine Region im Hochland von Abessinien. Dort herrschte bis vor kurzem ein blutiger Bürgerkrieg, dem mehr als eine halbe Million Menschen zum Opfer fielen. Wussten Sie das? Zynisch könnte man sagen: Würde es sich bei den toten Abessiniern nicht um Menschen, sondern um die gleichnamige Katzenrasse handeln, gäbe es sicher mehr Aufmerksamkeit. Gab es jemals eine Talkshow über den Bürgerkrieg in Tigray? Hat jemals ein Politiker, Journalist oder Promi öffentlich eine Träne wegen der Opfer in Tigray vergossen?

Oder wissen Sie, wer oder was „Kivu“ ist? Kivu ist eine Region im Osten des Kongos. Dort tobt mit Unterbrechungen seit 2006 ein blutiger Bürgerkrieg, bei dem hunderttausende Menschen massakriert und Millionen gewaltsam vertrieben wurden. Die Kriege im Kongo, bei denen es vor allem um den Zugang zu den Rohstoffen geht, die der Westen für seine Technologien benötigt, haben insgesamt mehr als 12 Millionen Menschen das Leben gekostet. 12 Millionen! Gab es dazu mal eine Talkshow? Gab es eine Mahnwache für diese Opfer auf dem Pariser Platz? Hat ein einziger Polit- oder Medienpromi jemals „Haltung gezeigt“ und sein Twitter-Profil mit der kongolesischen Flagge geschmückt? Nein?

Laut UN beträgt die Zahl der getöteten Zivilisten im Ukrainekrieg weniger als 12.000. Jeder Tote ist ein Toter zu viel. Darum soll es hier nicht gehen. Es soll auch nicht darum gehen, nun jeden getöteten Ukrainer mit 1.000 getöteten Kongolesen aufzuwiegen. Wenn man es aber mal objektiv betrachtet, ist das krasse Missverhältnis der öffentlichen Wahrnehmung der getöteten Ukrainer und der getöteten Kongolesen doch zumindest bemerkenswert. Subjektiv müsste man da schon andere Worte wählen.

Woran liegt es, dass uns die toten Kongolesen oder auch die toten Palästinenser so viel weniger interessieren als die toten Ukrainer? Sicher, der Kongo ist weit weg und Afrika spielt in der medialen Berichterstattung ohnehin keine Rolle. Es findet schlicht nicht statt. Auch Ignoranz kann Rassismus sein. Während uns Medien wie der SPIEGEL schon mal gerne über Verkehrsunfälle in den USA informieren, findet Afrika in den Medien keinen Platz.

Eigentlich dreht sich unser Interesse ohnehin nur um uns selbst. In Frankfurt verbietet man nun auf dem Weihnachtsmarkt die Bezeichnung „Lumumba“ für das unter diesem Namen bekannte und beliebte Heißgetränk, weil der Name „die Gefahr des Rassismus berge“. Die 12 Millionen Toten im Kongo, aus dem der Namensgeber des vermeintlich rassistischen Heißgetränkes stammt, sind „uns“ jedoch herzlich egal.

Aber warum sollte man auch um Kongolesen trauern? Der Kongo ist weit weg und hätte Gott gewollt, dass dort Frieden herrscht, hätte er doch die wertvollen Bodenschätze, die wir für unsere Smartphones, Elektroautos und Computer brauchen, woanders verteilt. Ist es Rassismus, wenn einem tote Afrikaner egal sind? Immerhin kämpfen wir doch dafür, dass beispielsweise der Begriff „Mohr“ aus dem deutschen Stadtbild verschwindet. Aber vielleicht ist dies ja eine Kompensation, ein moderner Ablasshandel, um das Gewissen zu erleichtern? Wir trinken keinen Lumumba und essen keinen Mohrenkopf mehr und bezeichnen das als Antirassismus. Da können wir die Afrikaner ruhig vergessen, die für unsere iPhones und Teslas sterben. Wir sind schließlich die Guten und zum „Gutsein“ gehört auch das Vergessen. Bei all diesem Unfug, der heute unter dem Label „Kampf gegen den Rassismus“ zelebriert wird, geht es nicht darum, Rassismus zu bekämpfen, sondern darum, dass wir uns in unserem Rassismus gemütlich einrichten, ohne von den allzu großen kognitiven Dissonanzen Kopfschmerzen zu bekommen.

Drei Millionen Vertriebene im Sudan? Der Krieg im Jemen? Abgeschlachtete Palästinenser und Kurden? Uninteressant. Aber wehe, eine russische Bombe trifft ein ukrainisches Plumpsklo oder ein Israeli wird Opfer des Krieges, den sein eigenes Land auf grausame Art und Weise eskaliert. Das ist – um es auf den Punkt zu bringen – Rassismus in Reinkultur.

Titelbild: Khosro/shutterstock.com

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