Leseproben


Leseproben zu “Der falsche Präsident – Was Pfarrer Gauck noch lernen muss, damit wir glücklich mit ihm werden”

  1. Der falsche Präsident
    Von Albrecht Müller

    Joachim Gauck wird nur für die Besserverdienenden da sein, wenn er nicht bald zu lernen versucht, wie die Lebensverhältnisse der Mehrheit wirklich sind. Er wird der Präsident eines Landes mit über 800.000 Leiharbeitern. Kann er deren Lebenswirklichkeit noch begreifen? …

  2. Im Zweifel für den Kriegseinsatz

    Bundespräsidenten haben in der aktuellen Politik nicht sehr viel zu sagen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird der Bundespräsident aber von der Bundesregierung gehört, wenn so gravierende Entscheidungen wie die Beteiligung an einem Militäreinsatz anstehen. Diese Entscheidungen sind ungemein schwierig. Von „sorgfältiger Prüfung der Beweggründe“ spricht auch Joachim Gauck, aber letztlich bekommt man den Eindruck, dass das so schwierig auch wieder nicht ist: Wenn die UNO eine militärische Intervention gerechtfertigt hat, dann darf man sich daran beteiligen. Der neue Bundespräsident rechtfertigt so jeden der bisherigen Auslandseinsätze. In Libyen, wo Deutschland sich rausgehalten hat, hätte er offensichtlich auch gerne mittun lassen.
    Weil die ehemalige Landesbischöfin Margot Käsmann findet, dass in Afghanistan trotz Militäreinsatz „nichts gut“ sei, wird sie von ihm mit den üblichen Redensarten abgebürstet: Die Taliban würden sich nicht durch Ratschläge und Gebete vom Morden abhalten lassen. Das mag stimmen, aber vom deutschen Militäreinsatz dort lässt sich das auch sagen. Und eine politische Befriedung des Landes steht immer noch aus.

    „Ich wünschte mir, andere deutsche Armeen wären auch mit so edlen Zielen ausgezogen. Der Frieden muss manchmal auch erkämpft werden.“

    Leipziger Volkszeitung vom 18. Juni 2010

    „Ich komme direkt vom evangelischen Kirchentag… Diesen Menschen liegt die Vision einer versöhnten und friedlichen Welt selbstverständlich am Herzen. Aber wenn ich als Beispiel einmal das populäre Diktum einer populären Protestantin (Margot Käsmann, d. Verf.) heraus greife „Nichts ist gut in Afghanistan“, dann stellt sich mir die Frage, zu welchen Maßnahmen engagierte Demokraten denn greifen, damit „alles gut“ wäre in Afghanistan. Die Taliban werden sich weder von guten Ratschlägen noch von Gebeten von Mord und Anschlagen abhalten lassen. Gut ist alles nur im Paradies.“

    Börne-Preisrede

    „Unsere Soldaten stehen heute nicht mehr wie frühere deutsche Heere in fremden Ländern, um Deutschland Land oder Ressourcen zu gewinnen oder um unsere Lebensart anderen aufzudrängen.“

    Börne-Preisrede

    Gauck: „Ich war nie Pazifist. Es gibt immer wieder Situationen, in denen man ernsthaft prüfen muss, ob ein militärisches Engagement ethisch vertretbar, vielleicht sogar geboten ist. Man kann auch unethisch handeln, wenn man beim Morden einfach zusieht – wie in Ruanda. Ich hätte mir damals ein Eingreifen der internationalen Staatengemeinschaft gewünscht. Ich habe auch den Militäreinsatz in Jugoslawien befürwortet, weil ich stärker auf der Seite der hilflosen Opfer war. Dem Morden an unschuldigen Menschen in Srebrenica tatenlos zuzusehen erschien mir wie vielen anderen Deutschen als größere Schuld, als militärisch einzugreifen.
    Es ist einfach, von einer pazifistischen Position aus zu sagen: Krieg ist immer schlecht. Krieg mag immer schlecht sein. Aber es gibt mitunter ein Nichtstun, das noch schlechter ist.“
    Frage: „Wie lange ist es gerechtfertigt, deutsche Soldaten am Hindukusch einzusetzen – und sie damit der Gefahr auszusetzen, verletzt oder getötet zu werden?“
    Gauck: „Die deutschen Soldaten sind dort im Auftrag der Uno im Bündnis mit vielen anderen Nationen. Sie verteidigen unschuldige Menschen gegen Terrorismus und helfen, die Region zu stabilisieren. Sie erobern kein Land, sie wollen keine Bodenschätze sichern – deshalb kann ich diesen Einsatz nicht verurteilen…“

    Focus vom 28. Juni 2010

    Hat sich Joachim Gauck schon einmal mit der Problematik befasst, dass man heute vielleicht viel zu schnell zu militärischen Lösungen greift?
    Er bedenkt auch nicht, dass hinter militärischen Einsätzen auch andere Interessen als nur humanitäre stecken: beispielsweise Rüstungsinteressen, oder innenpolitische Erwägungen.

    „Sicher sind unter der Flagge der humanitären Einsätze manchmal auch aggressive oder nationale ökonomische Interessen verborgen. Umstritten war von Anfang an der Irak-Krieg. Umso wichtiger ist die sorgfältige Prüfung der Beweggründe für einen militärischen Einsatz und seine Legitimierung durch den Sicherheitsrat.“

    Börne-Preisrede

    Deutschland exportiert nicht nur Pflugscharen, sondern erschreckend viele Schwerter in fast alle Welt. Die Frage, ob man Panzer nach Saudi-Arabien liefern soll, könnte eine Werteentscheidung sein, zu der ein Bundespräsident das Wort erhebt.
    Von Margaret Thatchers Falkland-Krieg bis zu George Bush waren Kriege immer auch ein Mittel der Innenpolitik. Ist es Gauck gleichgültig, wenn die Entscheidung für einen Militäreinsatz Großbritanniens und Frankreichs in Libyen auch deshalb fiel, weil sich die Regierenden eine Verbesserung des innenpolitischen Standings versprachen? Oder heiligt der gute Zweck auch solche Kalküle?

    Gauck beruft sich auf die UNO und ihre Beschlüsse. Es ist alles ganz einfach in dieser Theorie. Tatsächlich hätte eine deutsche Bundesregierung und letztlich auch der Bundespräsident die Aufgabe, auch die Hintergründe und die möglichen Folgen einer UNO-Entscheidung zu bedenken. Kommen Entscheidungen zum Beispiel durch falsche Geheimdienstinformationen zu Stande, wie die amerikanische Entscheidung zum Irak-Einsatz? Die UNO hat zwar ein großes Gewicht, aber allein darauf verlassen kann man sich als verantwortliche Regierung nicht. Auch nicht als Bundespräsident.

    Ebenso sollte Gauck seine Behauptung, unsere potenziellen Militäreinsätze hätten nichts mit Bodenschätzen oder anderen wirtschaftlichen Interessen zu tun, vielleicht einmal überprüfen lassen.

    Vermutlich gibt es in dieser Sache tief greifende Meinungsunterschiede zwischen dem neuen Bundespräsidenten und einem Teil der kritischen Öffentlichkeit oder auch nur der vorsichtigen Öffentlichkeit. Nicht nur Linke, die Joachim Gauck schnell abwertet, verlassen sich ungern auf das Militär als Friedensstifter. Auch Konservative wie zum Beispiel Jürgen Todenhöfer sind mehr als skeptisch gegenüber den geläufigen Entscheidungen für militärische Einsätze.

  3. Erstes Kapitel von
    Der falsche Präsident.
    Was Pfarrer Gauck noch lernen muss, wenn wir glücklich mit dem werden sollen“:

    Empört Euch nicht! Joachim Gauck – der Anti-Hessel

    Schon vor seiner Nominierung war Joachim Gauck mit einer Zustimmung von 54 Prozent der klare Favorit für die Wahl zum Bundespräsidenten. Eine übergroße Koalition aus CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP hat sich für ihn ausgesprochen. Die lange zähe Periode der Wulffschen Selbstdemontage ist vorbei und wir bekommen einen Präsidenten, der zu repräsentieren und gut zu formulieren versteht. Können wir nun alle glücklich sein? Allen begeisterten Stimmen und der „Einheitsfront“ der etablierten Parteien zum Trotz: Pfarrer Gauck ist der falsche Präsident.

    Dabei passt Joachim Gauck sehr gut zu den unterschiedlichen Parteien, die ihn nominiert haben. Er erspart ihnen den neoliberalen Offenbarungseid. Werden sie sich rechtfertigen müssen für die Agenda 2010, die sehr viele Menschen ins Unglück gestürzt hat? Vermutlich nicht. Wird Joachim Gauck die Fehlentscheidungen im Zuge der Finanzkrise kritisieren? Wird er darauf hinweisen, welche großen Hypotheken daraus für uns und unsere Kinder und Enkel entstanden sind? Das ist zumindest zweifelhaft. Zur Erinnerung: der Rettungsschirm für die Banken hat 480 Milliarden Euro umfasst – das sind 136 Prozent des Bundeshaushalts. Die Krise um Griechenland und den Euro wurde verschärft. Wird Gauck die immer weiter fortschreitende Militarisierung der Außenpolitik kritisieren? Auch diese Frage kann man wohl schon jetzt mit Nein beantworten. Das wird vor allem eine große Entlastung für die Führungen von SPD und Grünen sein. Sie tun sich immer noch schwer damit, die Militäreinsätze im Kosovo und in Afghanistan vor ihrer Anhängerschaft zu rechtfertigen.

    Wir sehen: mit Gaucks Wahl können viele Politiker glücklich sein. Aber können das auch wir Bürger?

    Stéphane Hessel, der französische Widerstandskämpfer und Überlebende des KZ Buchenwald, ein weltgewandter Diplomat, hat vor zwei Jahren eine Streitschrift mit dem Titel „Empört Euch“ veröffentlicht. Sie ist ein Aufruf zum Widerstand gegen die Macht der Finanzwirtschaft, gegen den Abbau der sozialen Sicherheit und gegen militärische Gewalt. Nicht nur in Frankreich hat „Empört Euch!“ eine Millionenauflage erreicht. Der Überraschungsbestseller eines 93-jährigen zeigt, dass die Zahl der Unzufriedenen wächst und das weltweit.

    Auch in Deutschland wird die neoliberale Politik immer mehr in Frage gestellt. Auf der einen Seite werden Banken, die sich verspekuliert haben, mit viel Aufwand gerettet. Zur gleichen Zeit fehlt es in Schulen und Universitäten, bei der Altersvorsorge, in Pflegeeinrichtungen und bei der Kinderbetreuung an Geld. Viele verstehen nicht, dass Investmentbanker auch mitten in der Krise mit Milliarden Dollar und Euro an Bonuszahlungen und Vergütungen belohnt werden. Es blieb nicht beim Protest des greisen Widerstandskämpfers aus Frankreich. Junge Menschen demonstrieren in New York, Frankfurt, Madrid und anderswo gegen die Macht der Finanzwirtschaft. Selbst Investoren wie George Soros und Warren Buffet melden sich selbstkritisch zu Wort. In Deutschland sind es Spitzenmanager großer Unternehmen, wie beispielsweise Franz Fehrenbach von Bosch, Jürgen Heraeus vom gleichnamigen Technologieunternehmen oder Ernst Prost von Liqui Moly, die hinterfragen, warum die Wirtschaft Spekulantentum tolerieren müsse. „Da können Sie in der Realwirtschaft schuften und machen, was Sie wollen, gegen diese Spekulation kommen Sie nicht an“, ließ der Chef von Bosch im September 2011 wissen. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschien eine Serie von kritischen Beiträgen zur bedrohlichen Entwicklung im Verhältnis von Finanzwirtschaft und Politik, angestoßen vom Herausgeber Frank Schirrmacher. Er hatte am 14. August 2011 eine breite öffentliche Debatte mit der Schlagzeile provoziert: „Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat“. Und er konstatiert, dass im bürgerlichen Lager die Zweifel daran, ob man richtig gelegen habe, wachsen. Schirrmacher beruft sich mit seinem Überschriftenzitat auf den erzkonservativen Publizisten und Thatcher-Biographen Charles Moore, der festgestellt hat: „Es zeigt sich – wie die Linke immer behauptet hat –, dass ein System, das angetreten ist, das Vorankommen von vielen zu ermöglichen, sich zu einem System pervertiert hat, das die wenigen bereichert.“

    Man sieht: Aufklärung ist auch von konservativer Seite möglich. Es bewegt sich etwas in Deutschland und in Europa.

    Doch nun bekommt Joachim Gauck seinen Auftritt. Er wird zum Präsidenten gewählt mit dem Auftrag, die Kluft zwischen Politik und Bürgern zu schließen und zu diesem Zweck die Bürger zu lehren, dass wir in einer guten Welt leben. Er ist hörbar gewillt, diesen Auftrag zu erfüllen. Empört euch nicht! So lautet seine Botschaft. Mit der Wahl von Joachim Gauck zum Bundespräsidenten werden die herrschenden Verhältnisse zementiert statt aufgebrochen. So erklärte er am 19. Februar 2012 bei der Vorstellung seiner Person als Kandidat:

    „Von allen Dingen, die Sie mir heute gesagt haben…ist mir am Wichtigsten, dass die Menschen in diesem Land wieder lernen, dass sie in einem guten Land leben, das sie lieben können. Weil es ihnen die wunderbaren Möglichkeiten gibt, in einem erfüllten Leben Freiheit zu etwas und für etwas zu leben und diese Haltung nennen wir Verantwortung…. Und dort will ich wirken, wo wir Menschen wieder neu einladen, diese Haltung von Verantwortung anzunehmen und nicht nur als Zuschauer und kritischer Begleiter der öffentlichen Dinge herumzustehen.“

    Nominierungspressekonferenz im Bundeskanzleramt vom 19. Februar 2012, zitiert nach Spiegel Online

    Joachim Gauck wurde uns als Widerstandskämpfer nahe gebracht. Doch er nennt „kritische Begleiter“ und „Zuschauer“ in einem Atemzug. Warum? Wie auch bei anderen Gelegenheiten äußert sich Gauck unnötig abfällig über kritische Zeitgenossen, wie er es schon über die Occupy-Bewegung getan hat. Wer die wachsende Entpolitisierung, das Fehlen von kritischem Sachverstand oder die mangelnde Kontrolle unserer politischen Entscheidungsträger beklagt, der muss zutiefst besorgt sein, dass mit diesem Präsidenten der kritische Verstand und das politische Engagement entmutigt werden. Gauck plädiert zwar oft für Einmischung, schmäht aber die Protestierer.
    Unsere politische Elite möchte, dass Gauck den Menschen vermittelt, dass es insgesamt gut steht in unserem Land, dass die politisch Handelnden im Großen und Ganzen alles richtig machen.

    Einer der Kerngedanken in meinem Buch „Meinungsmache“ lautet: Wer über finanzielle oder publizistische Macht verfügt, kann die politischen Entscheidungen weitgehend bestimmen. Das ist auch die Sorge des Franzosen Hessel. Deshalb kritisiert er in seinem Buch die Konzentration der Medienmacht.

    Auch bei uns sollte man da genauer hinschauen. Joachim Gauck wurde SPD und Bündnis/Grünen schon beim ersten Wahlversuch gegen Christian Wulff von Thomas Schmid, dem Herausgeber von Springers Welt-Gruppe, schmackhaft gemacht. Die erste Anlaufstelle von Thomas Schmid war wohl Jürgen Trittin, der Fraktionsvorsitzende der Grünen. So hat es Albrecht von Lucke in der taz vom 28.2.2012 beschrieben.

    Vor allem die Bild-Zeitung, aber nicht nur sie, macht seither massiv Reklame für den Kandidaten Gauck. Einem Bundespräsidenten müsste die meinungsbildende Macht des Springer-Verlages Bauchschmerzen bereiten. Ein auf Demokratie und Freiheit pochender Präsident zum einen und das Auswahlverfahren und die massive Unterstützung durch die Bild-Zeitung und andere Blätter zum andern – das passt nicht zusammen.

    Nun haben wir ihn aber und behalten ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit auch für längere Zeit als Bundespräsident. Da bleibt uns als demokratisch gesonnene Zeitgenossen nur noch übrig, auf ein bisschen Einsicht zu hoffen. Und darauf zu setzen, dass sich nach der ersten Welle der Begeisterung viele Bürgerinnen und Bürger aufmachen, sich ein bisschen mehr Informationen über den neuen Präsidenten zu beschaffen. Beim Schreiben dieses Buches habe ich mit einigen Freunden und Bekannten gesprochen. Auch unter ihnen sind einige für die Wahl von Gauck und verbinden damit einige Hoffnungen. Bei nahezu allen diesen Gesprächen habe ich allerdings festgestellt, dass man äußerst wenig von ihm weiß. Der positive Eindruck wird allein durch die Meinungsebene, jedenfalls emotional begründet, er wird nicht durch Fakten untermauert.

    Das Potenzial an Menschen, die nach Kenntnis der Person und Gaucks Äußerungen ihr Urteil zumindest hinterfragen werden, ist vermutlich hoch. Der neue Bundespräsident täte also gut daran, seine Ansichten zu reflektieren, damit er ein Präsident aller Bürgerinnen und Bürger sein kann. Ich möchte möglichst viele Menschen dazu ermuntern, sich besser zu informieren und Gaucks Präsidentschaft konstruktiv kritisch zu begleiten. Deshalb dieses Buch.

    Nach der Nominierung Joachim Gaucks gab es durchaus einige skeptische Stimmen, darunter die von früheren DDR-Bürgerrechtlern. So äußerte sich Hans-Jochen Tschiche am 22. Februar 2012 im Freitag. Diese will ich zitieren:

    „Nun ist es so weit: Joachim Gauck wird Bundespräsident. …Aus dem Blätterwald tönt es nun: Der Bürgerrechtler Gauck. Und er reist ohne Skrupel auf diesem Ticket durch die politische Landschaft. Er ist kein Vater der protestantischen Revolution, sondern er gehört zu denen, die sie beendet haben. Endlich ist Gauck dort angekommen, wo er schon immer hin wollte- im konservativen Teil der westlichen Gesellschaft. Aber genau dieser Teil der Gesellschaft hat den Markt entfesselt. Die Konservativen haben die Geister gerufen, die ganze Länder in die Pleite treiben. In Deutschland öffnet sich die Schere zwischen den Armen und Reichen immer weiter. Effizienz und Tempo sind die neuen goldenen Kälber. Die Hektik bringt Menschen um ihre Gesundheit. Es heißt: Wer es nicht schafft, ist selber dran Schuld. Laut und deutlich will ich aussprechen: Gauck ist die falsche Person. Wir haben es „ mit einem tönenden Erz und einer klingenden Schelle zu tun.“ Ich habe mich bisher gescheut, Joachim Gauck zu widersprechen. Nun will ich aber nicht mehr schweigen.“

    Ein drastischer Kommentar, der aber vielleicht etwas früher hätte kommen können.

    Noch eine eher persönliche, biografische Anmerkung: Mich verbindet mit Joachim Gauck Einiges. Wir haben das gleiche Alter, sind evangelisch-christlich erzogen. Sogar seine Skepsis gegenüber „Systemwechseln“ teile ich. Und mit der DDR konnte auch ich nicht viel anfangen. Doch Gaucks Haltung gegen engagierte Menschen finde ich unangenehm. Genauso wie seine Häme über die Friedensbewegung, seine Unkenntnis von den Reformen der sechziger und siebziger Jahre und seine pauschale Zurückweisung von Überlegungen zu einem dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Seine Bedienung von Vorurteilen gegen linke Pfarrer und Lehrer beobachte ich genau so mit Ablehnung wie die typische Missachtung von in soziale Not Geratenen, die wir auch bei vielen Aufsteigern im Westen vorfinden. Die Menschen, die in Wackersdorf oder Kalkar, in Mutlangen oder Stuttgart gegen den Wahnsinn von Aufrüstung, Kernkraft und Prestigeprojekten protestierten und weiterhin protestieren, verdienen einen solchen Bundespräsidenten nicht.

    Auch jene verdienen ihn nicht, die sich seit Jahren Sorgen über den Niedergang der Demokratie machen. Mich wundert, wenn ich lese, Joachim Gauck sei ein reisender Demokratielehrer. Er ist leider eher ein Reisender in der Bedienung von Vorurteilen. Insofern stehe ich dazu, dass der Titel „Der falsche Präsident“ doppeldeutig ist. Er baut Feindbilder auf, wo keine sind, um dann umso mehr gegen sie vorzugehen. Er wendet sich gegen Technikfeindlichkeit, gegen die angeblich überall grassierende Angst, gegen die Menschen in der Hängematte, gegen die Konsumorientierung, gegen Systemveränderer und Besitzstandswahrer. Er tut oft so, als seien die Kommunisten eine Gefahr für Deutschland.

    Alles dies stimmt ja nicht. Deutschland ist nicht technikfeindlich. Angst ist nicht zu verwechseln mit realen Sorgen. Ganz wenige Hartz-IV-Empfänger liegen in der Hängematte. Und viele sind nicht konsumorientiert, weil sie sich das gar nicht leisten können. Und die Kommunisten? Wo sind sie denn in großer Zahl? Und wenn es sie gibt, sind sie durch das Grundgesetz verboten? Joachim Gauck hat alles Recht, aus seinen Erlebnissen die eigenen Schlüsse zu ziehen. Aber auch diese sollte er an der Wirklichkeit überprüfen. Ein Anti-Kommunismus ohne Kommunisten macht keinen Sinn. Totalitär sind heute eher die Ansprüche der Finanzmärkte.