Der NATO-Kritiker Calin Georgescu hat die erste Runde der Präsidentschaftswahl in Rumänien am Sonntag überraschend gewonnen. Der Kampf um die Stichwahl wurde zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen, bei dem sich die konservative Politikerin Elena Lasconi gegen den sozialdemokratischen Premier Marcel Ciolacu durchsetzen dürfte, welcher eigentlich als Favorit galt. Der extrem NATO-kritische und religiöse Georgescu, welcher in westlichen Medien leichtfertig und inflationär als „rechtsextrem“ geschmäht wird, hatte seinen Wahlkampf fast ausschließlich in sozialen Netzwerken geführt. Von Ramon Schack.
Nach Auszählung aller Stimmen lag Ciolacu Montagfrüh äußerst knapp hinter Oppositionsführerin Lasconi. Zuvor wurde der amtierende Premierminister noch klar als Favorit gehandelt.
Außenseiter Georgescu trug aber mit 22,95 Prozent klar den Sieg davon, während Lasconi auf 19,17 Prozent bzw. 0,02 Prozentpunkte mehr als Ciolacu kam. Der Abstand betrug nur 2.000 Stimmen, wie rumänische Medien meldeten.
Der Sieg Georgescus kam unerwartet. Gemäß Umfragen hätte er weniger als zehn Prozent der Stimmen erreichen dürfen. Insgesamt 13 Kandidatinnen und Kandidaten bewarben sich um die Nachfolge des deutschstämmigen Präsidenten Klaus Iohannis, der seit 2014 als Staatschef amtiert.
Kampagne für Ende der Ukraine-Hilfe
„Das südosteuropäische EU- und NATO-Land Rumänien grenzt direkt an die Ukraine. Der Grenzfluss Theiß wird dabei zum Schauplatz von Tragödien, wenn zahlreiche junge ukrainische Männer dort die Flucht vor der Einberufung an die Front antreten und häufig auch zu Schaden kommen. So haben laut rumänischen Behörden seit Kriegsbeginn über 2.000 Männer den Grenzfluss Theiß von der Ukraine nach Rumänien überquert. Mindestens 22 Ukrainer sollen bei den Fluchtversuchen gestorben sein, weitere werden vermisst. Deshalb spricht man in der ukrainischen Öffentlichkeit schon vom ‚Todesfluss‘“,
war in der Berliner Zeitung diesbezüglich zu lesen.
Diese Umstände verdunkeln den Mythos, welcher in den Propaganda-Stäben von Washington, London, Brüssel und Kiew ersponnen wird, wonach „unsere Freiheit“ heute nicht mehr am Hindukusch, sondern am Donbass verteidigt wird.
Der parteilose Georgescu absolvierte seinen Wahlkampf fast ausschließlich in den sozialen Netzwerken und durch Podcasts. Erst kürzlich sorgte er durch eine TikTok-Kampagne für Aufsehen, in der er ein Ende der Hilfe für die Ukraine forderte. Zusätzlich kritisierte er die NATO-Mitgliedschaft Rumäniens. „Heute Abend hat das rumänische Volk nach Frieden geschrien. Und es hat sehr laut geschrien, sehr laut“, ließ Georgescu am Sonntag in einem Video auf Facebook verlautbaren. Schon einige Jahre zuvor hatte der Politiker den ballistischen Raketenschutzschild der NATO in der rumänischen Stadt Deveselu als „Schande der Diplomatie“ und konfrontative Maßnahme gegen Russland bezeichnet.
In Rumänien verfügt der Präsident über eine eingeschränkte Exekutivfunktion, die aber die Kontrolle über die Verteidigungsausgaben beinhaltet. Dies dürfte in Brüssel für Magenschmerzen sorgen, denn Rumänien verfügt über eine 650 Kilometer lange Grenze mit der Ukraine, die rumänische Schwarzmeer-Küste reicht bis 150 Kilometer an die ukrainische Großstadt Odessa heran. In Rumänien selbst sind 5.000 NATO-Soldaten stationiert.
Eiserne Garde und Atonescu
Georgescu, ein studierter Agrarwissenschaftler und langjähriger Mitarbeiter in einigen UN-Organisationen, stand 2022 im Mittelpunkt des politischen Geschehens, als die rechtspopulistische AUR ihm das Amt eines Ehrenvorsitzenden anbot. Doch dazu kam es nicht, denn der AUR-Chef Simion überwarf sich wenig später mit dem 62-Jährigen, nachdem sich Georgescus Parolen selbst für AUR-Rechtspopulisten als zu heikel erwiesen hatten.
Inwieweit es sich bei der Wahl aber um einen Rechtsruck handelt und bei Georgescu um einen Rechtsextremen, bleibt fraglich. Immerhin hatte Georgescu durch Loblieder auf den Hitler-Kollaborateur Marschall Ion Antonescu und den Führer der faschistischen Eisernen Garde Corneliu Zelea-Codreanu für einen Eklat gesorgt. Die Generalstaatsanwaltschaft leitete danach Ermittlungen ein. Dies ist in der Tat kritikwürdig, auch bei einem intensiveren Blick auf die rumänische Zeitgeschichte.
Die Eiserne Garde, eine faschistoklerikale Miliz, flankiert von einem mystischen Nationalismus und blutigen Antisemitismus, putschte 1941 gegen den Diktator Antonescu und wurde daraufhin von ihm ausgeschaltet. Diese Kritik hat aber einen bitteren Nachgeschmack, wenn in der vom Westen hochgerüsteten Ukraine Nazi-Kollaborateure wie Stepán Bandera als Nationalhelden gelten und Frontbrigaden noch heute durch das Tragen nationalsozialistischer Symbolik auffallen – unabhängig davon, wie die Stichwahl ausgehen wird.
Der Urnengang in Rumänien ist ein weiteres Anzeichen dafür, dass die NATO-Narrative selbst in den NATO-Staaten nicht mehr funktionieren und schon längst zu bröckeln begonnen haben. Die Wahl wird auch als Protestvotum gegen die regierenden Parteien, die Sozialdemokraten (PSD) und die Liberalen (PNL), gewertet. Experten sehen die hohe Inflation von fünf Prozent und die zunehmende Verarmung der Bevölkerung als wesentliche Gründe für das Ergebnis.
Titelbild: Offizielle Wahlplakate für die rumänischen Präsidentschaftswahlen 2024 mit den Kandidaten Marcel Ciolacu, Nicolae Ciuca, Mircea Geoana, Elena Lasconi, Simion, Hunor, Orban, Terhes – der eigentliche Wahlgewinner Calin Georgescu hatte gar nicht plakatiert. – Shutterstock / Adrian Pacurariu