Die Presse kritisiert die Regierung durchaus – „wenn nicht schnell genug Waffen geliefert werden!“

Die Presse kritisiert die Regierung durchaus – „wenn nicht schnell genug Waffen geliefert werden!“

Die Presse kritisiert die Regierung durchaus – „wenn nicht schnell genug Waffen geliefert werden!“

Ein Artikel von Marcus Klöckner

Moralisierende Benennungen, eine Vermischung von Fakten und Meinung, Emotionalisierung, Personalisierung und: Feindbildaufbau! Das sind einige der Kritikpunkte an Medien, die die Politikwissenschaftlerin Renate Dillmann in ihrem neuen Buch „Medien. Macht. Meinung. Auf dem Weg in die Kriegstüchtigkeit“ herausgearbeitet hat. Im NachDenkSeiten-Interview zeigt Dillmann auf, wie im Journalismus Informationen, etwa über die verwendete Sprache, nach Weltanschauung gelenkt werden. Ein Interview über die Verletzung redaktioneller Standards, Feindbilder und ein Publikum, das aus Sicht Dillmanns die Angebote alternativer Medien noch zu wenig nutzt. Das Interview führte Marcus Klöckner.

Marcus Klöckner: Frau Dillmann, gerade hat Donald Trump die US-Wahl gewonnen. Wie haben Sie die Berichterstattung vor der Wahl wahrgenommen?

Renate Dillmann: Die Perspektive der Berichterstattung in den deutschen Leitmedien war eindeutig: Schaffen Biden bzw. Harris es, eine zweite Präsidentschaft Trumps zu verhindern? Sie war beherrscht vom Wunschdenken, dass die Demokraten gewinnen und dem Kapitalstandort Deutschland bzw. seiner EU eine erneute Präsidentschaft Trumps erspart bleibt. Dessen „America first!“-Politik attackiert ja nicht nur China als ökonomischen und politischen Rivalen, sondern auch bisherige Verbündete, insbesondere Deutschland. Den riesigen Handelsbilanzüberschuss Deutschlands und seine – im Vergleich zu den USA – niedrigen Rüstungskosten fasste Trump 2017 in seiner bekannten Art zusammen: „Germany is bad, very bad.“

Die Kritik an Deutschland durch die USA war ja sehr deutlich zu vernehmen, nicht nur von Trump.

Der Vorwurf aus Washington lautet: Deutschland holt sich das Beste aus beiden Welten – billige Energie aus Russland und militärische Rückendeckung bzw. die Sicherung seiner global ausgreifenden Interessen durch die USA. Biden wollte das korrigieren durch die Beendigung von Nord Stream, durch die Einbindung Deutschlands in den Krieg gegen Russland, die Erhöhung der Rüstungsausgaben in der NATO und die Beteiligung der BRD am Wirtschaftskrieg gegen Russland mit gravierenden Folgen für das Geschäft deutscher Kapitale.

Trump dagegen stellt China, Russland, Deutschland und die EU tendenziell auf eine Stufe – als Konkurrenten und Widersacher. Folglich will er explizit auch Deutschland mit Schutz- und Strafzöllen überziehen. Darin sehen deutsche Politiker und Medienmacher – nicht zu Unrecht – das Aus für die besonderen Wettbewerbsvorteile der BRD.

Diese harten staatsmaterialistischen Berechnungen in ihren beiden Varianten präsentieren deutsche Medien allerdings in der Regel ihrem Massenpublikum ganz anders. Demnach handelt es sich bei der Konkurrenz um die US-Präsidentschaft um einen Kampf von jung gegen alt, farbig gegen weiß, weiblich gegen toxische Männlichkeit, charmant gegen unverschämt, rechtschaffen gegen verurteilt usw., also unterm Strich unverkennbar: Gut gegen Böse.

Lassen sich aus den Beobachtungen allgemeine Rückschlüsse auf die Verwerfungen in der Berichterstattung vieler Medien ziehen?

Die Vorstellung, dass in einer Gesellschaft mit Meinungs- und Pressefreiheit halbwegs objektive Informationen zu kriegen sind, erweist sich als haltlos. Das weise ich in der allgemeinen Untersuchung der Methoden und Mechanismen politischer Berichterstattung im ersten Teil meines Buches nach: Der Journalismus der Leitmedien neigt zu einer Selektion der Themen am Kriterium nationaler Interessen, stark moralisierenden Benennungen von Sachverhalten, Fragestellungen und Titelzeilen, die Informationen mit Wertungen durchmischen. Er operiert mit fiktiven Subjekten und eliminiert Zusammenhänge, die nötig wären, um einen Themenkomplex zu erfassen und zu begreifen. Quellen werden selektiv verwendet und Zahlen und Statistiken verfälschend benutzt. Es gibt eine personalisierende und emotionalisierende Berichterstattung, die Empathie ausnutzt, um en passant eine ganze Reihe von Wertungen bzw. politisch opportune Sichtweisen unter die Leute zu bringen.

Wie ordnen Sie das Verhalten der Medien zum Krieg ein? Erfüllen die Medien ihre Aufgabe?

Es kommt bei dieser Frage selbstverständlich sehr darauf an, was man unter der „Aufgabe der Medien“ versteht.

Die Presse unterstützt die Regierungsbeschlüsse bezüglich Lieferung von Waffen in Krisen- und Kriegsgebiete und „Zeitenwende“, d.h. die enorme Aufrüstung, die Deutschland das drittgrößte Militär der Welt verschaffen soll. Kritik wird dabei von Seiten der „Vierten Gewalt“ durchaus laut – wenn nicht schnell genug Waffen geliefert werden! Man erinnere sich an die Pressekampagne für die Leos! Boris Pistorius wird zum öffentlichen Sympathieträger aufgebaut, und seine Forderung, Deutschland müsse schnellstens kriegstüchtig werden, ist ohne weitere Nachfrage, welche Kriege man denn zu führen gedenkt, zu einem Maßstab avanciert, an dem alles gemessen und beurteilt wird.

Innenministerin Faeser darf in ihren Pressekonferenzen gefühlt täglich Bedrohungsszenarien ausmalen. Demnach ist Deutschland eine im Innern wie von außen chronisch „bedrohte Nation“, der es im Kampf gegen Rechts- und Linksextremisten, Islamisten, Coronaleugner, Antisemiten, chinesische und russische Spione, arabische Clankriminalität etc. pp. an Zugriffsrechten, Einsatzkräften, Strafen, geheimdienstlichen Befugnissen, Waffen und Unterstützung aus der Bevölkerung mangele – weshalb pausenlos immer neue Maßnahmen zur Stärkung der inneren und äußeren Sicherheit ergriffen werden müssen. Nur am Rande: Mit dieser pausenlosen öffentlichen Agitation bringt man die Nazis hervor, die man zu bekämpfen vorgibt.

Die wichtigen deutschen Medien nehmen also eine überaus staatstragende Rolle ein. Wer unter der Aufgabe der Medien Aufklärung, Analyse oder auch nur sachliche Informationen versteht, sollte sich eingestehen, dass das in dieser Gesellschaft ein regelrecht idealistischer Maßstab ist. So ist Pressefreiheit offenbar nicht gemeint.

Was genau ist festzustellen? Wo sind die Schieflagen?

Es gibt eine sehr selektive Berichterstattung. Es gibt ganze Kriege von großer Brutalität und mit horrenden Opferzahlen unter der Zivilbevölkerung, wie der Jemen-Krieg, die auf ein relativ geringes Medieninteresse stoßen – vermutlich, weil dieser Krieg von Saudi-Arabien mit westlichen Waffen geführt wird und sich gegen den iranischen Einfluss in der Region richtet. Ab und zu erinnern sich Journalisten dann selbst an den von ihnen „vergessenen Krieg“. Absurder geht es kaum. Kriegsverbrechen gibt es vor allem da, wo man sie sehen will – im Syrien-Krieg von Seiten der Assad-Armee, im Ukraine-Krieg von russischer Seite.

Die Standpunkte auswärtiger Regierungen und Konfliktparteien – etwa Putin zum Ukraine-Krieg, Xi Jinping zu den Konflikten mit den USA oder Taiwan, aber auch der der indischen Regierung zu ihrer Ablehnung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland – werden in den Leitmedien kaum dokumentiert. In einer um Aufklärung und sachliche Beurteilung bemühten Presse wäre das ja wohl unbedingt zu erwarten. Und wenn es um Platz- oder Zeitprobleme ginge, wäre das mit einem Link oder einer Online-Dokumentation in Zeiten des Internets ja leicht zu beheben; eine solche Berichterstattung, die auch die gegnerische Partei mit ihren Überlegungen und Beschwerden zu Wort kommen lässt, ist also nicht gewollt.

„Unschöne Fakten“, die den BRD-Kapitalismus in einem ungünstigen Licht erscheinen lassen, sind nicht gerade Lieblingsthemen der Mainstream-Presse. Arbeitsunfälle etwa, die sich in Deutschland ereignen, sind meist nur ein paar Zeilen in einer Lokalzeitung wert; Wohnungs- bzw. Obdachlose, die vielen Formen von Armut, die immer prekärere Versorgung der Kranken und Alten, die Angehörige systematisch überfordert; Krankenhauskeime, die in Deutschland ein ernsthaftes Problem bilden, dem Jahr für Jahr Tausende von Menschen zum Opfer fallen.

Wie sieht es mit der verwendeten Sprache aus? Passen die Begriffe?

Bei den Begriffen gibt es natürlich eine ganze Menge an Negativbeispielen; Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer haben vor Kurzem im Interview auf den NachDenkSeiten auch darauf hingewiesen. Die Bombardierung von Krankenhäusern ist in den deutschen Leitmedien mal Kriegsverbrechen, mal unvermeidlicher Kollateralschaden und mal legitimes Kriegsmittel. Es gibt „brutale völkerrechtswidrige Angriffskriege“, über die intensiv und mit medialer Empörung berichtet wird; es gibt aber auch mit Beifall begleitete „Missionen“, „Einsätze“ und „humanitäre Interventionen“. Regierungen können als solche bezeichnet werden oder als „Regime“, „Diktatur“ etc.; Politiker und Regierungschefs, die gefallen, sind „führungsstark“, während missliebige Regenten notorisch „autoritär“ regieren.

Demonstrationen, Aufstände, gewaltsame Angriffe auf Staat und Regierung werden als friedlicher Protest präsentiert, wenn Aktivisten gegen aus Sicht der deutschen Außenpolitik missliebige Staaten vorgehen und/oder vom westlichen Ausland finanziert und instruiert sind. Umgekehrt wird Protest und Widerstand umgehend als „gewaltbereit“, „extremistisch“, „radikal“, „fundamentalistisch“ dargestellt, sobald sich Menschen gegen die westlichen Regierungen und deren Stellvertreter im Rest der Welt zur Wehr setzen.

Schon in die puren Namen, die Benennungen, die Begriffe ebenso wie in Adjektive („umstritten“) und Metaphern („Flüchtlingswelle“) fließen also jede Menge Beurteilungen/Wertungen mit ein.

Worauf führen Sie die verwendeten Begriffe und Formulierungen zurück? Es ist ja nicht so, dass die Journalisten in den Redaktionen nicht wüssten, welche Begriffe treffend sind und welche die Realität verzerren, oder?

Natürlich verletzen Journalisten und Redaktionen den von ihnen selbst hochgehaltenen Grundsatz: Erst die Information, dann die Meinung. Und das keineswegs individuell und zufällig – sie reden ja ganz selbstbewusst und unkritisch von „Wording“, „Framing“ und „Narrativen“, mit denen sie ihre stereotypen „Erzählungen“ konstruieren.

Zur Erklärung dessen gibt es viele auch von anderen Medienkritikern benannte Faktoren: der Umstand, dass Medien Geschäftsmittel sind, was nicht nur für eine Nähe zu Anzeigenkunden sorgt, sondern auch Konzentrations- und Kostensenkungsprozesse beinhaltet, die den Recherchen vor Ort und tiefergehenden Analysen nicht guttun, stattdessen Agenturmeldungen und Presseerklärungen zu Hauptquellen werden lassen.

Was noch?

Die Nähe der Hauptstadtjournalisten zu wichtigen Politikern und die Tatsache, dass sich Politiker und Journalisten in wichtigen (transatlantischen) Netzwerken treffen. All das ist in Rechnung zu stellen – für eine stimmige Erklärung fehlt allerdings ein wesentlicher Punkt. Der liegt meines Erachtens im Standpunkt einer sich national verstehenden Presse. Die Journalisten der Leitmedien erwarten von der jeweiligen Regierung Erfolge für die Nation – in Sachen Wachstum und internationaler Durchsetzungsfähigkeit. Im Grunde kürzt sich darauf alles zusammen; dafür müssen alle anderen politischen Handlungsfelder funktional sein, von der Bildung bis hin zur Sozial- oder Umweltpolitik. Das ist erstens ein Standpunkt, der die Interessen der Bevölkerung nur sehr bedingt in den Blick nimmt; zweitens einer, der Journalisten wie selbstverständlich aus der Perspektive der Regierung auf die Welt blicken lässt. Drittens macht er sie notorisch kritisch – kritisch allerdings am Maßstab der von der Regierung selbst in die Welt gesetzten Erfolgsansprüche. Die Interessen der sogenannten „kleinen Leute“ spielen da im Normalfall keine Rolle.

Natürlich neigen Medien – auch Interviews – zu Verkürzungen, schlicht weil dem Publikum alles so kurz und knackig wie möglich präsentiert werden soll. Deshalb möchte ich an dieser Stelle wirklich darum bitten, mein Buch zu lesen und sich die dort dargelegten Überlegungen zu Politik, Presse und auch zum Publikum (das nicht von Kritik verschont bleibt) ernsthaft durch den Kopf gehen zu lassen. Da ist etwas zu studieren, was wir hier nicht abhandeln können, und es wird eventuell auch einiges an Selbstkritik fällig.

Ein Schluss aus dieser Erklärung lautet jedenfalls: Als Konsequenz aus der Kritik der real existierenden Medien braucht es eine Presse, die einen anderen Maßstab hat für ihre Informationen und Analysen: a) die Wahrheit b) die materiellen Interessen der vom Lohn abhängigen Mehrheit.

Wie sieht es denn mit der Berichterstattung aus, wenn es um Reportagen geht? Was steht da im Vordergrund? Die saubere Erfassung der Realität?

Die meisten von uns mögen Reportagen ja gerne. Berichte über persönliche Schicksale aus allen Teilen der Gesellschaft, allen Winkeln der Erde, aus dem Alltag oder dem Kontext von Katastrophen und Kriegen werden lieber gelesen als nüchterne, sachlich-analytische Artikel zum selben Thema. Und es ist ja auch durchaus möglich, über Einzelschicksale packend und gleichzeitig aufklärend zu berichten.

Allerdings muss die journalistische Leistung dann darin bestehen, den Einzelfall in die richtige Beziehung zu den allgemeinen Bestimmungen zu setzen, die das jeweilige Land und seine Gesellschaft, den Stand seiner Entwicklung, seiner Wirtschaft, seiner Abhängigkeiten etc. kennzeichnen. Diese wiederum müssen stimmen und dürfen nicht einfach den außenpolitischen Linien der eigenen Nation abgelauscht sein, sei es feindselig, sei es hoffnungsvoll.

Und da hakt es meistens. Es handelt sich in vielen Fällen um ideologische Selbstbestätigung des eigenen Weltbilds im Gewand einer „authentischen“ Reportage. Das ist eigentlich bedauerlich – insbesondere, wenn man es mit wirklich guten Reportagen vergleicht, wie sie der Erfinder dieses Genres Egon Erwin Kisch einmal geschrieben hat. Nach wie vor eine Lektüre-Empfehlung!

Wobei ja schon Kisch, obwohl seine Reportagen großartig sind, es bisweilen nicht ganz sauber gehalten hat. Heutzutage scheint es für Medien schon eine Grenzüberschreitung zu sein, wenn ein Reporter es wagt, auch „zum Feind“ zu gehen. Der ehemalige NDR-Journalist Patrik Baab kann davon ein Lied singen. Er war für ein Buchprojekt auf „beiden Seiten der Front“. Plötzlich galt er als „umstritten“, weil, so der Vorwurf: zu nah bei den Russen. Was steckt hinter solchen Angriffen?

Das ist nicht so schwierig. Patrick Baab hat „vor Ort“ über das Referendum in den Donbass-Republiken berichtet und darüber informiert, dass die Abstimmung dort relativ geordnet und frei abgelaufen ist, mithin kaum Gründe existieren, die Ergebnisse anzuzweifeln. Das passte nicht zur Vorstellung, dass nur Zwang normale Menschen dazu bringen kann, sich für einen Anschluss an die Russische Föderation, sprich: „Putin“ bzw. „den Kreml“ zu entscheiden. Deshalb konnte nicht sein, was nicht sein durfte. Das, was normalerweise als besondere Authentizität journalistischer Berichterstattung gilt – der Reporter steht vor Ort und hält sein Mikrofon in den Wind –, wurde in diesem Fall als persönliche Befangenheit verurteilt. Der Journalist Baab wurde nicht gelobt dafür, dass er sich die Mühe gemacht hat, dem deutschen Publikum besonders wahrheitsgetreue Informationen zu liefern; stattdessen hat er sich zunächst Schelte von seinen Kollegen eingefangen (die sonst stets die Pressefreiheit gegen die autoritären Regime feiern) und dann seine Lehraufträge verloren (an Hochschulen, die sonst stets stolz sind auf die Freiheit der Wissenschaft).

Gibt es im deutschen Journalismus einen stark ausgeprägten Hang zum Autoritären? Wie sehen Sie die Berichterstattung? Stimmen Sie der Aussage zu, dass viele Redaktionen den Eindruck hinterlassen, in ihnen würde eine Politik des Repressiven regelrecht herbeigesehnt?

Denken Sie da an die allgemein üblichen Maßstäbe zur Beurteilung von politischen Persönlichkeiten und Parteien: Wer ist in der Lage, sich möglichst kompromisslos durchzusetzen? Wer hat Führungsqualitäten? Wer schafft es, alle hinter sich zu scharen, Streit zu unterbinden und Geschlossenheit zu erzeugen? Diese „Tugenden“ werden als positiv verbucht; Diskussionen oder Streit dagegen haben per se ein Negativ-Image. Das alles ist wenig demokratisch, sollte man meinen …

In der Coronazeit veröffentlichte der Spiegel den Beitrag eines Kolumnisten, in dem zu lesen war: „Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen.“ Die Rede war von den Ungeimpften. Dass ein Autor so denkt, ist das eine, aber dass eine Redaktion einen derartigen Beitrag veröffentlicht, das andere. Wie ordnen Sie das aus journalistischer Sicht ein?

Es gibt ab und an den Übergang in der Presse, über Politik nicht zu berichten, sondern mit Berichten Politik zu machen. Dazu gehört auch, dass die Medien als eine Art moderner Pranger genutzt werden.

Gestatten Sie mir, eine Stelle aus Ihrem Buch zu zitieren. Sie schreiben: „Die Berichterstattung über die in der Folge stattfindenden „Querdenken-Demonstrationen“ fand unter Verwendung des gesamten Arsenals der Feindbildpflege statt, die Journalisten zur Verfügung steht: Ausgrenzen, für verrückt erklären, in die rechte Ecke stellen usw. – eine andere Art von Auseinandersetzung stand Journalisten scheinbar über lange Zeit nicht zur Verfügung. Zusammengefasst: Die deutschen Leitmedien lieferten mit ihrer Rolle in der Pandemie durchaus einen Vorgeschmack auf die politische Berichterstattung in Kriegssituationen.“ Sie sehen also Parallelen zwischen der Corona-Berichterstattung und der Berichterstattung im Hinblick auf den Krieg?

Die Gemeinsamkeit liegt in der Herstellung von Geschlossenheit, Folgsamkeit und Loyalität gegenüber staatlichen Maßnahmen, die der Bevölkerung in solchen Fällen noch mehr abverlangen als sonst schon üblich. Die Leitmedien sahen sich aufgerufen, die politischen Beschlüsse in die Bevölkerung zu verdolmetschen und machten das in einem Dauertalk 24/7. Dass es angesichts des Zweckbündnisses von Politik und Medien und dieser überwältigenden Informationspolitik zu skeptischen Meinungen – und das aus sehr verschiedenen Richtungen – kam, war kein Wunder. Und gleichgültig, ob die abweichenden Meinungen nun rational oder teilweise auch schwer irrational waren – die Medien, die sich der Herstellung des nationalen Konsenses verpflichtet fühlten, behandelten alle als unzulässig und gingen dementsprechend „robust“, also nicht argumentierend, versachlichend, unvoreingenommen prüfend, mit ihnen um.

In Ihrem Buch kommen über 50-mal der Begriff „Feindbild“ bzw. Begriffe wie „Feindbildanalyse“ vor. Was hat die Berichterstattung mit Feindbildern zu tun?

Das ist wirklich zu oft.

Das sollte kein Vorwurf sein. Es ist nur eine Feststellung.

Wahrscheinlich liegt es einerseits daran, dass mich nicht zuletzt diese Seite der Berichterstattung, die in den letzten Jahren immer mehr „Fortschritte“ macht, zum Schreiben dieses Buchs veranlasst hat – beispielsweise, wie die deutschen Leitmedien über die Volksrepublik China berichten. Es werden viele Unwahrheiten in die Welt gebracht (die mich als Autorin eines China-Buchs vielleicht besonders ärgern), und gleichzeitig ist die politisch aggressive Absicht unübersehbar: Die deutsche Bevölkerung soll in Stellung gebracht werden für eine künftige Auseinandersetzung. Gegenüber diesem Land wird ein Feindbild aufgebaut, weil man es mit einem Entwicklungsland zu tun bekommt, das tatsächlich ökonomisch und politisch zu den etablierten Nutznießern der Weltordnung aufschließt (was ja das früher stets verkündete Ideal war!). Das ist vom Standpunkt der etablierten Nutznießer der Weltgeschäftsordnung nicht hinnehmbar. Zur Austragung dieser ökonomisch-politisch begründeten Feindschaft braucht es ein Feindbild – daran wird gearbeitet.

Wie die Bevölkerung in den Fällen des Ukraine- und des Gaza-Kriegs „informiert“ wurde, kann man tatsächlich nur in solchen Kategorien zusammenfassen: Hier die Guten (selbstverständlich „wir“ und die von uns unterstützte Seite), dort die Bösen. Gerade habe ich übrigens zweimal mehr „Feindbild“ gesagt …

Stimmt, aber ich denke, es wird auch sehr klar, warum. Das heißt: Wie angebracht es ist, darauf zu verweisen, wie präsent Feindbilder in den Medien sind? Wie sieht denn ein Feindbildaufbau durch die Medien aus?

Selektive Informationen, die Anwendung von doppelten Standards in der Beurteilung und die missgünstige Deutung von Fakten, eine fallbezogene singuläre Skandalisierung und die kampagnenartige Wiederholung von Vorwürfen – all das kennzeichnet ein Feindbild, und all das findet sich in der Berichterstattung zu China und selbstverständlich auch zu Russland. In meinem Buch wird das jeweils im Detail analysiert. Dass solche Feindbilder ganz bewusst aufrechterhalten bzw. geschürt werden, hat die chinesischstämmige und langjährige Journalistin der Deutschen Welle Zhang Danong in ihrem Buch „Nur die richtige Meinung ist frei“ für den Fall China übrigens gut belegt.

Welche Konsequenzen ergeben sich aus all dem für die Demokratie, aber auch für unsere Gesellschaft?

Zunächst muss man nüchtern festhalten, dass unsere Parteiendemokratie und diese Art von Presse offenbar gut zusammenpassen. Die Kritiker – auch die NachDenkSeiten mit ihren medienkritischen Beiträgen und Bemühungen – stehen außen vor. Der weitaus größte Teil des Publikums, ab und an durchaus unzufrieden mit der Mainstream-Presse, nimmt die vorhandenen Angebote einer linken Gegenöffentlichkeit wenig zur Kenntnis, obwohl das heute ja relativ einfach wäre. Warum das so ist, versuche ich in meinem Buch ebenfalls zu erklären. Ein großer Aufschrei nach den abendlichen Fernsehnachrichten der Öffentlich-Rechtlichen oder der morgendlichen Zeitungen ist jedenfalls nicht zu bemerken; wäre das so, könnten weder Politiker noch Leitmedien so ungestört agieren.

Beim Thema Medien gibt es – im Vergleich zu vielen anderen Kritikpunkten in dieser Gesellschaft – eine Besonderheit. Man steht, wenn einem die Kritik einleuchtet, nicht ganz so hilflos und ohne praktische Alternativen da. Dieses Buch will – neben den grundsätzlichen medientheoretischen Ausführungen – auch unmittelbar praktisch nützlich sein für einen selbst, das Gespräch mit Kollegen und Freunden, in der Familie, gegenüber Schülern und Studierenden: als exemplarische Kritik vieler ebenso populärer wie ideologischer Textbausteine im politischen Bewusstsein und als Demontage von Feindbildern. Medienkritik für das tägliche Handgemenge also, zu der ich jeden und jede explizit ermuntern möchte.

Titelbild: PRESSLAB/shutterstock.com

Renate Dillmann: Medien. Macht. Meinung. Auf dem Weg in die Kriegstüchtigkeit. Köln 2024, PapyRossa Verlag, Broschiert, 239 Seiten, ISBN 978-3894388348, 17,90 Euro

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