Russlands Präsident Wladimir Putin hat in seiner jüngsten Ansprache deutlich gemacht, dass die westliche Unterstützung der Ukraine in Form von präzisen Lenkwaffen wie ATACMS und Storm Shadow eine neue Eskalationsstufe erreicht hat. Der Einsatz russischer Hyperschallraketen des Typs „Oreschnik“ wird als klare Warnung an den Westen gewertet, die militärische Unterstützung für Kiew zu überdenken. Während westliche Medien die bekannte Erzählung vom „aggressiven Russland“ fortführen, zeichnet sich für Putin und Russland ein existenzieller Kampf um Souveränität ab, dessen Dynamik bald eine nukleare Dimension annehmen könnte. Von Gert Ewen Ungar.
Als Russlands Präsident Wladimir Putin am Donnerstagabend im Fernsehen eine Ansprache hielt, war schon nach wenigen Worten klar: Obwohl er die russische Nation anspricht, adressiert sich das, was er zu sagen hat, weniger an die eigene Bevölkerung, sondern an die politischen Entscheider im Westen. Nach der Freigabe von ATACMS-Raketen zum Angriff auf russisches Gebiet durch US-Präsident Biden zu Beginn der Woche erfolgte deren Einsatz am Mittwoch. Am Donnerstag gab es Spekulationen über einen Angriff mit britischen Storm-Shadow-Marschflugkörpern auf Russland. Die Ukraine behauptete, Storm Shadow gegen Ziele in Russland eingesetzt zu haben. Aus Moskau kam dafür zunächst keine Bestätigung.
Wenig später hieß es, Russland habe die Ukraine mit Langstreckenraketen angegriffen. In den deutschen Medien waren die üblichen Experten schnell zur Stelle und gaben ihren Senf dazu. Das russische Verteidigungsministerium schwieg sich dagegen aus.
Am Abend war der Grund des Schweigens klar. Es war Putin vorbehalten, das Geheimnis zu lüften. Ja, nach Angriffen mit US-amerikanischen ATACMS am Mittwoch hatte es auch am Donnerstag wieder Angriffe mit Waffensystemen gegeben, für deren Einsatz zwingend die Kooperation mit den Militärs der Herkunftsländer notwendig ist. Während beim Beschuss mit ATACMS niemand zu Schaden kam und alle sechs abgefeuerten Raketen von der russischen Luftabwehr abgefangen werden konnten, waren beim Angriff am Donnerstag mit Himars und Storm Shadow Tote und Verletzte zu beklagen. Die russische Kommandozentrale allerdings sei weiter funktionsfähig, fügte Putin hinzu. Das militärische Ziel wurde damit nicht erreicht.
Was er dann im Anschluss sagt, hat es in sich. Russland hat als Antwort auf den Beschuss mit westlichen Lenkwaffen mit einer Mittelstreckenrakete neuen Typs die Ukraine angegriffen. Die Hyperschallrakete trägt den Namen Oreschnik – Haselstrauch. Sie erreicht eine Geschwindigkeit von Mach 8. Westliche Raketenabwehrsysteme sind daher gegen sie wirkungslos. Sie verfügt über mehrere Sprengköpfe und kann nuklear bestückt werden. Für den Einsatz in der Ukraine war sie mit konventionellen Sprengköpfen ausgestattet. Ihren Einsatz nennt Putin einen Test, der erfolgreich durchgeführt wurde.
Putin macht deutlich, der Einsatz war eine weitere Warnung an den Westen, den Konflikt in der Ukraine nicht weiter zu eskalieren. Vermutlich war es die letzte Warnung. Da der Einsatz von Präzisionswaffen die militärische Kooperation mit den Herkunftsländern zwingend erfordert, wird Russland die Länder, aus denen die Waffen stammen, als Kriegspartei betrachten und sie auf ihrem Gebiet angreifen, erläutert Putin erneut. Das wurde schon mehrfach formuliert.
Russland hat nun eindrücklich seine Fähigkeiten demonstriert und veranschaulicht, was das heißen kann. Auch wenn sich die Ukraine und ihre Unterstützer bisher zu den Folgen des Bombardements ausschweigen, kann man sich sicher sein, dass der Einsatz von Oreschnik und das Ausmaß der verursachten Zerstörung akribisch untersucht wird.
Dabei ist jetzt schon klar, während für Deutschland mit der Lieferung von Taurus das Ende der Fahnenstange erreicht wäre, ist Russland weiterhin in der Lage, alle weiteren Eskalationsschritte des Westens mitzugehen. Mit dem Einsatz von Oreschnik sind die militärischen Möglichkeiten Russlands noch immer nicht erschöpft.
Die drängende Frage ist, ob diese Warnung gehört wurde. Die Signale, die aus den USA kommen, lassen daran zweifeln. Bereits am Mittwoch sagte Konteradmiral Thomas Buchanan, die USA seien grundsätzlich bereit, bei Bedarf Atomwaffen einzusetzen, würden dies aber nur zu Bedingungen tun, die für das Land und seine Interessen „akzeptabel“ wären. Darüber, ob ein auf Europa beschränkter Atomkrieg für die USA unter den Begriff „akzeptabel“ fällt, müsste in der EU und in Deutschland dringend nachgedacht werden.
In den deutschen Medien herrscht jenseits der üblichen Floskeln jedoch Schweigen. Putin drohe in seiner Ansprache dem Westen, ist der allgemeine Tenor. Man bleibt dem Narrativ und der eigenen Desinformation verbunden. Russland ist der alleinige Aggressor, die Ukraine reines Opfer, die Länder des Westens sind moralisch zur Unterstützung verpflichtet. Wer sich die Chronologie der Abläufe ins Gedächtnis ruft, weiß, dass das kompletter Unsinn ist.
Es gibt die Möglichkeit, diesen Konflikt zu beenden, indem man seine Ursache ausräumt. Entgegen der Behauptungen westlicher und deutscher Politiker ist die Ursache nicht der imperialistische Drang eines durchgeknallten Diktators Putin nach Landnahme, sondern die Ausdehnung der NATO. Wird das Projekt, die Ukraine in die NATO aufzunehmen, aufgegeben, geht der Konflikt zu Ende. Doch genau daran halten die NATO, die USA, die EU und die Mehrheit ihrer Mitgliedstaaten fest. Damit tragen sie nichts zur Konfliktlösung bei. Im Gegenteil.
Putin hat auf dem Valdai-Forum Anfang des Monats auf einen wichtigen Umstand aufmerksam gemacht. Im Westen zielt man auf eine strategische Niederlage Russlands. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat den Sieg über Russland als Ziel ausgegeben. In Deutschland unterstützt man den Friedensplan Selenskijs, der faktisch die bedingungslose Kapitulation Russlands für die Aufnahme von Verhandlungen voraussetzt. Diplomatie lehnt man ab. Jeder Kompromiss wäre ein Zugeständnis an Russland, heißt es. Es ist Russland, das sich den westlichen Vorstellungen zu fügen und unterzuordnen hat, glaubt man in Brüssel, Berlin, Paris, London.
Gleichzeitig wiegt man die Bevölkerung im trügerischen Glauben, dass eine militärische Eskalation für sie ohne weitreichende Folgen bleiben wird, sagte Putin. Den Ausführungen Putins ließe sich noch hinzufügen, dass man zudem versichert, mit dem Vernichtungswunsch gegenüber Russland auch noch moralisch im Recht zu sein.
In Russland ist die Situation grundlegend anders. Hier hat man sehr gut begriffen, dass Russland in diesem Konflikt um sein Überleben als souveräner Staat kämpft. Entsprechend hoch ist die Bereitschaft, Opfer zu bringen. Diese Opferbereitschaft hat man in ihrer Bedeutung in Westeuropa noch längst nicht richtig verstanden.
Klar muss aber jedem sein, die nächsten Wochen, vermutlich sogar die nächsten Tage werden darüber entscheiden, ob der Krieg auf die nächste, die nukleare Eskalationsstufe gehoben wird. Oder ob es nicht doch die Möglichkeit zum Kompromiss mit Russland gibt.
Russlands Kernforderung für Frieden ist die Rückkehr zum Prinzip kollektiver Sicherheit. Der Westen lehnt das ab. Putin hat am Donnerstag klar formuliert, dass das Beharren auf Hegemonie und Dominanz in die Vernichtung führen wird.
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