Es dürfte keinen Zweifel daran geben, dass der 28. Oktober und der 13. November als wahrlich historische Daten in die philippinische Geschichte eingehen. An jenem schwarzen Montag beziehungsweise schwarzen Mittwoch stand Ex-Präsident Rodrigo R. Duterte (2016-2022), der Vorgänger des amtierenden Präsidenten Ferdinand Marcos Jr., dem philippinischen Senat sowie einem aus vier Ausschüssen gebildeten Sonderuntersuchungskomitee des Repräsentantenhauses Rede und Antwort, was seinen berühmt-berüchtigten „Krieg gegen die Drogen“ mit offiziell über 6.000 Toten betraf. Was Duterte allein an diesen beiden Tagen in mehrstündigen Sitzungen von sich gab, hätte unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten zumindest zur unverzüglichen Einleitung einer Anklageerhebung wegen Mordes, Beihilfe zum Mord sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit führen müssen. Stattdessen nutzte der Ex-Präsident die Hearings auf seine ihm eigene Art als politische Tribüne, auf der vermeintliche Ankläger – von wenigen Ausnahmen abgesehen – zu Duckmäusern mutierten. Ein Kommentar unseres Südostasienexperten Rainer Werning.
Messias mit Besen & Pistole
Als 16. Präsident der Philippinen übertraf Rodrigo R. Duterte die weltweit reaktionärste Riege von Populisten mit Abstand in puncto rotzig-schnoddrigen Auftretens und maßloser Frauen- und Menschrechtsverachtung. Reichlich dokumentiert sind seine blindwütigen Attacken gegen politisch Andersdenkende, gegen den früheren US-Kollegen Obama sowie gegen den Papst, die er allesamt als „Hurensöhne“ abtat und mit einem „F*** you“ in den Orkus wünschte. Bei Letzterem konnte er es sich nicht verkneifen, auch öffentlich den „dummen Gott“ zu schmähen. Gleichermaßen verbrieft sind Dutertes Ausfälle während Wirtschaftsforen, auf denen er sich über die unterschiedlichen Zustände seines Penis äußerte; oder vor versammelten staatlichen Sicherheitskräften – die Duterte mit Vorliebe als „meine Soldaten“ und „meine Polizisten“ adressierte – die Order erteilte, Kombattantinnen der kommunistischen Guerillaorganisation der Neuen Volksarmee (NPA) in die Vagina zu schießen. „Dann nämlich“, so Duterte wörtlich, „taugen sie auch als Frauen nichts mehr.“ Und was schließlich den Umgang mit nationalen und internationalen Bürgerrechts- und Menschenrechtsorganisationen betraf, so hatte der Ex-Präsident für sie stets nur ein verächtliches „F*** you“ übrig.
Ein solches Verhalten war während seiner langjährigen Amtszeit als Bürgermeister von Davao City, der größten Stadt im Süden des Landes, zum Markenzeichen Dutertes geworden. Dort präsentierte sich der Mann in Wahlkampfzeiten bevorzugt als Politmacho mit einem Besen oder einer Pistole in der Hand. Und jedem, der es hören wollte, versicherte Duterte:
„Ich sorge hier auf meine Art für Sicherheit und Ordnung. Wenn euch das nicht passt, dann sucht euch gefälligst einen anderen Kandidaten.“
Und stets konnte er gewiss sein, eine große Schar von Bewunderern und Lachern auf seiner Seite zu haben. Duterte wäre nicht Duterte, zöge er sich lautlos aus dem politischen Geschehen zurück. Das geht schon deshalb nicht, weil sein „Antidrogenkrieg“ laut Einschätzungen von Menschenrechtsorganisationen bis zu 30.000 Todesopfer gefordert haben soll und den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag auf den Plan rief. Außerdem steht das politische Schicksal seiner Tochter Sara auf dem Spiel. Sie ist zwar Vizepräsidentin, doch seit reichlich einem Jahr ist das Tischtuch mit dem Präsidenten Marcos Jr. und seiner Familie zerschnitten. Last, but not least stehen im Mai 2025 Halbzeitwahlen auf den Inseln an, die die Weichen für die nächste Präsidentschaftswahl im Frühjahr 2028 stellen. Das weckt unter Politikern Begehrlichkeiten und lässt sie bereits jetzt schon kräftig mit den Hufen scharren.
Meinen letzten Beitrag auf den NachDenkSeiten beendete ich mit den Sätzen:
„Am 7. Oktober ließ er (Rodrigo R. Duterte) sich bei der staatlichen Wahlkommission (Comelec) als Kandidat für das Amt des Bürgermeisters in seiner Heimatstadt Davao City registrieren. Ein höchst ungewöhnliches Politikgebaren, das allemal das Zeug hat, für weitere Überraschungen zu sorgen.“
Mehr als nur Überraschungen
Nachdem einst enge Vertraute Dutertes im Unterhaus des philippinischen Kongresses unter Eid bekundet hatten, dass bereits während seiner langen Amtszeit als Bürgermeister Davaos eine „Davao Death Squad“ (DDS – Todesschwadron) existierte, berichtete Royina Garma, eine pensionierte Polizistin im Range eines Oberstleutnants, zudem über außergerichtliche Tötungen als Teil einer „Architektur des Massenmords“ im Rahmen des „Antidrogenfeldzugs“ während der sechsjährigen Präsidentschaft Dutertes. Wörtlich gab die Ex-Polizistin am 11. Oktober zu Protokoll:
„Das Davao-Modell beinhaltet drei Stufen von Zahlungen oder Belohnungen. Die Erste ist die Belohnung, wenn der Verdächtige getötet wird. Die Zweite ist die Finanzierung der geplanten Operationen. Drittens die Rückerstattung der operativen Kosten.“
Die Summe solcher „Belohnungen“ pro getötete Person soll sich zwischen 20.000 und eine Million Peso (zirka 300 beziehungsweise 15.000 Euro) bewegt haben – je nach „Bedeutung“ des Opfers.
Gespannt wartete man seitdem auf das persönliche Erscheinen Dutertes als geladener Zeuge vor den Untersuchungsausschüssen im Senat sowie im Repräsentantenhaus. Mal hieß es, er verweigere solche Auftritte, dann ließ er verlauten, er komme, wenn er sich fit fühle. Doch dann tauchte er auf – an eben dem 28. Oktober und 13. November. Und wie!
Lange Rede, kurzer Sinn: In beiden Hearings übernahm Duterte die „volle rechtliche Verantwortung“ für den von ihm geführten „Antidrogenkrieg“. Auf die Frage, ob er der Polizei direkt befohlen habe, Drogenverdächtige zu töten, bestätigte er unmissverständlich, dass er dies tatsächlich getan habe. Und er fügte hinzu, er habe Polizisten sogar angewiesen, Verdächtige zum Gegenangriff (nanlaban) zu provozieren, damit sie sich einfach auf „Selbstverteidigung“ berufen konnten.
„Es wurde deutlich, dass Duterte nicht die Absicht hatte, Reue zu zeigen. Obwohl er nicht mehr an der Macht ist, wollte er sich nicht wie ein in Ungnade gefallener Ex-Führer behandeln lassen“,
schrieb der emeritierte Soziologieprofessor und Kolumnist Randy David am 17. November in der in Manila erscheinenden Tageszeitung The Philippine Daily Inquirer über des Ex-Präsidenten Erscheinen im Kongress. Und er fügte hinzu:
„Es war klar, dass Duterte seine Gegenüber nicht als gleichberechtigt ansah. Während seiner sechsjährigen Präsidentschaft wagten es weder der Senat noch das Abgeordnetenhaus, seinen Drogenkrieg in Frage zu stellen. Der Kongress, dessen Aufgabe es ist, die Exzesse der Exekutive zu kontrollieren, schwieg, während die Tötungen vom ersten Tag seiner Präsidentschaft an anhielten. Damals war es an der Zeit, sich mit polizeilichen Übergriffen und Gewalt zu befassen. Warum also der plötzliche Wandel? Hat sich der Kongress wirklich geändert, oder handelt es sich um eine bloße moralische Inszenierung im Dienst eines unvollendeten politischen Zermürbungskrieges? Dieser eklatante Widerspruch schwebte wie eine unausgesprochene Wahrheit über den Anhörungen.
Für Duterte waren die Anhörungen eine Plattform, um das Rampenlicht zurückzuerobern, das er einst als Präsident innehatte. Trotz der wiederholten Ermahnungen, keine Schimpfwörter zu benutzen und beim Thema zu bleiben, genoss er die Sendezeit und gab langatmige Erklärungen ab, die von Widersprüchen durchsetzt waren.“ (Übersetzung: RW)
Drohgebärden zum Schluss
Dutertes Auftritt entpuppte sich rasch als das, was ihm von vornherein vorschwebte – eine dreiste Provokation, gespickt mit einer vor Kraftausdrücken und Unverfrorenheit triefenden Sprache gemäß dem Kalkül: „Nur zu – klagt mich an oder werft mich ins Gefängnis, wenn ihr wollt. Aber erwartet nicht, dass ich mich für das entschuldige oder rechtfertige, was ich für notwendig hielt und erneut tun würde.“
Abgesehen von der couragierten Senatorin Risa Hontiveros und verschwindend wenigen Abgeordneten musste der um Objektivität bemühte Zuschauer und Zuhörer den Eindruck gewinnen, Duterte zelebrierte da eine Messe, in der sich fromm-devote Messdiener darin überboten, ja nicht anzuecken. Nur als Ex-Senator Antonio F. Trillanes IV. Duterte erneut vorhielt, Drogengelder selbst eingestrichen zu haben und zu feige zu sein, seine Bankkonten offenzulegen, erhitzten sich einige Gemüter. Duterte machte Anstalten, als schleuderte er gern sein Mikrofon gen Trillanes, während dieser mit einer Gestik und Mimik konterte, als forderte er den Ex-Präsidenten am liebsten zum Faustkampf heraus.
Derweil muss Vizepräsidentin Sara Duterte um ihre Position bangen, sollte der Kongress mit Unterstützung von Marcos Jr. beschließen, in einem Showdown ein Amtsenthebungsverfahren gegen die Duterte-Tochter einzuleiten.
Man darf gespannt sein, wie sich angesichts des moralischen Verfalls „traditioneller Politiker“ – kurz „trapos“ genannt, was im Spanischen „Putzlappen“ bedeutet – die philippinische Literatur- und Kunstszene auf der Frankfurter Internationalen Buchmesse 2025 präsentiert, deren Gastland die Philippinen dann sind. Zumindest hat die schreibende Zunft im Lande sehr kritisch gegen den Stachel gelöckt, was die letzten Kongressspektakel betraf. Es gibt aber nach wie vor auch Kräfte, die am liebsten alles deodorisieren möchten, was das Image des Landes in wie immer gearteter Weise trübt.
Titelbild: OFFICIAL FACEBOOK ACCOUNT OF THE SENATE OF THE PHILIPPINES