Das Urteil sorgte deutschlandweit für Empörung: Im Oktober sprach ein US-Militärgericht, trotz abgelegten Geständnisses, einen US-Soldaten frei, der im rheinland-pfälzischen Wittlich einen deutschen Staatsbürger mit mehreren Messerstichen getötet hatte. Jetzt nahm das Ganze nach einer Anfrage des Landtagsabgeordneten Andreas Hartenfels (BSW) eine interessante Wendung. In Reaktion erklärte der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin, „die Durchführung des NATO-Truppenstatuts und des Zusatzabkommens“ auf den Prüfstand stellen zu wollen. Die NachDenkSeiten wollten wissen, ob die Bundesregierung die Einschätzung aus Mainz teilt und plant, diese dabei zu unterstützen. Zudem kam die Frage auf, wieso das Zusatzabkommen, welches das Post- und Fernmeldegeheimnis aufhebt und bis heute den USA den Eingriff in das System der deutschen Strafverfolgung erlaubt – und damit verfassungswidrig ist – nicht aufgekündigt wird. Von Florian Warweg.
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Hintergrund
Im August 2023 war der deutsche Staatsbürger Micha O. auf einer Kirmes im rheinland-pfälzischen Wittlich mit einer Gruppe von betrunkenen US-Soldaten in Streit geraten. Im weiteren Verlauf wurde Micha O. mit mehreren Messerstichen getötet. Der beschuldigte US-Soldat legte bereits am nächsten Tag gegenüber deutschen und US-Ermittlern ein Geständnis ab und beschrieb dabei detailliert die Tatwaffe und nannte auch den genauen Ort, wo er die Tatwaffe in den Fluss Lieser in Wittlich geworfen hatte. Doch trotz dieses Geständnisses sprach ihn eine Jury des US-Militärgerichts auf der US-Luftwaffenbasis Spangdahlem frei. Eine Urteilsbegründung erfolgte nicht. Auch eine Nebenklage der Eltern des getöteten deutschen Staatsbürgers war in diesem Rahmen ebenso wenig möglich wie eine Berufung.
Peter Fritzen, der Leitende Oberstaatsanwalt in Trier, erklärte diesbezüglich gegenüber Medienvertretern:
„Hier ist nicht bekannt, auf welche Tatsachen das US-Militärgericht seine Entscheidung gestützt hat und warum es die Auffassung vertreten hat, die Aussage sei nicht freiwillig gewesen.“
Der Fall wurde gemäß dem Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut, ein Abkommen, das nur für Deutschland und kein anderes NATO-Land gilt, wenige Tage nach der Tat an die US-Behörden übergeben.
Familie des Opfers: „Wir werden nicht aufgeben“
Die Familie des Opfers will sich damit nicht abfinden. Im Gespräch mit den NachDenkSeiten erklärte der Vater von Micha O., dass sie bereit seien, „bis zum Schluss zu gehen“. Sie hätten bereits zahlreiche Politiker angeschrieben und den Petitionsausschuss des Bundestages um eine Prüfung des Falls gebeten. Auch ein Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg werde derzeit von ihnen geprüft sowie mögliche rechtliche Schritte in den USA. Für den 24. November hat die Familie und ein Unterstützerkreis zu einer weiteren Demonstration an der Air Base Spangdahlem unter dem Motto „Justice for Micha“ (Gerechtigkeit für Micha) aufgerufen. An einer ersten Protestkundgebung am 18. Oktober hatten rund 700 Personen teilgenommen.
BSW-Abgeordneter fragt nach und Justizminister reagiert
Vor diesem Hintergrund stellte der Landtagsabgeordnete Andreas Hartenfels (seit Januar 2024 BSW-Mitglied) eine Kleine Anfrage an das zuständige Justizministerium in Mainz. In dieser fragte er unter anderem nach, warum die Staatsanwaltschaft Trier den Fall an die US-Militärjustiz abgegeben hatte, ob die Landesregierung an der Entscheidung beteiligt war und wie diese den Freispruch des US-Soldaten trotz vorliegendem Geständnis bewertet:
Auf die Frage nach der Bewertung des Urteils kündigte der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin in seiner Antwort vom 11. November an, „die Durchführung des NATO-Truppenstatuts und des Zusatzabkommens“ auf den Prüfstand zu stellen:
„Die Landesregierung wird die Strafverfolgung im konkreten Verfahren allerdings zum Anlass nehmen, etwaigen Handlungsbedarf im Hinblick auf die Durchführung des NATO-Truppenstatuts und des Zusatzabkommens zu prüfen.“
Ist das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut verfassungswidrig?
Das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut und die damit verbundene „geheime Note“ trat 1963 in Kraft und hebt unter anderem das Grundrecht auf Unverletzlichkeit des Post- und Fernmeldegeheimnisses in Deutschland auf und erlaubt den USA einen Eingriff in das System der deutschen Strafverfolgung. Der zweite Teil des Satzes ist bewusst im Präsens gehalten. Denn der Freiburger Historiker Josef Foschepoth fand zu Beginn der 2000er-Jahre bei einer Archivrecherche im Auswärtigen Amt geheime Vereinbarungen zwischen der Bundesregierung und den Westalliierten. Seine Erkenntnisse fasste der Historiker in seinem 2012 erschienenen Buch “Überwachtes Deutschland” zusammen und weist darin nach, dass die von den Westalliierten mit den damaligen Bonner Regierungen getroffenen geheimen Vereinbarungen, die insbesondere den US-Geheimdiensten freie Hand in der Bundesrepublik einräumten, zum großen Teil bis heute gültig sind.
Im Zuge der vom Whistleblower Edward Snowden enthüllten Überwachungspraktiken der Vereinigten Staaten und auch Großbritanniens in Deutschland erhielten Foschepoths Forschungsergebnisse neue Relevanz und Aufmerksamkeit. Dies führte zu aus heutiger Perspektive erstaunlich kritischen Artikeln und Interviews zum Thema eingeschränkte deutsche Souveränität gegenüber den USA in den Leitmedien. Exemplarisch sei auf das Interview in der Süddeutschen Zeitung (SZ) von Juli 2013 unter dem Titel „Die NSA darf in Deutschland alles machen“ sowie den Artikel in der FAZ „Amerika darf Deutsche abhören“ verwiesen.
In den diesbezüglichen SZ-Beiträgen zum Thema fallen zum Beispiel Sätze wie:
„In diesem Sonderrecht spiegeln sich nach wie vor Sieger- und Besatzungsrecht wider.“
„Truppenstatut, Verwaltungsvereinbarung und geheime Note überdauerten auch die Wiedervereinigung, sie gelten bis zum heutigen Tage weiter.“
„Die Bundesregierung hat inzwischen zugegeben, dass die Verwaltungsvereinbarung von 1968 noch in Kraft ist.“
Auch dieser Passus würde es heute wohl nicht mehr in dieser Form in die SZ schaffen:
„Letztlich ist es nun Sache der Öffentlichkeit und der Zivilgesellschaft, den nötigen Druck zu erzeugen, der in der Lage ist, die beschädigte Verfassung, die teils schlimmen gesetzlichen Regelungen und Paragrafen, nicht zuletzt die noch geltenden deutsch-alliierten geheimen Vereinbarungen zu ändern beziehungsweise abzuschaffen. Dazu muss die Politik aber erst einmal bereit sein.“
Zuvor hatte bereits der Medienanwalt Markus Kompa das Thema in dem Onlineportal Telepolis aufgegriffen gehabt sowie der ehemalige Nachrichtenredakteur der Tagesschau (und heute vehementer Kritiker derselbigen) Volker Bräutigam in der Zeitschrift Ossietzky.
Vor diesem skizzierten Hintergrund mutet es geradezu bizarr an, dass die Vize-Regierungssprecherin Christiane Hoffmann auf die Frage, wieso die Bundesregierung bisher dieses Zusatzabkommen noch nicht aufgekündigt hat, antwortet:
„Dafür sehen wir keinen Grund.“
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 20. November 2024
Frage Warweg
Wir hatten ja bereits vor drei Wochen das Thema, dass ein US-Militärgericht im Oktober einen US-Soldaten trotz abgelegten Geständnisses freigesprochen hatte, der einen deutschen Staatsbürger in Wittlich mit mehreren Messerstichen getötet hatte. Jetzt hat am 11. November vor diesem Hintergrund der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin erklärt, die Durchführung des NATO-Truppenstatuts und des Zusatzabkommens zu prüfen. Da würde mich interessieren: Teilt denn die Bundesregierung die Einschätzung aus Mainz, dass es angesichts dieses Skandalurteils des US-Militärgerichts notwendig sei, sowohl das NATO-Truppenstatut als auch das entsprechende Zusatzabkommen auf den Prüfstand zu stellen? Und wenn ja, plant man, den rheinland-pfälzischen Justizminister bei diesem Vorhaben zu unterstützen?
Dr. Fuchs (BMJ)
Ich kann an dieser Stelle weder ausländische Urteile kommentieren noch haben wir eine Meinung zu diesem Vorgang. Insofern kann ich Ihnen dazu nichts mitteilen.
Zusatzfrage Warweg
Dann in dem Zusammenhang vielleicht noch eine generelle Verständnisfrage: Jetzt gilt dieses Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut, das auch im aktuellen Fall eine zentrale Rolle spielt. Viele Staatsrechtler sehen das als verfassungswidrig, weil es das Grundrecht auf Unverletzlichkeit, das Post- und Fernmeldegeheimnis, aufhebt und bis heute den USA einen Eingriff in das System der deutschen Strafverfolgung erlaubt. Da würde mich grundsätzlich interessieren, wieso die Bundesregierung bisher dieses Zusatzabkommen noch nicht aufgekündigt hat.
Vizeregierungssprecher Hoffmann
Dafür sehen wir keinen Grund.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 20.11.2024