Mehr Eigenständigkeit von USA und NATO? Von de Gaulle lernen!

Mehr Eigenständigkeit von USA und NATO? Von de Gaulle lernen!

Mehr Eigenständigkeit von USA und NATO? Von de Gaulle lernen!

Ein Artikel von Ramon Schack

Der erneute Wahlsieg Donald Trumps zwingt Europa zu einer geopolitischen Neuaufstellung. Nach dem Erfolg des Republikaners in den USA wird das transatlantische Establishment in der EU von Panikattacken heimgesucht. Die mühsam erstellte Propaganda von der westlichen Wertegemeinschaft, die sich diesseits und jenseits des großen Teichs angeblich manifestieren würde, ist wie ein Kartenhaus zusammengekracht. Allgemein lässt sich feststellen, dass der europäische Westen – unter Führung der USA – sich in eine geopolitische Sackgasse manövriert hat. Zu willfährig hatte man sich in den EU-Staaten vor den Karren Washingtons spannen lassen, anstatt eine außen- und verteidigungspolitische Strategie zu entwerfen. Dass es auch anders geht, zeigt ein Blick auf Frankreich unter Charles de Gaulle. Von Ramon Schack.

Ein Feuerring schwelender Konflikte

Heute ist Europa von einem Feuerring schwelender geopolitischer Konflikte umrundet, von Nordafrika über den Nahen und Mittleren Osten, dem West-Balkan, dem Südkaukasus, der Ukraine, flankiert von angespannten Beziehungen zu Russland sowie sich zuspitzenden Beziehungen zur Volksrepublik China.

Der Kontinent steht angesichts dieser geopolitischen Rahmenbedingungen ziemlich erbärmlich, ja geradezu wehrlos da. Ein Blick in die Zeitgeschichte unseres Nachbarlandes und auch darüber hinaus bietet Inspiration, wie man dieser Krise in Brüssel, Berlin und andernorts begegnen könnte.

Historisch betrachtet sind die Franzosen sicherlich die weit profunderen Denker, wenn es um die Bereiche Geopolitik und historische Perspektiven geht – gerade im direkten Vergleich zu den Deutschen, wo es im politischen Berlin nicht nur an Kompetenz fehlt, sondern auch ein geistiges Vakuum sichtbar wird.

Der Auszug der NATO aus Frankreich

Charles André Joseph Marie de Gaulle, der wohl einflussreichste Staatsmann Frankreichs – vielleicht auch Europas – im 20. Jahrhundert, plädierte für ein starkes Europa vom Atlantik bis zum Ural, unter Einschluss von Moskau. Schon früh erkannte der General im Amt des Staatsmannes, dass diese Vision im schroffen Gegensatz zur Strategie der USA stand.

Als sich de Gaulle im März 1966 den Strukturen der Nordatlantikpakt-Organisation (NATO) entzog, liefen die Vorbereitungen für diesen Coup unter strengster Geheimhaltung. De Gaulle hatte nur seinen Außen- und den Verteidigungsminister eingeweiht.

Erst unmittelbar danach erfuhren die übrigen Minister, dass Paris seine militärische Mitarbeit in der NATO beenden werde. In einem Brief an den damaligen US-Präsidenten Lyndon Baines Johnson erklärte der französische Staatsmann, dass Frankreich beabsichtige, „seine volle nationale Souveränität auf seinem Territorium“ wiederherzustellen und sich auch nicht mehr an der „integrierten Kommandostruktur des Bündnisses“ zu beteiligen.

Zwischen Washington und Peking

Falls Europa nicht in der Lage ist, die globalen Gefahren zu erkennen, die sich aus den Machtverschiebungen nach China ergeben, wird unser Kontinent in einer Konfrontationspolitik zwischen Washington und Peking aufgerieben. Somit verspielt Europa seine Chance, als ein Kontinent des Ausgleichs, der Stabilität und des Friedens zu gelten.

Was die Außenpolitik angeht, muss die EU mehr de Gaulle wagen, um sich auch in diesem Bereich von den USA zu emanzipieren und der europäischen Idee ein neues Fundament zu garantieren.

Am Ende seiner Amtszeit, die eher einer Herrschaft glich, hatte Charles de Gaulle dem Grafen Henri von Paris ein politisches Testament geschickt. „Die Aufgabe des Staates“, hatte de Gaulle dort wie folgt für seine Nachfolger skizziert, „besteht darin, den Erfolg der Ordnungen über die Anarchie zu sichern und all das umzugestalten, was den Erfordernissen der Zeit nicht mehr entspricht.“

Einer seiner Nachfolger, François Mitterand, hatte sich auf jeden Fall diesem Testament verpflichtet gefühlt, was ein Vorteil für Europa und Deutschland war, denn Mitterand räumte den deutsch-französischen Beziehungen außenpolitische Priorität ein.

Gaullismus ohne de Gaulle?

Es ist nicht bekannt, ob Präsident Macron die zitierten Reflexionen de Gaulles kennt. Er hat es auch bisher versäumt, als eine Art überparteilicher Präsident im Stil de Gaulles zu amtieren. In diesem Fall erscheinen aber die Worte des Schriftstellers André Malraux, der ein enger Weggefährte des Generals war, von beklemmender Aktualität. Dieser sagte einst: „Le Gaullisme sans de Gaulle, c’ est idiot” – zu Deutsch: Gaullismus ohne de Gaulle hat keinen Sinn!“

Das mag richtig sein, doch die gaullistischen Ideen einer geostrategischen Unabhängigkeit Europas sollten wieder Gegenstand der aktuellen Debatte werden.

Titelbild: Shutterstock / Alexandros Michailidis

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!