Es gibt wohl keinen anderen aktiven US-Politiker, auf den die Begriffe „Interventionist“ und „Neokonservativer“ so gut passen wie auf den 53 Jahre alten Marco Rubio, der seit 2011 als Senator für Florida in diversen außen- und sicherheitspolitischen Ausschüssen aktiv ist und sich seitdem als Hardliner einen Namen gemacht hat. 2016 trat er gegen Donald Trump bei den Präsidentschaftsvorwahlen der Republikaner an, von dem er in den Debatten als „kleiner Marco“ lächerlich gemacht wurde. Heute ist der kleine Marco groß, und laut Medienberichten wird Donald Trump ihn zu seinem Außenminister machen. Das ist eine katastrophale Entscheidung, die die verbliebenen Hoffnungen auf eine friedlichere US-Außenpolitik zunichte macht. Von Jens Berger.
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Rückkehr der NeoCons
Um die Gedankenwelt eines Marco Rubio wirklich zu verstehen, müsste man wohl tief in die Geschichte des amerikanischen Neokonservatismus einsteigen. Dafür reicht hier der Platz natürlich nicht. Daher nur kurz: Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sahen sich einige erzkonservative Falken im US-Machtapparat dazu berufen, ihre „neue Weltordnung“ weltweit interventionistisch zu verbreiten und damit die USA und ihr System zur unbestrittenen unilateralen Weltmacht zu machen. Später sollten die Träume der „Neocons“ im Sand des Iraks militärisch und im Aufstieg Chinas auch ökonomisch an einem harten Realitätscheck zerplatzen. Die NeoCons verschwanden aus der ersten Reihe, nun übernahmen die „Transatlantiker“ das Ruder – sie waren zwar nahezu genauso interventionistisch, nur bombten sie nicht für „Gott, Öl und die Überlegenheit der USA“, sondern für „Menschenrechte, freien Marktzugang und die Überlegenheit westlicher Werte“; was oft das Gleiche meinte, sich aber moderner anhörte.
Wie dem auch sei. Marco Rubio hält nicht viel von den Sprechblasen der Transatlantiker und wirkt damit fast wie aus der Zeit gefallen. Politisch konnte der „Krawallbruder“ auch nur überleben, weil er um das Jahr 2010 herum einer der wichtigsten politischen Kandidaten der sogenannten „Tea-Party-Bewegung“ wurde – einer anfangs libertären und später reaktionären Protestbewegung, die massiv von einigen ultrareligiösen und reaktionären Milliardären wie den Koch-Brüdern finanziert wurde. Die Tea-Party-Bewegung und der in ihrem Dunstkreis gewachsene „Trumpismus“ übernahmen im Laufe des letzten Jahrzehnts die Republikaner. Ist Trump – nomen est omen – der wichtigste Vertreter des Trumpismus, so ist Marco Rubio sicher einer der wichtigsten Vertreter der späten Tea-Party-Bewegung, die nur noch wenige libertäre Ansätze im wirtschafts- und finanzpolitischen Bereich vertreten und außen- und sicherheitspolitisch in die Fußstapfen der reaktionären NeoCons treten, also die USA im Namen Gottes zur unangefochtenen Weltmacht machen wollen.
Rubios außenpolitische Positionen
Rubio selbst ist kubanischer Abstammung und zählt seit Beginn seiner politischen Karriere zum Kreis exilkubanischer Hardliner, die noch heute dem Batista-Regime nachweinen und die Revolution mit allen Mitteln rückgängig machen wollen. Doch nicht nur das – ganz im Sinne der Monroe-Doktrin sieht Rubio den gesamten amerikanischen Kontinent als Vorhof der USA an und während seiner politischen Tätigkeit war und ist Rubio auch aktiv daran beteiligt, in die Politik lateinamerikanischer Länder zu intervenieren. So gehört Marco Rubio zu den maßgeblichen Strippenziehern, die in Brasilien den rechtsextremen Politiker Jair Bolsonaro an die Macht brachten. Kolumbien und Bolivien zählen ebenfalls zu Rubios „Spielplatz“ und 2019 versuchte er sich als Regisseur beim geplanten Putsch gegen die Maduro-Regierung in Venezuela.
Der Putsch scheiterte, Bolsonaro ist mittlerweile wieder abgewählt, in Bolivien herrscht seit 2020 ein linker Präsident, selbst Mexiko wird seit eineinhalb Monaten von einer linken Präsidentin regiert. Es ist zu befürchten, dass Marco Rubio als US-Außenminister Lateinamerika, das während der Biden-Amtszeit keine hohe Priorität in der US-Politik hatte, wieder in den Fokus holt. Vor allem für Venezuela dürfte damit die Gefahr eines gewaltsamen Umsturzversuches oder gar eines Krieges deutlich steigen.
Aber auch für andere Gegenden der Welt steigt mit der Nominierung von Marco Rubio das Risiko. So ist Marco Rubio auch ein vorbehaltsloser Unterstützer der rechtsextremen israelischen Regierung. Im Oktober 2023 vertrat er in einem CNN-Interview gar die Position, Israel solle die Menschen in Gaza „ausrotten“ (sic!).
Jake Tapper (CNN): „Gibt es eine Möglichkeit für Israel, die Hamas zu zerstören, ohne dass es zu massiven Opfern unter den unschuldigen Menschen in Gaza kommt? Es leben ja rund zwei Millionen Menschen im Gaza-Streifen und die Hälfte davon sind Kinder.
Marco Rubio: „Ich glaube nicht, dass man von Israel erwarten kann, mit diesen Wilden zu koexistieren oder einen diplomatischen Ausweg zu finden. Das sind Leute, die absichtlich Mädchen im Teenageralter, Frauen, Kinder und ältere Menschen nicht nur vergewaltigen und ermorden, sondern auch ihre Leichen in den Straßen von Gaza abladen, wo die Menschenmenge ihre leblosen Körper schänden kann. Das sind einfach schreckliche Dinge, und ich glaube, wir kennen noch nicht das ganze Ausmaß davon. In den kommenden Tagen und Wochen werden wir noch mehr erfahren. Man kann mit ihnen nicht koexistieren. Sie müssen ausgerottet werden. Das wird unglaublich schmerzhaft sein. Es wird unglaublich schwierig sein, und der Preis, der dafür zu zahlen ist, wird entsetzlich sein. Aber noch entsetzlicher ist es, wenn man zulässt, dass eine Gruppe wie diese weiterhin von einem Raum aus operiert, den sie kontrolliert. Ich sehe keine andere Möglichkeit. Es ist eine schreckliche Option, aber es bleibt die einzige Option.“
Quelle: CNN
Auf Twitter gab Rubio den Israelis dann noch den Tipp, nun „UNVERHÄLTNISMÄßIG“ – ja, in Großbuchstaben – gegen Hamas und künftige Attacken jedes Feindes vorzugehen. „Unverhältnismäßige Angriffe“ sind übrigens laut der vierten Genfer Konvention ganz explizit Kriegsverbrechen.
Auch bei den „traditionellen US-Gegnern“ Iran, Nordkorea, Russland und China ist Marco Rubio voll auf Konfliktlinie. So gehörte Rubio zu den schärfsten Gegnern des unter Obama ausgehandelten Atomabkommens mit Iran und zu den maßgeblichen Unterstützern diverser Programme und Initiativen zur Stärkung „zivilgesellschaftlicher Kräfte“ in Taiwan und Hong Kong. Den russischen Präsidenten Putin bezeichnete Rubio als „Gangster und Verbrecher“.
Es ist schwer vorstellbar, dass ein Außenminister Rubio die Welt an welchem Ort auch immer zu einem sicheren Platz machen wird. Das Gegenteil dürfte der Fall sein. Rubio ist ein Falke, ein Ultra, ein Hardliner. Seine Ernennung ist ein klares Signal. Wer immer noch davon geträumt haben sollte, dass ein kommender US-Präsident Trump aus den militärischen Abenteuern und Verbrechen seiner Vorgänger Lehren gezogen hat und friedlicher als sie agiert, der dürfte bereits jetzt ausgeträumt haben. Wer den schlimmsten Falken aus der Voliere zum Außenminister macht, will keine Politik der Tauben betreiben.
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Titelbild: Crush Rush/shutterstock.com