Politische Elite Russlands ohne Illusionen über US-Präsident Trump

Politische Elite Russlands ohne Illusionen über US-Präsident Trump

Politische Elite Russlands ohne Illusionen über US-Präsident Trump

Gábor Stier
Ein Artikel von Gábor Stier

Russland ist zum Dialog mit dem neuen Präsidenten der USA bereit, wird aber keine Kompromisse bei seinen Sicherheitszielen in Bezug auf die Ukraine eingehen. In seiner Rede im Waldai-Klub gratulierte Russlands Präsident Wladimir Putin Donald Trump zu seiner Wahl und schlug ausgesprochen versöhnliche Töne an, aber der Ball liegt im US-amerikanischen Feld, wie der russische Präsident sagte. Der ungarische Auslandsjournalist und Gründungs-Chefredakteur des Fachportals Moszkvater Gábor Stier war vor Ort in Krasnaja Poljana und berichtete über das Treffen. Aus dem Ungarischen übersetzt von Éva Péli.

Wie der Rest der Welt warteten auch die Teilnehmer der Jahrestagung des Waldai-Klubs in Sotschi gespannt auf die Nachrichten aus den USA. Der eindeutige Sieg von Donald Trump sorgte für Überraschung, aber die Reaktionen waren im Wesentlichen nüchtern und zurückhaltend. Ähnlich reagiert Moskau. Es wartet ab, bereit für jegliche Verhandlungen, gibt sich aber keinen Illusionen hin. Die Besucher der Konferenz hörten Anfang November aus erster Hand die Einschätzung von Mitgliedern der politischen Elite Russlands – von Außenminister Sergej Lawrow, vom Vizepremierminister für Wirtschaft Alexander Nowak und dem stellvertretenden Leiter der Präsidialverwaltung Maxim Oreskin sowie natürlich von Wladimir Putin, der eine eindeutig positive Botschaft an den designierten US-Präsidenten richtete.

Präsident Putin hat wiederholt erklärt, er sei bereit, auf die Bitte des US-Präsidenten zu Gesprächen zu reagieren, sollte es dazu kommen. Später sagte Trump gegenüber dem US-amerikanischen Fernseh- und Radiosender NBC, dass sie noch nicht miteinander gesprochen hätten, er aber denke, dass sie es tun würden. Doch laut inoffiziellen Informationen soll Trump Putin bereits am 7. November angerufen haben. Putin hob beim Waldai-Treffen hervor, Trump habe sich bei dem Attentat auf ihn mutig verhalten. In solch scharfen Situationen zeigt sich, was für ein Mensch jemand ist, und er habe Trump dafür den größten Respekt zollt. Das war eindeutig eine positive Geste des russischen Präsidenten.

Er lobte ebenso die früheren republikanischen Präsidenten, darunter Bush senior und Bush junior. Putin machte deutlich, dass er für Verhandlungen offen sei und auf Trumps Anruf warte. Er begrüßte dessen Wunsch, die Krise in der Ukraine zu lösen, und – im Gegensatz zu seinem Vorgänger – seine Bereitschaft, mit Russland darüber zu verhandeln, mahnte aber zur Vorsicht bei Äußerungen während des Wahlkampfs. „Wir sind offen, aber wir wissen nicht, was passieren wird“, sagte er. Gleichzeitig machte der russische Präsident Donald Trump klar, dass die USA und alle nur gewinnen würden, wenn Washington seine Politik der doppelten Eindämmung gegen China und Russland aufgäbe.

Moskau hat Trump also deutlich gemacht, dass er, wenn er ernsthaft verhandeln will, den ersten Schritt machen muss, da sein Vorgänger sich geweigert hat, zu verhandeln. Der Kreml hielt es außerdem für nötig, gleich am nächsten Tag klarzustellen, dass seine Bereitschaft zu verhandeln nicht bedeute, er würde seine Sicherheitsforderungen aufgeben. Er verdeutlichte seine Position durch die Erhöhung des Einsatzes.

Gravierende Probleme in russisch-amerikanischen Beziehungen

In einem ähnlichen Tonfall äußerte sich Sergej Lawrow auf einer Pressekonferenz im Anschluss an seinen Dienstbesuch in Kasachstan. Der russische Außenminister betonte, dass Moskau zu einem offenen Dialog mit den Vereinigten Staaten bereit sei, wenn eine solche Initiative nach der Wiederwahl Trumps von Washington ausgehe. Es sei immer besser, zu reden als sich zu isolieren. Lawrow wies auch darauf hin, dass Russland die Beziehungen nicht abgebrochen habe und es nicht an Russland liege, sie wiederzubeleben. „Wenn es eine Initiative gibt, sich ohne einseitige Forderungen an einen Tisch zu setzen und offen darüber zu diskutieren, wo wir stehen und wie es weitergehen soll, werden wir reden“, sagte der Außenminister und bezeichnete die Probleme in den russisch-amerikanischen Beziehungen als gravierend.

Sein Stellvertreter Sergej Rjabkow schloss sich dem an und erklärte, Moskau sei bereit, Trumps Vorschläge anzuhören, eine Lösung sei jedoch nicht einfach. Zur Frage der strategischen Stabilität und der Rüstungskontrolle erklärte er, dass er derzeit keinen Grund sehe, den Dialog mit den USA zu diesem Thema zu erneuern. Wenn eingefrorene russische Vermögenswerte beschlagnahmt würden oder Washington die Spannungen mit der Ukraine verstärke, bestehe sogar die Gefahr eines Abbruchs der diplomatischen Beziehungen.

Während der Sieg Trumps die europäische Elite schockierte, nahm also Russland das Ergebnis mit einer gewissen Genugtuung, aber mit großer Zurückhaltung und ohne besondere Hoffnung auf. Es lohne sich nicht, darüber zu spekulieren, sagten die Besucher des diesjährigen Diskussionsklubs Waldai, denn in den Vereinigten Staaten von Amerika würden Entscheidungen nicht von Einzelpersonen, sondern von Teams getroffen, und Russland werde von Washington als Feind, als Rivale angesehen. Dies sei immer ein wesentlicher Faktor, der das Verhalten des Weißen Hauses bestimme. Moskau sollte sich daher auf sich selbst und darauf konzentrieren, dass Russlands wirtschaftliche Souveränität gestärkt werde.

Es ist nicht klar, ob die Rückkehr Trumps die intensive Phase des Krieges in der Ukraine einem Ende näherbringt. Aber sie könnte sie durchaus dem Beginn von Verhandlungen annähern, wenn die russischen Streitkräfte an der Frontlinie im derzeitigen Tempo weiter vorrücken und so das Minimalziel erreichen, zumindest die Kontrolle über den gesamten Donbass zu erlangen.

Die offizielle russische Position ist, dass die Vereinigten Staaten Russland ebenso wie China oder die BRICS-Staaten als Feind, als Konkurrenten sehen. Sie werden, wenn sie es können, niemandem erlauben, stärker zu sein als sie, und sie werden alles tun, um dies zu erreichen. Wie gesagt, Moskau ist zum Dialog bereit, erwartet aber von einem Präsidentenwechsel keinen Durchbruch. In Bezug auf China sind übrigens hochrangige russische Politiker der Meinung, dass Joe Bidens Haltung gegenüber Peking nicht positiver war, als es von Trump zu erwarten sei.

Moskau macht sich auch keine Illusionen über ein sofortiges Ende der intensiven Phase des Krieges in der Ukraine, wie Trump es ankündigte. Der Kreml hat in den letzten Jahren ein spürbares Misstrauen gegenüber dem Westen entwickelt, sodass er sich in dieser Hinsicht im Grunde selbst vertraut, aber zu Verhandlungen bereit ist, wenn die russischen Interessen berücksichtigt werden.

Bis dahin muss an der Front eine Situation erreicht werden, die Verhandlungen ermöglicht. Nach Ansicht der anwesenden Analysten wird dies einige Zeit dauern, wobei die optimistischsten Prognosen von mindestens einigen Monaten und die schlechtesten von mindestens einem Jahr ausgehen. Natürlich war auch die Rede davon, dass Trump die Ukraine Europa überlässt: die Aufrechterhaltung des Staates und die weitere Finanzierung des Krieges. Ein Politiker kommentierte bitter, dass Europa diese sogenannte Bestrafung durchaus verdient habe.

Verhandlungsbereiter Kreml

Und warum Moskau sich bei möglichen Verhandlungen zurückhält, erklärt sich aus der langen Liste von Schritten, die in den letzten zehn Jahren unternommen wurden, um das Vertrauen zu verlieren. Hört man sich die russische Argumentation an, so kann man sicher sein, dass der Kreml hart verhandeln und alles daransetzen wird, eine Situation zu schaffen, in der er beginnen kann, über ein sinnvolles Ende der intensiven Phase des Krieges zu verhandeln. Das sehen wir an den Fronten, aber noch spricht niemand von Frieden, sondern nur von einem Waffenstillstand und dem Beginn von Verhandlungen.

Wann? Darüber sind sich die Analysten uneinig, wie bereits erwähnt wurde. Relativ einig sind sie jedoch darin, dass Trumps Erfolg die Flammen des Krieges eher zum Erlöschen bringen könnte, weil sich die USA unter seiner Führung wieder nach innen wenden und sich logischerweise bevorzugt auf China und den Nahen Osten konzentrieren werden. Das bedeutet noch lange nicht, dass der Konflikt in der Ukraine schnell beendet werden kann – schon allein deshalb, weil Kiew noch nicht bereit ist, die Konsequenzen einer Niederlage zu tragen.

Ein angesehener russischer Analyst hat Wolodymyr Selenskyj sogar einen Tipp zum Austritt gegeben. An seiner Stelle würde er sich – so seltsam es nach der Kommunikation der letzten Monate auch erscheinen mag – als Präsident des Friedens verkaufen und die Ukrainer bald in einem Referendum mit Präsidentschaftswahlen nach ihrer Meinung über die mögliche Beendigung des Krieges fragen. Das bedeutet auch nicht, dass Washington die Ukraine vollständig loslassen und die Finanzierung des Konflikts Europa überlassen wird. Es ist auch nicht klar, ob Moskau das Angebot Trumps annehmen würde, zu verhandeln ist es jedenfalls bereit. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der jüngst durchgesickerten US-Pläne für die Regelung des Konflikts, die in vielerlei Hinsicht den grundlegenden Interessen Moskaus widersprechen.

Deutung der Wahlergebnisse

Die US-Wahlen standen natürlich auch im Mittelpunkt der Waldai-Diskussionen. Alle waren sich einig darin, dass das Ergebnis für die engsten Verbündeten der USA schockierend war, dass sich aber für die US-Rivalen nichts Wesentliches geändert hat.

Viele kommentierten und gratulierten sogar, dass es für Trumps größten Unterstützer in Europa, Viktor Orbán, gut gelaufen sei und dieses Ergebnis auch den europäischen Souveränisten Auftrieb geben könnte. Die Meinungen darüber, wie fatal diese Situation für Europa sei, gingen auseinander. Einige sagen, die EU habe mit einer Führungskrise zu kämpfen, sodass der Mainstream, der auf Harris’ Kandidatur gehofft hatte, jetzt verständlicherweise nervös ist. Aber Europa ist deswegen noch nicht verloren.

Andere sehen es als weiteren Schlag für ein durch Covid und dann durch den Krieg gebeuteltes Europa, dass sich Trumps Amerika teilweise von ihm zurückzieht und sich den „Schutzschirm“ bezahlen lässt. Es gibt auch die Ansicht, dass dieser Wandel und die Abkehr der USA eher eine Chance für Europa seien. So werde der in seinem Wohlstand, seinem billigen Geld und seiner Vasallenrolle bequem gewordene Mainstream gezwungen sein, gegen seinen Willen Schritte zur Stärkung der strategischen Autonomie zu unternehmen – ganz zu schweigen davon, dass dieses Ergebnis die Politik der europäischen Konservativen rechtfertigt und ihren Einfluss stärkt.

Es bestand auch ein grundsätzlicher Konsens darüber, dass Trumps Sieg als eine Neubewertung der globalen Rolle der USA, als Zeichen der Niederlage des Globalismus, der „Deideologisierung“ und des globalen Aufstiegs des Nationalismus gesehen werden kann. Ebenso wie über die Tatsache, dass die Mehrheit der US-Amerikaner nicht auf der Grundlage globaler Erwägungen, einer Politik des imperialen Expansionismus unter dem Banner der Verteidiger der Demokratie, sondern auf der Grundlage ihrer eigenen Interessen gewählt hat – eine gesunde Reaktion auf die Wut des überhitzten Globalismus.

Natürlich gab es auch Meinungen – vergessen wir nicht, dass Menschen aus der ganzen Welt anwesend waren, auch aus Europa –, wonach das, was geschehen ist, keineswegs ein Zeichen von Normalität ist, sondern eher von Abnormalität, eine Rückkehr zum altmodischen Konservatismus, was eine Hinwendung nach innen bedeutet. Einige merkten auch an, dass sein sicherer als erwarteter Erfolg Trump zu einem starken Präsidenten machen würde, während Harris besser zu handhaben gewesen wäre, da sie vermutlich auch mit einer republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus hätte kämpfen müssen. Im Gegensatz zu Trump, der jetzt sowohl den Kongress als auch den Senat hinter sich hat, hätte dies eine schwache Situation bedeutet – ganz zu schweigen davon, dass sie für die Konkurrenten der USA, einschließlich Russland, berechenbarer gewesen wäre.

Zweifellos erkennt Moskau, dass Trump bis zum Schluss für den US-Dollar eintreten wird, der die Hegemonie der USA und den Schutz und die Aufrechterhaltung der internationalen Institutionen in ihrem derzeitigen Zustand untermauert. Deshalb bauen die Russen weiter an der Alternative, indem sie die BRICS weiter stärken. Ebenso schließen Analysten nicht aus, dass Trump in der Außenpolitik in die Fußstapfen seines Vorgängers treten wird, da die US-Außenpolitik im Allgemeinen von globalen Veränderungen geprägt ist und daher am besten von außen angeregt wird. Nun, das könnte die weitere Stärkung des „Globalen Südens“ sein. Und vergessen wir nicht, dass die verbleibenden knapp drei Monate von Joseph Biden noch Überraschungen bereithalten könnten, die den Handlungsspielraum von Trump einengen könnten.

Titelbild: Shutterstock / UladzimirZuyeu

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