Bertelsmann Stiftung fordert mit einer absurden Logik mehr Selbstbeteiligung bei der Beanspruchung von Gesundheitsleistungen
Nach ihrem Selbstverständnis tritt die Stiftung auch im Gesundheitswesen für “Reformen hin zu mehr Eigenverantwortung“ [PDF – 124 KB] ein. Von dieser politischen Mission lässt sie sich auch nicht abbringen, obwohl in ihrer neuesten Befragung herauskommt, dass schon heute für drei Viertel der gesetzlichen Versicherten die Eigenleistungen zu hoch sind.
„Die Bertelsmann Stiftung engagiert sich in der Tradition ihres Gründers Reinhard Mohn für das Gemeinwohl. Fundament der Stiftungsarbeit ist die Überzeugung, dass Wettbewerb und bürgerschaftliches Engagement eine wesentliche Basis für gesellschaftlichen Fortschritt sind“. Sie versteht sich „als Förderin des gesellschaftlichen Wandels. Sie fühlt sich den Werten Freiheit, Wettbewerb, Solidarität und Menschlichkeit verpflichtet.“ Diese Mission kann man auf der Homepage der Stiftung nachlesen.
Was daraus für die Außenpolitik (etwa für die Förderung des Verhältnisses zu den USA), für die Demografiedebatte, für die Steuer-, Arbeitsmarkt-, Finanz-, Bildungs- oder Hochschulpolitik für Konzepte abgeleitet und der Politik nicht nur angeboten, sondern geradezu aufgenötigt werden, haben wir auf den NachDenkSeiten vielfach beschrieben und kritisiert. (Einen Überblick erhalten Sie, wenn sie in unsere Suchfunktion „Bertelsmann“ eingeben.)
Auch in der Gesundheitspolitik steht die Bertelsmann Stiftung für mehr Eigenverantwortung und zeigt eine deutliche Sympathie nicht nur für mehr Selbstbeteiligung, sondern auch für ein eher privatisiertes Krankenversicherungswesen.
Dazu führt die Stiftung seit dem Jahr 2001 regelmäßig „Gesundheitsmonitore“ durch, in denen bis heute über 12.000 Versicherte und 2.000 Ärzte zu über 150 gesundheitspolitisch relevanten Fragestellungen befragt wurden. Damit sei der Gesundheitsmonitor einer der größten Surveys dieser Art in Deutschland, rühmt sich Bertelsmann.
In ihrem neuesten „Gesundheitsmonitor“ kommt diese Befragung zu Ergebnissen, die, wenn man dem Willen und vor allem auch den finanziellen Möglichkeiten der Bürgerinnen und Bürgern folgen würde, jeder Reform im Gesundheitswesen hin zu (noch) mehr „Eigenverantwortung“ (sprich Selbstbeteiligung oder weniger solidarisch finanzierten Versicherungssystemen) eine glatte Absage erteilen müsste.
Aus diesem „Gesundheitsmonitor“ ergibt sich:
- dass „viele gesetzlich Krankenversicherte… Schwierigkeiten (haben), die Zuzahlungen für rezeptpflichtige Medikamente aufzubringen“,
- dass schon heute „für 76 Prozent der gesetzlich Versicherten der Gesamtbetrag der Zuzahlungen zu Medikamenten und medizinischen Dienstleistungen zu hoch“ ist,
- dass „85 Prozent der gesetzlich Versicherten auch bei einer erheblichen Senkung der Krankenkassen-Beiträge nicht bereit (sind), jährlich Krankheitskosten in Höhe von bis zu 500 Euro selbst zu übernehmen.“
- Dass „sich vermutlich ein großer Teil aufgrund der aktuellen Zuzahlungsbelastung gegen jegliche Modelle der Selbstbeteiligung entscheiden“ würde.
Die Befragung liefert auch die Gründe für die Haltung der gesetzlich Versicherten:
- „Der Gesundheitszustand der Versicherten (ist) laut Studie in der GKV schlechter … als der in der PKV: 22 Prozent der gesetzlich Versicherten beschreiben ihren Gesundheitszustand als weniger gut oder schlecht, 23 Prozent geben an, chronisch krank zu sein (9 und 12 Prozent in der PKV).“
- „GKV-Versicherte haben also nicht nur weniger finanziellen Spielraum, sie haben auch aus gesundheitlichen Gründen oft nicht die Möglichkeit, weniger Leistungen in Anspruch zu nehmen.“
Angesichts dieses Resümees wäre es eigentlich nahe liegend, zu erkennen, dass eine Ausweitung der Selbstbeteiligung oder Selbstbeteiligungstarife jedenfalls von der großen Mehrheit der gesetzlich Versicherten (das sind 72,6 Millionen Menschen oder 87 % der Bevölkerung) weder gewollt ist noch bezahlbar erscheint.
Ganz anders die Schlussfolgerung des „Gesundheitsmonitors“:
Nach Ansicht der Bertelsmann Stiftung sollte eine nachhaltige Gesundheitsreform sich bei der Ausweitung der finanziellen Anreize auf alle Versicherten konzentrieren.
Die Begründung wird auch gleich mitgeliefert:
Wenn eine neue Reform Selbstbeteiligungstarife „für alle GKV-Versicherten zulässt, würde sich vermutlich ein großer Teil aufgrund der aktuellen Zuzahlungsbelastung gegen jegliche Modelle der Selbstbeteiligung entscheiden.“ “Damit bliebe einem effektiven Instrument zur Steuerung der Leistungsinanspruchnahme die Breitenwirkung versagt”, meint Jan Böcken der Ansprechpartner der Stiftung für dieses Projekt.
Die verquere Reformlogik ist also: Wenn sich die gesetzlich Versicherten schon nicht mehr Selbstbeteiligung bei der Gesundheitsvorsorge leisten können, dann muss man eben solche „finanziellen Anreize“ (sprich Tarife, die zu mehr Selbstbeteiligung „anreizen“) per gesetzlichen Zwang auf alle Versicherten ausdehnen.
Schließlich sprechen sich ja auch nur 35 Prozent der Privatversicherten gegen eine größere Eigenbeteiligung aus. Und was der Mehrheit der privat Versicherten recht ist, kann ja für die gesetzlich Versicherten nur „billig“ sein.
Wieder einmal ein typisches Beispiel, mit welchen absurden Begründungen und mit welcher verqueren Logik in Deutschland „Reformen“ gefordert werden können, ohne dass sich dabei irgendjemand kranklacht.
Motto: Bist Du nicht willig oder kannst Du Dir die „Reform“ gar nicht erlauben, dann musst Du eben zu dieser „Reform“ gezwungen werden. Hauptsache Bertelsmann hält diese „Reform“ für „zukunftsfähig“.