Die drei Ebenen des inszenierten Ampelbruchs

Die drei Ebenen des inszenierten Ampelbruchs

Die drei Ebenen des inszenierten Ampelbruchs

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Die Ampel ist tot und es wird viel geschrieben und erzählt. Mal geht es um einen tapferen Christian Lindner, der vom bösen Kanzler gedrängt wurde, seinen Amtseid zu brechen. Andere Erzählungen drehen sich um einen heroischen Kanzler Scholz, der Deutschlands Ukrainehilfen vor dem gnadenlosen roten Bleistift eines herzlosen Finanzministers retten wollte. Streng genommen sind alle diese Geschichten unzutreffend und oft hart an der Grenze des Blödsinns. Versuchen wir doch einmal, uns dem Ampelbruch auf verschiedenen Ebenen zu nähern und den Nebel zu lichten. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Ebene 1 – eine zerrüttete dysfunktionale Ehe ohne Zukunft

Alles, was in den letzten Wochen in Berlin passierte, geschah nicht im luftleeren Raum. Man sollte nie vergessen, dass die Ampel nie eine Liebesheirat war. Wer gnädig mit den Akteuren ist, wird sagen, sie hätten sich nach den Wahlen 2021 für unser Land aufgeopfert – das damals schon recht starke Abschneiden der AfD habe halt außer der GroKo, der Ampel und Jamaika keine Alternative zur Regierungsbildung eröffnet. Von der GroKo wollte damals nach zwei GroKo-Perioden niemand mehr etwas wissen und Jamaika wäre eine Koalition ohne den „Wahlsieger“ SPD gewesen. Wer weniger gnädig ist, wird sagen, die Gier nach Macht schweißte die drei so verschiedenen Parteien zusammen.

Wie dem auch sei, es kam nun zur Ampel; einem Bündnis aus drei Parteien, bei dem von vornherein klar war, dass es, wenn auch keine unüberwindbaren inhaltlichen Differenzen, so doch Probleme bei der Außendarstellung geben würde. Hätte es Erfolge gegeben, die nach außen hin hätten präsentiert werden können, wäre dies vielleicht lösbar gewesen. Doch es gab vor allem Misserfolge, es kam zu Streitereien und schlechten Umfragewerten; vor allem Letzteres ist bekanntlich Gift für politische Parteien.

Hätte die Ampel durchgehalten, hätte es im Herbst nächsten Jahres reguläre Wahlen gegeben und alle drei Ampelparteien wären unter denkbar schlechten Vorzeichen in den Wahlkampf gegangen – für die FDP geht es mit derzeit drei bis vier Prozent in den Umfragen mal wieder ums Überleben, aber auch die Grünen sind mit rund 11 Prozent und die SPD mit rund 16 Prozent meilenweit von ihrem eigenen Anspruch entfernt. Natürlich hätte man diese Werte auch aus der Ampel heraus im Wahlkampf verbessern können. Aber was will man noch in einer komplett zerrütteten dysfunktionalen Ehe, wenn man ohnehin innerlich bereits die Scheidung vollzogen hat und die Zukunft mit einem anderen Partner plant? Sowohl die SPD als auch die FDP, mit ihren Vertretern Scholz und Lindner als Hauptdarsteller in diesem Drama, hatten kein Interesse an einer Fortführung der Ampel. Und wenn man eine Partnerschaft beenden will, reicht bekanntlich oft eine Kleinigkeit oder ein Funke. Und davon gab es in den letzten Wochen wahrlich genug.

Ebene 2 – eine Regierung ohne Haushalt

Ehen sind immer ein Kompromiss. Bei guten Ehen merkt man dies vielleicht noch nicht einmal, bei problematischen Ehen müssen sich beide Seiten größte Mühe geben, eigene Wünsche zurückfahren und stattdessen immer wieder auch dann auf den Partner eingehen, wenn man ihm eigentlich viel lieber den Hals umdrehen würde. Die politische Dreierehe zwischen SPD, Grünen und FDP war nicht nur in dieser Hinsicht besonders problematisch. Aber man raufte sich immer wieder zusammen. Alle drei Parteien gaben eigene politische Wünsche auf und fanden – wenn auch über die Zeit immer schwerer – am Ende zu Kompromissen.

Dann kam der Herbst 2024 – noch immer hat die Ampel keine Einigung für den kommenden Haushalt für das Jahr 2025. Dieser Haushalt hat ein Volumen von rund 480 Milliarden Euro, von denen, selbst ohne neue Projekte, die vor allem SPD und Grüne eigentlich noch umsetzen wollen, bereits rund zehn Milliarden Euro nicht durch erwartbare Einnahmen gedeckt sind. In guten, alten Zeiten hätte man ganz einfach zehn Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen und die Sache wäre erledigt. Seit Einführung der Schuldenbremse ist das jedoch so einfach nicht mehr möglich. Nach einem Spruch des Bundesverfassungsgerichts muss schon eine Notlage vorliegen und die muss zuvor vom Bundesfinanzminister erklärt werden.

In den letzten Wochen hat es unzählige Sitzungen zwischen den Ampelpartnern gegeben. Man feilte hier, man feilte dort, jede Seite schluckte ihre Kröten und am Ende hatte man zumindest ein paar tragfähige Ansätze, den kommenden Haushalt irgendwie hinzubekommen. Als tragische Figur dürfte hier der grüne Wirtschaftsminister Habeck gelten, dessen Ministerium ein wenig an der „Budgetsemielastizität“ schrauben wollte – diesen Begriff können sie übrigens gleich wieder vergessen – und mit Tricksereien und den wegfallenden Intel-Milliarden den Haushalt auch ohne Bruch der Schuldenbremse irgendwie zumindest auf dem Papier hinbekommen wollte. In normalen Zeiten hätten Scholz und Lindner dem Kollegen zu diesem halbseidenen Taschenspielertrick sicher gratuliert. Doch im November 2024 ist nichts normal. Da sowohl Scholz als auch Lindner die Ampel lieber krachend scheitern lassen wollten, vergaßen sie schnell die Zwischenergebnisse der ampelinternen Verhandlungen und kamen ihrerseits mit neuen Maximalforderungen.

Ebene 3 – Ukrainehilfen und ein Finanzminister mit einem Papier

Den Auftakt machte nun Finanzminister Lindner. So als habe er noch nie in seinem Leben mit Scholz und Habeck zu tun gehabt, präsentierte er ihnen am letzten Freitag ein Papier mit dem schönen Namen „Wirtschaftswende Deutschland“. Dieses Papier, das vom Inhalt her auch einem neoliberalen Lehrbuch entnommen sein könnte, solle nun die Grundlage der kommenden Verhandlungen zum Haushalt sein; eine seltsame Grundlage, die sowohl grüne Projekte, wie die Energiewende, als auch SPD-Projekte, wie die anstehende Rentenreform, mal kurzerhand abschaffen sollte. Als kleine Anekdote am Rande: In seinem „Sparpapier“ schlägt Lindner tatsächlich massive Kürzungen der Unternehmenssteuern vor, dafür würde er dann sicher sogar die Schuldenbremse lockern.

Wie dem auch sei – das Papier ist als nichts anderes als ein ausgestreckter Mittelfinger zu bewerten, mit dem der Noch-Finanzminister Lindner seinen Noch-Partnern Scholz und Habeck nun offen ein herzhaftes „Fuck You!“ mit auf den Weg gibt.

Ob für Scholz erst dieses Papier die Scheidungserklärung war oder ob er seine mittlerweile berühmte Teleprompter-Rede schon vorher hat schreiben lassen, ist nicht bekannt. Fest steht, dass Scholz nun ein Exit-Szenario aufbaute, bei dem er und die SPD möglichst gut wegkommen sollten. Und mit was kommt man bei der derzeitigen geistigen Verfasstheit der Berliner Blase gut weg? Richtig, indem man sich als selbstloser Helfer der Ukraine inszeniert.

Aber von vorne: Im aktuellen Haushaltsentwurf fehlen (s.o.) zehn Milliarden Euro; davon sind drei Milliarden Euro als „Hilfen“ für die Ukraine gedacht – das waren sie übrigens schon vorm finalen Ampelstreit. Scholz’ Idee war es nun, die Entscheidung über die Aussetzung der Schuldenbremse von diesen Ukrainehilfen abhängig zu machen, doch drei Milliarden Euro sind dafür zu wenig. Also sammelte man im Kanzleramt alle Rechnungsposten, die irgendwas mit der Ukraine zu tun haben, zusammen und kam dann inkl. Geldern aus allen möglichen Budgets (z.B. Waffenlieferungen, Kosten für Flüchtlinge usw.) auf rund zwanzig Milliarden Euro. Dieser Sonderposten sei – so Scholz – die direkte Konsequenz des russischen Einmarsches in die Ukraine und somit Grund für eine Haushaltsnotlage, die wiederum eine Ausnahme von der Schuldenbremse rechtlich rechtfertigt. Man achte auf den Unterschied zwischen zehn und zwanzig Milliarden Euro. Hätte Lindner Scholz’ Wunsch entsprochen, wäre nicht nur das 10-Milliarden-Euro-Haushaltsloch wie magisch weggewesen; die Ampel hätte sogar noch auf Pump weitere zehn Milliarden Euro zur freien Verfügung für den Haushalt bekommen. Das wiederum war Scholz’ Mittelfinger in Richtung Lindner.

Dabei war Scholz’ Plan noch nicht einmal dumm und wahrscheinlich hätte er sogar vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand gehabt, das der Politik weitreichende Freiräume bei der Gestaltung und Begründung der „Haushaltsnotlage“ einräumt. Christian Lindner fand das alles aber überhaupt nicht witzig und behauptete nun – fern jeglicher Grundlage –, Scholz würde ihn zwingen, seinen Amtseid zu brechen. Selbstverständlich hat Lindner geschworen, das Gesetz zu achten, aber genau dieses Gesetz lässt ja ausdrücklich eine begründete Notlage als Bedingung, um die Schuldenbremse auszusetzen, zu. Aber wahrscheinlich sollte man Lindners „Mimimi“ ohnehin nicht so ernst nehmen, ist er doch eher Darsteller in einem geskripteten Theaterstück.

So kam es zum Szenario, das beide Protagonisten ja eigentlich herbeigesehnt haben; nur die Geschichten, die rund um dieses Szenario gedichtet wurden, passten vor allem einem der Beteiligten plötzlich nicht mehr. Christian Lindner war nämlich nun nicht mehr der edle Recke, der die Jungfräulichkeit der Schuldenbremse vor den Begehrlichkeiten roter und grüner Banditen verteidigte, sondern der dunkle Lord, der die armen Ukrainer im spätherbstlichen russischen Regen stehen lässt – wenn das Marie-Agnes Strack-Zimmermann erstmal mitbekommt, gibt’s sicher Ärger.

Olaf Scholz hat sich bei diesem Theaterstück eigentlich recht gut verkauft. Zum ersten Mal überhaupt wirkt er wie ein Macher und nicht wie ein Getriebener; nur ob sein gespieltes Engagement für die Ukraine beim Wähler so gut ankommt, mag dahingestellt sein. Aber bis zu den Neuwahlen fließt ja noch viel Wasser die Spree hinunter und der Wähler ist ein äußerst vergessliches Wesen.

Auch wenn einige Kommentatoren nun die Schockierten spielen, sind eigentlich alle Beteiligten froh. FDP und SPD können ohne den Ampelballast in den Wahlkampf gehen, die CDU wähnt sich der Kanzlerschaft ein paar Monate näher und ohnehin wollen ja alle anderen mit ihr koalieren. AfD und BSW können nun ihre Umfrageergebnisse schneller in Sitze umwandeln und Robert Habeck träumt nun davon, Kanzler zu werden – zumindest dieser Teil der Erzählung ist dann doch ziemlich absurd.

Titelbild: Juergen Nowak/shutterstock.com