Ästhetik und Propaganda der Militarisierung

Ästhetik und Propaganda der Militarisierung

Ästhetik und Propaganda der Militarisierung

Ein Artikel von Bernhard Trautvetter

Mit emotionalen Rührstücken oder mithilfe neuer Werkzeuge der Künstlichen Intelligenz: Die Angriffe der Militaristen auf das Denken der Bürger werden immer mehr verfeinert. Von Bernhard Trautvetter.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die größte Zeitung des Ruhrgebiets, die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ), stellte am 27. Oktober 2024 eine Kampfpilotin mit gewinnenden Fotos vor. Die Fotos dienen zur Illustration eines Textes, der mit einigen privaten Details der Soldatin besonders geeignet ist, das Herz von Lesern zu berühren. Während sie ihren Jet im Cockpit steuert, überlegt sie sich auch schon mal solch alltägliche Fragen wie die, was sie fürs Abendessen bereiten wird. Sie hat nach Tausenden Flugstunden in Überschall-Kampfbombern ein Buch geschrieben, sie will Vorbild sein, sie hat auch Erfahrung als Rettungspilotin. Zitat aus dem Artikel:

„… »Ich halte Vorträge. Das klingt bodenständiger.« In den Vorträgen geht es darum, wie man Menschen anleitet und Krisen bewältigt. Sie sei da »irgendwie so reingestolpert«, erinnert sie sich: »,Erzähl doch mal‘, haben die Leute immer wieder gesagt.« Und Nicola hat erzählt. Weil sie gut erzählen kann. Unterhaltsam und anschaulich, zugleich überaus kompetent. … sie weiß, wovon sie spricht. Führung, Teambildung und Krisenmanagement, das alles hat die Mutter einer kleinen Tochter beim Militär gelernt …

Zeitungsberichte wie dieser öffnen in der Leserschaft Herzen von Menschen auch dann, wenn sie dem Militär vielleicht eher kritisch gegenüberstehen. Und darum geht es. Die NATO hat 2015 die damit verbundene Strategie der Einflussnahme auf die öffentliche Meinung in einer Essener Konferenz ihres Centre of Excellence ‘Joint Air Power Competence Centre’ unter dem Titel „Strategic Communication” systematisch ausgearbeitet. Kurz danach eröffnete sie in Riga ein ‘Strategic Communication Centre of Excellence’. Die Essener Konferenz war dafür sicherlich eine perfekte Vorbereitung, wie ihre Unterlagen nahelegen.

Die Einstellung der Bevölkerung Deutschlands gegenüber dem Militär hat sich in den letzten Jahren radikal zugunsten der NATO und der Bundeswehr gewandelt. Ein aussagekräftiger Indikator ist die Unterstützung für den Militäretat im Bundeshaushalt: 2010 waren nach einer Bundeswehr-Umfrage 21 Prozent der Befragten für seine Aufstockung, wobei der damalige Militäretat circa die Hälfte des heutigen umfasste. Zehn Jahre später, also zwei Jahre vor der Invasion Russlands in die Ukraine, hatte sich diese Zahl verdoppelt.

Ein Grund für eine grundsätzliche Offenheit für das Militärische im Alltagsbewusstsein vieler Menschen, die die Nachrichten immer mehr aufnehmend und weniger kritisch konsumieren, liegt in der Sprache: Worte wie ‘Sicherheitspolitik’, ‘Verteidigungsausgaben’, ‘Wehr-Etat’, ‘Abschreckung’, ‘Allianz’ und ‘nuklearer Schutzschirm’ sowie ‘nukleare Teilhabe’ machen es leichter, die Gehirnschranke gegen Einflüsse, die das Überleben gefährden können, doch zu überwinden. Ist diese Brandmauer des Überlebensinstinkts erst einmal durchdrungen, dann kann das wie ein Dammbruch weitere zerstörende Narrative leichter durchlassen, bis der davon erfasste Mensch vielleicht sogar zum Akteur der Vernichtungsmaschinerie wird. Ist jemand beruflich mit dem Militär verbunden, dann gilt oft auch diese Erkenntnis des Kritikers Upton Sinclair:

Es ist schwierig, jemanden dazu zu bewegen, etwas zu verstehen, wenn sein Gehalt davon abhängt, dass er es nicht versteht.“

Erfolgsrezept der Militärs

Die Essener militärstrategische Konferenz des NATO-Think-Tanks JAPCC aus Kalkar am Niederrhein zum Thema ‘Strategische Kommunikation’ (StratCom) lud mit der Formulierung ein, es gäbe Einheiten („entities“), die der NATO gegenüber feindlich eingestellt seien („… hostile to NATO“), die die Vorbehalte der Bevölkerung gegenüber ‘Operationen‘ der Militärs erfolgreich schüren. Wie dem von Seiten der NATO aus entgegengearbeitet werden kann, darum ging es in dieser Konferenz. Dieses Einladungsschreiben ist nicht mehr im Netz. Im Vorbereitungsmanuskript für die Tagung hieß es:

Wie Deutschland hatte Italien eine sehr starke anti-NATO- und anti-Militär-Bewegung in den 1980er Jahren; viele der verbliebenen Linken behielten ihre Feindschaft gegen die NATO bei. Wie in Deutschland ist der Status der Streitkräfte in den Augen der Gesellschaft nicht hoch.“ (S. 35 – Übersetzung aus dem Englischen: B.T.)

Das zu ändern, war das Anliegen der Militärs. Heute geht es ihnen mehr darum, die zu ihren Gunsten gedrehte Stimmung zu stabilisieren. Das Programm der Einstellungsumkehr weg vom Friedensgebot des Grundgesetzes hin zur Kriegstüchtigkeit ist das der Strategischen Kommunikation: Das ‘Proceedings‘ genannte Ergebnisdokument beinhaltete die Empfehlung, dass sich Botschaften leichter in Form von Geschichten vermitteln lassen; die Kraft des ‘Geschichten-Erzählens’ wirke nachhaltiger „mit einer menschlichen Dimension“ (S. 20). Die Wirksamkeit ließe sich noch steigern, wenn man junge Menschen die Botschaften der Militärs verbreiten lässt. (S. 21 – Übersetzung der Inhalte aus dem Englischen: B.T.)

Strategische Kommunikation hat einen oft verborgenen Hintergedanken: Wer sie nutzt, filtert Informationen und sagt nur das, was ihm nach eigenem Eindruck am meisten nützt, möglichst ohne dass das Gegenüber die Absicht und die gefilterte Wortwahl erkennt. Strategische Kommunikation ist instrumentell, sie reduziert die Empfänger von Nachrichten auf ein Mittel zum Erfüllen eines ihnen zunächst fremden Zwecks – eines Zwecks, bei dem derjenige, der Mitteilungen äußert, die Erwartung hat, sie nützen ihm, ohne dass das Gegenüber merkt, was hier geschieht und warum. Wir kennen das von der Werbesprache, die Konsumenten mit sympathisch verpackten Verheißungen lockt, etwas zu tun, das primär dem Werbung Betreibenden Gewinn bringt. Man kann hier vom ‚liebenswürdigen Schein‘ sprechen, der für den Auftraggeber wichtiger ist als das faktische Sein.

Das englischsprachige Vorbereitungsskript der Tagung umfasste folgende Punkte zum Thema ‘Strategic Communication’, die sich in prägnanten Aussagen systematisieren lassen:

  • Medien erzählen Geschichten, wohingegen das Militär den Krieg gewinnen will … (S. 3)
  • Während die Öffentlichkeit in Nordamerika und Großbritannien Militäroperationen der NATO weitgehend unterstützend gegenübersteht, ist das in Deutschland und Italien anders (S. 4), schon deshalb müsse die ‘Strategische Kommunikation’ der NATO die Narrative ihrer Gegner offensiv in Frage stellen (S. 6) (Anmerkung: Das ist den Strategen besonders wichtig, denn:)
  • Trotz des von ihnen konstatierten Bedrohungsumfelds … haben nur wenige NATO-Staaten den Willen, erhebliche Summen fürs Militär auszugeben, wie die Strategen beklagen. (S. 7) – Das wollen die Strategen mit ihrer Kommunikation ändern.
  • Seit dem Beginn der Krise in der Ukraine hat Russland eine aggressive Informationskampagne entwickelt. (S. 8) (Kommentar dazu: Die doppelten Standards und Halbwahrheiten der NATO-Lobby machen z.B. den Pro-NATO-Staatsstreich in Kiew Anfang 2014 vergessen und unterstellen, nur Russland verletze die Rechts- und Friedensordnung. Das ARD-Politmagazin Panorama nennt den Staatsstreich „Putsch“: Beide Begriffe treffen die Bedeutung einer verfassungswidrigen Absetzung einer Regierung, ehe eine neue installiert wird. Die Friedensbewegung ist gegen die Zerstörung des Rechts und des Friedens – auf allen Seiten, wo auch immer es dazu kommt.)
  • Die russische Propaganda – so das Vorbereitungsskript der StratCom-Tagung 2015 – wirft der NATO (…) vor, (…) die NATO sei eine Bedrohung für Russland und habe eine Mentalität des Kalten Krieges; Russland leite für sich daraus das Recht ab, sich der von der NATO unterstützten Infrastruktur auf dem Territorium von NATO-Mitgliedsstaaten in Mittel- und Osteuropa zu ‚widersetzen‘. (S. 9) (Kommentar dazu: Die Desinformation der NATO und ihrer Lobby blendet die Tatsache aus, dass die NATO-Ostexpansion nicht nur die Versicherungen mindestens des bundesdeutschen und des US-Außenministers an den sowjetischen Präsidenten Gorbatschow bricht, dies nicht („not an inch…!“) zu tun, als er der Einheit der beiden deutschen Staaten zustimmte, sondern dass sie auch mit rechtsverbindlichen Texten wie dem Zwei-plus-Vier-Vertrag zum Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes und der OSZE-Charta von Paris bricht. Diese Texte verlangen eine Friedensordnung gemeinsamer weil gegenseitiger Sicherheit und nicht eine Militärordnung entsprechend der irrationalen ‚Logik‘ der Abschreckung.

Kommunikationsüberlegenheit sei – so das Vorbereitungsskript der Konferenz – eine Voraussetzung für den Erfolg in der „irregulären Kriegsführung“. „Wir“ – hier also die NATO – „haben den Willen unserer Bevölkerung zu stärken und den der gegnerischen zu schwächen, und wir haben darauf hinzuwirken, Unterstützung von Völkern rund um den Globus zu gewinnen“ (S. 15). (Kommentar: Mit ‚Willen‘ meinen die Militärs ‚Kriegsbereitschaft‘. Zum „irregulären Krieg“: Jeder Krieg ist als Abweichung von den Regeln eines humanen Zusammenlebens irregulär. Hier merken die Militärs, dass das, was sie tun, irregulär ist. Und das beginnt bei der Meinungsmanipulation durch Halbwahrheiten und doppelte Standards.

Besonders perfide wird die ‘Strategische Kommunikation’, wenn die Propaganda der Militärs und ihrer Lobby die Menschen bewusst zur Kriegsbereitschaft manipuliert: Das Vorbereitungsskript der Konferenz kritisiert auf Seite 44 die US-Regierung von George W. Bush dafür, dass sie den Irak-Krieg mit der unzutreffenden Behauptung legitimiert hatte, die Regierung des Landes habe Massenvernichtungswaffen. Schlussfolgerung der Strategen: Hätte die US-Administration doch mehr auf die Grausamkeit des Staatspräsidenten Hussein abgehoben, dann wäre die Unterstützung in der Weltöffentlichkeit weit größer ausgefallen. Dass der Krieg ein unprovozierter und schon dadurch völkerrechtswidriger Angriffskrieg war, spielt für die Kommunikationsstrategen der NATO keine Rolle, er ist nur falsch verkauft worden.

Um solche und andere Kommunikations-„Fehler“ der Militärs von vornherein abzuwenden, gibt es aktuell ganz neue neue Mittel, und zwar die der KI: Das Rigaer ‘StratCom’-Centre der NATO integriert die Künstliche Intelligenz in seine Kommunikationsmethode zur Steuerung der Meinungsentwicklung:

Derzeit haben wir mit Zielgruppen und Akteuren, den InfoRange entwickelt – eine künstliche Informationsumgebung, die wie eine reale Umgebung aussieht, in der Akteure mit Hilfe von KI gesteuert werden. Dies ermöglicht das Training effektiver StratCom-Kampagnen, defensiver und offensiver Operationen in einer scheinbaren Echtzeitumgebung, um unsere gemeinsamen strategischen Kommunikationsfähigkeiten … zu verbessern“, sagt Jānis Sārts, Direktor des NATO-Exzellenzzentrums für strategische Kommunikation. Es geht den Militärs um „die Möglichkeit, generative künstliche Intelligenz … für die Planung von Übungen als auch für die Anwendung beim Publikum einzusetzen.

Dafür kooperieren sie „mit Vorreitern aus der Privatwirtschaft“. Das KI-Projekt zielt den Militärs zufolge auf öffentliche Diplomatie, zivile und militärische Angelegenheiten, ‘Information … und Psychological Operations’. Die „InfoRange wird in die jährliche Echtzeit-Netzverteidigungsübung Locked Shields integriert …“ An ihr sind über 4.000 Teilnehmer aus 40 Nationen beteiligt.

Die NATO wird ganz offensichtlich durch den qualitativen Sprung, den die KI der Informationsverarbeitung verkörpert, ihre Manipulationsmethoden in ihrem Sinn weiter verfeinern und perfektionieren.

Die Schlussfolgerung für die Menschen, die sich nicht vereinnahmen lassen wollen, die menschliche Kommunikation und menschliches Zusammenleben praktizieren wollen, die also einen Beitrag leisten wollen für ein Überleben des Menschen als Mensch, diese Schlussfolgerung aus der Analyse der Strategischen Kommunikation ist ganz im Sinne des 1784 geschriebenen Textes von Immanuel Kant:

Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!

Titelbild: Andrey_Popov/shutterstock.com