Die derzeitige bröckelnde Weltordnung ist veraltet, ihre Institutionen sind leer, sie dienen nur der Aufrechterhaltung der Hegemonie des Westens – und der nichtwestliche Teil der Welt akzeptiert dies nicht mehr. Er fordert Gleichberechtigung und ein Mitspracherecht bei der Gestaltung des Weltgeschehens. Auf der 21. Jahreskonferenz des Diskussionsklubs Waldai Anfang November im Süden Russlands sagten die Redner, sie würden auch die modernen Formen des Kolonialismus ablehnen. Sie seien doch die globale Mehrheit, mit deren Potenzial jetzt gerechnet werden müsse. Der ungarische Auslandsjournalist und Gründungs-Chefredakteur des Fachportals Moszkvater, Gábor Stier, ist vor Ort und berichtet über das Treffen. Aus dem Ungarischen übersetzt von Éva Péli.
Anlässlich seines 20-jährigen Bestehens haben sich die Mitglieder des Waldai-Klubs zum 21. Mal getroffen, um ihre Gedanken über den Wandel der Weltordnung auszutauschen. In einer zu dem internationalen Treffen vorbereiteten Studie geht es vor allem um die Frage, wie eine stabile Weltordnung erreicht werden kann. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass sich die Welt auf eine polyzentrische Ordnung zubewegt, sie jedoch nicht auseinanderfällt, sondern ihre Einheit bewahrt. Daher müssen die Herausforderungen auch gemeinsam angegangen werden.
Der Westen kann nicht mehr bestimmen, in welche Richtung die Welt gehen soll. Die sogenannte globale Mehrheit, der Globale Süden, akzeptiert diesen Ansatz nicht mehr. Sie bittet nicht um ein Mitspracherecht in den Angelegenheiten der Welt – sie fordert es.
140 Experten und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus 50 Ländern kamen zusammen an der vertrauten Basis des Waldai-Klubs, dem Hotel Poljana 1389 im Gebirgsdorf Krasnaja Poljana oberhalb von Sotschi. Die Konferenz ist ein Versuch, zu zeigen, wie der „Globale Süden“ über das Weltgeschehen denkt. Es wird ebenfalls gezeigt, welche Lösungen er für die Herausforderungen bietet, vor denen wir stehen. Dementsprechend dominieren auf der Konferenz die Vertreter des Globalen Südens – genau wie im Leben, wie die Organisatoren anmerkten.
Dieses Verhältnis hat sich nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine sichtbar verändert, hauptsächlich Vertreter des westlichen Blocks sind weggeblieben. Nicht nur die Veränderungen in der Welt beschleunigten diesen Prozess, sondern auch die Abkehr der westlichen Welt von Russland. Der Westen will Russland eine strategische Niederlage zufügen, scheint aber gleichzeitig die Haltung der Sowjetunion gegenüber der „imperialistischen Welt“ zu kopieren und interessiert sich nicht einmal dafür, wie sein dämonisierter Feind denkt. In einigen Ländern ist es sogar verboten, neugierig zu sein. Nicht nur, indem sie russische Medien nach sowjetischer Art blockieren, sondern auch Analysten sollten Angst haben, wenn sie einen Fuß auf russischen Boden setzen.
Die Mehrheit der Welt fordert mehr Respekt
Diese realitätsfremde Mentalität, die auf die nichtwestliche Hälfte der Welt herabblickt und die sich verändernden Machtverhältnisse nicht wahrnimmt, wird von Russland nicht akzeptiert. Und Moskau wird in dieser Hinsicht vom sogenannten Globalen Süden inbrünstig unterstützt.
Wie die Redner auf der Konferenz immer wieder betonen, ist das westliche Entwicklungsmodell erschöpft, die Autorität des Westens ist geschmolzen, seine moralische Überlegenheit ist nicht mehr gerechtfertigt und er ist nicht in der Lage, der Welt eine neue Idee anzubieten. Der Neokolonialismus, der die nichtwestliche Hälfte der Welt beraubt hat, ist vorbei. Niemand kann seine Macht missbrauchen, die Wirtschaft und das Finanzsystem als Waffen benutzen, niemand kann die internationalen Institutionen im Interesse der eigenen Nation vereinnahmen, um seine Hegemonie aufrechtzuerhalten.
Die Welt ist an einem gefährlichen Punkt angelangt, und es bedarf einer ruhigen Herangehensweise, um noch größere Schwierigkeiten zu vermeiden, als wir sie derzeit erleben. Das neue Gleichgewicht der Kräfte bildet sich langsam heraus, währenddessen werden die Spannungen andauern und Kriege sind unvermeidlich.
Die nichtwestliche Welt spürt ihre Stärke und wird immer selbstbewusster. Wie ein malaysischer Experte sagte, können die Interessen der globalen Mehrheit nicht unter den Tisch gekehrt werden. Es müsse endlich verstanden werden, dass es nicht die Minderheit, sondern die Mehrheit ist, deren Werte nicht schlechter sind als die des Westens. Der Analyst, der die Stimmung des „Globalen Südens“ widerspiegelte, erklärte selbstbewusst, dass dieser Teil der Welt sein Schicksal selbst in die Hand nimmt und sich verbittet, als „Dritte Welt“, „Entwicklungswelt“ bezeichnet zu werden. Wie er betonte, ist dies keineswegs antiwestlich, sondern die Mehrheit der Welt fordert einfach mehr Respekt.
Diese nichtwestliche Welt bricht mit den alten Stereotypen einer Weltordnung, die auf europäischen Traditionen und US-amerikanischen Interessen beruht – einer Ordnung, die so dysfunktional ist, dass sie nicht einmal ihre eigenen Probleme lösen kann. Sie will nichts weniger als eine gerechte, demokratische Weltordnung.
Darüber hinaus betonen die Redner immer wieder, dass ein neues Gleichgewicht der Kräfte und eine berechenbare Weltordnung notwendig seien. Mit der Blockmentalität, dem Neoliberalismus, dem Neokolonialismus und der ausbeuterischen Mentalität, die auf die Mehrheit der Welt herabsieht, müsse gebrochen werden. All dies sei notwendig, damit sie sich gemeinsam den globalen Herausforderungen stellen können. Gelinge dies nicht, könnte dies schwerwiegende Folgen haben.
Der Beitrag ist im ungarischen Original hier erschienen.
Titelbild: Valdai Discussion Club