Dieser Tage bin ich mit dem Auto von Deutschland nach Luxemburg und zurück nach Deutschland gefahren. Von Deutschland nach Luxemburg verläuft alles normal, man befindet sich ja in Europa, wo es einen Binnenmarkt gibt und Bewegungsfreiheit für alle Bürger, obwohl das Verkehrsaufkommen auf dieser Autobahn (der E 44) mit dem innerhalb Deutschlands absolut zu vergleichen ist. So weit, so gut. Von Heiner Flassbeck.
Auf der Rückfahrt von Luxemburg nach Deutschland wird man allerdings eines Besseren in Sachen Europa belehrt. Hier greift unmittelbar nach einer Baustelle, die schon eine einspurige Verkehrsführung notwendig machte und einen langen Stau nach sich zog, der deutsche Staat mit brachialer Gewalt in den Verkehr ein und macht mit großem Brimborium (wie Scheinwerferbatterien) die Autobahn wieder einspurig. Insgesamt zeigte meine Navigation eine Verzögerung von über einer halben Stunde zu einer Zeit am Nachmittag, wo der Feierabendverkehr noch nicht eingesetzt hatte.
Als normaler Mensch fragt man sich angesichts des sehr starken Verkehrsaufkommens unwillkürlich, wie es die deutsche Polizei bewerkstelligen will, diese Verkehrsmassen mit einem sehr hohen Anteil an LKWs zu kontrollieren. Die Antwort ist einfach: Sie versucht es erst gar nicht. Wenn man nach langem Warten die Kontrollstelle erreicht, fällt einem zuerst ein einzelner Polizist auf, der auf der linken Seite mit einer großen Kelle die Verkehrsteilnehmer antreibt, die Kontrollstelle schnellstmöglich zu passieren. Auf der anderen Seite stehen vier Polizisten, die den Verkehr keines Blickes würdigen und sich stattdessen ihren Handys widmen.
So also findet man heraus, ob sich illegale Migranten auf dem Weg von Luxemburg nach Deutschland befinden! Bravo, deutlicher wurde bisher noch nie vorgeführt, wie widersinnig diese Maßnahme ist, die von vielen in Deutschland als geradezu alternativlos angesehen wird. Wo der europäische Binnenmarkt wirklich funktioniert, kann man ihn offenbar nicht mit ein paar Polizisten kontrollieren. Das Einzige, was man mit den Kontrollen erreicht, ist ein gewaltige Frustration bei denen, für die der Weg über eine europäische Grenze tagtägliche Routine ist.
Ich gebe zu, genau das kann man sich in der provinziellen Enge des deutschen Binnenlandes, aus dem die Bundesinnenministerin stammt, überhaupt nicht vorstellen. Deswegen ist es an der Zeit, eine wirkliche Erfolgskontrolle zu installieren. Ich schlage vor, auf der A 3 von Hessen nach Bayern die Autobahn von drei auf eine Spur zu verengen und systematisch, also Tag und Nacht, den gesamten Verkehr so zu „kontrollieren“ wie zwischen Luxemburg und Deutschland. Ich wette, man wird bei diesen Kontrollen genauso viele illegale Migranten und Kriminelle wie an den deutschen Grenzen finden und man wird genauso wie zwischen Luxemburg und Deutschland den größten Teil des Tages einfach wegschauen, weil es schlicht unmöglich ist, die schiere Menge des Verkehrs auf eine Spur zu lenken, ohne einen Megastau zu provozieren.
Als Mensch, der seit mehr als zwei Jahrzehnten wirklich in Europa und nicht in Deutschland lebt, kann ich immer wieder nur über die deutsche Engstirnigkeit staunen. Hat die durch Herrn Seehofer ausgelöste europäische Blockade während der Coronazeit nicht mit ausreichender Klarheit gezeigt, wie unsinnig die Idee war, man könne mit der Polizei an einer europäischen Grenze das Virus aufhalten? Hat man bis heute nicht begriffen, welch gewaltigen Schaden die deutsche Sturheit damals in Europa angerichtet hat, ohne auch nur den geringsten Nutzen gehabt zu haben? Kann man sich in Berlin und Frankfurt einfach nicht vorstellen, dass nationale Grenzen für viele Millionen Menschen ihre Bedeutung verloren haben, weil sie im wahrsten Sinne des Wortes entgrenzt leben?
Nein, das alles will man in der deutschen Provinz nicht wissen und auch nicht einmal zur Kenntnis nehmen. Hauptsache, wir machen Symbolpolitik. Wenn man dabei auf die Bedeutung der nationalen Grenzen aufmerksam macht, betreibt man unmittelbar das Geschäft der Nationalisten im In- und Ausland, weil die sich dadurch in der Vorstellung bestätigt fühlen, Europa sei eine eigenständige Gefahrenquelle. Gleichzeitig schadet man Europa mittelbar, weil man die aus nationaler Sicht negativen Seiten Europas ständig in den Vordergrund stellt und die freie Bewegung in Europa, die ein entscheidender Vorteil Europas ist, in ihrer Bedeutung herunterspielt. Wiederum fördert man die nationalistische Illusion, ohne Europa sei alles einfacher und besser. Immer fördert man die rechten Parteien, obwohl man vorgibt, sie bekämpfen zu wollen. Nationale Borniertheit hat einen hohen Preis.
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