Annette Groth (MdB): Myanmar – „eine von oben verordnete Demokratie“
Frau Groth, Sie haben als menschenrechtspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE vom 12. bis zum 15. Februar mit dem Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) Myanmar besucht. Ein Grund für diese Reise war die Beurteilung des Demokratisierungsprozesses, deshalb haben Sie sich auch mit der Oppositionsführerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi getroffen. Ist das Land seit Inkrafttreten der Verfassung im Jahr 2010 demokratischer geworden?
Ja, das ist unübersehbar, vor allem ist es in den letzten Monaten demokratischer geworden, was uns auch von allen Gesprächspartnern bestätigt wurde. So können Journalisten jetzt ziemlich frei im Land reisen – einige Regionen sind allerdings noch tabu – und Gespräche mit den Menschen führen. Das war bis vor kurzem unvorstellbar. Wir haben zwei ehemalige prominente politische Gefangene getroffen, die eine Liste von Gefangenen erstellen wollen, die wohl weiterhin aus politischen Gründen inhaftiert sind. Diese Liste soll demnächst öffentlich gemacht werden. Es sind beispielsweise noch elf Journalisten und Schriftsteller aus politischen Gründen inhaftiert, wir hoffen, dass auch sie bald frei gelassen werden.
Wird das Volk in den Demokratisierungsprozess einbezogen?
Inwieweit eine echte Demokratie implementiert wird, bleibt abzuwarten. Bislang wird die Demokratie quasi von oben verordnet, die Bevölkerung bleibt außen vor. Das muss sich ändern. Es ist ein großer Fortschritt, dass die Presse nun relativ frei berichten kann. So erscheinen jetzt auch Artikel über die große Armut. Das war bis vor kurzem verboten. Wenn politische Gefangene frei gelassen werden und die Zensur der Presse weithin aufgehoben wird, ist das ein Anzeichen für eine demokratische Öffnung. Es wird immer gefragt, ob die Demokratieöffnung nachhaltig ist, was ist das überhaupt für eine Frage? Es ist vermessen zu glauben, dass man in ganz kurzer Zeit einem Land, das über 50 Jahre in einer Militärdiktatur gelebt hat, plötzlich Demokratie verordnen kann. Man kann demokratische Prozesse zulassen und einleiten und Myanmar ist da auf einem guten Weg. Nun gilt es insbesondere auch, die Bevölkerung stärker einzubeziehen.
Woher bekommen die Menschen die Informationen?
Das bedeutendste Kommunikationsmittel ist das Radio, das findet man in jedem Dorf. Das ist die Hauptinformationsquelle für den Großteil der Bevölkerung. Es gibt bislang nur wenige Zeitungen, viele sind Wochenzeitungen. Neue Zeitungen werden sicher bald entstehen, dann stellt sich die Frage, wem die Zeitung dann gehört. Das ist ähnlich wie bei uns. Die Alphabetisierungsrate liegt bei 85%, es besteht sicher ein Interesse an unabhängigen Informationen, die auch gelesen werden können. Die Auflage der Wochenzeitung The Voice hat sich verdoppelt, weil die Zeitung viel interessanter geworden ist und das schätzen die Leserinnen und Leser.
Warum wurde die Zensur nun überraschend aufgehoben?
Wenn man Demokratisierungsprozesse einleitet, gehört die Pressefreiheit dazu.
Sicherlich muss dies auch im Kontext der Sanktionen gesehen werden. Diese Sanktionen, die den internationalen Zahlungsverkehr und die Reisemöglichkeiten der politischen Elite völlig eingeschränkt hatten, haben sicherlich dazu beigetragen. Sie sind bereits teilweise aufgehoben und werden je nach Wahlausgang am 1.April vermutlich zumindest von der EU aufgehoben. Die Sanktionen haben die Machthaber in ihren Geschäften arg eingeschränkt und sind auch für die Bevölkerung eine große Belastung. Wenn man mehr Menschen aus der Armut herausholen will, sind Sanktionen ein Hindernis.
China beweist gerade, dass man ohne Demokratie auch gute Geschäfte machen kann.
China versucht es gerade mit ein wenig Marktwirtschaft und hat sich in vielen Bereichen von der Planwirtschaft verabschiedet. Aber, dass man auch mit einer Parteiendiktatur ein – im Sinne des Kapitals – erfolgreiches Wirtschaftsmodell betreiben kann, zeigt die gegenwärtige Entwicklung, auch mit allen negativen Aspekten wie z.B. eine wachsende Kluft zwischen arm und reich sowie großen Umweltbelastungen.
Formiert sich in Myanmar nicht eine neue Elite, vollkommen losgelöst vom Volk?
Ich bin diesbezüglich auch beunruhigt, insbesondere wegen des steigenden Tourismus, da ist eine Menge Profit rauszuholen. Myanmar ist eines der letzten Länder, das vom internationalen Tourismus noch nicht abgegrast ist. Nun stürzen sich die Unternehmen darauf und vermarkten die Schönheit und Unberührtheit des Landes und seiner Bevölkerung. Ähnlich wie im Nachbarland Laos, wo sich die Anzahl der Gästebetten in Luang Prabang innerhalb eines Jahres verdoppelt hat (!), dürften in naher Zukunft viele neue Hotels entstehen. Hoffentlich behält Aung San Suu Kyi Recht, als sie auf meine Frage nach den Gefahren eines „menschlichen Zoos“ sehr energisch sagte, dass das in Myanmar niemals geschehen würde.
Was verstehen Sie unter „menschlichen Zoos“?
Der Begriff „menschlicher Zoo“ wurde in Thailand geprägt, als in den Reisemagazinen die Karen-Frauen mit ihren künstlich verlängerten Hälsen als „besonders exotisch“ vermarktet wurden. Die vielen Ethnien, bislang sehr isoliert vom Rest der Welt lebend, dürften für viele Touristen in Myanmar zu einer besonderen Attraktion aufgebaut werden.
Wie ist das Land auf den Tourismus vorbereitet?
Kaum. Die Leute wissen nicht um die Gefahren der Golfplätze, wie z.B. hoher Wasserverbrauch, Einsatz von großen Mengen an Pestiziden, um den Rasen schön grün zu halten, Umwidmung von gutem Ackerland für Golfplätze und andere touristische Infrastruktur und dgl. mehr. Ich war sehr erstaunt, dass 5 Golfplätze in der Nähe von Rangun sind, die alle in dem Prospekt unseres Hotels aufgeführt waren. Eine der großen Gefahr ist der Sextourismus, der in Thailand Riesenausmaße angenommen hat und auch ein Problem in den Nachbarländern ist. Auch ist der angeblichen wundersamen Vermehrung von Arbeitsplätzen in der Tourismusbranche mit äußerster Skepsis zu begegnen. Die meisten Arbeitsplätze in dieser Industrie sind sehr schlecht bezahlt mit langen Arbeitszeiten und auch saisonal begrenzt, denn in der Regenzeit gibt es keinen Tourismus. Müllentsorgung und Recycling wird eine der großen Herausforderungen sein, wie auch die Kosten der touristischen Infrastruktur, die den nationalen Haushalt belasten werden. Das sind nur einige Problembereiche, die ich hier nur kurz skizziere. Bislang ist das Land auf den Tourismus, den es erwarten wird, noch nicht eingestellt.
Ist denn nicht zu befürchten, dass sich in Myanmar ein Tourismus entwickelt, wie beispielsweise in Sri Lanka? Naomi Klein hat in ihrem Buch „Schockstrategie“ eindrucksvoll geschildert, wie nach der Tsunamikatastrophe tausenden von Fischern untersagt wurde, aus ihren Notunterkünften in den Städten an die Strände zurückzukehren. Während die Bevölkerung in Flüchtlingslagern ausharrte, wurden die Küstenabschnitte an Touristenkonzerne verkauft.
Das ist eine große Gefahr. Wenn Sie sich die Landkarte ansehen, werden Sie einen langen Küstenstreifen entdecken, der sich vergolden lässt. Wenn diese Küste mit Luxushotels zugepflastert wird, könnten die Fischer und die Einheimischen vertrieben und ihrer Lebensgrundlage beraubt werden. Die Entwicklung eines menschengerechten, sozial gerechten und umweltverträglichen Tourismus, der die Bedürfnisse der Bevölkerung adäquat berücksichtigt, ist sicher eine der größten Herausforderungen für die Regierung. Die Einbeziehung der Bevölkerung in touristische Projekte wird auch von zentraler Bedeutung sein, wie auch die Kontrolle vonseiten der Regierung und der Behörden über die ausländischen Tourismusunternehmen.
Welchen Eindruck haben Sie von der Regierung?
Der Präsident heißt Thein Sein, den wir auch getroffen haben und der maßgeblich die Reformen initiiert hat. Sein hat einen sehr guten Ruf, weder er noch seine Familie sind in irgendwelche Korruptionsfälle verwickelt. Beeindruckend ist auch der Minister für Grenzfragen und industrielle Entwicklung, Thein Htay, ein äußerst engagierter und eloquenter Mann; der einzige Minister, der uns in Uniform begegnete. Er gilt als größter Unterstützer des Präsidenten und ist als Verantwortlicher für die ethnischen Minderheiten von zentraler Bedeutung. „Wir haben zwar Waffenstillstände mit etlichen bewaffneten ethnischen Minderheiten geschlossen, aber das bedeutet noch lange keinen echten Frieden“, konstatierte Thein Htay in unserem Gespräch.
Die National League for Democracy, die Partei von Aung San Suu Kyi, tritt am 1. April wieder zur Wahl an. Wie schätzen Sie ihre Chancen ein?
Nach Aussage von Aung San Suu Kyi treten viele neue Mitglieder in die Partei ein, so dass es große Engpässe bei der Registrierung gibt, d.h. die Zahl der Parteimitglieder ist unbekannt. Es ist mir unmöglich, irgendwelche Prognosen zum Wahlausgang zu machen. Aung San Suu Kyi hat z.B. erzählt, dass bei ihrer Wahlveranstaltung in Mandalay viele Leute nicht zu ihr kamen, weil sie von den Machthabern daran gehindert wurden. Schüler und Schülerinnen mussten in den Klassenzimmern bleiben, Studierende mussten außerplanmäßig Klausuren schreiben und Staatsbeamte erhielten keinen Urlaub. Daran wird eine Einschränkung der sog. demokratischen Errungenschaften deutlich sichtbar.
Meines Erachtens sollten wir uns ohnehin nicht als die großen Hüter der Demokratie aufspielen, auch wir in Europa müssen für die Wiedererlangung unserer Demokratie gegen die Macht der Finanzmärkte kämpfen.
Über Myanmar ist hierzulande wenig bekannt. Es ist doppelt so groß wie die Bundesrepublik und es leben ca. 60 Millionen Menschen in dem asiatischen Land. Können Sie etwas über Land und Leute sagen?
In Myanmar lebt ein Großteil der Bevölkerung von der Landwirtschaft auf Subsistenzniveau. Wie in fast allen Entwicklungsländern ist in den ländlichen Gebieten auch die Armut am größten. Als zentrale Sektoren, in die viel investiert werden muss, wurden immer Bildung und Gesundheit genannt. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei 65,2 Jahre. Das HIV/Aids Risiko wächst: Mindestens 240 000 Menschen sind bereits an der Immunschwäche erkrankt. Das ist ein sehr großes Problem. Wenn das Volk mit Kampagnen aufgeklärt, die Krankheit thematisiert und nicht tabuisiert wird, besteht eine Chance, dass sich das Virus nicht weiter ausbreitet. Es bleibt abzuwarten, wie offen die Regierung mit dem Thema umgeht. Vor allem ist Aids auch in Zusammenhang mit dem Tourismus ein sehr ernst zu nehmendes Thema.
Da Myanmar viele Bodenschätze hat, wie z.B. Jade, Gold, Zinn, Antimon, Zink, Kupfer, Wolfram, Kohle und Edelsteine, ist es auch für Investoren so interessant. Darüber hinaus bildet eine Bevölkerung von 60 Millionen auch einen umsatzträchtigen lukrativen Markt, den es zu erschließen gilt. Das ist für unsere kapitalistisch orientierte internationale Wirtschaft auch wichtig. Ich hoffe, dass sich die sich abzeichnende größer werdende Kluft zwischen arm und reich nicht weiter entwickelt. Das ist sicher eine der großen Herausforderungen für Myanmar.
Myanmar ist ein Vielvölkerstaat, die größte Gruppe stellen die Birmanen, die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe sind die Shan, die in der Nähe Chinas leben. Viele Chinesen kommen an dieser Grenze nach Myanmar und machen teilweise fragwürdige Geschäfte, eines ist zum Beispiel der Menschenhandel. Es verschwinden immer wieder junge Frauen, die in China zwangsverheiratet werden. Angeblich fehlen in China 2 Millionen Frauen, ein großes Problem.
An der burmesisch-thailändischen Grenze leben die Karen, die ich ja schon erwähnt habe im Zusammenhang mit den menschlichen Zoos. Viele Burmesinnen arbeiten in den Hotels und in der Gastronomie in Thailand, als billige Arbeitskräfte werden sie total ausgebeutet.
Wie sieht es in Myanmar mit Korruption aus?
Das ist ein weiteres großes Problem des Landes. Laut Korruptionswahrnehmungsindex nimmt Myanmar Platz 178 von 180 ein. Deutschland prangert weltweit die Korruption an, hat bislang aber selbst noch nicht die Konvention der Vereinten Nationen gegen Korruption ratifiziert. Ich habe jetzt die Bundesregierung nach den Gründen dafür gefragt und setze mich für die Ratifizierung ein. Auch die UN- Konvention gegen die Apartheid hat Deutschland bislang eigenartiger Weise nicht ratifiziert. Wir verordnen allen Ländern immer Good Governance, aber wenn es um das eigene Land geht, machen wir häufig die Augen zu. Im Übrigen ist Deutschland in Puncto Pressefreiheit auf Platz 18. Das müssen Sie sich mal auf der Zunge zergehen lassen.
Welche Rolle spielt Deutschland in Myanmar?
Die Deutschen haben einen sehr guten Ruf in Myanmar. Bis 1988 unterstützte das BMZ viele Projekte, u.a. ein Berufsausbildungszentrum, in dem bis heute Jugendliche in verschiedenen Berufen ausgebildet werden. Alle Maschinen, die damals geliefert wurden, funktionieren noch heute. „Die Deutschen haben nun mal die besten Maschinen und die beste Qualität“, konstatierte der Bildungsminister. Da insbesondere der Bedarf an Ausbildung und Qualifizierung riesig ist, haben alle unsere Gesprächspartner um Unterstützung in diesem Bereich gebeten. Der Minister für Industrie, Soe Thane, hat Minister Niebel einen Brief mit der Bitte übergeben, dieses Zentrum erneut zu fördern.
Das Interview mit Annette Groth führte Christine Wicht.