Bundesregierung will grundsätzlich keine Aussagen zu israelischen Kriegsverbrechen tätigen

Bundesregierung will grundsätzlich keine Aussagen zu israelischen Kriegsverbrechen tätigen

Bundesregierung will grundsätzlich keine Aussagen zu israelischen Kriegsverbrechen tätigen

Ein Artikel von: Redaktion

Das Auswärtige Amt hatte auf die Frage, ob Annalena Baerbock die Einschätzung von zahlreichen EU-Partnern teilt, dass Israel im Libanon Kriegsverbrechen begeht, erklärt, dass es nicht an der Bundesregierung sei, darüber zu befinden, sondern dies sei ausschließlich „Aufgabe unabhängiger Gerichte auf Basis von Untersuchungen“. Die NachDenkSeiten fragten vor diesem Hintergrund nach, wieso diese Haltung ausschließlich für Israel gilt. Denn bei anderen Akteuren in Nahost oder auch Russland zeigt sich Berlin nachweislich weit weniger zurückhaltend, was die öffentliche Beurteilung von völkerrechtswidrigem Verhalten oder den Vorwurf von Kriegsverbrechen angeht. Von Florian Warweg.

Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz

Frage Jäckels (ND)
Zum Thema Nahost: Mitte Oktober wurde das deutsch-libanesische Begegnungszentrum Dar Assalam im Libanon von einem israelischen Luftangriff getroffen. Das Auswärtige Amt sagte dazu, man stehe mit Israel in Kontakt und erwarte vollständige Aufklärung. Meine Frage: Was ist dem AA inzwischen zu den Gründen des Angriffs bekannt und wie stellt die Bundesregierung eine Aufklärung sicher?

Fischer (AA)
Sie haben ja gesehen, dass wir uns dazu öffentlich geäußert haben. Wir haben dazu das Gespräch mit der israelischen Seite gesucht. Unsere Botschaft in Tel Aviv hat das mit den zuständigen israelischen Stellen aufgenommen und unsere Besorgnis zum Ausdruck gebracht. Die israelischen Stellen haben zugesagt, dem Vorgang nachzugehen und ihn aufzuklären.

Zusatzfrage Jäckels
Gibt es da schon irgendein erstes Ergebnis? Hat die Bundesregierung sich vielleicht auch selbst von eigener Seite darum bemüht, diesen Fall aufzuklären?

Fischer (AA)
Ich kann Ihnen noch von keinen Ergebnissen berichten. Das ist aber natürlich ein Fall, den wir im Blick haben und an dem wir auch weiter dranbleiben.

Frage Warweg
Noch eine generelle Verständnisfrage auf dieser Ebene: Ihre Kollegin Deschauer hatte letzten Mittwoch auf meine Frage, ob die Bundesregierung die Einschätzung von zahlreichen EU-Partnern teilt, dass Israel im Libanon Völkerrechtsverbrechen begeht, erklärt, dass es nicht an der Bundesregierung sei, darüber zu befinden, sondern Aufgabe unabhängiger Gerichte auf Basis von Untersuchungen, ob völkerrechtswidriges Handeln oder Kriegsverbrechen vorliegen. Da würde mich nur ganz allgemein interessieren: Wieso wird diese Haltung ausschließlich für Israel angelegt? Denn bei anderen Akteuren in Nahost oder auch Russland zeigen Sie sich ja weit weniger zurückhaltend bei der Beurteilung, ob es sich da um völkerrechtswidriges Verhalten oder Kriegsverbrechen handelt. Könnten Sie mir da nur kurz darlegen, wie sich dieser Widerspruch aus Sicht des Auswärtigen Amtes erklärt?

Fischer (AA)
Herr Warweg, ich sehe da überhaupt keinen Widerspruch. Der Punkt ist doch, dass es hier um die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts geht, das sozusagen in engen Grenzen des humanitären Völkerrechts ausgeübt werden muss. Um in diesem Fall bei jedem einzelnen Angriff nachzuvollziehen, ob Völkerrecht gebrochen wurde oder nicht, sind umfassende Kenntnisse des jeweiligen Vorfalls notwendig. Im Regelfall werden diese Kenntnisse im Gerichtsverfahren gerichtsverwertbar vorgebracht.

Was Sie ansprechen, ist der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, der ein eklatanter Verstoß ganz offensichtlicher Natur gegen die UN-Charta ist und den auch die ganz große Mehrheit der Staaten der Vereinten Nationen als Völkerrechtsverstoß benannt hat. Insofern sind das zwei völlig unterschiedlich gelagerte Vorgänge. In dem einem Fall liegt ein eklatanter, offensichtlicher Verstoß gegen das Völkerrecht vor.

Zusatzfrage Warweg
Die Kollegin hatte das eher recht generell formuliert und gesagt, es sei nicht an der Bundesregierung, darüber zu befinden, ob Kriegsverbrechen oder völkerrechtswidriges Handeln vorliegt – als generelle Aussage. Ihre Antwort hat sich mir nicht ganz erschlossen; deshalb würde mich da trotzdem interessieren, wieso die Bundesregierung sagt, dass sie sich dazu im Falle von Israel grundsätzlich nicht äußert, dass Sie aber bei anderen Akteuren – seien es Iran, die Hamas oder auch Russland – auch direkt hier von der Bühne sehr wohl von Kriegsverbrechen gesprochen haben, obwohl da ebenso wenig Gerichtsentscheide vom Internationalen Strafgerichtshof oder vom IGH vorgelegen haben.

Fischer (AA)
Ich habe ja versucht, Ihnen die Unterschiedlichkeiten deutlich zu machen. Sie sprachen zum einen Russland an: Russland hat einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen. Das wird außer von Russland eigentlich auch von niemandem bestritten. Dazu gibt es auch sehr klare Resolutionen der VN-Generalversammlung. Gleichzeitig haben Sie jetzt die Hamas erwähnt: Ich meine, es ist offensichtlich, dass die Hamas einen terroristischen Überfall auf Israel ausgeübt hat, mit mehr als 1100 Toten. Insofern ergibt es sich sozusagen aus der faktischen Ansicht, dass die Hamas da offensichtlich in gravierender Weise gegen das Völkerrecht verstoßen hat.

Worüber wir uns hier in diesem israelisch-libanesischen, israelisch-palästinensischen Konflikt auseinandersetzen, ist doch die Frage, wie es um die Verhältnismäßigkeit steht. Es steht außer Zweifel, dass Israel das Recht auf Selbstverteidigung hat. Es steht außer Zweifel, dass es für dieses Recht enge völkerrechtliche Grenzen gibt. In diesen engen Grenzen ist Israel aufgerufen zu operieren. Wie dann im Einzelfall Entscheidungen der israelischen Regierung getroffen werden und was dann die einzelnen Abwägungen sind, muss Israel darlegen, und das kann gegebenenfalls gerichtlich hinterfragt werden. Aber wie die Kollegin dargelegt hat, ist es offensichtlich so, dass uns die präzise Kenntnis über jeden einzelnen Fall fehlt und dementsprechend andere Institutionen dazu berufen sind, hier eine Lösung herbeizuführen. Insofern kann ich da jetzt auch keinen Widerspruch erkennen.

Frage Jäckels
Die Frage, ob sich Israel in seiner Kriegsführung an das Völkerrecht hält, spielt ja auch dabei eine Rolle, ob man Waffenexporte genehmigt oder nicht, und für diese Einschätzung ist das Auswärtige Amt zuständig. Jetzt sagt aber das Auswärtige Amt: Wir warten ab, bis sich israelische Gerichte oder im Zweifel der IGH dieses Themas angenommen haben. Bedeutet das, man wartet bei dieser Bewertung, ob man Waffenexporte aufgrund der Menschenrechtslage und Völkerrechtslage genehmigen kann, erst noch darauf, ob israelische Gerichte bestätigen oder nicht bestätigen, dass die israelische Armee sich an Völkerrecht gehalten hat oder nicht?

Fischer (AA)
Sie wissen ja, dass diese Entscheidungen im Bundessicherheitsrat getroffen werden und dass dort außen- und sicherheitspolitische Erwägungen genauso wie völkerrechtliche und menschenrechtliche Erwägungen einfließen und dass auf dieser Grundlage im Einzelfall dann die Entscheidungen für oder gegen einen Export von Rüstungsgütern getroffen werden. Insofern ist das immer eine sozusagen vorausschauende Projektion.

Zusatzfrage Jäckels
Das heißt, es findet eigentlich schon vorher ein Versuch statt, zu bewerten, ob sich Israel an das Völkerrecht hält oder nicht, und nicht erst, nachdem Gerichte das entschieden haben?

Fischer (AA)
Wie ich ausgeführt habe, findet in jedem Fall eine Einzelfallprüfung statt, in die verschiedene Kriterien einbezogen werden. Das sind außen- und sicherheitspolitische Kriterien, aber auch völkerrechtliche und menschenrechtliche Erwägungen.

Zusatzfrage Jäckels
Wenn man diese Prüfung vorher durchgeführt hat, warum hat man dann den Export von Motoren für Merkava-Panzer genehmigt, die Israel im Süden Libanons einsetzt, wo ja, wie wir wissen, auch UN-Stellungen angegriffen wurden?

Fischer (AA)
Erstens kann ich hier nicht über die einzelnen Gütergruppen sprechen. Wenn jemand dazu sprechen kann, dann sind das die Kolleginnen und Kollegen aus dem Wirtschaftsministerium. Im Übrigen gilt bei jedem Export, dass wir die genannten Kriterien abprüfen, bevor er genehmigt wird.

Vorsitzender Feldhoff
Gibt es eine Ergänzung des BMWK?

Spoo (BMWK)
Keine Ergänzung meinerseits.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 28.10.2024

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