Bundesweite Schlagzeilen verursacht momentan eine geplante Änderung im Text des Liedes „Sonderzug nach Pankow“ bei einer Veranstaltung in Berlin. Der Vorgang ist absurd und abzulehnen. Zusätzlich ist es bedauerlich, dass sich fast nur Konservative darüber empören. Von Tobias Riegel.
In seinem Lied „Sonderzug nach Pankow“ hat Udo Lindenberg 1983 den DDR-Politiker Erich Honecker als „Oberindianer“ bezeichnet. Das Lied soll nun bei einem Liedertreffen aufgeführt werden, bei dem sich noch bis 17. November ausgewählte Chöre im Berliner „Humboldt Forum“ treffen.
Und nun wird es absurd: Wie unter anderem die Welt berichtet, kündigte der Veranstalter, die „Stiftung Humboldt Forum“, einen ziemlich eigenwilligen Umgang mit Lindenbergs Werk an:
„Nach einer offenen Diskussion mit den Chören und der künstlerischen Leitung haben wir entschieden, das Lied ‚Sonderzug nach Pankow‘ zu singen und hierbei das Wort (Anmerkung der Redaktion: Gemeint ist der ‚Oberindianer‘), das aus heutiger Sicht diskriminierend wahrgenommen werden kann, auszulassen.“
Auch dass das Lied über 40 Jahre alt ist, werde nicht als Entschuldigung akzeptiert:
„Auch wenn das Wort in dem Lied in seiner Entstehungszeit 1983 eine metaphorische Konnotation hatte – und es sich damals satirisch-kritisch auf Erich Honecker bezog – sind wir uns auch bewusst, dass in dem Wort die Gewaltgeschichte der Kolonisierung indigener Bevölkerungsgruppen nachklingt.“
Die Lösung des „Problems“ erscheint laut dem Bericht ebenso absurd wie die Problemstellung selber – und zwar inhaltlich wie künstlerisch:
„Da der Lindenberg-Song, so ein Sprecher zu WELT, zudem von allen acht teilnehmenden Chorgruppen gemeinsam intoniert werden soll, habe man intern diskutiert, wie das Problem denn nun zu lösen sei, so dass sich auch alle Beteiligten bei den Auftritten wohlfühlen. Als Kompromiss habe man sich dann darauf geeinigt, dass statt des ‚Oberindianers‘ nun von einem ‚Ober-I‘ gesungen werde, mit langer Betonung auf dem ‚I‘.“
Udo Lindenberg selbst hat sich laut den Medienberichten zu der inhaltlichen Veränderung seines Songs bisher nicht geäußert.
Darf man nachträglich in Werke eingreifen?
Der Vorgang hat zwei Ebenen: Zum einen der Eingriff in das Werk Lindenbergs selbst, der meiner Meinung nach total abzulehnen ist und der auch durch die zugehörigen Erklärungen nicht in angemessener Weise gerechtfertigt wird. Auf die Frage, ob spätere Eingriffe in Originalwerke gerechtfertigt sein können, sind die NachDenkSeiten bereits vor einigen Jahren unter anderem im Artikel „Bewegung gegen Rassismus: Bilder werden gestürmt, Systeme werden verschont“ eingegangen, in dem es heißt:
„Werden die sozialen und ökonomischen Fragen nicht ausgeräumt, werden auch die Debatten um Polizeigewalt und kulturellen Rassismus immer wiederkehren. So erinnert die aktuelle Kultur- und Sprachdebatte an eine Diskussion von 2013. Damals ging es um die ‚Reinigung‘ von Klassikern der Jugendliteratur von rassistischen Begriffen. Unter anderem wurden die Bücher ‚Pippi Langstrumpf‘ und ‚Die Kleine Hexe‘ in überarbeiteten Fassungen veröffentlicht. Eine Gegenrede zu dieser Praxis findet sich hier. Eher Verständnis etwa für die Streichung des Wortes ‚Neger‘ bei der ‚Kleinen Hexe‘ von Otfried Preußler formulierte dieser Artikel. Während diese beiden Beispiele des Eingriffs in literarische Werke (möglicherweise, gerade noch) nachvollziehbar waren, liegt die Sache beim damals auch diskutierten (und geänderten) Klassiker ‚Huckleberry Finn’ von Mark Twain anders. Die Ersetzung des im Buch häufig gebrauchten Wortes ‚Nigger‘ durch ‚Slave‘ kam einer Geschichtsfälschung gleich.“
Zusätzlich zu dieser allgemeineren Ebene fragt man sich beim konkreten Vorgang, ob es denn kein Lied gab, das die empfindlichen Gemüter der Beteiligten nicht belastet hätte – ein Lied, das man in Berlin ohne einen selbstgerechten stilistisch-inhaltlichen Eingriff einfach in der Form hätte singen können, in der es auch einst geschrieben wurde.
Warum empören sich nur Konservative?
Die andere Ebene ist die ausbleibende Reaktion auf solche Vorstöße von der Seite, die sich früher mal als „links“ definiert hatte – was scharf abzugrenzen ist von heutigen pseudolinken Tendenzen, die oft irreführend als „linksgrün“ bezeichnet werden. So erklingt über die aktuelle Anmaßung des Humboldt Forums viel Aufregung von konservativer Seite, wie etwa dieser Artikel schildert. Vonseiten der Kulturszene und (klassisch) linken Akteuren, die sich hier eigentlich auch zu Wort melden sollten, herrscht dagegen weitgehend Funkstille (wenn ich entsprechende Äußerungen übersehen habe, bitte ich um Hinweise).
Kritische Wortmeldungen von (klassisch) linker Seite wären aber auch in anscheinend „unbedeutenden“ Fällen, wie dem hier beschriebenen, wichtig. Und das nicht, weil der Vorgang selbst so eine starke gesellschaftliche Relevanz hätte, sondern weil durch die überwiegend konservativen Reaktionen der Eindruck entsteht, dass sich bei manchen Fragen vor allem auf dieser Seite die Vernunft sammeln würde. Dadurch kann diese Seite – mit anscheinend unwichtigen, aber Aufsehen erregenden Vorgängen wie dem um das Lindenberg-Lied – immer wieder viele Punkte bei Bürgern sammeln. Auch solche vermeintlichen Kleinigkeiten machen „die Rechte“ stark.
Titelbild: Markus Wissmann / Shutterstock