Leserbriefe zu „Boomer gegen Millennials? Wir haben keinen Generationen-, sondern einen Klassenkonflikt“

Ein Artikel von:

Jens Berger thematisiert in diesem Artikel die mediale Berichterstattung über den „Generationenkonflikt“. Stereotype würden fröhliche Urständ feiern. Es gebe einen „Schleier der Meinungsmache“. Denn nicht die Alten oder die Boomer, sondern die Reichen seien es, die ein Problem darstellen. Das wird anhand der Klima- und Rentendebatte erläutert. Bei diesem „absurden Spiel“ der Meinungsmacher sollten wir uns jedoch „nicht ins Bockshorn jagen lassen“. Für die interessanten Zuschriften hierzu bedanken wir uns. Christian Reimann hat für Sie eine Auswahl der Leserbriefe zusammengestellt.


1. Leserbrief

Lieber Herr Berger,

ich stimme Ihrem Artikel in fast allem zu, möchte aber noch eines ergänzen. Dazu möchte ich mit einer kurzen Anekdote beginnen:

Als ich (57) diesen Sommer mit einer Reisegruppe in Südtirol war, rauchte ich, wartend auf den Bus, eine Zigarette vor dem Supermarkt. Nachdem ich fertig war, schmiß ich diese auf den Boden und trat sie aus, weil ich keinen Aschenbecher in Reichweite erkennen konnte. Daraufhin wurde ich von eine jungen Frau, wahrscheinlich Mitte 20, hart angegangen, ich solle diese doch aufheben, weil sie schließlich Hunderte von Litern Trinkwasser verunreinigen würde. Mag sein, dass das ja stimmt, aber ich tat den Teufel, die Zigarette aufzuheben. Erst kurz darauf fiel mir eine schlagkräftige Reaktion ein: ich hätte sie mal fragen sollen, wie oft sie seit 1998 geflogen ist. Dann hätte ich das mit meinem Flugkontingent vergleichen können und hätte mit Sicherheit gewonnen, denn bei mir steht da die schwarze Null. Übrigens auch beim Großteil meiner 4-vierköpfigen Familie, nur der jüngere Sohn ist dieses Jahr nach China für ein Auslandsjahr geflogen. Außerdem besitzen wir kein Auto, benutzen hin und wieder Car-Sharing und bewegen uns sonst alle vier mit dem Fahrrad. Wir tragen meist unsere Kleidung, bis sie zerschlissen ist, kaufen Möbel nur, wenn die anderen auseinander fallen, und kochen unser Essen meist selbst, wobei wir beim Einkauf auf möglichst wenig Verpackungsmüll achten. Also, was soll ich hier mir hier Boomer etwas von einer Millenial erzählen lassen? 

Letztlich geht es um die Klassenfrage: aus welcher Klasse stammt diese junge Frau, was ist sie von Zuhause gewohnt? Und: wie entscheidet man sich persönlich in seinem Lebensstil. Man muss nicht jeden Schei… mitmachen, aber muss vielen Schei… mitmachen, zum Beispiel unsinnige Verpackungen oder immer mehr Stromverbrauch für immer mehr Internetanwendungen, die auch per Strichliste machbar wären. Und außerdem: jeder, der Waffenlieferung an die Ukraine gutheißt und Verhandlungen verdammt, soll angesichts dieser Katastrophe von der Umwelt schweigen. Danke jedenfalls noch mal für diesen tollen Artikel. Wir, jung und alt, müssen gegen die Reichen zusammenstehen, die die Welt nur in ihrem Sinn umgestalten.

Herzliche Grüße,
Dr. Corell Wex


2. Leserbrief

Sehr geehrte Damen und Herren; geehrter Herr Berger:

Danke für den Artikel. Ich selber gehöre mit Jahrgang 1955 auch zu den “Boomern”. Was mein Reichtum angeht, so ist der sehr mässig. Ich bekommen eine neidruge Rente und bekomme daher Grundsicherung im Alter. Vor 2 Jahren musste ich aus finanziellen Gründen meinen nicht so großes 20 Jahre altes Auto (Madzda 323F) abgeben. Einen SUV habe ich nie besessen und meine erste Flugreise machte ich mit über 30 nach Grand Canaria. In diesem Alter wird ja “Langstrecken Luisa” schon mehr Flugmeilen geflogen sein. Sicher ist es halt die große Zahl von uns, die problematisch ist, weil diese Generation zwar geburtenstark war, aber nicht so viele Kinder “in die Welt setzte”. Bei mir war da Hindernis auch medizinischer Natur.

Als etwas “boshafte Bemerkung” zu dem Begriff “alte weisse Männer” die angeblich generell für die Übel auf dieser Welt verantwortlich sein sollen: Dieses Feindbild deckt sich abgesehen von der Hautfarbe mit dem Feindbild der Menschen mit “Glatze” aus dem Roman “Mein Kamm” von Epharim Kishon. Wissen denn die “Progressiven”, die diese Feindbild verlauten nicht, wen Herr Kishon damit satirisch überhöht gemeint hat?

Gruß
R.K.


3. Leserbrief

Liebe NDS-Redaktion,

Ich wusste gar nicht, dass die gesetzliche Rente ein Geschenk der Politik und der Gesellschaft an die alten Leute ist. Mein Gehaltsstreifen sagt da etwas anderes. Ich zahle nämlich jeden Monat Beiträge und erwerbe dafür Anwartschaften. Ich kann mir das gar nicht aussuchen. Und wer hätte aber auch ahnen können, dass die Baby-Boomer jemals in Rente gehen. Wahr ist: Der eigentliche demografische Wandel liegt längst hinter uns. Innerhalb von etwas mehr als 100 Jahren hat sich das Verhältnis von Beitragszahlern und Leistungsempfängern so dramatisch verändert, wie das wohl nie wieder passieren wird: 1910 kamen noch 10,3 Menschen im erwerbsfähigen Alter auf einen alten Menschen. Heute beträgt das Verhältnis ungefähr 3:1.Um es ganz deutlich zu sagen: Noch nie haben so viele Menschen in Deutschland gelebt wie heute. 83 Millionen – mehr als in Schweden, Schweiz, Österreich, Niederlande, Norwegen zusammen. Wie kommen diese Länder eigentlich zurecht?  Es wächst jedoch nicht nur die Gesamtbevölkerung, auch die Zahl der Erwerbstätigen erreicht Jahr für Jahr neue Höchststände. Auch hier gilt: Noch nie waren so viele Menschen in Deutschland erwerbstätig wie heute. Geht es gegen die Rentner, dann wird die demographische Keule geschwungen, von der man allerdings den Anfang, nämlich die Kindheit und die Jugend abgeschnitten hat. Alle tönen laut, wer denn später die Renten zahlen soll, weil inzwischen jeder der Propaganda glaubt, dass die Kinder die Renten der Alten zahlen, weil der Staat die Beitragszahlungen der Pflichtversicherten sofort für die Auszahlung der Renten verwendet. Doch das ist der eigentliche Sinn eines Umlagesystems und scheinbar fragt sich niemand, warum es überhaupt eingeführt wurde, wo doch zuvor ein Kapitalgedecktes System bestand. Nun, die Zahl derer, die die Umstellung 1957 noch mitbekommen haben, nimmt ab und die Zahl derer, die den dafür bestehenden Hintergrund auch begriffen haben, war und ist ohnehin gering. Bei einem Kapitalgedeckten Rentensystem zahle ich monatliche Beiträge in gleicher Höhe. Wird das Kapital verzinslich angelegt, kann man nur hoffen, dass keine Finanz- oder Wirtschaftskrisen dazwischen funken und vor allem, dass “Väterchen Staat” seine Finger heraushält und nicht, wie er das stets getan hat, sich aus diesem Topf bedient, wenn es mal eng wird (Stichwort – versicherungsfremde Leistungen). Der gerne angeführte Zuschuss des Staates zur Rentenversicherung ist kein Zuschuss, sondern eine Ausgleichszahlung dieser Fremdlasten. Nun zu den “armen Jungen”, die das alles bezahlen müssen. Halten wir fest. Bezahlen werden das ausschließlich die Beitragszahler, also nur die Menschen, die einen versicherungspflichtigen Job haben. So scheint es, aber so ganz richtig ist auch das nicht, denn auch die Rentner werden mit dem sogenannten Nachhaltigkeitsfaktor zur Kasse gebeten. Würde die arme Jugend begreifen, dass Rentenkürzungen heute eben nicht dazu dienen, ihnen später einmal eine bessere Rente zu garantieren, sondern dass sich jede Rentenkürzung kumuliert und dauerhaft bleibt und genau das der wirkliche Auslöser ihrer schlechten Aussichten ist, wäre schon viel gewonnen. Zunächst ein Blick auf den Terminus “Generationenvertrag”. Das ist nichts weiter als ein Schlagwort, denn kein Arbeitnehmer hat jemals einen solchen Vertrag geschlossen. Versicherungspflichtig beschäftigt zu sein bedeutet, man wurde zwangsversichert, was nicht das Schlechteste ist, hätten wir auch ehrliche Regierungen. Auf den Lohnabrechnungen der Arbeitnehmer steht auch nichts von Generationenvertrag, sondern nur eine Spalte über die Zahlungen an die “Rentenversicherung”. Die GRV ist und bleibt also eine Versicherung, auch wenn man mitunter anderes behauptet. Volkswirtschaftlich gesehen ist ein Kapitalansammlungssystem nichts anderes als ein Umlagesystem wie die gesetzliche Rentenversicherung (GRV). Und auch die Erwartungshaltung ist die Gleiche. Es war Mackenroth, der das erkannt hat und mit den Worten begründete, dass es die erwerbstätigen Generationen sind, die die Sozialausgaben einer Volkswirtschaft immer in der laufenden Periode erwirtschaften müssen. Für die ganze Volkswirtschaft gibt es keine Ansammlung von Periode zu Periode, kein “Sparen” im privatwirtschaftlichen Sinne. Kann man aber bei Albrecht Müller oder Heiner Flassbeck in unzähligen Beiträgen nachlesen.

Viele Grüße
Michael Wrazidlo


4. Leserbrief

Hi Jens, liebe NDS,

eine sehr gute Analyse der Verhältnisse !!

Viele der neokonservativen Aussagen beruhen auch auf völlig falschen Annahmen. Beispielsweise ist die Annahme, dass durch den demografischen Wandel heute mehr Rentenempfänger auf weniger Renteneinzahler kommen, in dieser Form falsch!  Die Produktivität eines heutigen Arbeitsplatzes ist um ein Vielfaches höher, was bedeutet, dass auch mehr Leistungsanteile in das Rentensystem eingezahlt werden würden, wenn diese additiven Anteile nicht vorher – systemimmanent – als Profite wegprivatisiert würden. Das bedeutet: Der demografische Wandel hätte eigentlich keinen Einfluss auf die Stabilität des Umlagesystems. Die höhere Produktivität gleicht den Schwund an Einzahlern aus.

Die gesteigerte Armut entsteht durch die Privatisierung von Bereichen, die in einer Gesellschaft nicht privatisierbar sind und daher in die Hand des Staates gehören. Würde man Neubauwohnungen zum Selbstkostenpreis vermieten, läge die Durchschnittsmiete bei 250 Euro pro mittelgroßer Wohnung. 80% der Mietkosten zahlen die Mieter in Profite und Spekulationsgewinne der Eigentümer. Dasselbe Schema sehen wir bei der Privatisierung der Bundesbahn oder des Gesundheitswesens. Alle Privatisierungsprojekte der Politik in Bereichen, die eine staatliche Sicherung für den Bürger darstellten, haben eine massive Degradation des “Quality of Service” für den Bürger – um den “Betrag der privaten Profite” gezeigt. Kein Privatisierungsprojekt unserer neoliberalen Politik – egal durch welche politische Partei betrieben – war je erfolgreich. Kein einziges!

Wer Privatisierungen (PPP) bei staatlichen, nicht privatisierbaren Aufgaben forciert, betreibt eine Plünderung des Staates, d.h Steuerzahlers um den Preis von Profiten Einzelner und “virtueller Gewinne”. Da dies zu Steuererhöhungen führen muss, entsteht eine fortgesetzte Auszehrung des Staates.

Privatisierung wurde der Bevölkerung als “Allheilmittel der Effizienzsteigerung” verkauft. Sicher, privatwirtschaftliche Unternehmen arbeiten hoch-effizient, um den Shareholder Value permanent zu steigern, gegenüber früheren verbeamteten staatlichen Verwaltungsorganisationen. Aber wer sagt, dass nicht auch der Staat nach modernsten betriebswirtschaftlichen Methoden organisiert mit proaktivem Management höchste Effizienz erzielen kann? Der “Shareholder Value” – das sind dann die Bürgerinnen und Bürger, die soziale Stabilität. Bei hoher Effizienz entstehen echte Steuererleichterungen, da der Staat keine Profite erwirtschaften darf. Es gäbe keine Dividenden, keine Spekulationsgewinne und keine Profite, aber eine Menge hochqualifizierter, fester Arbeitsplätze im Staat mit gesicherten, sozialversicherungsfähigen Leistungen.

Und da unser neoliberales Welt- und Wertesystem so stark auf den Wettbewerb – Jeder gegen Jeden – setzt, sollte ein so organisierter moderner Staat, wie ich meine, in einen brutalen Wettbewerb gegen die Privatwirtschaft treten in allen Bereichen, in denen es um die Versorgung der Menschen, also Staatsaufgaben, geht, wie z.B. Wohnungsbau, Alterssicherung, Renten, Gesundheits- und Pflegeversorgung, Bildungssystem, öffentlichen Nahverkehr usw. Die Privatwirtschaft kann sich ja den Automarkt und Rest teilen. Will dann aber noch die Privatwirtschaft gegen den Staat antreten, würde es bedeuten, zwangsläufig alle Profite gegen Null zu bringen.

Stellt man Vergleiche an, stellt man fest: Ab einer gesteigerten, fortgeschrittenen Komplexität blockiert der Kapitalismus seine eigene Entwicklung und der Neoliberalismus nur das Extrem, ein schon länger gescheitertes Paradigma mit Gewalt zu erhalten.

Grüße
von unserem Leser R.O.


Anmerkung zur Korrespondenz mit den NachDenkSeiten

Die NachDenkSeiten freuen sich über Ihre Zuschriften, am besten in einer angemessenen Länge und mit einem eindeutigen Betreff.

Es gibt die folgenden E-Mail-Adressen:

Weitere Details zu diesem Thema finden Sie in unserer „Gebrauchsanleitung“.

Rubriken:

Leserbriefe

Schlagwörter:

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!