Die „Sonderregel“ im NATO-Truppenstatut bei Straftaten von US-Soldaten auf deutschem Boden

Die „Sonderregel“ im NATO-Truppenstatut bei Straftaten von US-Soldaten auf deutschem Boden

Die „Sonderregel“ im NATO-Truppenstatut bei Straftaten von US-Soldaten auf deutschem Boden

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Im Oktober dieses Jahres wurde ein US-Soldat, der auf einer Kirmes im rheinland-pfälzischen Wittlich einen deutschen Staatsbürger mit mehreren Messerstichen getötet hatte, trotz eines zuvor abgelegten Geständnisses von einem US-Militärgericht freigesprochen. Dies war nur möglich, weil es, wie es unter anderem der SWR berichtet, im NATO-Truppenstatut, welches den Umgang mit Straftaten von US-Soldaten regelt, eine Sonderregelung für Deutschland gibt. Die NachDenkSeiten fragten vor diesem Hintergrund auf der BPK nach und wollten zudem wissen, wie solche Fälle für ausländische Soldaten im neuen taktischen Hauptquartier für die NATO in Rostock geregelt sind, weil das NATO-Truppenstatut auf dem Gebiet der ehemaligen DDR keine Gültigkeit hat. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Hintergrund: Deutsche Sonderregel im NATO-Truppenstatut

Im August 2023 kam es während der alljährlichen „Wittlicher Säubrennerkirmes“ zu einer tödlichen Messerattacke auf einen 28-jährigen deutschen Staatsbürger. Ermittlungen ergaben, dass ein US-Soldat, der auf der Air Base in Spangdahlem stationiert ist, die Tat mutmaßlich begangen und den Wittlicher von hinten erstochen hat.

Der US-Soldat legte einen Tag nach der Tat gegenüber deutschen Polizisten ein umfassendes Geständnis ab. Dies bestätigt auch die Staatsanwaltschaft Trier.

Doch im anschließenden Prozess vor dem US-Militärgericht Spangdahlem wird der geständige Täter am 11. Oktober 2024 in allen Anklagepunkten freigesprochen. Das zuvor erfolgte Geständnis wird gegenüber den Geschworenen mit keinem Wort erwähnt. Begründung des US-Richters? Der US-Soldat habe sich bei dem Verhör durch die deutschen Polizisten „bedroht“ gefühlt. Er hätte Angst gehabt, über Nacht im Arrest bleiben zu müssen, wenn er nicht mit den Beamten reden würde.

Die Tatsache, dass dem US-Soldaten vor einem US-Militärgericht und nicht einem deutschen Gericht der Prozess gemacht wurde, begründet sich, wie unter anderem der SWR berichtet, durch eine deutsche Sonderregelung.

Den Umgang bei Straftaten von ausländischen NATO-Soldaten, die in anderen NATO-Mitgliedsländern stationiert sind, regelt das sogenannte NATO-Truppenstatut von 1951. Dieses räumt eigentlich dem Gastland das Vorrecht ein, einen Prozess gegen ausländische Militärangehörige zu führen, die sich strafbar gemacht haben. Allerdings gibt es eine „deutsche Sonderregelung“, wonach die Bundesrepublik Deutschland als einziges NATO-Mitglied auf dieses Vorrecht verzichtet und entsprechende Verfahren gegen US-Soldaten direkt an die US-Behörden zur weiteren Strafverfolgung abgibt.

NATO-Truppenstatut gilt nicht in Ostdeutschland

Laut dem Einigungsvertrag gelten wegen des Verbots der Stationierung von „ausländischen Streitkräften“ auf dem Gebiet der ehemaligen DDR durch den 2+4-Vertrag weder das NATO-Truppenstatut noch der Aufenthaltsvertrag. Im Einigungsvertrag heißt es hierzu auf Seite 21 unmissverständlich, dass sowohl der „Vertrag über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland“ sowie das „NATO-Truppenstatut“ und „die Zusatzvereinbarungen zum NATO-Truppenstatut“ nicht „in den Ländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie in dem Teil des Landes Berlin“ gelten:

Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 28. Oktober 2024

Frage Warweg
Herr Collatz, wir können Sie an Ihrem Tag des Abschieds ja unmöglich gehen lassen, ohne eine Frage an Sie zu richten. Am 21. Oktober war der Bundesminister leider nicht in der Lage, mir auf meine Frage zu antworten, unter welche Statuten, unter welche Gerichtsbarkeit die in Rostock tätigen NATO-Soldaten fallen. Er hatte da eine Nachreichung versprochen; die kam leider nicht, deswegen möchte ich mich an Sie wenden. Können Sie darlegen, wie das im Falle von Straftaten von NATO-Soldaten, die in Rostock tätig sind, geregelt ist? Welche Gerichtsbarkeit greift da, die nationale oder die deutsche?

Collatz (BMVg)
Das ist eine fast banale Antwort, deswegen dachte ich, dass sich das von selbst erschließt. Tatsächlich kann ich Ihnen sagen, dass es sich im Fall von Verbindungs-, von Austauschoffizierinnen und -offizieren um nationales Recht handelt. Die jeweiligen Menschen unterliegen also sowohl der deutschen als auch der heimischen Strafgerichtsbarkeit bzw. überhaupt Gerichtsbarkeit. Für weitere Einrichtungen von größeren Organisationen – NATO und anderen – gibt es auch gesonderte Statute, also Stationierungsabkommen. Die schließt dann das Auswärtige Amt gemeinsam ab. Für das von Ihnen angefragte Personal handelt es sich aber um nationale Gerichtsbarkeiten.

Zusatzfrage Warweg
Apropos Straftaten von NATO-Soldaten auf deutschem Boden: Wir hatten ja kürzlich den Fall, dass ein US-Militärgericht einen US-Soldaten freigesprochen hatte, der einen deutschen Staatsbürger auf einer Kirmes in Wittlich getötet hatte. Dort erfolgte der Freispruch trotz eines zuvor abgelegten Geständnisses, und das Ganze lief auf Ebene des NATO-Truppenstatuts. Das sieht ja eigentlich vor, dass immer die Gerichtsbarkeit des jeweiligen Gastlandes greift, außer – das haben die Kollegen von der ARD berichtet – in Deutschland, denn dort soll es eine Sonderregelung geben, die dazu führt, dass dann immer direkt an die US-Gerichtsbarkeit überwiesen wird. Da würde mich interessieren: Können Sie diese Sonderregelung so bestätigen? Wenn ja, wo ist das schriftlich fixiert?

Collatz (BMVg)
Das ist ein Einzelfall außerhalb der Verantwortung des BMVg.

Zusatzfrage Warweg
Ich habe Sie aber nach einer Sonderregelung innerhalb des NATO-Truppenstatuts gefragt. Das ist also mitnichten ein Sonderfall. Vielmehr wollte ich von Ihnen wissen: Können Sie diese Berichterstattung der Kollegen von der ARD bestätigen, dass es im NATO-Truppenstatut für Deutschland im Gegensatz zu allen anderen Unterzeichnern diese Sonderregelung gibt, dass nicht die nationale Gerichtsbarkeit greift, sondern die US-Militärgerichtsbarkeit?

Collatz (BMVg)
Ihre erste Frage zielte auf den Status von Verbindungsoffizieren und Austauschoffizierinnen ab. Dazu habe ich Ihnen eine Antwort gegeben. Die Verbindung zu dem von Ihnen dargestellten Fall kann ich überhaupt nicht erkennen, und zu Einzelfragen und Einzelfällen können wir hier sowieso keinerlei Stellung nehmen.

Zusatz Warweg
Meine Frage bezog sich mitnichten auf einen Einzelfall, aber gut.

Vorsitzender Feldhoff
Herr Warweg, die Bundesregierung gibt die Antworten, die sie gibt. Damit können Sie zufrieden sein oder auch nicht.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 28.10.2024

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