Zwei Brüder – die Angst vor einem Krieg

Zwei Brüder – die Angst vor einem Krieg

Zwei Brüder – die Angst vor einem Krieg

Ein Artikel von: Redaktion

„Die Angst vor einem neuen Krieg, vor schier ‘wahnsinnigen’ Politikern, treibt mich seit langer Zeit um, und die derzeitige ‘Informationsflut’ der öffentlich-rechtlichen Medien ähnelt einem Propaganda-Feuerwerk und spiegelt alles wider, nur nicht den Wunsch nach Frieden, Diplomatie und Weitsicht.“ Das schreibt uns unser Leser Nico Dietrich. Ihn haben die Entwicklungen dazu veranlasst, einen Text zu schreiben, „der sich mit dem Leid des Krieges beschäftigt, jedoch mit der Problematik, dass sich manchmal Verwandte, manchmal sogar Brüder und Schwestern gegenüberstehen“. Diesen Text möchten wir unseren Lesern nicht vorenthalten und bedanken uns bei Herrn Dietrich – auch stellvertretend für die vielen, vielen tollen Leserzuschriften, die wir bekommen.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Zwei Brüder

Verzweiflung klebt an mir, wie der Dreck an meinen Stiefeln
Tränen der Angst weichen Tränen der Trauer
Es war nur eine Sekunde, du oder ich
Und nun knie ich in deinem Blut, an der alten Kindergartenmauer

An der Mauer, auf der wir in den Ferien saßen und Stöckchen schnitzten
Weißt du noch, der klapprige Milchbock 100 Meter die Straße runter
Dort hast du Olga zum ersten Mal geküsst, ich saß mit meiner Mira dabei
Nie wieder danach ging die Sonne so wundersam friedlich unter

Erinnerst du dich an den Duft von Babuschkas goldenem Apfelkuchen
Daran, wie wir ihn so oft vom Fensterbrett des kleinen Hauses stahlen
Später, bei vollem Magen, zauberte sie uns mit unvergleichlichen Geschichten
In Augen und Herzen ein wohliges Strahlen

Dann ging ich mit Mira fort, seit 2014 haben wir dich nicht mehr gesehen
Auch die Anrufe wurden seltener, wir hatten uns so viel weniger zu sagen
Wer hätte gedacht, dass sie es schaffen, unser Band zu zerschneiden
Plötzlich waren wir „Söhne des Volkes” und wir ließen uns an die Waffen jagen

Der Duft des Apfelkuchens weicht nun dem Geruch deines Blutes
Weißt du noch, wir spielten hier oft Räuber und Gendarm
Doch aus dem Spiel wurde tödlicher Ernst, keine Märchen danach, kein Sonnenuntergang
Heut liegst du, nach der Wucht meiner Handgranate, sterbend in meinem Arm

„Verteidige dein Land” befahlen sie uns
„Verteidige unsere Freiheit und unsere Interessen”
„Schieß auf deine Cousins, auf deine Brüder und Schwestern”
Befahlen Sie … und danach gingen sie schick Mittag essen

Du flüsterst: „Wann hast Du aufgehört, mein Bruder zu sein?”
Doch deine letzten Worte werden vom Lärm des Häuserkampfes hinfortgefegt
Genau wie der Ruf nach Frieden, Versöhnung und Feuerpause 
Der im medialen Kriegsgetöse ohne Gnade untergeht

Die Welt verschwimmt, ich schreie, kann meine Schuld nicht ertragen
Versuche wie im Wahn, die Gedärme in deinen zerfetzten Körper zu drücken
Während die Söhne der Melnyks, Selenskyjs, Bidens und Putins
In den Mensen der Elite-Unis lachend ein Stück zusammenrücken

Der friedvolle Ort unserer Kindheit wurde zum Ort meiner Schuld
Tod steigt in deine Augen, deine Augen, sonst immer leuchtend und klar
An diesem Ort, der mir nach all den Jahren so schmerzlich vertraut ist
Ich hab dich getötet … und mit dir stirbt alles, was ich jemals war

Epilog:

Verzweiflung klebt an ihm, wie der Dreck an seinen Stiefeln
Tränen der Angst weichen den Tränen der Trauer
Eine tränenreiche Minute, dann brennt sich ein Projektil in seine Schläfe
Er sackt zusammen und sein Blut versickert neben seinem besten Freund …
… an der alten Kindergartenmauer.

Titelbild: Nastyaofly/Shutterstock.com

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