Gegen das Verhalten des Thüringer BSW-Landesverbandes bei den Sondierungen für eine mögliche Koalition gibt es scharfen Gegenwind – auch von der Bundesebene der Partei. Zu Recht, wie ich finde. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) gehen in Sachsen in dieser Woche die Sondierungsgespräche mit CDU und SPD weiter. In Brandenburg einigte sich die Partei mit der SPD schon auf ein Papier, um nun in Koalitionsverhandlungen einzusteigen, in dem es heißt, die Stationierung von US-Raketen „auf deutschem Boden“ sehe man „kritisch“, es brauche mehr „Abrüstung und Rüstungskontrolle“.
Die Thüringer BSW-Spitze um Katja Wolf einigte sich dagegen mit CDU und SPD nur auf die Feststellung, sich in der Außenpolitik uneins zu sein, wie die Welt berichtet:
„‚CDU und SPD sehen sich in der Tradition von Westbindung und Ostpolitik. Das BSW steht für einen kompromisslosen Friedenskurs’, heißt es in der am Montag verkündeten Einigung. Zu Waffenlieferungen an die Ukraine sei man unterschiedlicher Meinung, aber für Frieden seien eben alle. Uneinigkeit in der Außenpolitik, aber Weg frei für die Landespolitik.“
Sahra Wagenknecht bezeichnete die Thüringer Einigung im Spiegel sowie den Vorgang, dass das Thüringer BSW mit den anderen Landtagsfraktionen zuletzt gegen die AfD vorgegangen war, als „Fehler“: „Wenn CDU und SPD den Eindruck bekommen, dass das Thüringer BSW sich elementare Positionen wegverhandeln lässt, macht das gute Koalitionsverhandlungen nicht leichter.“ Man hätte sich am „in Brandenburg gefundenen Kompromiss“ orientieren sollen.
Doch nicht nur in der Friedensfrage, auch in der Thüringer Landespolitik bleibe das Sondierungspapier hinter ihren Erwartungen zurück, sagt Wagenknecht gegenüber der Welt. „Es ist vor allem da stark, wo wir uns mit der CDU einig sind“, also bei Fragen der Migrationspolitik und der inneren Sicherheit. Beim „sozialen Wohnungsbau, dem Erhalt der Krankenhäuser, einem Corona-Amnestie-Gesetz oder einer besseren Kontrolle des Verfassungsschutzes“ falle man hinter die eigenen Ansprüche zurück. „Da muss bei den Koalitionsverhandlungen noch viel erreicht werden, wenn wir unsere Wähler nicht massiv enttäuschen wollen“, sagte Wagenknecht demnach am Dienstag. Das Thüringer Sondierungspapier findet sich unter diesem Link.
„Unsere Wähler haben mehr verdient als blumige Worthülsen“
Sehr deutliche Worte zu den Sondierungen in Thüringen finden die Bundestagsabgeordnete und Parlamentarische Geschäftsführerin Jessica Tatti und der BSW-Schatzmeister Ralph Suikat in einem aktuellen Gastbeitrag bei T-Online:
„Katja Wolf und Steffen Schütz sind in Thüringen auf dem besten Weg, das BSW zu einer Partei zu machen, von der es nicht noch eine braucht.“
Es könne kein Thüringer BSW geben, das eine CDU-konforme Außenpolitik mittrage und „die von Friedrich Merz theatralisch beschworenen Grundsätze der Union“ stützte, so Tatti und Suikat: „Wir sind keine willfährigen Mehrheitsbeschaffer für Voigt. Wir werden nicht vor Merz kapitulieren.“ Es müsse auch Katja Wolf klar sein: „Wenn wir in eine Regierung gehen, dann für die Bürger und die Inhalte des BSW.“ Zwei Drittel der Menschen in Ostdeutschland würden keine U.S.-Raketen-Stationierung in Deutschland wollen. Sie hätte Auswirkungen auf das ganze Land, auch auf Thüringen. Ob es da so abwegig sei, „dass man als Landesregierung seine Wähler“ vertrete, wird gefragt. Und ob es etwa „eine solche Unverschämtheit“ sei, dass sich „eine Parteivorsitzende für die Versprechen einsetzt, die sie im Wahlkampf gegeben hat“? Die Politiker warnen:
„Katja Wolf und die BSW-Landtagsfraktion begehen einen schweren politischen Fehler, wenn sie sich dem transatlantischen Treueschwur eines Friedrich Merz beugen. Mehr noch, sie tappen in eine Falle.“
Beim Lesen der Präambel und des Thüringer Sondierungspapiers frage man sich: „Wo sind unsere zentralen Forderungen geblieben?“ Das sei „definitiv nicht das, wofür man all die Anstrengungen und harten Konflikte auf dem Weg aus der ehemaligen Partei bis zur Gründung des BSW auf sich genommen“ habe:
„Es ist auch nicht das, wofür sich neue Leute dem BSW angeschlossen haben und wofür sie sich in unserer Partei mit ganzer Kraft engagieren. Unsere Wähler haben mehr verdient als zwei Seiten voller blumiger Worthülsen.“
Die Positionen zu Frieden und Corona-Aufarbeitung hätten eine maßgebliche Rolle beim Erfolg des BSW gespielt. Und deshalb müsse sich das in einer möglichen Regierung abbilden, so Tatti und Suikat:
„Ansonsten muss man es sein lassen – und zwar jetzt.“
Kritisch zu den Vorgängen äußerte sich unter anderem auch der BSW-EU-Abgeordnete Friedrich Pürner, der etwa in einem Beitrag bei Tichys Einblick den Abbruch der Koalitionsgespräche fordert.
Katja Wolf: „Das haben wir hart verhandelt“
In Erfurt plant BSW-Landeschefin Katja Wolf derweil weitere Gespräche mit CDU und SPD für eine „Brombeer“-Regierungskoalition.
In sieben Verhandlungsgruppen will man den Koalitionsvertrag erarbeiten – und weist die Kritik aus den eigenen Reihen zurück. „Wir haben mit unserer Präambel gezeigt, wie elementar uns die Friedensfrage ist. Das haben wir hart verhandelt“, sagte Katja Wolf am Dienstag gegenüber der Welt.
Gefahr der Entzauberung
Ich stehe Beteiligungen des BSW an Landesregierungen noch eher skeptisch gegenüber, wie ich schon kürzlich im Artikel „Schräges Theater in Thüringen” geschrieben habe – zu groß finde ich noch die Gefahr, dass sich die junge Partei abnutzt, dass sie sehr früh faule Kompromisse eingehen muss und dann leicht angreifbar und zu entzaubern sein wird. Ich sehe die Rolle der Partei (noch) vor allem in einer starken und konsequenten Opposition – auch, weil diese Rolle unter anderem wegen des Ausfalls der Linkspartei sehr lange überhaupt nicht ausgefüllt wurde und eine solche Stimme meiner Meinung nach von vielen Bürgern sehnlichst erwartet wird.
Das Bild, dass sich das BSW, nur um mitzuregieren, an die (grob zugespitzt formuliert) „Kriegs- und Corona-Parteien“ anbiedert und dafür wichtige Positionen opfert, muss verhindert werden. Sonst ist der wichtige Erfolg bei den kommenden Bundestagswahlen in Gefahr.
Andererseits möchte niemand destruktiv erscheinen, sich aus der Verantwortung stehlen oder ein Bundesland in die Unregierbarkeit führen – es ist vertrackt und es ist von Fall zu Fall zu entscheiden. So ist Brandenburg bereits anders einzuordnen als Thüringen.
In Thüringen hat der BSW-Landesverband, anders als etwa in Brandenburg, zuletzt einen verheerenden Eindruck hinterlassen, der zahlreiche BSW-Anhänger geradezu vor den Kopf gestoßen hat. Darum stimme ich auch den oben wiedergegebenen Ausführungen von Tatti und Suikat voll zu.
Außerdem: Im sich nun entfaltenden innerparteilichen Machtkampf muss sich Katja Wolf bewegen und nicht Sahra Wagenknecht – denn diese formuliert das, was meiner Meinung nach die große Mehrheit der BSW-Wähler denkt. Wolf sollte sich das (schnell) zu Herzen nehmen, denn, um nochmal Tatti und Suikat zu zitieren:
„Wenn die Glaubwürdigkeit auf dem Spiel steht, ist es besser, aus der Opposition heraus gegen die falsche Politik einzustehen, die andere Parteien machen. Das gilt umso mehr für eine so junge Partei.“
Der Abschluss ist scharf formuliert:
„Wer das nicht kapiert, wird vielleicht schnell Ministerin, ist aber in unserer Partei falsch.“
Titelbild: Shutterstock / Gorloff-KV