Die NachDenkSeiten hatten bereits am 11. September auf der Bundespressekonferenz zu dem der Lübecker Reederei Lubeca Marine gehörenden Frachtschiff MV Kathrin nachgefragt. Dieses transportiert derzeit tonnenweise RDX-Sprengstoff an Israel, welcher vor allem für den Bau von Fliegerbomben und Raketen genutzt wird. Die versprochene „Nachreichung“ zu der völkerrechtlichen Verantwortung der Bundesregierung in Bezug auf diese explosive Fracht ist nie erfolgt. Also fragten die NDS erneut nach, auch vor dem Hintergrund, dass mittlerweile selbst EU-Partner wie Malta und Portugal das Schiff sanktionierten, unter anderem mit der Begründung, dass man nicht wegen Komplizenschaft mit einem Völkermord angeklagt werden will. Von Florian Warweg.
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Hintergrund
„Wollen Völkermord nicht unterstützen“ – MV Kathrin erhält in Afrika keine Anlegeerlaubnis
Im Juli 2024 wurde die MV Kathrin in der vietnamesischen Stadt Haiphong mit acht Containern des Sprengstoffs Royal Demolition Explosive (RDX) beladen, die für Israel bestimmt waren, genauer gesagt für Israels größtes Militärunternehmen, Elbit Systems. RDX-Sprengstoff ist ein in Deutschland erfundener Sprengstoff, der als signifikant stärker als TNT gilt und als Schlüsselkomponente für die Produktion von Fliegerbomben, Granaten und Raketen benötigt wird. Bomben und Raketen wohlgemerkt, die derzeit vornehmlich gegen die Zivilbevölkerung in Gaza und Libanon eingesetzt werden.
Nachdem das deutsche Frachtschiff in Vietnam mit dem Sprengstoff beladen worden war, machte es sich auf die Reise über den Indischen Ozean zur Atlantikküste Afrikas. Doch schon beim ersten Anlegeziel, dem größten Überseehafen Namibias, „Walvis Bay“, verweigerten die dortigen Behörden dem Schiff die Erlaubnis, anzulegen.
Der namibische Justizminister begründete die Verweigerung des Hafenzugangs damit, dass „Namibia seiner Verpflichtung nachkommt, israelische Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord sowie die rechtswidrige Besetzung Palästinas nicht zu unterstützen oder sich daran mitschuldig zu machen“.
Die namibische Regierung verwies zudem auf die Resolution des UN-Menschenrechtsrats vom 5. April 2024, welche ein Waffenembargo gegen Israel forderte. Die Resolution war mit großer Mehrheit angenommen worden. Lediglich die USA, Deutschland und vier weitere Staaten hatten dagegen gestimmt:
#HRC55 | Draft resolution A/HRC/55/L.30 on the Human rights situation in the Occupied Palestinian Territory, including East Jerusalem, and the obligation to ensure accountability and justice was ADOPTED. pic.twitter.com/URttz9IFjv
— UN Human Rights Council (@UN_HRC) April 5, 2024
Als nächstes sollte die MV Kathrin dann in einem angolanischen Hafen anlegen. Doch auch dort wurde dem Frachtschiff mit sehr ähnlicher Begründung das Anlegen verwehrt. Das im deutschen Besitz befindliche Frachtschiff machte sich nun auf den Weg Richtung Mittelmeer.
Die UN-Sonderberichterstatterin für Palästina schaltet sich ein
Francesca Albanese, die UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten palästinensischen Gebiete, lobte in Folge die Entscheidung Namibias, der MV Kathrin den Zugang zu verweigern, und erinnerte die internationale Gemeinschaft daran, dass „jede militärische Lieferung an Israel, das nach Feststellung des Internationalen Gerichtshofs möglicherweise Völkermord begeht, einen Verstoß gegen die Völkermordkonvention darstellt“. In diesem Zusammenhang kritisierte sie auch Portugal, da das Schiff zu diesem Zeitpunkt unter portugiesischer Flagge fuhr und so dem Schiff den Transport der tödlichen Fracht in internationalen Gewässern erst rechtlich überhaupt ermöglichte. Dies stelle eine klare Verletzung des Völkerrechts dar. In Folge forderte sie die Regierung in Lissabon auf, „dringend“ die Entfernung der portugiesischen Flagge von dem Schiff „Kathrin“ zu verlangen.
Der steigende internationale und nationale Druck zeigte im Falle Portugals Früchte. Nachdem auch zahlreiche portugiesische Parlamentarier und Menschenrechtsorganisationen die Regierung aufgefordert hatten, der MV Kathrin die Flagge zu entziehen, unter anderem mit der Begründung, dass man nicht wegen Komplizenschaft mit einem Völkermord angeklagt werden will, reagierte diese und entzog dem Schiff mit Wirkung zum 17. Oktober die Flagge.
Nur einen Tag später war das Schiff laut verschiedenen Schiffsortungswebseiten unter deutscher Flagge registriert (MS PENG CHAU BOEHE SCHIFFAHRT GMBH & CO). Deutschland war ab dem Moment nun sowohl als Flaggen- als auch Reedereistaat für das Frachtschiff und dessen Ladung voll (völkerrechtlich) verantwortlich.
Die MV Kathrin liegt nach derzeitigem Wissensstand im Mittelmeer in internationalen Gewässern im Ionischen Meer vor Anker, nachdem ihr auch der deutsche EU-Partner Malta mit Verweis auf die völkerrechtliche Lage und den an Bord befindlichen RDX-Sprengstoff die Einfahrt in dessen Gewässer komplett verweigerte.
Bundesregierung entzieht sich bisher der Verantwortung
Deutschland ist bereits vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) angeklagt, weil es seinen Verpflichtungen angesichts der völkerrechtlichen Verstöße des Staates Israel mutmaßlich nicht nachgekommen ist. Eine Untätigkeit im vorliegenden Fall wird die Vorwürfe der Komplizenschaft beim laut IGH vorliegenden „Genozid-Verdacht“ nochmals verstärken und Deutschlands Ruf im Globalen Süden, gerade im südlichen Afrika und im Nahen Osten, weiter schädigen.
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz
Frage Warweg
Ich hatte hier bereits am 11. September bezüglich des im deutschen Besitz befindlichen Transportschiffs „MV Kathrin“ – das gehört der Lübecker Reederei Lubeca Marine – gefragt, welches derzeit RDX-Sprengstoff an Israels größte Rüstungsfirma Elbit Systems liefern soll. Die damals vom AA versprochene Nachreichung ist nie erfolgt. Jetzt gibt es einige weitere Entwicklungen. Nach Namibia haben auch Angola und EU-Partner Malta das Anlegen des Schiffes mit Verweis auf Entscheidungen des IGH und des UN-Menschenrechtsrats komplett verneint. Portugal hat dem Schiff die Flagge entzogen, mit der Begründung, dass man nicht wegen Komplizenschaft mit einem Völkermord angeklagt werden wolle. Standen denn das AA oder andere Ministerien in dieser Angelegenheit im Austausch mit ihren portugiesischen Counterparts, und teilt denn die Bundesregierung die Einschätzung und Aktivitäten Maltas und Portugals in Bezug auf dieses deutsche Schiff?
Deschauer (AA)
Herr Warweg, wenn das Auswärtige Amt keine Nachreichung macht, dann bedauern wir das natürlich sehr. Das mag aber auch daran liegen, dass wir, wie Sie wissen, für rüstungsexportpolitische Fragen nicht federführend sind. Insofern können vielleicht auch Kolleginnen und Kollegen Erkenntnisse, so sie dann vorliegen, hier noch beisteuern.
Ich kann Ihnen nur noch sagen, dass wir die Medienberichterstattung vielleicht nicht ganz so intensiv wie Sie, aber dennoch sicherlich mitverfolgt haben und – zumindest, was das Auswärtige Amt angeht – weder eine Zuständigkeit noch eine Erkenntnislage vorliegen. Insbesondere genaue Versagungshintergründe, Flaggenentzüge usw. entziehen sich hier meiner Kenntnis.
Ganz grundsätzlich haben mir die Kollegen trotzdem noch einmal mitgegeben, dass jeder Hafenstaat souverän entscheiden kann, welchen Schiffen er eine Genehmigung oder Einfahrt erteilt. Aber auch das sehe ich jetzt nicht genuin in dem Bereich des Auswärtigen Amtes verortet.
Zusatzfrage Warweg
Meine Frage war damals auch schon völkerrechtlich gemeint, nicht, was Direktausfuhrgenehmigungen angeht.
Mittlerweile fährt die „MV Kathrin“ auch unter deutscher Flagge. Das heißt, sie ist im deutschen Besitz und steht unter deutscher Flagge. Da würde mich trotzdem interessieren – das können Sie auch gerne nachreichen -, welche völkerrechtliche Verantwortung denn die Bundesregierung trägt, wenn eine deutsche Reederei ein Schiff mit deutscher Flagge nach Israel entsendet und zumindest RDX-Sprengstoff, der hauptsächlich für Raketen und Fliegerbomben genutzt wird, nach Israel transportiert, also in ein Land, dem der IGH dieses Jahr die Plausibilität eines Völkermordes in Gaza zuerkannt hatte. Könnten Sie das kurz völkerrechtlich referieren?
Deschauer (AA)
Ich kann das nicht kurz völkerrechtlich referieren, weil ich bereits auf meine Aussagen verwiesen habe und weil ich die ganzen Annahmen, die Sie in Ihrer Fragestellung oder, besser, in Ihrem Statement geteilt haben, nicht nachvollziehen und auch nicht bestätigen kann. Ich weise noch einmal darauf hin, dass sich die Fragestellung vermutlich nicht wirklich an mich adressiert, auch wenn Sie das immer wieder betonen.
Alexandrin (BMDV)
Ich kann zum flaggenrechtlichen Teil vielleicht noch etwas ergänzen. Es ist so: Wenn ein Flaggenstaat beschließt, ein Schiff nicht mehr unter seiner Flagge zu führen, dann fällt es eben auf die jeweilige Flagge zurück, in dessen Staat sich der Eigentümer des Schiffes befindet. Deswegen erfolgte hier ein Wechsel zur deutschen Flagge.
Zusatzfrage Warweg
Ich habe noch einmal eine Verständnisfrage, weil ich mich an das Auswärtige Amt gewandt habe.
Vorsitzende Buschow
Herr Warweg, das Auswärtige Amt hat jetzt zweimal gesagt, dass es nicht das zuständige Ressort ist! – Ich versuche nur, uns ein bisschen Zeit zu sparen und bitte um eine kurze Frage.
Zusatzfrage Warweg
Ich mache es ganz kurz: Ich würde ganz gerne wissen, wer dann in den ganzen 16 Bundesministerien für völkerrechtliche Einschätzungen zuständig ist. Im Falle Portugals zum Beispiel war es explizit der Außenminister, der sich in diesem Kontext engagiert und zu Wort gemeldet hat. Deswegen würde ich fragen: Wieso fällt die Bewertung in Portugal in den Bereich des Außenministeriums und in der Bundesrepublik nicht?
Deschauer (AA)
Herr Warweg, Sie sprachen von einem Schiff, das ursprünglich unter portugiesischer Flagge stand. Da steht es dem portugiesischen Außenminister frei, sich dazu zu äußern. Ich habe Ihnen hier erläutert, dass ich nicht den gleichen Kenntnisstand oder Detailgrad des Kenntnisstandes habe, den Sie haben, und das Auswärtige Amt innerhalb der Bundesregierung auch nicht für Rüstungsexportpolitik federführend zuständig ist. Ich glaube also, das ist jetzt hier so ein bisschen … Ich mache mich gerne noch einmal intensiver kundig. Wenn wir etwas beitragen können, dann tun wir das gerne. Aber Sie müssen auch akzeptieren, dass es gewisse Grundregeln gibt, und für Rüstungsexportpolitik ist nicht das Auswärtige Amt federführend zuständig.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 23.10.2024
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