„Abgehobene Gehälter führen zu abgehobener Politik“ – so sehen es die beiden neuen Vorsitzenden der Linkspartei, Ines Schwerdtner und Jan van Aken. Um nicht abgehoben zu wirken, verzichten die beiden nun freiwillig auf die Hälfte ihres Gehalts und begrenzen ihr Salär auf den statistischen Durchschnittslohn von 2.850 Euro netto. Man wolle sich nicht bereichern, so von Aken. Was auf den ersten Blick sicher sympathisch wirken mag, ist jedoch bei näherer Betrachtung ein Schlag ins Gesicht der Arbeitnehmerinteressen. Folgt man der Logik der beiden Parteichefs, wären nämlich auch die Gehälter vieler Angestellter im öffentlichen Dienst und im Tarifbereich der Gewerkschaften „abgehoben“, während die Bezüge vieler Schulleiter, Richter, Ingenieure oder Filialleiter gar eine „Bereicherung“ darstellen. Ob die Linkspartei sich mit derlei schrägem Populismus einen Gefallen tut, mag dahingestellt sein. Ein Kommentar von Jens Berger.
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Keine Frage. Für viele Studenten, prekär Beschäftigte und Rentner wird sich ein Bruttomonatsgehalt von 8.162,50 Euro sehr hoch anhören. Und ja, ein solches Gehalt ist auch hoch, aber alles andere als ungewöhnlich. Die neue Linken-Chefin Schwerdtner betonte gegenüber den Medien, dass diese Summe das „Tarifgehalt“ sei, das ihr und ihrem Kollegen van Aken „selbstverständlich“ zustehe. Eine Tariftabelle für Parteivorsitzende gibt es freilich nicht, sodass man davon ausgehen muss, dass diese Summe sich an einer Besoldungstabelle im öffentlichen Dienst orientiert. Gerne werden in der Politik zu diesem Zweck die Besoldungsstufen B oder R gewählt, die Beamte des höheren Dienstes bzw. Richter betreffen. Man achte bereits hier auf die Feinheiten – demnach wären die Bezüge so ziemlich jedes höheren Beamten und vieler Richter in diesem Land „abgehoben“ und stellen eine „Bereicherung“ dar. Aber nicht nur das. Die Gehaltsklasse, die die Linkspartei für ihre Vorsitzenden „tariflich“ vorsieht, entspricht auch den Gehältern vieler Oberärzte in Krankenhäusern, Filialleitern kleinerer Volksbanken und Sparkassen und vieler höher eingruppierter Angestellter deutscher Automobilhersteller innerhalb des Haustarifs.
Wir sprechen hier wohlgemerkt nicht über wirklich sehr hoch bezahlte Chefärzte, Bankvorstände oder Manager – deren Gehälter sind in der Tat oft „abgehoben“ und sollten auch kritisiert werden. Ein Problem des PR-Manövers der Linken-Chefs ist es daher, dass sie die Grenze zwischen angemessenen und abgehobenen Gehältern erstaunlich niedrig ansetzen. Folgt man ihrem moralischen Kompass, müsste jedes Gehalt, dass über dem Durchschnitt von 2.850 Euro netto liegt, ja „abgehoben“ sein. Das beträfe dann laut aktuellen Besoldungstabellen des öffentlichen Dienstes bereits Teile des „gehobenen Dienstes“, also z.B. Lehrer, und laut IG-Metall-Tariftabelle alle Angestellten der oberen Entgeltgruppen, die bereits im Grundentgelt – also ohne Zulagen – auf ein höheres Gehalt kommen. Und das ist ja auch gut so. Nicht die normalen und oberen Gehälter, sondern die niedrigen und extrem hohen Gehälter stellen in Deutschland nicht nur ein Gerechtigkeits-, sondern auch ein volkswirtschaftliches Problem dar.
Dass die Vorsitzenden einer Partei, die sich ja ursprünglich mal die Interessen der Arbeitnehmer auf ihre Fahnen geschrieben hatte, nun implizit sagen, dass Gehälter oberhalb des Durchschnitts „abgehoben“ seien, ist nichts anderes als peinlich und ein Schlag ins Kontor aller, die sich für faire und bessere Löhne starkmachen. Offenbar hat sich die Linkspartei auch in ihrer Weltsicht von der Mittelschicht entfremdet. Das mag dem derzeitigen Wählerklientel entsprechen, das ja offenbar auf junge akademische Großstädter ausgerichtet ist, die oft in prekären Arbeitsverhältnissen stecken und von Durchschnittslöhnen nur träumen können. Schlimm genug. Für Menschen, die aber aufgrund ihrer Ausbildung, ihrer Erwerbsbiographie oder schlicht durch Glück mehr als der Durchschnitt verdienen, aber dennoch sehr weit entfernt von den abkoppelten Einkünften der echten Oberschicht sind, wirken derlei Aussagen und Gesten bestenfalls befremdlich. Wie ernst darf man eine Partei nehmen, deren Vorsitzende einem Lehrer oder einem Referatsleiter im Rathaus durch die Blume mitteilen, ihre Gehälter seien abgehoben und sie würden sich bereichern?
Aber nicht nur das. Schwerdtner und van Aken stellen sich durch ihren freiwilligen Gehaltsverzicht ja vor allem moralisch auf eine höhere Stufe. Wenn die beiden Vorsitzenden mit ihren 2.850 Euro pro Monat hinkommen, ist das natürlich prima. Dass sie damit aber einen moralischen Imperativ aufstellen, an dem sich auch andere messen müssen, ist unanständig. Offenbar hat Frau Schwerdtner keine Kinder, deren Studium sie gerade finanzieren muss. Offenbar hat Herr van Aken sich kein kleines Haus gebaut, dessen Hypotheken nun eine Anschlussfinanzierung mit hohen Zinsen brauchen. Was soll aber ein Linkenwähler von diesem hochmoralischen Gehaltsverzicht halten, der sowohl seine studierenden Kinder finanzieren als auch die Hypotheken für sein kleines Häuschen pünktlich bedienen muss oder womöglich gerade die Rechnung für seine neue Wärmepumpe bekommen hat? Soll er nun ein schlechtes Gewissen haben?
Und wie sieht es mit dem künftigen Personaltableau an der Spitze der Linkspartei aus? Machen wir uns nichts vor – derlei hohe moralische Ansprüche kann eigentlich nur jemand erfüllen, der bereits ohnehin – wie man so schön sagt – finanziell unabhängig ist, also z.B. über ein nennenswertes passives Einkommen verfügt oder auf sein Vermögen zurückgreifen kann. Ob so jemand gerade im Sinne der von van Aken ausgerufenen „Abgehobenheit“ nun unverdächtiger ist als ein potentieller Kandidat aus der Mittelschicht, der auch finanziell mit beiden Beinen im Leben steht, darf getrost bezweifelt werden.
Dabei ist die Aufregung über Bezüge von Parteivorsitzenden ohnehin meist ein Sturm im Wasserglas. In der Vergangenheit wurden diese Bezüge bei der Linkspartei nämlich mit anderen Einkünften aus Abgeordnetenmandaten verrechnet. Die ehemalige Parteivorsitzende Janine Wissler bezog beispielsweise parallel Diäten als Bundestagsabgeordnete, ihr Kollege Martin Schirdewan kam als Ko-Vorsitzender der Linksfraktion im Europaparlament sogar auf ein Gehalt, das selbst so manchen Manager neidisch machen würde. Waren sie eigentlich auch „abgehoben“? Die neuen Vorsitzenden Ines Schwerdtner und Jan van Aken waren vor ihrer Wahl beide als Referenten bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung tätig. Ob sie auch als Parteivorsitzende weiterhin Nebeneinkünfte beziehen werden, die dann ohnehin mit ihren Parteivorsitzendenbezügen verrechnet würden, ist – zumindest mir – unbekannt. Es ist auch keineswegs so, dass die öffentlich zelebrierte „Bescheidenheit“ der angeschlagenen Partei etwas nützen würde. Schwerdtner und van Aken bekommen schließlich das volle Gehalt und führen nach eigener Aussage dann einen Teil des Nettoeinkommens in einen Solidaritätsfonds ab, der „Menschen in Not helfen“ soll. Das ist natürlich löblich und entspricht zugleich der alten PR-Weisheit „Tue Gutes und rede darüber“.
Letztlich ist der medienwirksame Gehaltsverzicht aber vor allem eins: Populismus in Reinkultur. Der Vorsitz einer Partei ist kein Ehrenamt und sicher ein sehr anstrengender Vollzeitjob. Wer anständig arbeitet, der sollte dafür auch ein angemessenes Gehalt bekommen. Das gilt nicht nur für Krankenpfleger und Lehrer, sondern auch für Parteivorsitzende. Die Linkspartei täte gut daran, sich in ihrer Kritik an gesellschaftlichen Ungleichheiten auf die zu konzentrieren, deren Gehälter und vor allem Vermögen wirklich abgehoben sind. Alles andere zerfasert die nötige Debatte und ist kontraproduktiv.
Titelbild: Ines Schwerdtner via Facebook