Nawalny – Einflussagent gegen Putin? Über die Auferstehung eines umstrittenen Oppositionellen

Nawalny – Einflussagent gegen Putin? Über die Auferstehung eines umstrittenen Oppositionellen

Nawalny – Einflussagent gegen Putin? Über die Auferstehung eines umstrittenen Oppositionellen

Wolfgang Bittner
Ein Artikel von Wolfgang Bittner

Die Witwe des im Februar dieses Jahres in der Haft verstorbenen russischen Oppositionellen Alexei Nawalny hat am Dienstag eine Autobiografie ihres Mannes vorgestellt, die in 20 Sprachen erschienen ist. In einem Fernsehinterview erklärte Julija Nawalnaja, sie wolle die Nachfolge ihres Mannes antreten und – falls sie nach Russland zurückkehre – für die nächste Präsidentschaft kandidieren. Die deutschen Medien sind voll davon und propagieren Nawalny als Märtyrer. Fraglich, ob das mit der Realität übereinstimmt. Ein Beitrag von Wolfgang Bittner.

Als am 16. Februar 2024 der Tod des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny bekannt wurde, war das erneut Anlass für eine Propagandakampagne gegen Russland, das seinerzeit kurz vor den Präsidentschaftswahlen stand. Das Gerücht, Nawalny sei in der Strafanstalt Charp in Sibirien ermordet worden, ging um, noch bevor genauere Erkenntnisse vorlagen. Seine Witwe rief bereits wenige Stunden nach dem Ableben ihres Mannes auf der Münchner Sicherheitskonferenz dazu auf, gegen das „Böse“, gegen „dieses furchtbare Regime“ zu kämpfen und Putin persönlich zur Rechenschaft zu ziehen.[1] Im Deutschen Bundestag fand am 21. Februar 2024 eine Debatte statt, in der sich die Redner einig waren, dass Wladimir Putin für den Tod Nawalnys verantwortlich sei, obwohl der nach russischen Angaben eines natürlichen Todes gestorben war.

Nawalny, ein in Russland wenig bekannter Nationalist, der Kaukasier mit Ungeziefer gleichsetzte, das zu vernichten sei, sorgte immer wieder für Schlagzeilen in den westlichen Medien. Er war vom Westen als potenzieller russischer Präsident aufgebaut worden und erhielt Zuwendungen für seine Organisation und für Propaganda gegen Putin. In den USA war er 2010 einige Monate an der Eliteuniversität Yale/Connecticut im Yale World Fellows Program auf seine Rolle als globale Führungskraft – das heißt „Regimechanger“ – vorbereitet worden.

Das Gerücht vom Mordanschlag

Nach einem Schwächeanfall während eines Inlandfluges am 20. August 2022 lag Nawalny mehrere Tage mit Symptomen einer Vergiftung im Koma und wurde zunächst in einer Klinik in Omsk behandelt, dann aber aufgrund starken Drucks aus dem Westen in die Berliner Charité ausgeflogen. Sofort war von einem Anschlag die Rede, obwohl Putin den Flug nach Berlin trotz Grenzsperrung wegen Corona-Maßnahmen genehmigt hatte. Noch bevor Fakten bekannt waren, polemisierten die üblichen Einflusspersonen gegen den russischen Präsidenten, der einen „Mordanschlag“ veranlasst habe. Auf perfide Weise wurde der „Fall Nawalny“ mit dem Bau der Pipeline Nord Stream 2 verknüpft, deren Fertigstellung man mit allen Mitteln verhindern wollte. Das dubiose NATO-nahe „Recherchenetzwerk“ Bellingcat schaltete sich ein, die westlichen Medien schäumten über vor Schuldzuweisungen, und der russische Botschafter wurde ins Auswärtige Amt einbestellt. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Nawalny in der Klinik besucht hatte, sprach von einer zweifelsfreien Vergiftung mit dem in Russland entwickelten Nervenkampfstoff Nowitschok[2], dessen Strukturformel indes Geheimdiensten und Militär in aller Welt seit Jahren zugänglich ist.

Der CDU-Politiker Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages und stellvertretender Vorsitzender der Atlantik-Brücke, forderte nach der angeblich bewiesenen Vergiftung Nawalnys durch russische Stellen den sofortigen Stopp des Nord-Stream-2-Projektes. Er behauptete: „Putin nimmt die Europäer nicht ernst, weil es bei uns nur nette Worte oder auch Empörung, aber niemals Taten gibt …“[3]

Der in verschiedenen US-Netzwerken aktive Grünen-Europapolitiker Reinhard Bütikofer folgerte:

„Ins Kippen gebracht wurde die Stimmung offenkundig durch den Mordanschlag auf das Leben von Alexej Nawalny in Russland. Auf einmal dominierten Grundsatzfragen, gegenüber denen die gebetsmühlenartige Behauptung vom großen ökonomischen Nutzen des Pipelineprojektes hilflos erschien. Wieso behandeln wir eigentlich das Putin-Regime als Partner, das in offenem, in grinsendem Zynismus rücksichtslos mit seinen Bürgern umspringt, so wie es nach außen Internationales Recht verlacht?“[4]

Propagandafilm über Putins Luxuspalast

Erstaunlicherweise erholte sich Nawalny schon bald von dem angeblichen Anschlag mit dem hochtoxischen Nervengift. Nachdem er das Krankenhaus am 22. September 2022 verlassen hatte, arbeitete er während seiner „Rekonvaleszenz“ im Geheimen, aber unter den Augen von Politik und Medien wochenlang intensiv in den Black Forest Studios in Ibach/Schwarzwald an dem Propagandafilm über einen „Luxus-Palast Putins“ am Schwarzen Meer.[5] Darüber berichtete der Schwarzwälder Bote ausführlich am 22. Januar 2021. Unterstützung erhielt der plötzlich Genesene, der Begleitschutz in Anspruch nehmen durfte, aus den USA und von einem professionellen Mitarbeiterstab.

Investigativjournalisten fanden heraus, dass es sich um einen ungeheuerlichen Betrug handelte: Die kostbar eingerichteten Gemächer in dem Prachtbau, der Putin zugeschrieben wurde, waren eine Simulation (Virtual Reality), der Gebäudekomplex eine noch im Rohbau befindliche Hotelanlage. In Russland wurde der Film millionenfach gesehen, ebenso in Deutschland und anderen europäischen Ländern. Viele Menschen glaubten tatsächlich, der russische Präsident habe sich mit staatlichen Geldern und „Schmiergeldern“ ein „Zarenschloss“ errichten lassen.[6]

Erwiesen ist, dass die deutsche Regierung und die Geheimdienste die Produktion des Films unterstützt haben, und das ganz offensichtlich mit dem Ziel, die russische Bevölkerung gegen Wladimir Putin aufzuhetzen, um einen Umsturz herbeizuführen. Warum Nawalny nach dieser skrupellosen Aktion nach Russland zurückgekehrt ist, kann nur vermutet werden. Er wusste, dass er wegen Verletzung von Bewährungsauflagen inhaftiert werden würde, also blieb ihm nur die Märtyrerrolle. Umso niederträchtiger sind die Reaktionen der Politiker und Journalisten nach seiner Verhaftung und nach seinem Tod gewesen.

Der ehemalige Geheimdienstoffizier des Marine-Corps und UN-Waffeninspekteur Scott Ritter, der wie viele Kritiker der Kiewer Regierung auf einer ukrainischen Todesliste steht, sagte:

„Nawalny war ein politischer Agent. … Er war an drei Putschversuchen gegen Wladimir Putin beteiligt … Das ist Hochverrat. Und genau das hat Nawalny gemacht … Er war ein Unruhestifter, der von der CIA ausgebildet, finanziert und gesteuert wurde.“[7]

Nawalnys Märtyrerrolle

Russland hat einen Giftanschlag auf Nawalny und die Unterstellung, ihn ermordet zu haben, stets als feindliche Propaganda zurückgewiesen. Das erscheint plausibel, da er nach Berlin gebracht werden konnte und eine Ermordung auf Anordnung des Kremls kurz vor den Präsidentschaftswahlen höchst unwahrscheinlich war. Aber die Verlogenheit und Hinterhältigkeit der westlichen Politiker, Journalisten und ihrer Scheinexperten kennt keine Grenzen.

Die Europäische Union hatte nichts Eiligeres zu tun, als im März 2024 wegen Nawalnys Tod Sanktionen gegen 33 Personen aus Russland zu beschließen.[8] Auf der Sanktionsliste stehen Persönlichkeiten aus Justiz und Politik, gegen die Einreiseverbote verhängt und deren Konten und Vermögenswerte in der EU „eingefroren“ wurden, desgleichen zwei Strafanstalten, in denen Nawalny inhaftiert war. Demgegenüber wird von der EU hingenommen, dass politische Gefangene im US-Folterlager in Guantanamo seit Jahren ohne ein Gerichtsurteil festgehalten werden.[9]

Am 12. Mai 2024 wurde Nawalny posthum mit dem Dresdner Friedenspreis ausgezeichnet – ein absurder Vorgang, denn der Preis wird laut ZDF an Menschen verliehen, „die sich in besonderem Maße um Frieden und Völkerverständigung verdient gemacht haben“. Ex-Bundespräsident Joachim Gauck nannte Nawalny in der Laudatio Putins „Angstgegner“ und forderte „die Erinnerung an diesen selbstlosen und fast übermenschlich mutigen Mann“. Gauck, der gern die Menschenrechte woanders einklagt, nahm wieder einmal die Gelegenheit für Propaganda gegen Russland wahr:

„Wenn die Opfer autoritärer und imperialer Herrschaft nicht selbst ihre Stimme gegen die Unterdrückung erheben können, dann sind wir in den freien Gesellschaften verpflichtet, uns auch in ihrem Namen zu Wort zu melden: einzutreten für ein Leben in Freiheit, Frieden und Selbstbestimmung.“[10]

Der Schriftsteller und Publizist Dr. jur. Wolfgang Bittner lebt in Göttingen. Der vorstehende Beitrag ist ein Auszug aus dem kürzlich erschienenen Buch „Niemand soll hungern, ohne zu frieren“, Verlag zeitgeist, 2024.

Titelbild: (c) Mitya Aleshkovskiy, CC-BY SA 2.0


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