Stimmen aus Ungarn: Von der GUS zu den BRICS

Stimmen aus Ungarn: Von der GUS zu den BRICS

Stimmen aus Ungarn: Von der GUS zu den BRICS

Gábor Stier
Ein Artikel von Gábor Stier

Der Aufstieg des globalen Südens einschließlich Eurasiens verspricht die Entstehung einer multipolaren, genauer gesagt polyzentrischen Weltordnung, die die Hegemonie der Vereinigten Staaten und die Dominanz des Westens brechen will. Bereits jetzt, während sich die Machtverhältnisse verschieben, zeichnet sich ab, dass sich um Russland herum im postsowjetischen Raum im Norden Eurasiens eines der Zentren der sogenannten nichtwestlichen Welt herausbildet. Neben dem Wirtschaftskrieg ist die Ukraine eine der prominentesten Fronten im Kampf um die neue globale Ordnung. Doch der Wettbewerb um den Einfluss in der Region findet im Wesentlichen seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion statt. Ein Beitrag von Gábor Stier, aus dem Ungarischen übersetzt von Éva Péli.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die durch den Russland-Ukraine-Krieg ausgelösten verstärkten Spannungen zwischen dem Westen, insbesondere den Vereinigten Staaten, und Russland haben die Frage des Einflusses auf Eurasien wieder in den Vordergrund gerückt. In diesem Stellvertreterkrieg ist aus westlicher Sicht bereits entschieden, dass von einer breiten eurasischen Zusammenarbeit auf absehbare Zeit keine Rede sein kann.

Die Bemühungen der Vereinigten Staaten, die nach dem Zweiten Weltkrieg die Aufteilung des ausgedehnten geopolitischen Raums zu einem zentralen strategischen Ziel machten, zu dem vor allem die Verhinderung des Zusammenfindens deutscher Technologie und russischer Reserven gehörte, haben sich ausgezahlt. Die Europäische Union (EU) wurde von Russland getrennt, wodurch beide Pole Groß-Eurasiens geschwächt wurden. Die westliche Hälfte Europas ist endgültig zum Anhängsel der USA geworden, während das Schicksal des anderen Pols zunächst offenbleibt.

Russland ist in einen langwierigen Krieg verwickelt worden, und die Vereinigten Staaten tun alles, um ihren Gegner aus dem Kalten Krieg auf dem Schlachtfeld in der Ukraine zu „erlegen“. Der Kreml sieht diese Bestrebung sehr deutlich und wird sich in diesem Krieg nicht ausbluten lassen. Er führt diesen Krieg, den er eigentlich gar nicht beginnen wollte, daher nur „halbherzig“ (auf halber Flamme) weiter.

Der Ausgang des Krieges wird das Gewicht Russlands in einer sich verändernden Welt grundlegend bestimmen, daher wird Moskau das eigentliche Ziel nicht aus den Augen verlieren, das nur zum Teil darin besteht, den Einfluss auf die Ukraine wiederherzustellen. Für Moskau ist der Hauptgegner also nicht Kiew, sondern Washington. Sein (Russlands, Anm. Red.) Ziel ist es, die US-amerikanische Hegemonie zu schwächen und zu brechen und gleichzeitig ein Gegengewicht zu schaffen, eine sogenannte nichtwestliche Welt. Der Kreml ist sich bewusst, dass er sich diesen Pol mit Mächten wie China, Indien und der Türkei teilen muss, und sieht sich daher als Vorreiter der Konfrontation, die den sogenannten globalen Süden in die Lage versetzt, seine zukünftige Position zu stärken.

Moskau will diese Welt also nicht beherrschen, sondern sie organisieren und sich als eines der Zentren des „globalen Südens“ in einer Welt im Wandel neu positionieren. Russland muss sich jedoch zunächst auf eines der vermeintlichen Zentren des „globalen Südens“, den postsowjetischen Raum, konzentrieren, da die entstehende polyzentrische Weltordnung als ein Geflecht regionaler Integrationen angesehen werden kann, während die Invasion in der Ukraine die meisten Länder der Region zur Vorsicht mahnt und von einer engen Zusammenarbeit mit Moskau abhält.

Der geopolitische Wettlauf um die Region, den nördlichen Teil Eurasiens, der im Wesentlichen mit dem Zerfall der Sowjetunion begann, hat sich inzwischen verschärft. Russland steht eindeutig im Zentrum der Region, aber sein historischer Einfluss auf diese wurde zunächst durch seine eigene Schwäche in den 1990er-Jahren und durch die Souveränitätsbehauptungen der neuen unabhängigen Staaten begrenzt. Zudem versuchte der Westen, in der Region vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht an Boden zu gewinnen – ohne große Kämpfe, weil er innerhalb Russlands selbst ernsthaften, nicht ausschließlich wirtschaftlichen Einfluss gewonnen hat. Zu dieser Zeit waren China oder die Türkei nicht stark genug, um einen Blick auf die Region zu werfen.

Das lange Zeit vor allem mit seinen internen Problemen beschäftigte Moskau sah seinen Einfluss als selbstverständlich an und legte daher auch keinen großen Wert auf regionale Integrationsrahmen. Und später, als es bis vor Kurzem immer stärker wurde, konzentrierte es sich mehr auf seine globalen Ambitionen als auf das sogenannte nahe Ausland.

Die wichtigste dieser losen Kooperationen war zunächst die am 21. Dezember 1991 gegründete Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) – um die Schwierigkeiten der Trennung abzufedern –, deren Gründung auch das Ende der Sowjetunion markierte. Elf von 15 ehemaligen Mitgliedsrepubliken brachte sie zusammen. Die baltischen Staaten blieben selbstverständlich außen vor, Georgien trat nach dem Bürgerkrieg bei und verließ 2009 nach dem russisch-georgischen Krieg die GUS. Die Ukraine kündigte 2014 ihren Austritt an, und Turkmenistan ist erst seit 2005 lediglich Beobachter. Ein Jahr später wurde ohne die Ukraine, Moldawien und Turkmenistan eine Sicherheitskooperation, die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS), gegründet.

Der nächste Schritt zu einer ernsthafteren Integrationsstufe war die Eurasische Wirtschaftsunion, die bereits 1993 vom damaligen kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew ins Auge gefasst wurde. Sie wurde, sich aus einer Zollunion entwickelnd, jedoch erst 2014 ins Leben gerufen.

Zu dem von der EU inspirierten Bündnis aus Russland, Kasachstan, Belarus, Armenien und Kirgisistan, das inzwischen 183 Millionen Menschen umfasst, sind weitere Kooperationsrahmen hinzugekommen, die ursprünglich länderübergreifend waren. So sind die „Schanghaier Fünf“, die 1996 als Sicherheitskooperation zwischen Kasachstan, China, Kirgisistan, Russland und Tadschikistan begann, inzwischen zu einer breit angelegten politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und verteidigungspolitischen Zusammenarbeit mit derzeit neun Mitgliedern – Kasachstan, Indien, Iran, China, Kirgisistan, Pakistan, Russland, Tadschikistan und Usbekistan – gewachsen, bekannt unter dem Namen Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ). Dann müssen wir noch den Bund der Schwellenländer BRICS erwähnen, der aktuell zehn Mitglieder hat. Zu dem fünfköpfigen „Kern“ aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika haben sich vor Kurzem Äthiopien, Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate gesellt.

In einem zunehmenden Wettlauf um Einfluss hat die EU dagegen 2008 mit polnischer und schwedischer Obhut die „Östliche Partnerschaft“ ins Leben gerufen – heute im Grunde tot –, zu der Armenien, Georgien, Aserbaidschan, Moldawien, die Ukraine und Belarus gehören. Und 1996 gründeten die Vereinigten Staaten die GUUAM, eine Koalition aus Georgien, der Ukraine, Aserbaidschan und Moldawien, später Usbekistan, um die atlantisch-westliche Orientierung in der Region zu stärken, die bis Ende der 2010er-Jahre ebenfalls stark an Bedeutung einbüßte.

Das Scheitern dieser Versuche bedeutete jedoch nicht das Ende des geopolitischen Wettlaufs, sondern er wurde vielmehr auf eine neue Ebene gehoben. An die Stelle der „farbigen Revolutionen“ ist eine direktere Einmischung getreten, die nun auch eine militärische Dimension hat. Währenddessen versucht Russland, das auch vor einer Invasion nicht zurückschreckt – siehe Georgien und die Ukraine –, auf der anderen Seite, seinen Einfluss in der Region und damit auf globaler Ebene aufrechtzuerhalten und nach Möglichkeiten auszuweiten. Das tut es durch regionale und überregionale Zusammenarbeit und, indem es mit immer mehr Herausforderern – dem Westen, China, der Türkei – konkurriert.

Der globale Süden: Um zu wissen, wovon wir sprechen, müssen wir zunächst die transatlantische Blase verlassen. So zeichnet sich sofort ab, dass etwa der einst periphere „Ferne Osten“ im 21. Jahrhundert in vielerlei Hinsicht zum Zentrum der Welt werden wird.

In dieser riesigen, politisch vielfältigen Region lebt heute die Hälfte der Weltbevölkerung. Aber auch die Hälfte der 20 bevölkerungsreichsten Länder – China, Indien, Indonesien, Pakistan, Bangladesch, Japan, die Philippinen und Vietnam – gehören zu dieser Region. Wirtschaftlich gesehen entfallen auf die Region 40 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsproduktes (BIP) und mehr als 50 Prozent des Wirtschaftswachstums. Zwischen 2015 und 2030 wird der weltweite Konsum der Mittelschicht auf etwa 30 Billionen US-Dollar ansteigen, wovon nur eine Billion US-Dollar auf Europa und etwa die Hälfte auf den Fernen Osten entfallen wird. Betrachtet man die nichtwestliche Welt in politischer und nicht in geografischer Hinsicht, so ergibt sich ein noch größeres Potenzial. Japan, Südkorea und Australien werden ausgeklammert, dafür kommen Afrika sowie Süd- und Mittelamerika hinzu. Allein die Länder der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, die als wichtige Bastion des Widerstands gegen den Westen gilt, machen 60 Prozent der gesamten Landfläche Eurasiens aus – mit 3,4 Milliarden Menschen. Die „Shanghaier“ stellen 41 Prozent der Weltbevölkerung und 24 Prozent des globalen BIP.

Warteschlangen: Immer mehr Länder erkennen das Potenzial der sogenannten nichtwestlichen Bündnisse, und neue Mitglieder stehen nun Schlange, um sowohl der „Shanghai“- als auch der BRICS-Gruppe beizutreten. Nach Usbekistan (2001), Indien und Pakistan (2017) und dem Iran (2022) sind nun zehn weitere Länder auf irgendeiner Ebene mit der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit verbunden. Belarus, die Mongolei und Afghanistan haben Beobachterstatus. Derzeit gehören dem Bündnis sechs Dialogpartner an, nämlich Aserbaidschan, Kambodscha, Armenien, Nepal, Sri Lanka und die Türkei. Zu ihnen sollen Saudi-Arabien, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate, Syrien und Ägypten stoßen. Auch bei den BRICS „klopfen“ immer mehr Staaten an die Tür. Die 2006 auf Initiative Moskaus gegründete Organisation, der neben Russland auch Brasilien, Indien und China angehören, wurde 2010 um Südafrika erweitert und wird mit dem Beitritt Ägyptens, Äthiopiens, Irans, Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate am 1. Januar 2024 zur einflussreichsten Organisation der sogenannten nichtwestlichen Welt. Es ist daher nicht überraschend, dass rund 40 Länder ihr Interesse an einer Mitgliedschaft bekundet haben.

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf eurazsiamagazin.hu.

Titelbild: Shutterstock / MAXX Studio