Haralampi G. Oroschakoff: Reise durch die europäische Zeitgeschichte aus der Perspektive eines Künstlers

Haralampi G. Oroschakoff: Reise durch die europäische Zeitgeschichte aus der Perspektive eines Künstlers

Haralampi G. Oroschakoff: Reise durch die europäische Zeitgeschichte aus der Perspektive eines Künstlers

Ein Artikel von Éva Péli

„Unabhängig davon, welchen historischen Bezug sie auch immer behält, bleibt die Emigration ein Versehen des Schicksals“, schreibt der renommierte Maler und Schriftsteller Haralampi G. Oroschakoff in seinem Lebensroman mit dem Titel „Das Lächeln des Emigranten“. „Wer als Fünfjähriger aus seiner Welt herausgerissen und in eine andere Art zu fühlen, zu denken und zu leben eingeführt wird, als sei sein Geborenwerden am alten Ort ein Zufall gewesen, wird niemals mehr das Gefühl los, dass es so, wie er ist, sich bewegt und spricht, irgendwie nicht richtig ist.“ Ein Bericht von Éva Péli.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Haralampi G. Oroschakoff stellte kürzlich sein Buch mit einer Lesung im Berliner „Sprechsaal“ vor – mit einer Zeitreise durch die europäische Geschichte aus der Perspektive eines Künstlers aus einer russischen Emigrantenfamilie. Die Familie seiner Mutter entstammt dem ungarischen Uradel aus Transsylvanien (Siebenbürgen). Er eröffnete außerdem die Ausstellung seiner Werkreihe „Maps“, die noch bis diesen Samstag, 19. Oktober 2024, im „Sprechsaal“ zu sehen ist.

Die Bilder entstanden Anfang der 90er-Jahre, als die Welt im Aufbruch war und sich neu formierte. Neben dem Mauerfall und dem Zerfall der Sowjetunion war das auch die Zeit der Kriege in Jugoslawien. Diese Arbeiten sind seit 1993 nicht mehr gezeigt worden. Und aus der heutigen Sicht betrachtet würden die Bilder geradezu prophetisch wirken, sagte der Künstler.

Die Veranstaltung richtete Berlin im Dialog in Kooperation mit der Eurasien Gesellschaft aus. Das Buch ist im Berliner Verlag WD Press erschienen, ein Verlag spezialisiert auf Kunst und Philosophie. Bei der Veranstaltung moderierte Alexander Neu, Politikwissenschaftler und ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Linkspartei sowie regelmäßiger Gastautor bei den NachDenkSeiten.

„Wirklich heimisch werden konnten meine Eltern nur im Nirgendwo und ungeachtet der Kulissen.“ Das hartnäckig wiederkehrende Element der Vertreibung sei in der Familie konstant geblieben und es sei ihm immer seltsam vorgekommen. Das Gefühl, anders zu sein, begleitete ihn ein Leben lang, das Ausgegrenztsein ist seine Lebenserfahrung.

„Mein Großvater hatte in Wien bereits 1905 die erste russische Flüchtlingswelle wahrgenommen“, schreibt er im Buch über Haralampi Gawilowitsch, der in Wien Medizin studierte und als Einziger aus der Familie die russische Revolution 1917 überlebte.

„Als er danach das in der Familie obligatorische Jurastudium antrat, das er an der Kaiser-Wilhelm-Universität zu Berlin 1916 mit der Doktorwürde abschloss, dachte er sicherlich nicht darüber nach, dass ein seltsam romantisches Wort die Kehrseite seines Lebens beinhalten und dieses Wort in der nächsten Zukunft seiner Familie aufgezwungen werden würde: die Emigration.“

Oroschakoff fügte hinzu: „Mich kleidete dieses Wort in der Jugend mit dem Geruch der Undurchschaubarkeit im Geflecht der Missverständnisse.“ In seinem Buch erzählt er aus seinem Leben als Sohn von Emigranten, von Flucht und Vertreibung, verlorener und wiedergefundener Identität, von seinem künstlerischen Werdegang zwischen Bohème und Kreativität, von der Enteignung seiner Familie – erst durch die Kommunisten, dann durch die Kapitalisten.

Oroschakoff war bis Mitte der 90er-Jahre ein Star der Kunstszene – ein „solitärer Spurensucher“, wie er sich selbst bezeichnet: „Zugehörigkeit hat mich nie interessiert.“ Seine Werke waren damals immer ausverkauft und in über 30 Museen zu sehen. Er war regelmäßig auf der Biennale in Venedig. Später ist das dann abgeflaut, wie er berichtete.

Der 1955 in Sofia Geborene ist ein Vorläufer des Ost-West-Dialogs im Kulturbereich und ein Erneuerer der Ikonenrezeption in der westlichen Malerei. Oroschakoff wird von der Kunstkritik als Wanderer zwischen Welten, als Brückenbauer verstanden.

Mit fünf Jahren floh er mit der Familie nach Wien, wo er österreichischer Staatsbürger geworden ist. In den 60er-Jahren haben seine Eltern Cannes als zweiten Wohnsitz gewählt, das ist für ihn heute zum Mittelpunkt der Familie geworden. München und Berlin sind andere wichtige Stationen in seinem Leben. Oroschakoff hat viel blaues Blut in seiner Ahnenreihe, neben Diplomaten und Ministern gab es vom 17. bis zum 18. Jahrhundert eine ganze Reihe von Vorfahren, die in diversen russischen Klöstern und Kirchen gewirkt haben. Vielleicht erklärt das seine tiefe Verbindung mit der Orthodoxie. Für den Künstler ist das Wissen um die eigene Herkunft, das Weitergeben gelebter Rituale ein Anker im Prozess der Eigenverantwortung. Oroschakoff sprach von seinen schwierigen Eltern, dem nie anwesenden Vater, ein Industrieller, und der ungarischen Mutter – heute 98 Jahre alt –, die Gina Lollobrigida ähnelte „und gelinde gesagt belastend ist“.

Moderator Alexander Neu sprach mit dem Künstler über die geistige Ausgrenzung, die schlimmer sei als jegliche staatlich verordnete Zensur. Oroschakoff empört und entsetzt das, er sprach von immer mehr Verengung – der Mensch beginne, sich immer weiter selbst zu korrumpieren aus Angst um die Familie, um soziale Konflikte, Berufsleben, Freundes- und Bekanntenkreis. Es wird „immer enger, immer müder, immer feiger“. In Bezug auf die Russen und Russischstämmigen sagte er: Diese Art von Diffamierung, Ausstoß einer starken Kultur, einer Sprache habe es in keinem Falle jemals in der Welt gegeben. Das sei etwas Strategisches.

Als er 1989 erstmalig nach Moskau fuhr, ahnte er nicht, dass die Welt „an der Schwelle der anbrechenden neuen Zeit“ stehe. „Vorausgegangen war ein Machtkampf aller Unionsrepubliken mit der bedeutungslos gewordenen Sowjetzentrale um wirtschaftliche Kompetenzen und politische Souveränität, die in den westlichen Medien vollmundig als endgültiger Sieg der Demokratie und der Menschenrechte gegenüber dem asiatischen Despotismus gefeiert wurde.“

Er erinnert sich im Buch „an einen Abend in München, als die fröhliche Runde den russischen Bären als zahnlosen Tölpel beschrieb, den man jetzt an die Hand nehmen müsse, damit er die neuen Schritte lernt. So viel Arroganz bei völliger Unkenntnis von Wesen und Kultur der Russen machte mich wütend.“

„Eine Horde junger amerikanischer Finanzexperten schwärmte aus und hinterließ als einzige nennenswerte Erneuerung den Nadelstreifenanzug mit leuchtenden Hosenträgern im Moskauer Straßenbild.“ – während der russische Kontinent in Depression versank und mit ihm das Versprechen auf Demokratie.

Neu fragte nach dem Zerfall der Imperien wie Russland, die Sowjetunion, das Deutsche Reich oder die österreich-ungarische Monarchie und wollte wissen, ob es auch ein Motiv sei, mit dem wir jetzt rechnen müssen. Oroschakoff versucht nach seinen eigenen Worten, die Strömungen instinktiv zu erfassen, was nicht einfach sei, da Propaganda auf allen Ebenen betrieben werde. Er ist kein Ökonom, betonte er, aber er glaube, dass die jetzige Situation wie in der Ukraine ein Teil des Monopoly-Spiels sei. „Es gibt sehr viele Leute, die im Moment sehr, sehr viel Geld verdienen.“ Er kann nicht glauben, dass wir wirklich in einem Transformationsprozess vom unipolaren zu einer multipolaren Welt sind, aber er nehme neue Töne wahr.

Die politische Korrektheit, „die theoretisch die Interessen von Minderheiten zu vertreten und Diskriminierung in Wort und Tat zu vermeiden angetreten war, hat sich in eine lauernde Gesinnungspolizei verwandelt, dessen persönlicher Furor die freie Meinung einschränkt“, so der Autor im Buch. „Die Kunst wird so domestiziert.“ Die politische Korrektheit zerstöre die künstlerische Freiheit, schränke die Ausdrucksmöglichkeiten ein und verstelle den Blick auf die komplexe, kontroverse Wirklichkeit.

Bei der Finissage der Ausstellung seiner Werkreihe „Maps“ am Samstag im „Sprechsaal“ diskutiert Haralampi G. Oroschakoff mit dem Eurasien-Kenner Uwe Leuschner, der über 25 Jahre Erfahrung in Russland, Zentralasien und China verfügt. Das geschieht passend zum Thema der Werke über den Niedergang der alten Weltordnung, die möglichen Implikationen für Deutschland und Europa und, wie sich die Ausweitung der Konflikte noch abwenden lassen könnte.

Finissage am Samstag, 19. Oktober 2024, um 18:00 Uhr

Die Welt ein Pulverfass – Ist der Flächenbrand noch zu stoppen?
Ort: Sprechsaal, Marienstr. 26, Berlin-Mitte
Unkostenbeitrag: 10 Euro
Anmeldung: [email protected]
oder via Kontaktformular auf www.berlin-im-dialog.net

Titelbild: Tilo Gräser

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