Laut dem Zwei-plus-Vier-Vertrag dürfen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR weder ausländische Soldaten verlegt noch dort stationiert werden. Im Einigungsvertrag wurde in Folge festgehalten, dass in den neuen Bundesländern weder das NATO-Truppenstatut noch der Aufenthaltsvertrag für ausländische Soldaten gilt. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, wie die Bundesregierung es völker- und verfassungsrechtlich rechtfertigt, dass Verteidigungsminister Boris Pistorius am 21. Oktober eine NATO-Kommandozentrale („Maritimes taktisches Hauptquartier für die NATO“) in Rostock eröffnen wird, in welcher zahlreiche ausländische NATO-Soldaten für je zwei Jahre stationiert werden sollen. Der Erklärungsversuch von Verteidigungs- und Außenministerium wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet. Von Florian Warweg.
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 16. Oktober 2024
Frage Warweg
Herr Stempfle, am 21. Oktober wird Verteidigungsminister Pistorius das maritime taktische Hauptquartier für die NATO in Rostock einweihen. Bis zu 60 ausländische Soldaten sollen dort stationiert werden. Vize ist ein polnischer Admiral, Chef des Stabes ein schwedischer Stabsoffizier. Im Zwei-plus-Vier-Vertrag ist sehr explizit festgehalten, dass auf dem Gebiet der ehemaligen DDR ausländische Streitkräfte weder stationiert noch verlegt werden dürfen. Welche Argumente führt die Bundesregierung ins Feld, um zu begründen, dass diese NATO-Kommandozentrale und die dort stationierten ausländischen Soldaten nicht gegen den Zwei-plus-Vier-Vertrag verstoßen?
Stempfle (BMVg)
Gegenfrage: Woher kommt die Zahl 60?
Zusatz Warweg
Aus Ihrem Haus.
Stempfle (BMVg)
Aus meinem Haus?
Zusatz Warweg
Ja. Aus der Presseerklärung, Einladung für die Eröffnung am folgenden Montag.
Stempfle (BMVg)
Ich kann das jetzt nicht verifizieren. Es ist in der Tat so – Sie haben es richtig gesagt -, dass es um ein deutsches Hauptquartier geht. Dieses Hauptquartier ist dazu da, militärische Lagebilder im zugewiesenen Operationsraum zu erstellen. Wir sprechen hier von der Ostsee. Diese Aufgabe wird dieses nationale Hauptquartier wahrnehmen. Das Gros des Personals ist natürlich von der deutschen MARFOR. Deutsche Soldatinnen und Soldaten werden da vor Ort sein.
In der Tat wird es aber eine Beteiligung geben. Auch Ostseeanrainerstaaten werden vereinzelt Personal dorthin abstellen – das sind zum Teil: aus Dänemark zwei, aus Estland zwei, aus Finnland einer -, damit sozusagen auch Absprachen getroffen werden, damit andere über die Lagebilder informiert sind, die dort zum Teil erstellt werden.
Sie haben den Zwei-plus-Vier-Vertrag angesprochen. Er regelt, dass keine ausländischen Streitkräfte in Ostdeutschland stationiert werden sollen, und das passiert auch nicht.
Zusatzfrage Warweg
Die schwedische Seite spricht sehr wohl davon, dass ihre Soldaten in Rostock stationiert werden sollen.
Der Stationierung von NATO-Soldaten in Rostock steht nicht nur der Zwei-plus-Vier-Vertrag entgegen, sondern auch der Einigungsvertrag, der ebenfalls sehr explizit festlegt, dass sowohl das NATO-Truppenstatut als auch der Vertrag über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte nicht in den fünf neuen Bundesländern gelten.
Auf welcher Rechtsgrundlage wird das NATO-Personal der auch gerade von Ihnen erwähnten Ostseeanrainerstaaten in Rostock stationiert sein, wenn NATO-Truppenstatut und Aufenthaltsvertrag dort nicht gelten?
Stempfle (BMVg)
Sie haben in Ihrer Frage Schweden angesprochen. Schweden wird acht Personen zur Verfügung stellen. Ich sage das, um einmal die Dimension klarzumachen.
Ich habe schon gesagt, dass wir hier nicht von einer Stationierung sprechen, sondern dass es ein deutsches Hauptquartier ist, das dort vor Ort ist, und dass die sozusagen in ihrer Funktion die Arbeit erledigen. Aber natürlich sind wir, wenn es darum geht, Daten zu sammeln, dazu verpflichtet, sie mit unseren NATO-Partnern zu tauschen. Dafür wird vereinzelt – ich habe schon gesagt, dass es wenige Personen sind – Personal von anderen Ostseeanrainerstaaten, die ein Interesse daran haben zu wissen, wie die Lage ist, mit eingebunden. Da haben wir keine Stationierung von Streitkräften, wie Sie es erscheinen lassen.
Zusatzfrage Warweg
Wie gesagt, sind bis zu 60 ausländische Soldaten oder Offiziere in Rostock vorgesehen. Die schwedische Seite hat explizit von Stationierung gesprochen. Das heißt, die Soldaten bleiben jeweils zwei Jahre in Rostock. Wie läuft das rechtlich ab, wenn in Rostock, in den fünf neuen Bundesländern, weder das NATO-Truppenstatut noch der schon erwähnte Vertrag zum Aufenthalt ausländischer Soldaten gilt? Darüber müssen Sie sich ja vorher Gedanken gemacht haben.
Vorsitzende Wolf
Pardon, Herr Warweg! Das ist jetzt genau die gleiche Frage noch einmal und keine Nachfrage.
Zusatz Warweg
Weil sie nicht beantwortet wurde.
Stempfle (BMVg)
Doch. Ich habe sie jetzt schon zweimal beantwortet. Und wir sprechen hier über 26 Dienstposten, die multinational besetzt werden, und nicht 60.
Frage Warweg
Herr Stempfle, ich habe noch eine Verständnisfrage. Sie hatten meine Zahl von 60 ausländischen Soldaten ja dementiert. Jetzt steht in der Einladung zu der Einweihung vom Montag aus Ihrem Haus: „Soldatinnen und Soldaten aus diesen und weiteren Partnerländern können 60 multinationale Dienstposten von 180 im CTF Baltic bereits in Friedenszeiten besetzen.“
Aus Ihrem Haus kommt also die Zahl 60 und gleichzeitig das Dementi bezüglich der 60. Könnten Sie das noch für uns auflösen?
Stempfle (BMVg)
Ich reiche Ihnen etwas nach. Ich kann Ihnen sagen, dass ich die Zahl von 26 Dienstposten vorliegen habe, und bei der bleibe ich jetzt. Wie die andere Zahl zustande kommt, kann ich nachreichen. Das werde ich auch tun.
Fischer (AA)
Herr Warweg, vielleicht ganz kurz: Die genaue Zahl ist ja möglicherweise nicht ganz entscheidend. Entscheidend ist nämlich, dass es eine deutsche Dienststelle ist. Die Kontrolle in allen Verwaltungs-, Personal-, Haushalts- und Disziplinarangelegenheiten liegt eben beim Bundesverteidigungsministerium, und hier greift nicht das NATO-Truppenstatut. Das ist ein nationales Hauptquartier mit einer multinationalen Beteiligung.
Zusatzfrage Warweg
Aber wenn Sie das schon proaktiv aus Sicht des AA ansprechen, können Sie mir dann trotzdem darlegen, auf welcher Rechtsgrundlage diese 60 ausländischen Soldaten in Rostock agieren, weil, wie Sie schon gesagt haben, das NATO-Truppenstatut nicht greift, aber auch der Aufenthaltsvertrag für ausländische Soldaten nicht greift, da es um die fünf neuen Bundesländer geht? Können Sie mir noch sagen, auf welcher Rechtsgrundlage – – –
Auf irgendeiner Rechtsgrundlage müssen die 60 ausländischen Soldaten ja agieren.
Fischer (AA)
Das sind Austausch- und Verbindungsbeamte, die dort arbeiten.
Am 17. Oktober um 10:54 Uhr erreicht uns folgende Nachreichung des Verteidigungsministeriums:
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 16.10.2024
Bruch des Zwei-plus-Vier-Vertrags? Pistorius eröffnet NATO-Hauptquartier in Rostock
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