„Im Schatten des Waldes“ – Ein Mordfall im Kontext der Corona-Krise

„Im Schatten des Waldes“ – Ein Mordfall im Kontext der Corona-Krise

„Im Schatten des Waldes“ – Ein Mordfall im Kontext der Corona-Krise

Ein Artikel von Eugen Zentner

Der Weg von der Produktion eines Buches bis zu dessen Veröffentlichung ist manchmal lang und steinig. Eine schwer zu überwindende Hürde stellt bisweilen der Zeitgeist dar. Das gesellschaftliche Klima kann derart ideologisch aufgeladen sein, dass Verlage Angst bekommen, Werke auf den Markt zu bringen, die in der Darstellung der Welt von der herrschenden Meinung abweichen. Die Autorin Sonja Silberhorn machte diese Erfahrung, als sie in der Endphase der Corona-Krise ihrem Hausverlag ein Krimi-Manuskript vorlegte, in dem die gesellschaftlichen Verwerfungen jener Zeit verarbeitet waren. Zu ihrer Überraschung wurde es abgelehnt. Knapp ein Jahr später ist der Kriminalroman unter dem Titel „Im Schatten des Waldes“ dennoch erschienen – allerdings in einem anderen Verlag. Eine Rezension von Eugen Zentner.

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Wie in jedem fiktionalen Werk dieses Genres geht es um einen Mord, in Silberhorns Geschichte allerdings an einem tendenziösen Journalisten eines Mainstreammediums. Damit hat die Autorin aus Regensburg eine Figur eingeführt, die viele Verleger nervös machen dürfte, weil das darin transportierte Bild vom Vertreter der Vierten Macht nicht mit der herrschenden Meinung übereinstimmt. Doch es kommt noch besser: Vor dem Mord werden auf einem Hof am Rande des Bayerischen Waldes menschliche Knochen gefunden. In Verdacht geraten die Hofbewohner, die meisten von ihnen Kritiker der Corona-Maßnahmen.

In dem nahe gelegenen Dorf ist diese Selbstversorgergemeinschaft als „Querdenker“-Bande verschrien. Ressentiments und Anfeindungen gehören für sie mittlerweile zum Alltag. Im Internet kursieren Bezeichnungen wie „Keimzelle für Verschwörungstheorien“, „Querdenker-Hof“ oder „Verschwörungsideologen mit Kontakten zur rechten Szene“. Für die Dorfbewohner ist daher sofort klar, dass die gefundenen Knochen auf einen Mord hinweisen, den nur die verhassten „Schwurbler“ begangen haben können, nicht zuletzt deswegen, weil der noch lebende Journalist die Stimmung mit einem Schmähartikel zusätzlich anheizt. Silberhorn bringt den Maßnahmenkritikern jedoch mehr Empathie entgegen, nicht nur in Erzählhaltung und Handlungskonzeption, sondern auch durch die Figur der Ermittlerin Lene Wagenbach, die im Dickicht aus Vorurteilen, Unterstellungen und Glaubenssätzen einen kühlen Kopf bewahrt.

In dieser Modellierung liegt der Schlüssel zum Verständnis, warum das Manuskript zunächst abgelehnt wurde. Beim etablierten Kölner Emons Verlag, der zuvor zehn Kriminalromane der Autorin veröffentlicht hatte, herrschte ein wenig Angst vor schlechter Presse, genauer: vor genau solchen Journalisten wie der unrühmlichen Figur in der vorliegenden Geschichte. So hat man es natürlich nicht formuliert, sondern etwas vager: Der Verlag stehe nicht ganz hinter dem Subtext, den der Kriminalroman enthalte, hieß es. Außerdem wolle keiner mehr noch etwas von Corona hören.

Silberhorn war über diese Art der Manuskript-Ablehnung enttäuscht und schilderte ihre unschönen Erlebnisse in einem Artikel auf den NachDenkSeiten. Sie nannte darin die vom Verlag angeführten Gründe, zeigte aber auch Verständnis. In Zeiten gnadenloser Cancel Culture trage ein Verlag nun mal ein hohes wirtschaftliches Risiko, wenn eine seiner Publikationen in Konflikt mit der herrschenden Meinung gerate, schrieb die Autorin. Sie sparte aber auch nicht mit Kritik und beklagte die zunehmende Verengung des zulässigen Meinungskorridors. Jede totalitäre Entwicklung beginnt mit der Diskreditierung oppositioneller Stimmen, lautete ihre Botschaft – und diese findet sich auch in Silberhorns Kriminalroman. Nicht zufällig gibt es dort einen zweiten Handlungsstrang, der in die Zeit des Nationalsozialismus führt, während sich der eigentliche Mordfall im Frühsommer 2022 abspielt.

Silberhorn erzählt gleichsam zwei Geschichten, verzahnt sie aber so geschickt, dass ein einheitlicher Subtext entsteht. Als verbindende Glieder dienen einerseits die gefundenen Menschenknochen und andererseits die Familiengeschichte des Personals rund um den verschmähten „Sonnenhof“. Für einige ist dieser infolge der Corona-Krise „eine Art Schutzraum geworden“, heißt es an einer Stelle. Einen solchen stellt der Sonnenhof auch in dem zeitlich vorgelagerten Handlungsstrang dar, obgleich auf andere Weise und unter viel widrigeren Bedingungen. Die geschilderten Ereignisse ziehen sich über mehrere Jahre von 1933 bis 1944. Die erzählte Zeit fällt somit länger aus als in dem Handlungsstrang rund um den Mordfall im Frühsommer 2022 – die Erzählzeit jedoch insgesamt kürzer.

Silberhorn zeichnet gewissermaßen die totalitäre Entwicklung bis zum völligen Verlust der Freiheit und der unumschränkten Herrschaft einer Ideologie nach, die keine Abweichung duldet. In den Schicksalen der Figuren zeigt sich die staatliche Willkür jener Zeit sowie die mit ihr einhergehende gesellschaftliche Verrohung. Die zarten Blüten einer solchen Entwicklung lassen sich aber auch in den Ereignissen im Frühsommer 2022 erkennen. Gesinnungskontrollen, Denunziation, Anfeindungen wegen „falscher“ Meinung und eine regierungskonforme Presse stecken noch in den Kinderschuhen, tragen aber den Keim autoritärer Strukturen. Wehret den Anfängen! – das ist die Aussage, die auf der Folie beider Handlungsstränge mahnend gesendet wird.

„Im Schatten des Waldes“ kommt zwar als Kriminalroman daher, ist aber mehr als das – eben tiefsinnige Literatur, weil Silberhorn über die Aufklärung eines Mordfalls hinausgeht und den Zeitgeist einfängt. Ihr Werk bildet die gesellschaftlichen Konflikte und Bruchstellen unserer Zeit ab. Es geht um althergebrachte Werte, die wieder auf dem Prüfstand stehen, und es geht um menschliche Verhaltensmuster, die seit jeher gerade in Krisensituationen immer wieder hervortreten. Zugleich wird ein Panorama verschiedener Meinungen über die Corona-Politik entfaltet. Die Autorin zeigt die feinen Schattierungen und leistet damit einen größeren Beitrag zum Pluralismus als die Leitmedien, die seit der Maßnahmenzeit genauso tendenziös berichten wie der ermordete Journalist in ihrem Kriminalroman.

Da gibt es die radikal Denkenden auf beiden Seiten, aber auch gemäßigte Stimmen. Allein auf dem Sonnenhof leben drei Gruppen von Menschen. Für einige aus dem Figuren-Ensemble war die Corona-Politik eine Zäsur. Ihnen hat das, was auf gesellschaftlicher Ebene geschehen war, psychisch den Boden unter den Füßen weggezogen. In den Dialogen mit der Ermittlerin schildern sie unter anderem, woher ihre ablehnende Haltung gegenüber der Maßnahmen-Politik rührt: „Noch heute müssen die Bewohner in den Gemeinschaftsräumen rund um die Uhr Masken tragen“, sagt eine zentrale Figur. „Wissen Sie, was das für jemanden bedeutet, der schwerhörig ist wie mein Großvater und zahlreiche andere Bewohner des Pflegeheims? Das bedeutet Isolation. Emotionale Verwahrlosung. Psychische Folter.“

Eine andere Figur erinnert hingegen an die unmenschlichen Bedingungen in Kreißsälen: „Ich musste zum Beispiel die ganze Entbindung hindurch Maske tragen, auch während der Presswehen und trotz negativem Schnelltest, weil meine Hebamme eine Wahnsinnsangst vor Corona hatte. Wenigstens durfte mein Mann kurz vor Schluss dazukommen, dafür muss man ja schon fast dankbar sein. Die elf Stunden davor aber habe ich allein durchgestanden. Es war die Hölle.“ Abgebildet wird auch die Haltung, mit der der Großteil der Bürger durch die Corona-Krise ging. „Ich glaube, den meisten Leuten hier im Dorf ist das alles völlig wurscht“, erklärt eine Figur, die die Ermittlerin befragt. „Die wollen ihre Ruhe haben, auch und vor allem vor Corona. Und solange sie ansonsten unbehelligt ihr Leben weiterleben können, plappern sie halt nach, was ihnen vorgeplappert wird, und befolgen, was ihnen vorgeschrieben wird, und machen sich keine Gedanken über andere Menschen.“

Silberhorn zeigt die verschiedenen Facetten der Corona-Krise und behandelt Themen wie Meinungsfreiheit, Rebellion oder gesellschaftliche Spaltung, die auch in ihrem Kriminalroman durch Familien verläuft. Dass dieser nun doch in Buchform vorliegt, ist der Verlegerin Katarina Graf Mullis zu verdanken. Sie hatte Silberhorns Artikel auf den NachDenkSeiten gelesen und war derart angetan, dass sie daraufhin der Autorin das Angebot machte, das abgelehnte Manuskript in ihrem Schweizer Verlag KaMeRu zu veröffentlichen. Es sind Erfolgsgeschichten wie diese, die in Zeiten der Cancel Culture Mut machen – nicht nur Literaturliebhabern.

Sonja Silberhorn – Im Schatten des Waldes
Kriminalroman
KaMeRu Verlag, Herbst 2024
ISBN 978-3-907327-01-2

Titelbild: Sonja Silberhorn