Der US-Konzern Eli Lilly beschließt, eine Hightech-Fabrik in die deutsche Provinz zu pflanzen, und die Bundesregierung setzt – Simsalabim – ein Gesetz ins Werk, mit dem das Profitmachen leichter wird. Die Vorgänge sind aktenkundig, aber für die Ampel nicht der Rede wert. Dass die Ansiedlung wohl Chefsache des Kanzlers war, soll auch keinen interessieren. Man ahnt schon, was kommt: neue Erinnerungslücken. Von Ralf Wurzbacher.
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Als vor bald einem Jahr die Neuigkeit die Runde machte, das US-Unternehmen Eli Lilly werde eine Produktionsstätte im rheinland-pfälzischen Alzey hochziehen, staunten Beobachter nicht schlecht. Ein Hightech-Pharmawerk inmitten der Provinz? Und das ganz ohne staatliche Subventionen? 2,3 Milliarden Euro soll die Investition schwer sein, für 2027 wird der Betriebsstart avisiert und versprochen ist die Schaffung von 1.000 hochqualifizierten Arbeitsplätzen. Dann ist da noch der ewige Ärger mit den Lieferengpässen bei wichtigen Medikamenten. In solchen Zeiten einen Pillendreher von Weltrang in deutschen Landen begrüßen zu dürfen, wirkte da für die Regierenden in Land und Bund wie ein Befreiungsschlag.
Entsprechend tanzte am 8. April dieses Jahres reichlich Politprominenz zum Spatenstich an. Nebst der damals noch amtierenden Ministerpräsidentin Malu Dreyer gaben sich Gesundheitsminister Karl Lauterbach und vorneweg Bundeskanzler Olaf Scholz (alle SPD) die Ehre. Von der Ampel weiß man ja, was und wie viel ihr strategische Industrieansiedlungen wert sind. Für das inzwischen auf Eis gelegte Intel-Projekt „Megafab“ bei Magdeburg wollte sie zehn Milliarden Euro locker machen, zum Bau einer Chipfabrik durch die taiwanesische TSMC bei Dresden steuert sie planmäßig fünf Milliarden Euro bei. Aber für Eli Lilly hat sie keinen Cent übrig? Bloß tolle Sprüche? Wie der, den der Kanzler beim symbolischen Sandgeschubse abließ: „Was immer wir als Bund tun können, um den Pharmastandort Deutschland noch weiter zu stärken, das werden wir tun.“
Kritik abgebügelt
Das war nicht nur so dahergesagt. Tatsächlich hat die Regierung schon bald darauf allerhand „getan“ – für den Standort im Allgemeinen und für Eli Lilly im Speziellen. Anfang Juli hat der Bundestag das Medizinforschungsgesetz (MFG) beschlossen, vor knapp drei Wochen zog der Bundesrat nach, womit das Regelwerk demnächst in Kraft treten kann. Dessen erklärtes Ziel ist es, die hiesige pharmazeutische Forschung und Entwicklung zu stärken, indem unter anderem Genehmigungsverfahren beschleunigt und vereinfacht werden. Vereinfacht wird bei all dem auch: das Gewinnemachen. Ein zentraler Passus des Gesetzes betrifft die Preisregulierung für neue Medikamente. Bisher herrscht in Deutschland Transparenz darüber, welche Rabatte die Krankenkassen mit den Unternehmen aushandeln. Damit ist demnächst Schluss, dann bleiben die Preise geheim.
Gegen die Pläne hatten Kritiker bereits im Gesetzgebungsverfahren aufbegehrt. Nahezu alle im Parlament angehörten Sachverständigen warnten seinerzeit vor höheren Kosten mit der Aussicht steigender Versichertenbeiträge. Zum Beispiel unkte die Chefin des AOK-Bundesverbands, Carola Reimann: „Geheimpreise ohne jede wirtschaftliche Steuerung führen in die Überforderung der Krankenkassen“. Nach Berechnungen des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) stehen bei Umsetzung des MFG in den nächsten zehn Jahren Mehrbelastungen von 8,5 Milliarden Euro bis hin zu 36 Milliarden Euro ins Haus. Letzteres tritt demnach ein, sofern sämtliche Erstattungspreisverhandlungen der Vertraulichkeit unterliegen würden, ersteres, wenn dies für 25 Prozent der Fälle gelte. Aber der Einwand wurde übergangen, das Gesetz gegen den Expertenrat durchgezogen.
Fabrik gegen Gesetz
Im Lichte neuester Erkenntnisse sieht man klarer, wieso die Verantwortlichen so agierten, wie sie es taten. Enthüllungen des Westdeutschen (WDR) und des Norddeutschen Rundfunks (NDR), der Süddeutschen Zeitung (SZ) sowie des Rechercheteams Investigate Europe nähren den Verdacht, dass Eli Lilly beim Gesetzemachen kräftig mitgemischt hat. Ganz offensichtlich lautete die Ansage aus der Konzernzentrale in Indianapolis: Ihr bekommt eine Fabrik, wir das passende Gesetz. Die Mauscheleien sind aktenkundig. Die Journalisten haben auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) etliche Dokumente freigeklagt. Darunter findet sich ein Vermerk vom 13. September 2023 des Referats 117 des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG), in dem es heißt: „Es kann dem CEO von Eli Lilly Dave Ricks mitgeteilt werden, dass das BMG dem Wunsch von Eli Lilly nachkommt und im Rahmen des MFG plant, vertrauliche Rabatte für den Herstellerpreis zu ermöglichen.” Schon Wochen davor hatte ein Abteilungsleiter im Ministerium schriftlich festgehalten: „Eli Lilly knüpft seine Investitionsentscheidung an die Zusage der Bundesregierung, vertrauliche Rabatte bei innovativen Arzneimitteln zu ermöglichen.“
Transparency International (TI) fordert ob der Berichte eine „lückenlose Aufklärung der Causa ‚Lex Lilly‘“. Man sehe hier „aber nur die Spitze des Eisbergs“, bemerkte Rolf Blaga von der deutschen TI-Sektion in einer Medienmitteilung. „Meist bleibt es im Dunklen, wie Pharmakonzerne ihre Macht missbrauchen und ihre Interessen durchsetzen.“ Nach Aufklärung ruft auch Kathrin Vogler von der Bundestagsgruppe Die Linke. „Der Versuch der Pharmalobby, sich über vertrauliche Rabatte in Deutschland zu bereichern, gefährdet die Preisstabilität von Arzneimitteln nicht nur bei uns, sondern in ganz Europa“, mahnte sie in einem Pressestatement. „Die Bundesregierung, allen voran Kanzler Olaf Scholz und Gesundheitsminister Karl Lauterbach, müssen sich fragen lassen, wessen Interessen sie hier wirklich vertreten.“
Fette Profite im Anflug
Zum Hintergrund: Pharmafirmen bestimmen zunächst freihändig, wie viel sie für ein neues Präparat verlangen. Nach einem Jahr bewertet dann der Gemeinsame Bundesausschuss, ein Gremium aus Vertretern von Ärzten, Krankenkassen und Kliniken, den medizinischen Mehrwert des Produkts. Lässt sich kein Zusatznutzen gegenüber gängigen Wirkstoffen belegen, handeln Hersteller und Kassen einen Rabatt aus, der häufig 50 Prozent unter dem Ausgabepreis liegt. Der Rabattpreis ist öffentlich einsehbar und wirkt über die deutschen Grenzen hinweg, indem andere europäische Staaten Abstriche in ähnlicher Größenordnung geltend machen. Das schmälert auch die Erträge mit Privatkunden, die das Medikament ohne ärztliche Verordnung auf eigene Rechnung beziehen. Wer um die Preisnachlässe weiß, lässt sich kaum das Doppelte bis Dreifache dafür abknöpfen.
Die Hoffnungen bei Eli Lilly richten sich gegenwärtig im Besonderen auf die Vermarktung des Produkts Mounjaro mit dem Wirkstoff Tirzepatid. Dieser soll sowohl Diabetikern als auch Fettleibigen in Gestalt einer „Abnehmspritze“ mit dem Markennamen Zepbound helfen. Ein ähnliches Mittel gegen Adipositas namens Wegovy hat den dänischen Konkurrenten Novo Nordisk zum höchstbewerteten Konzern in Europa gemacht. Eli Lillys Antwort darauf ist wohl weniger innovativ. Der Bundesausschuss hat die Wirkung von Mounjaro „im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie“ geprüft und im Mai für nahezu alle untersuchten Patientengruppen festgestellt: „Ein Zusatznutzen ist nicht belegt.“ Nach den Regularien wird sich der hohe Verkaufspreis also nicht halten können. Mittels Geheimpreisen könnte der Vertrieb als nicht erstattungsfähiges „Lifestyle-Medikament“ jedoch einen mächtigen Schub bekommen. Hierfür hat die Bundesregierung mit der Neufassung des MFG Vorsorge getroffen – buchstäblich „mit freundlichen Grüßen“.
Olearius, Benko, Ricks
Brisant sind die Vorgänge gerade mit Blick auf die Rolle des Bundeskanzlers. Wie Investigative Europe nachzeichnet, hatte der die „Pharma-Charme-Offensive“ offenbar zur Chefsache erklärt. Jörg Kukies, sein enger Vertrauter und Staatssekretär im Bundeskanzleramt, habe Anfang 2023 insgesamt dreimal mit Eli Lillys CEO Ricks über die fragliche Gesetzesinitiative und die Einführung geheimer Arzneimittelpreise gesprochen. Am 16. Februar hätten sein Vorgesetzter und Ricks dann sogar persönlich miteinander telefoniert. Unweigerlich denkt man an Scholz’ geheime, erst später auf Druck preisgegebene Treffen als früherer Erster Hamburger Bürgermeister mit dem Bankier Christian Olearius im Zusammenhang mit den illegalen Cum-Ex-Finanzschiebereien. Oder an seine frühere Parteinahme für den inzwischen insolventen Immobilienmogul René Benko bei der Suche nach einem Investor für den heute noch unvollendeten Elbtower. Auch hier hatte es Recherchen zufolge eine Unterredung unter vier Augen gegeben, die dem Kanzler heute nicht mehr erinnerlich ist.
Allem Anschein nach hat Scholz im Fall Eli Lilly selbst seinen sonst so pharmaaffinen Gesundheitsminister auf Linie gebracht. In Berlin erzähle man sich, dass er „Lauterbach die Geheimpreise aufgedrängt habe“, schreibt Investigative Europe. Dabei habe dieser davor jahrelang „ebensolche Forderungen der Pharmaindustrie vehement abgelehnt“. Seinen Sinneswandel begründete der Minister im Juni damit, „dass auch andere Länder so wie wir den Preis öffentlich machen“ und „die Fachabteilung meines Hauses den Vorschlag richtig gut findet“. Von wegen: In den eigenen Reihen herrschte im Gesetzgebungsprozess Alarmstimmung. Die Ermöglichung eines vertraulichen Erstattungsbetrags könne „zu erheblichen Problemen“ führen und voraussichtlich „zu Mehrkosten“, warnten BMG-Beamte. Auch die Ausrede, der Wegfall der Transparenz sei nicht Eli Lillys exklusiver Wunsch gewesen, zieht nicht. „Ein Großteil der pharmazeutischen Industrie“ habe dies „nicht als zentrale Maßnahme“ betrachtet, heißt es in einem Aktenvermerk vom November 2023.
Zum Vergessen
Natürlich weisen der Konzern und die Bundesregierung alle Vorwürfe von sich. Aus dem BMG verlautete, „Lauterbach sind keine Vermerke bekannt, in denen er sich Eli Lilly gegenüber zu diesem Thema geäußert hätte“, für ihn persönlich habe die Haltung des Unternehmens „keine Rolle bei der Entwicklung der Pharmastrategie gespielt“. Ein Regierungssprecher äußerte: „Ich habe den Worten des Sprechers des Gesundheitsministeriums hier nichts hinzuzufügen.“ Überzeugend klingt das nicht. Markus Grill vom Investigativ-Ressort von NDR und WDR bleibt jedenfalls bei seiner Version der Dinge. „Sie sagen nur, für die Entscheidung, für das Gesetz, war es nicht wichtig, was Lilly wollte. Aber sie dementieren ja nicht die Akten aus dem Ministerium, in denen ganz klar steht, dass der Pharmakonzern es zur Bedingung gemacht hat, dass so ein Gesetz kommt, und dann investieren sie“, zitierte ihn am Montag der Südwestrundfunk (SWR).
Für BSW-Chefin Sahra Wagenknecht ist das „Maß übervoll und ein Rücktritt von Lauterbach überfällig“, wie sie bei Facebook kundtat. „Während sich die Ampel um die Profite von US-Pharmaunternehmen sorgt, mangelt es hierzulande an 500 Medikamenten, von Antibiotika über Insuline bis hin zu Schmerzmitteln und einfacher Kochsalzlösung.“ Überdies hat das BMG die Menschen im Land tatkräftig hinters Licht geführt. Tatsächlich hatte Investigative Europe die Freigabe der Akten schon im Dezember 2023 gefordert, wurde aber monatelang hingehalten. Hätte die Öffentlichkeit schon früher die Hinweise auf eine „Lex Lilly“ gekannt, wäre das Gesetzeswerk nicht so einfach durchgegangen. Bleibt die Frage, warum bei all dem nicht auch gleich der Bundeskanzler abdanken sollte. Ach, vergessen Sie’s.
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