Nächste Woche wird Verteidigungsminister Boris Pistorius offiziell ein neues regionales NATO-Hauptquartier in Rostock eröffnen. Dieses soll künftig alle Einsätze der NATO-Kriegsmarine im Ostseeraum steuern. Dafür werden Soldaten aus allen NATO-Anrainerstaaten an die Warnow versetzt. Dies widerspricht unmittelbar dem Zwei-plus-Vier-Vertrag, welcher eine Stationierung oder auch nur Verlegung von ausländischen Streitkräften in Ostdeutschland unmissverständlich untersagt. Von Florian Warweg.
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Am 12. September 1990 wurde der sogenannte Zwei-plus-Vier-Vertrag (amtlicher Titel: Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland) zwischen den beiden deutschen Staaten und den vier Siegermächten des Zweiten Weltkrieges (UdSSR, USA, Großbritannien, Frankreich) unterzeichnet. Er stellte laut der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) „die endgültige innere und äußere Souveränität des vereinten Deutschlands her“. In diesem für Deutschland zentralen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag, der auch als De-facto-Ersatz für einen bis heute nichtexistenten Friedensvertrag nach Kriegsende 1945 dient, steht unmissverständlich in Artikel 5 Absatz 3, dass ausländische Streitkräfte auf dem Gebiet der ehemaligen DDR „weder stationiert noch dorthin verlegt“ werden dürfen:
„Nach dem Abschluß des Abzugs der sowjetischen Streitkräfte vom Gebiet der heutigen Deutschen Demokratischen Republik und Berlins können in diesem Teil Deutschlands auch deutsche Streitkräfteverbände stationiert werden, die in gleicher Weise militärischen Bündnisstrukturen zugeordnet sind wie diejenigen auf dem übrigen deutschen Hoheitsgebiet, allerdings ohne Kernwaffenträger. Darunter fallen nicht konventionelle Waffensysteme, die neben konventioneller andere Einsatzfähigkeiten haben können, die jedoch in diesem Teil Deutschlands für eine konventionelle Rolle ausgerüstet und nur dafür vorgesehen sind. Ausländische Streitkräfte und Atomwaffen oder deren Träger werden in diesem Teil Deutschlands weder stationiert noch dorthin verlegt.
Doch genau diese gegen den Zwei-plus-Vier-Vertrag verstoßende Stationierung ausländischer Soldaten auf dem Gebiet der ehemaligen DDR sieht das neue NATO-Hauptquartier „Command Task Force Baltic“ (CTF Baltic) in Rostock vor. So berichtet unter anderem die Ostsee-Zeitung (OZ) unter der Überschrift „Aus Angst vor Russland: Nato eröffnet neues Hauptquartier in Rostock“:
„Um das regionale Hauptquartier hatten sich Deutschland und Polen beworben. Am Ende bekam Rostock den Zuschlag. Vom Marinekommando im Rostocker Hansaviertel aus sollen künftig alle Nato-Manöver und -Einsätze auf der Ostsee gesteuert werden – Kriegsschiffe, Hubschrauber, Kampfflugzeuge. Dafür werden Soldaten aus allen Anrainer-Staaten an die Warnow versetzt.“
Weiter heißt es in der OZ zu der (gegen den Zwei-plus-Vier-Vertrag verstoßenden) Versetzung von ausländischen Streitkräften in die ostdeutsche Hafenstadt, die das Blatt mit keiner Silbe problematisiert:
„100 Soldaten versehen dort ihren Dienst – rund ein Viertel davon bereits von verbündeten Streitkräften. Das Sagen im Nato-Hauptquartier wird ein deutscher Konteradmiral haben, Stellvertreter wird ein schwedischer Flottillenadmiral.“
Das schwedische Militär veröffentlichte am 6. Oktober eine Presseerklärung zu der Eröffnung der neuen NATO-Kommandozentrale in Rostock, in der die Anzahl der dort tätigen schwedischen NATO-Offiziere konkretisiert und explizit von Stationierung gesprochen wird:
„Das Personal in Rostock besteht aus verbündeten Nationen rund um die Ostsee, und seit Anfang Oktober sind neun schwedische Offiziere anwesend. Das schwedische Personal wird als NATO-Offiziere dienen und über MARCOM (Allied Maritime Command) operieren. Die schwedischen Offiziere werden zwei Jahre lang stationiert sein, bevor sie mit neuem Personal wechseln. Im Laufe der Zeit wird der schwedische Beitrag voraussichtlich auf etwa zwanzig Personen anwachsen.“
Von links: Der stellvertretende Chef der schwedischen Marine Patrik Gardesten, Stabsfeldwebel Simon Abrahamsson, Kommandeur der schwedischen Streitkräfte Michael Claesson und der deutsche Verteidigungsattaché Markus Brüggemeier. Simon Abrahamsson gehört zu der ersten Gruppe von Schweden, die als NATO-Offiziere in dem neuen Hauptquartier in Rostock dienen. Foto: Deutsche Botschaft in Stockholm
Vorgehen bricht auch den Einigungsvertrag
Dieses Vorgehen von NATO und Bundesregierung bricht nicht nur mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag, sondern in Folge auch mit dem Einigungsvertrag vom 31. August 1990. So schreiben die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages in einer juristischen Ausarbeitung mit dem Titel „Zum Rechtsrahmen für die Stationierung ausländischer Truppen in Deutschland“ Folgendes:
„Eine Ausnahme sieht allerdings Art. 11 Einigungsvertrag für bestimmte, ausdrücklich im Anhang aufgeführte Abkommen vor, die zwar ihre Gültigkeit behalten, die aber auf das Gebiet der alten Bundesrepublik Deutschland beschränkt bleibt. Nach Anlage I Abschnitt I Nr. 3 des Einigungsvertrages gehört hierzu auch das Stationierungsabkommen von 1954. Hintergrund ist, dass im sogenannten „Zwei-plus-Vier-Vertrag“7 vorgesehen ist, dass ausländische Truppen nicht im Beitrittsgebiet stationiert werden dürfen (Art. 5 Abs. 3 Satz 3).“
Im Einigungsvertrag heißt es hierzu auf Seite 21, dass sowohl der „Vertrag über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland“ sowie das „NATO-Truppenstatut“ und „die Zusatzvereinbarungen zum NATO-Truppenstatut“ nicht „in den Ländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie in dem Teil des Landes Berlin“ gelten:
Neben dem neuen Hauptquartier in Rostock plant die NATO auch die Errichtung eines sogenannten „Deployment Hub“, einer militärischen Logistikbasis, auf dem Gelände der ehemaligen MV-Werften. Von dort aus sollen nach Wunsch der NATO große Mengen an Soldaten, Munition und Kampffahrzeugen jederzeit und schnell verlegt werden können – insbesondere ins Baltikum und nach Skandinavien. Die OZ schreibt hierzu:
„Von Ersatzteilen über Panzer bis hin zu Raketen. Das Bündnis müsse im Krisenfall schnell und in großen Mengen Truppen nach Skandinavien oder ins Baltikum verlegen können. Hunderte Soldaten aus verschiedenen Nato-Staaten könnten dafür nach Rostock verlegt werden.“
Auch dies wäre fraglos ein Bruch von Zwei-plus-Vier und des Einigungsvertrags.
Volksbegehren als Ausweg?
Es wäre zunächst am Souverän, also an den Einwohnern von Mecklenburg-Vorpommern, sich bei ihrer Landesregierung dafür einzusetzen, dass zumindest diese die genannten Verträge einhält. Eine Möglichkeit wäre etwa die Durchführung eines Volksbegehrens, welches die Landesregierung in Schwerin dazu beauftragt, via Gesetz für die Einhaltung des Zwei-plus-Vier- und des Einigungsvertrages zu sorgen. Denn in der Verfassung von Mecklenburg-Vorpommern sind direktdemokratische Elemente wie Volksbegehren und Volksentscheid in Artikel 59 und 60 festgeschrieben. Ein solches Volksbegehren muss von mindestens 100.000 Wahlberechtigten innerhalb von fünf Monaten unterstützt werden. Nimmt der Landtag den entsprechenden Gesetzentwurf eines erfolgreichen Volksbegehrens nicht innerhalb von sechs Monaten an, würde es automatisch zu einem Volksentscheid kommen. Ein Gesetzentwurf gilt durch Volksentscheid angenommen, wenn die Mehrheit der Abstimmenden, mindestens aber ein Viertel der Wahlberechtigten diesem zugestimmt haben.
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Titelbild: Symbolbild: NATO-Hauptquartier in Brüssel – Shutterstock / Alexandros Michailidis