Essen: Einst „Waffenschmiede des Reiches“ für die Nazis – nun zentrale „Plattform der europäischen Rüstungsindustrie“?!

Essen: Einst „Waffenschmiede des Reiches“ für die Nazis – nun zentrale „Plattform der europäischen Rüstungsindustrie“?!

Essen: Einst „Waffenschmiede des Reiches“ für die Nazis – nun zentrale „Plattform der europäischen Rüstungsindustrie“?!

Ein Artikel von Bernhard Trautvetter

Vertreter des militärisch-industriellen Komplexes haben sich vom 8. bis zum 10. Oktober in der Messe Essen getroffen, um über NATO-Strategien für das Schlachtfeld des 21. Jahrhunderts zu beraten. Gleichzeitig wird die öffentliche Meinung massiv manipuliert. Von Bernhard Trautvetter.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Militarisierung der Gesellschaft führt zu immer neuen Schritten in Richtung Abgrund. Dabei greifen die Militärs des Atomzeitalters auf, was ihre Vorgänger taten. Was bis vor kurzem kaum jemand für möglich gehalten hätte, soll jetzt konkret werden: Die Ruhrmetropole Essen, einst von den Nazis wegen der Krupp-Werke „Waffenschmiede des Reiches“ genannt, soll laut dem Chef der Messe Essen die „zentrale Plattform für die europäische Verteidigungs- und Sicherheitsbranche“ werden.

Um die öffentliche Meinungsbildung im Sinn des Militärs zu manipulieren, benutzen die Akteure Begriffe wie „Sicherheit“ und „Verteidigung“. Das unterstellt die reale Gefahr eines Angriffs Russlands gegen NATO-Gebiet; diese Rechtfertigung der Militärpolitik steht in der Tradition von Kaiser Wilhelm, Adolf Hitler und den NATO-Nachkriegs-Strategen. Die beiden Weltkriege wurden mit einer unterstellten Aggressivität aus dem Osten begründet. Das war so verlogen wie die Begründung für die NATO-Gründung, man müsse sich vor der Gefahr, die dem Westen von der Sowjetunion droht, schützen. Diese Begründung erfolgte kurz nach dem Krieg, in dem mindestens 27 Millionen Sowjetbürger getötet worden waren und in dem die industrielle Infrastruktur der Sowjetunion weitgehend dem Prinzip der Nazis von der verbrannten Erde zum Opfer gefallen war.

In der Messe Essen trafen sich vom 8. bis zum 10. Oktober hunderte Vertreterinnen und Vertreter des militärisch-industriellen Komplexes, um über NATO-Strategien für das Schlachtfeld des 21. Jahrhunderts zu beraten. Eingeladen hatte die Strategieschmiede Joint Air (and Space) Power Competence Centre (JAPCC) aus dem linksrheinischen Kalkar. Die Strategen befassten sich intensiv mit dem Ukraine-Krieg und mit der von Russland und China ausgehenden Gefahr, wie die Dokumente ausdrücken.

Die Kriegssituation in Osteuropa stellen die Militärs ebenfalls als alleine durch Russland verursacht dar, darauf bauen sie die Legitimation aller eigenen Schritte in Richtung weiterer Hochrüstung und Eskalation auf, so auch bereits in der Vorgänger-Konferenz des JAPCC 2023. Den Anteil der Spannungssteigerung durch die illegale NATO-Ost-Expansion, die Aufkündigung des INF-Vertrages durch die Trump-Administration und in der Folge den Aufbau nuklearfähiger und für Offensiven einsetzbarer US-Raketen in Osteuropa blenden die Strategen aus. Die NATO-Ostexpansion bricht mit dem Vertragswerk einer europäischen Friedensordnung gemeinsamer weil gegenseitiger Sicherheit.

Nun steigert die Kooperation der Messe Essen mit Verantwortlichen der NATO- und der Rüstungsindustrie das Gewicht des Militärsektors weiter. Zum einen eignet sich die Messe Essen besonders gut auch für Sponsoren, die auf der 2024er-JAPCC-Conference-Website unter „Sponsors“ angegeben sind, darunter der weltgrößte Rüstungskonzern Lockheed Martin und weitere Atomkonzerne, darunter Thales aus Frankreich, der mit dem US-Rüstungskonzern Raytheon gemeinsam auftritt, der ebenfalls intensiv in die US-Nuklear-Rüstung einbezogen ist. Auch der durch den Ukrainekrieg zum Börsenstar aufgestiegene Konzern Rheinmetall aus Deutschland zählt neuerdings dazu. Neuerdings ist auch der für militärische ‚Dienstleistungen‘ wichtige IT-Konzern Hewlett Packard unter den Sponsoren, die das Messegelände gerne noch weiter ausbauen.

Das soll unter anderem dadurch geschehen, dass alle beteiligten Seiten ihre Kooperation für die Planung einer Messe in Essen nutzen, um in Kombination mit einer JAPCC-Konferenz dann im September 2026 die Premiere einer Euro Defence Expo in der Messe Essen zu feiern, wie es die Akteure ausdrücken. Die „Sicherheitsexpertin“ Frau Strack-Zimmermann legitimiert das Projekt im Dokument der Messe Essen mit dem Ukraine-Krieg Russlands:

Nach dem brutalen russischen Angriff auf die Ukraine ist die Fähigkeit Europas, sich in Zukunft gemeinsam verteidigen zu können, von zentraler Bedeutung. Auf der Euro Defence Expo werden … Industrie, Forschung und Politik … im Herzen Europas … gemeinsam an Lösungen … arbeiten.

Herr Kuhrt, Geschäftsführer der Messe Essen, erläutert, es handele sich um „eine einzigartige Plattform für Politik, Militär, Wissenschaft und Industrie“: „Diese Veranstaltung mit namhaften Experten der Branche“ wird mehr als eine Messe sein, sondern sie wird „zu einem zentralen Ort des Wissensaustauschs und der Vernetzung. Die Kombination aus hochkarätigen Experten, innovativen Lösungen und intensiven Fachgesprächen bietet Ausstellern und Besuchern ein echtes Plus…“

Dieses Plus droht, die Lebensfähigkeit der europäischen Zivilisation zu gefährden, wie eine Kombination der Tagungsunterlagen der kürzlich abgeschlossenen und von der Presse verschwiegenen Strategiekonferenz des JAPCC zeigt:

Die sich abzeichnenden technischen und taktischen Fortschritte verändern das Schlachtfeld dramatisch.“ (Übersetz.: B.T.)

Die Tagungsunterlagen ihrer 2014er Vorgängerkonferenz geben Auskunft, welches Schlachtfeld die Militärs meinen – sie schrieben damals, die Annahme, es werde keinen großen Krieg mehr in Europa geben, sei anzuzweifeln (S. 141). Ihre Schlussfolgerung war damals schon, „einen angemessenen Mix aus nuklearen und nicht-nuklearen Fähigkeiten“ aufzubauen (ebenda, S. 70).

Wenn die Diffamierung der Friedensbewegung und der Kriegstauglichkeits-Diskurs der Herrschenden weiter viele Menschen blendet, ist zu befürchten, dass ein adäquater Widerstand gegen diese Entwicklung ausbleibt. Die Militär-Lobby hat lange schon daran gearbeitet, den Widerstand zu dezimieren, damit sie nicht schon wieder nach dem Vietnamkrieg und nach der Friedensbewegung der 1980er Jahre in die Defensive gezwungen wird: Meinungsführende Medien sowie viele Spitzenpolitikerinnen und Politiker stellen die Friedensbewegung als naiv und gefährlich dar, wie es auch der bündnisgrüne Vizekanzler Robert Habeck anlässlich der Ostermärsche 2023 tat.

Die Militärpropaganda hat System. 2015 beriet die Essener JAPCC-Konferenz unter dem Titel ›Strategic Communication‹ über die Beeinflussung der Öffentlichkeit im NATO-Gebiet. Im Tagungsmaterial bedauerten die Strategen, dass George W. Bush bei der Begründung für den völkerrechtswidrigen, unprovozierten Angriffskrieg gegen den Irak, der übrigens in Ramstein eine Drehscheibe für Kriegswaffen hatte, gelogen hatte (S. 44). Sie plädierten dafür, zukünftig in solchen Konflikten die Grausamkeit des Gegners herauszustellen, um die Weltöffentlichkeit für militärische Handlungen bis zum Krieg zu gewinnen.

Dies alles geschieht in einer Zeit, in der das Mitteilungsblatt der Atomwissenschaften die Menschheit nur noch 90 Sekunden vor dem Abgrund des Auslöschens der Zivilisation sieht. In der Begründung dieser Warnung verweist das Blatt auf die Atom- und Hochrüstung, die internationalen Spannungen und die Risiken durch die ökologische Katastrophe.

Die Friedensbewegung ist hier gefordert, sich in einer breiten Bündnispolitik für die Sicherung der Lebensgrundlagen einzusetzen.

Titelbild: Alexander Steamaze / Shutterstock

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