Jenseits einer „Politik der Freude“

Jenseits einer „Politik der Freude“

Jenseits einer „Politik der Freude“

Ein Artikel von Nathalie Weidenfeld

Am 3. Oktober 2024 stritten sich im TV-Duell die Vizepräsidenten JD Vance und Tim Walz vor laufender Kamera darum, wer der bessere Präsident sei, Trump oder Harris. Die Gegensätze könnten nicht größer sein. Umso mehr fiel insgesamt in den USA, aber auch im Rest der Welt auf, wie sehr die beiden Vizekandidaten einen fairen, ja gelegentlich fast schon kameradschaftlichen Umgang miteinander pflegten. Von Nathalie Weidenfeld[*].

Natürlich mussten sie sich auch immer wieder klar gegeneinander positionieren. So warb Tim Walz dafür, dass seine Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris – im Gegensatz zu Trump, der seine Politik und seine Wiederwahl mit dem Schüren von Ängsten betreibe – für Aufbruch und Optimismus stünde. „A politics of joy“ waren seine Worte hierfür, was übersetzt „eine Politik der Freude“ heißt. Dieser Slogan existiert schon seit dem Sommer dieses Jahres, was die New York Times zur kühnen These verleitete, dass Liebe und eine Politik der Freude der beste Weg zur Rettung der Demokratie seien. Dass das Schüren von Ängsten (und damit auch potenzieller Gewalt) mit Sicherheit nicht demokratiefreundlich ist, ist klar. Die Frage ist nur, ob eine „Politik der Freude“ das ausreichende Gegengift ist.

Dazu fällt mir die letzte Episode von „Star Trek Strange New Worlds” ein, die in den USA am 27. Juni 2023 ausgestrahlt wurde und hierzulande auf Paramount Plus anzusehen war. Die Serie, die sich als Teil des höchst erfolgreichen Trek Franchise Unternehmens großer Beliebtheit erfreut, kann – wie schon die vergangenen Serien – sicherlich auch als eine Reflexion des politischen Zeitgeistes gesehen werden.

In der letzten Episode „Subraum-Rhapsodie“ der letzten Serie aus „Star Trek Strange New Worlds” (USA, Paramount 2022) untersucht das Raumschiff „Enterprise” einen „Subraumspalt“ und erschafft versehentlich eine neue Realität, die den Regeln eines Musicals folgt. Das bedeutet, dass die Besatzungsmitglieder der „Enterprise” ihre geheimen Gefühle, Ängste, Hoffnungen und Wünsche durch lautes Singen offenbaren.

Die Episode gipfelt schließlich in dem Lied „We are one”, das am Ende alle gemeinsam singen: ein starkes, gospelartiges Wohlfühllied, von Leutnant Uhura vorgetragen, das den Zusammenhalt der Crew beschwört und durch seine performative Kraft ermöglicht.

Kurz darauf ist zwar der Bann gebrochen, sie schaffen es, sich wieder vom Subraum zu trennen. Sie hören auf zu singen, aber das durch den gemeinschaftlichen Gesang ausgelöste Glücksgefühl wird dem Zuschauer (und der Crew) noch eine gewisse Zeit erhalten bleiben, und sei es auch nur in Form eines Ohrwurms.

Was hier bild- und musikgewaltig propagiert wird, ist die Vision einer Demokratie, die das Ergebnis von gemeinsam erlebter Freude ist und nicht das Ergebnis einer respektvollen Auseinandersetzung innerhalb der öffentlichen Sphäre. Politics of joy kann nicht den demokratischen Prozess, das öffentliche Ringen um das bessere Argument, ersetzen. Das gemeinsame Singen und die gemeinsame Aktion sind überdies eine völlig ungeeignete Metapher für die Demokratie, weil hier das Bild einer Demokratie entworfen wird, in der am Ende immer nur die siegen, die am lautesten gemeinsam singen bzw. sich auf ein einziges Lied, sprich auf ein gemeinsames Ziel einschwören – ohne Raum für divergierende Meinungen. Paradoxerweise steht der innere Frieden an Bord des Raumschiffs Enterprise durchaus in starkem Kontrast zu den äußeren Konflikten, die die Enterprise mit fremden Kulturen oder Planeten hat. Diese werden nämlich nicht mit Freude gelöst, sondern mit zerstörerischen Photonbomben und tödlichen Laserpistolen.

In der Folge „Under the cloak of war“, die am 27. Juli 2023 ausgestrahlt wurde, trifft Benga, der ansonsten so sanftmütige Arzt des Raumschiffs, auf einen ehemaligen Feind der Föderation, einen klingonischen General, der während eines Krieges zwischen der Föderation und den Klingonen, bei dem Benga als Arzt im Einsatz war, besonders brutal agierte. Am Ende der Folge rächt sich Benga an dem General und tötet ihn – unter Mitwisserschaft der anderen.

In einer Erklärung, die er kurz vor seinem Racheakt abgibt, begründet Benga, warum es gerechtfertigt ist, die Klingonen überall im Universum zu bekämpfen:

„Wenn wir die Klingonen jede Kolonie in diesem Sektor erobern lassen, werden sie nicht aufhören. […] Wenn wir nicht kämpfen, verlieren wir. Dann wird sich die Krankheit ausbreiten. Und dann wird keiner von uns mehr ein Zuhause haben. Wir müssen kämpfen, damit die Menschen, die wir lieben, die Chance haben, in Frieden zu leben. Deshalb sind wir hier.“

Der Film greift hier zu altbekannten melodramatischen Erzählmechanismen, um die als gerechte Rache verpackte Gewalt emotional beim Zuschauer zu rechtfertigen, und propagiert unmissverständlich eine klare „Wir gegen sie“-Haltung.

Als Filmwissenschaftlerin bin ich überzeugt, dass Filme in einer Art Rückkopplungsmechanismus mit der Gesellschaft verbunden sind: Filme drücken aus, was die Menschen denken, hoffen und fürchten, und formen wiederum die Ängste und Hoffnungen und Gedanken, indem sie ein kulturelles Imaginäres schaffen, das auf die Menschen einwirkt.

Es lohnt sich daher, Filme genau zu betrachten, um zu verstehen, was sie über uns selbst aussagen, nicht nur über die conditio humana, die jenseits aller kulturellen Veränderungen über Jahrzehnte, ja Jahrhunderte hinweg fortbesteht, sondern auch über die spezifische Zeit und die spezifischen Überzeugungen, die die Menschen zum Zeitpunkt der Entstehung des Films haben.

So gesehen kann man nicht anders, als einen fast nostalgischen Blick zurück auf die Serie der 90er-Jahre zu werfen, in der Captain Picard in „Star Trek: The Next Generation” (1987-1994) noch die Zügel in der Hand hatte – ein besonnener Kapitän, der mit seinem englischen Akzent und seinen französischen Wurzeln (ein Verweis auf die beiden alten europäischen Demokratien) als Inbegriff des aufgeklärten und humanistischen Helden zu verstehen ist; ein Mann, der sich mit Philosophie und Literatur beschäftigt und seine abstrakten Überzeugungen auch auf die reale Welt überträgt. Bei ihm gibt es keine Divergenz zwischen seinen Idealen und dem realen politischen Handeln wie bei seinem Vorgänger Captain Kirk, der sich in der Ursprungsserie „Star Trek” (1968-1969) oft in Situationen befindet, in denen er zwar weiß, dass er sich gemäß der sogenannten „Nichteinmischungsdirektive“ nicht in die Angelegenheiten fremder Völker einmischen sollte, er es aber angesichts der ihm als offensichtlich erscheinenden Menschenrechtsverletzungen außerirdischer Kulturen punktuell immer wieder doch tut – meist nicht nach langen Abwägungsprozessen, sondern als Folge einer impulsiven Entscheidung.

Der Unterschied zwischen der Ursprungsserie und der Serie aus den 90er-Jahren könnte an dieser Stelle nicht größer sein: Während in der Originalserie Menschenrechte parallel zu den staatlichen Gesetzen wirken und diese aushebeln können, werden die Menschenrechte in „Star Trek the Next Generation” im Gegenteil als inhärent und formativ für die Gesetze der Föderation angesehen, weil sie die innere ethische Struktur der Föderation darstellen.

Wie sehr Filme und Serien zeitgenössische politische Debatten und Fragestellungen reflektieren, erkennt man auch hier: Die Erstausstrahlungszeit von „Star Trek The Next Generation” – 1987 – erfolgte genau zu der Zeit, in der sowohl in der politischen Kultur die Debatte um Universalismus in der politischen Theorie auf dem Höhepunkt war als auch in der politischen Praxis die USA viele militärische Interventionen zu rechtfertigen hatten. (Haiti, Irak, Somalia, Kosovo…)

Nach universalistischer Auffassung gelten die Menschenrechte unabhängig von staatlichen Regelsetzungen und internationalen Verträgen. Sie schränken das ein, was in der Politik zulässig ist, und setzen Ziele für die politische Praxis, während Kommunitaristen die Quelle aller Moralität in der Zugehörigkeit einer Gemeinschaft sehen und daher einen Menschenrechtsuniversalismus ablehnen.

„Star Trek the Next Generation” steht auf der Seite der Universalisten – es geht um die Relativierung der ethnischen, kulturellen und sonstiger Zugehörigkeiten zugunsten politischer Gerechtigkeit. Dabei entwirft die Serie aus den 90ern das Idealbild einer weltenübergreifenden Staatengemeinschaft, in der universelle Menschenrechte gelten und es eben gerade aus diesem Grund gilt, höchste Zurückhaltung zu üben, wenn es darum geht, sich in die Angelegenheiten fremder Völker einzumischen.

Wenn ich recht habe und auch die neuste Serie aus dem Star-Trek-Universum ein Ausdruck unserer zeitgenössischen Einstellungen und Überzeugungen ist, wie Demokratie funktioniert, dann ist die neueste Serie „Strange New Worlds“ alles andere als beruhigend, denn demokratisches Zusammenleben ist weder das Ergebnis einer einmütigen Wohlfühlatmosphäre noch einer melodramatischen Weltanschauung, die „schlechte“ Menschen sauber von „guten“ Menschen trennt und auf diese Weise nicht nur militärische Interventionen, sondern auch „Racheakte“ jenseits „offizieller“ militärischer Interventionen rechtfertigt.

Trotz der beschworenen Zeitenwende erscheint mir das politische „Motto“ der zeitgenössischen Star-Trek-Serie „Einmütiges Wohlfühlen nach innen – Härte nach außen“ ein denkbar ungeeignetes Leitbild für unseren politischen Diskurs zu sein. Ein politischer Diskurs, bei dem die Außenwelt in „Gute“ und „Böse“ aufgeteilt und gleichzeitig dafür Sorge getragen wird, dass im Innern des Landes Zweifel an aktuellen politischen Lösungen von vornherein als unsolidarisch oder – wie etwa im Fall des Ukraine-Kriegs – als putinfreundlich und damit demokratiefeindlich zu verurteilen, ist einer Demokratie unwürdig.

In konfliktreichen Zeiten besteht die Gefahr, eine einfache Lösung herbeizusehnen. Diese mag dann in Form eines Politikers wie Donald Trump daherkommen, der durch sein erratisch-polemisches Verhalten die Demokratie in Gefahr bringt. Das kann aber auch eben besagter politischer Diskurs sein, bei dem auf der einen Seite kritische Stimmen ausgegrenzt werden (mit dem Ziel, freudvolle Einmütigkeit nach innen zu schaffen) und auf der anderen außenpolitische Gegner mit Hilfe mehr oder weniger subtiler rhetorischer Mittel entmenschlicht werden und billigend in Kauf genommen wird, dass Konflikte und Gewalt immer weiter eskalieren. Es war Captain Picard, der uns eindringlich davor warnte, dass menschliche Zivilisationen jederzeit in einen zerstörerischen Atavismus zurückzufallen können:

Wir denken, wir sind so weit gekommen. Die Folterung von Ketzern, das Verbrennen von Hexen, das ist alles längst Geschichte. Und dann – bevor man blinzeln kann – droht es plötzlich wieder von vorne zu beginnen.

Der Artikel beruht auf einem Abendvortrag, den die Autorin an der Universität Athen auf der internationalen Tagung „Democracy in Ancient and Modern Times – The ancient Greek experience and its relevance for our own times“ am 3. Oktober 2024 auf Englisch gehalten hat.

Titelbild: Screenshot von NBC News


[«*] Nathalie Weidenfeld studierte Amerikanistik, promovierte an der FU und arbeitete als Dozentin für Filmwissenschaft am theaterwissenschaftlichen Institut der LMU. Heute lebt sie als freie Autorin in München. Zusammen mit Julian Nida-Rümelin verfasste sie u.a. das Buch „Digitaler Humanismus: Eine Ethik für das neue Zeitalter der künstlichen Intelligenz“ das mit dem Bruno Kreisky Preis für das beste politische Buch des Jahres 2018 ausgezeichnet wurde.

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