Wenn hierzulande von einer „Reform“ die Rede ist, wird der Zustand nach der Veränderung meist kein besserer. So sieht das auch beim Entwurf eines neuen „Reform-Rundfunkstaatsvertrages“ für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) aus. Ein Kommentar von Frank Blenz.
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Eine Reform sei, wie viele Bürger sagen, längst fällig, bei den sehr oft kritikwürdigen öffentlich-rechtlichen Medienangeboten des ÖRR und dem Zustand der Institution insgesamt. Doch mit dieser Reform würden zum Beispiel prägende, wichtige, richtig gute Inhalte und Sender wie ArteTV und 3sat zusammengelegt werden – schöner ausgedrückt: fusionieren – was dann jedoch nicht wenigen Bürgern missfiele. Von wirklicher Verbesserung und Modernisierung könnte keine Rede sein. Das Gegenteil würde eintreten.
Wichtig und richtig, trotz aller berechtigter Kritik: der öffentlich-rechtliche Rundfunk
Immer mal wieder höre ich in persönlichen Gesprächen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk „weg“ kann, „weg“ muss, dass „dieser ganze Apparat“ aufgebläht sei, dass der bestehende Gebühren-Zwang (siehe GEZ) unsäglich, anmaßend, übergriffig sei, zumal der Bürger dem nicht ausweichen kann. Weiter erleben Mitbürger und ich selbst auch, dass Rundfunk- und TV-Macher mitunter und stets selbstgefällig den Rundfunkstaatsvertrag mit ihren Produkten, Sendungen, Formaten eigenwillig auslegen oder gar missachten, was zur Folge hat, dass das mündige Publikum sagt: „Regierungssender“, „Staatsrundfunk“ und andere, wenig schmeichelnde Begriffe.
Tatsächlich müsste in diesen Bereichen reformerisch „angesetzt“ werden, schaut man sich täglich Tagesschau und andere Formate an: Viele Beiträge im ÖRR unter anderem zu den Themen Krieg, Corona oder neoliberale Wirtschaftsordnung müssen als harte und unseriöse Meinungsmache bezeichnet werden. Das ist inakzeptabel und muss geändert werden – aber die nun angefachte Reform geht ja in eine ganz andere Richtung.
In einer Betrachtung einer überaus konservativen Vereinigung, dem Kronberger Kreis, dessen Devise „Mehr Mut zum Markt“ propagiert, kommt zur Sprache, wie die Kritik am ÖRR und das daraus resultierende Bröckeln der Beliebtheit und Akzeptanz bei den Bürgern in den dortigen Chefetagen aufgenommen wurde:
„Selten hat Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) den Reformdruck so sehr erhöht, wie es derzeit der Fall ist. Dies zeigt sich daran, dass die Intendantinnen und Intendanten der ARD-Rundfunkanstalten im Juni 2023 erste Grundsatzentscheidungen zum Umbau der ARD bekanntgaben und ein von der Rundfunkkommission der Länder eingesetzter Zukunftsrat im Januar 2024 einen Bericht vorlegte, der sowohl Reformen im System als auch Reformen des Systems anmahnte. Auf der Grundlage dieses Berichts einigte sich die Rundfunkkommission der Länder auf strukturelle und organisatorische Eingriffe mit dem Ziel, eine langfristige Perspektive für den ÖRR zu entwickeln und seine gesellschaftliche Akzeptanz zu erhöhen. Öffentlich wird bereits seit langer Zeit über den Auftrag des ÖRR diskutiert.“
Vorschläge sind gut, ein Zukunftsrat auch. Und wie gesagt: Die inhaltliche Kritik an zahlreichen Beiträgen des ÖRR ist absolut berechtigt. Doch darf bei dem ganzen Ärger über unseren ÖRR allerseits (bei Publikum und Machern) nicht vergessen werden, dass diese unser aller Institutionen sind, die über viele Jahre gewachsen sind, vielfältig und zahlreich aufgestellt und, so meine Meinung, unsere Gesellschaft doch auch bereichern, begleiten, widerspiegeln. Und das gilt es zu erhalten, auszubauen, fit für das Heute und für die Zukunft zu machen. Eine nur von Privatmedien bespielte Medienlandschaft wäre keine bessere.
So wie 3sat und ArteTV
Man nehme nur mal die „Geheimtipps“ des öffentlich-rechtlichen Fernsehens: den Dreiländer-Sender 3sat sowie den deutsch-französischen Sender ArteTV. Viele Formate dieser beiden Anstalten sind wirklich niveauvoll, intelligent, haben ein Alleinstellungsmerkmal, wirken verbindend. Bei ArteTV wie bei 3sat sind Nachrichtenjournale führend, Moderatoren wie Armin Wolf von der österreichischen ZIB (Zeit im Bild) lassen deutsche TV-Kollegen blass aussehen. „Karambolage“ bei ArteTV, „Kulturzeit“ bei 3sat, die zahlreichen Reportagen und so weiter über uns und über unsere Nachbarn verteilen sich über zwei Sender, oppulent und ausufernd, und das ist gut so.
Nach einer Reform ginge es diesen Sendern an den Kragen, wenn Einspar-Verschlankungs-Pläne im Entwurf des „Reformrundfunkstaatsvertrages“ mittels einer Zusammenlegung dieser Sendehäuser greifen würden: Inhaltlich, sendezeitlich, finanziell, personell, das Interesse und die Menge des Publikums betreffend. Man muss schon fragen dürfen: Wie würde man diesen neuen, festen Knoten lösen, zum Beispiel die Nachrichtensendungen und verschiedenen Journale beider Sender in eine gedeihliche Koexistenz in nur einem Sender zu vereinen, wenn dann nicht doch diese und/oder jene Sendung „eingestellt“ werden würde? Alles wird besser. Nichts wird gut. Oder?
Eine Petition bringt es auf den Punkt
Kulturschaffende wie Katja Riha warten nicht, sie wollen 3sat mit einer Online-Petition retten. Aktivisten wie sie aus dem Bereich Kultur unterstützen eine „Innn.it-Petition“, die sich für den Erhalt von 3Sat engagiert. So heißt es:
Es brauche 3sat „als Plattform für kritische Debatten, als Bühne für kreative Vielfalt und als Stimme der europäischen Kultur“, schreibt die Initiatorin, Katja Riha auf der Petitions-Plattform Innn.it. Riha hat ein ureigenes Interesse an dem Fortbestand des Senders, denn sie ist nicht nur langjährige freie Mitarbeiterin der 3sat-Sendung “Kulturzeit”, sondern hat in der Vergangenheit mit ihrer Produktionsfirma Can Do Berlin auch einige Dokus für den Sender produziert, wie sie auf der Unternehmenswebsite schreibt – unter anderem habe man ein Porträt über Sahra Wagenknecht und über die Geschichte der Überwachung umgesetzt. Sie sei jedoch auch „regelmäßige Zuschauerin des Programms und fest davon überzeugt, dass Kultur, Kunst aber auch Bildung gerade in diesen Zeiten einen festen Platz in der deutschen Medienlandschaft haben müssen“.
Die Initiatorin hat recht, wenn sie zum Beispiel über 3sat sagt:
Die Gesellschaft brauche Kunst, Theater, Kino, Literatur, Musik, Tanz, Comedy und „all die vielen kreativen Menschen, die uns auf 3sat täglich bereichern, irritieren und nachdenken lassen“.
Und sie erhält Unterstützung:
Fast 20.000 Menschen haben die Petition (Stand Freitagmittag) unterschrieben, am Donnerstagmittag lag die Zahl erst bei der Hälfte. In der Liste der Erstunterzeichnenden finden sich viele bekannte Namen aus der Kulturbranche, z.B. die Schriftstellerin Sibylle Berg, Satiriker Martin Sonneborn, Literaturkritiker Denis Scheck und Musiker Jan Delay.
Internationale TV-Zusammenarbeit eingedampft
Die Art von möglicherweise anstehender Reform des deutschen Rundfunkstaatsvertrages, die 3sat im Visier hat, träfe auch das Verhältnis zu unseren Nachbarn, Österreich, die Schweiz, Frankreich. Das Ansinnen geht nicht in Richtung Verbesserung der Zusammenarbeit, es geht nur um das Zauberwort „Sparen“. Doch wenn es wirklich ums Sparen ginge, und ja, über Geld und das kluge Ausgeben der Mittel muss immer geredet und entsprechend vernünftig gehandelt werden, bestehen in dem Gebilde ÖRR ganz andere Baustellen, die zu bearbeiten wären. Warum müssen öffentlich-rechtliche Stars grandiose Summen an Gagen und Honoraren erhalten? Warum bekommen alle wichtigen Führungspersönlichkeiten im Apparat ÖRR so üppige Gehälter? Warum wird immer auf Quote und Masse statt auf Inhalte und Klasse geschielt?
Wir sind ein reiches Land, das sich einen üppigen und guten ÖRR leisten kann und muss
Mal ganz anders angesetzt: Wir sind in der Situation, dass wir einen sehr üppigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben. Rundfunk, Fernsehen, Internet, Mediatheken. Überregionale Sender, regionale Sender, Formatradio, Spartensender usw. Und das besteht neben einem ebenso üppigen Privatsenderbereich. Diese Vielfalt des ÖRR dürfen wir uns – bei aller berechtigter Kritik an oftmals die Ausgewogenheit massiv verletzenden Beiträgen im ÖRR – nicht streitig machen lassen, ans Eindampfen denken, zweifeln, ausdünnen. Na klar, immer dreht sich alles um das liebe Geld. Doch, es sei erwähnt: wir in Deutschland haben genug Geld, wir Bürger zahlen sehr viel Geld in Form von Gebühren für unsere Öffentlich-Rechtlichen, was lediglich eine Einnahmequelle ist.
Wir haben darüber hinaus überhaupt für alles Mögliche Geld. Wir bräuchten das nur an Stellen zu sparen, wo es unsinnig bis irrsinnig ist, Geld auszugeben. Und es würde mehr an Möglichkeiten und Mitteln frei werden. Es wäre befreiend. Man denke nur mal an unsere steigenden, irrsinnigen Ausgaben für die Rüstung, an die anderen Unsummen, die in anderen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen institutionellen Bereichen versickern und/oder irgendwie unfair dorthin verteilt werden. Dort wo Geld fehlt, wird dann der Mangel verwaltet.
Reformen beim ÖRR sind absolut überfällig, eine harte inhaltliche Kritik an zahllosen Beiträgen (unter vielem anderem bei Krieg, Corona, Wirtschaftsordnung) ist gerechtfertigt – aber: 3sat und ArteTV zusammenzuschustern, ist wie Kunst und Sport im Stundenplan der Schulen zusammenzuschustern. Und sowas geschieht eben (nur) in einer Gesellschaft, die gerade das Luftholen, das Aufatmen, das Befreien von Zwängen einer in sich zusammenfallenden, zweifelnden, verwahrlosenden Lage verdient und es doch nicht bekommt, weil die Entscheidungsträger unverantwortlich handeln. Oder nicht?
Titelbild: Ralf Liebhold / Shutterstock