Der Chefredakteur der Rheinpfalz meldet sich in Sachen Corona-Aufarbeitung zu Wort. In einem langen Meinungsartikel bringt er zum Ausdruck, dass es an der Zeit sei, die Aufarbeitung der „Pandemiejahre mit Ehrlichkeit voranzutreiben“. Yannick Dillinger bittet öffentlich in dem Blatt um Verzeihung. Das ist aller Ehren wert und verdient Respekt. Der Beitrag weist jedoch zahlreiche Schwächen auf. Darüber muss gesprochen werden – im Sinne der Aufarbeitung. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.
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Die schwersten Grundrechtseinschränkungen der Bundesrepublik waren nur durch Medien möglich, die der Politik sekundiert haben. Der hohe Grad an sprachlicher Gewalt und die Hetze gegen Ungeimpfte waren nur möglich, weil eine Medienlandschaft mitgemacht hat. Ungeimpfte konnten ohne nennenswerte Kritik als „gefährliche Sozialschädlinge“ beschimpft werden. „Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen“ – so war es in Richtung der Ungeimpften im Spiegel zu lesen.
Eine Gruppe von Menschen – öffentlich vor einem Millionenpublikum an den Pranger gestellt. Warum? Weil sie Bedenken gegen einen umstrittenen Impfstoff hatten. Der Furor gegen Ungeimpfte war nur ein Teil einer Politik und einer „Berichterstattung“, denen augenscheinlich der Bezug zu den demokratischen Werten unseres Grundgesetzes abhanden gekommen war. Unveräußerliche Grund- und Menschenrechte? Sie waren verkommen zur Verfügungsmasse einer Politik der Grundrechtsschande. Mit anderen Worten: Die Aufarbeitung der Coronapolitik ist dringend notwendig. Allerdings kann es dabei nicht bleiben. Neben einer Aufarbeitung in der Justiz muss es auch zu einer Aufarbeitung im Journalismus kommen. Wie konnten die Wächter der Demokratie so eklatant versagen?
Der Chefredakteur der Rheinpfalz geht nun mit gutem Beispiel voran und tut etwas, was dringend auch die Chefredakteure und Verantwortlichen bei ARD und ZDF, aber auch bei anderen Medien tun sollten. Öffentlich um Verzeihung bitten für eine Corona-„Berichterstattung“, die in vielerlei Hinsicht aus journalistischer Sicht eine Zumutung war. Die öffentliche Bitte um Verzeihung ist ein bemerkenswerter Schritt, der Anerkennung verdient. „Manche Journalisten“, so schreibt Dillinger, „vermitteln bei der Kommentierung von Ausgangssperren, 2G oder Besuchsverboten den Eindruck, die eine Wahrheit zu kennen“. Und dann merkt der Journalist an:
„Ich gehöre dazu und mache damit einen Fehler, durch den sich Andersdenkende stigmatisiert fühlen können. Einen Fehler, für den ich hiermit um Verzeihung bitten möchte.“
An dieser Stelle möchte man gerne einschwingen und sagen: „In Ordnung. Verzeihung gewährt.“ Das kann man auch tun. Allerdings steht in dem Beitrag so einiges, was darauf schließen lässt, dass einerseits etwas verstanden wurde, aber andererseits noch immer sehr vieles nicht richtig erfasst wird.
Die Kritik beginnt an der Überschrift und zieht sich durch bis zum Schluss. „Wir müssen verzeihen“[*], heißt es in großen Buchstaben. Alleine schon dadurch, dass diese Überschrift inhaltlich an eine Aussage des ehemaligen Gesundheitsministers Jens Spahn erinnert, gerät der Versuch, Frieden zu schlichten, in eine Schieflage. Spahn veröffentlichte ein Buch unter dem Titel: „Wir werden einander viel verzeihen müssen“.
Wohl die meisten Menschen werden der Aussage zustimmen, dass ein Verzeihen in einer Grundsätzlichkeit sehr wichtig ist. Doch wenn ein Politiker, der maßgeblich für die Coronapolitik verantwortlich ist, so etwas sagt, gerät die Realität aus den Fugen. Der Gesundheitsminister muss „uns“, den Bürgern, gar nichts verzeihen. Denn „wir“ haben dem Gesundheitsminister nichts getan. Und „wir“ müssen Spahn auch nichts verzeihen. Das können „wir“ tun, wenn wir es wollen. Die Aussage Spahns wurde von vielen Kritikern als billiger Weg empfunden, sich der Verantwortung für die politischen Entscheidungen zu entziehen. Die Überschrift in der Rheinpfalz kann, leider, auch unter diesem Verdacht verstanden werden. Wer soll denn hier wem „verzeihen“? Und warum sollen die, die verzeihen, das „müssen“?
Nicht, dass an dieser Stelle Missverständnisse entstehen. Man muss nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Und man muss auch nicht auf Biegen und Brechen eine solche Überschrift auseinandernehmen. Würde doch nur, was unter der Überschrift kommt, dem gerecht, was man als Leser erwarten könnte: Wir müssten nicht über die Überschrift reden. Leider ist dem, von der Bitte um Verzeihung abgesehen, nicht so.
Die Rheinpfalz ist eine große Regionalzeitung. Mit über 230.000 verkauften Exemplaren. Die Rheinpfalz hat Gewicht in Rheinland-Pfalz. Wem, wenn nicht einer Zeitung wie dieser, könnte in dem Bundesland eine Wächterfunktion im Sinne der Demokratie zugeschrieben werden? Die Bürger dieses Bundeslandes sollten darauf vertrauen können, dass eine Zeitung in einer der schwersten Krisen der Bundesrepublik sich an dem orientiert, woran eine demokratische Presse sich zu orientieren hat. Die Grund- und Menschenrechte sind unveräußerlich. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Wo war die Redaktion der Rheinpfalz, als Mitmenschen in Rheinland-Pfalz aufgrund der Coronamaßnahmen ohne ihre Angehörigen im Krankenhaus oder in einem Heim sterben mussten? Wo war die Rheinpfalz, als sich Bürger selbst auf Parkplätzen gezwungen sahen, eine Maske zu tragen? Wo war die Rheinpfalz, als es galt, die Inzidenzen mit der gebotenen journalistischen Kritikfähigkeit zu hinterfragen?
Der Beitrag des Chefredakteurs ist um Erklärung bemüht. Seine Argumentation lässt sich wie folgt zusammenfassen. Es war keine einfache Zeit. Vieles war unklar. Es wurden Fehler gemacht. Eine Pandemie ist „eine Zumutung“, „auch für Journalisten“.
Und ja, all das stimmt schon. Es greift aber zu kurz. Viel zu kurz. Dillinger bemüht hier eine sehr gefällige und leider auch mit der Realität brechende Argumentation. Dieser Argumentation bedient sich auch die Politik. Aus guten Gründen. Wer will einer solchen Argumentation schon widersprechen? Schließlich sind wir alle Menschen. Wir alle machen Fehler. Doch, und das kommt leider bei Dillinger anscheinend noch immer nicht an: es geht nicht um Fehler. „Fehler“ waren ein Ärgernis. „Fehler“ sollten aufgearbeitet werden. Aber „Fehler“ haben nicht dazu geführt, dass Menschen einem abartigen Impfdruck ausgesetzt waren. „Fehler“ haben nicht dazu geführt, dass Ungeimpfte wie Parias behandelt wurden. „Fehler“ haben nicht dazu geführt, dass die „Berichterstattung“ in eine Schieflage geraten ist.
Im Journalismus hat eine unfassbare, dauerhaft anhaltende (!) Ignoranz gegenüber der Realität und gegenüber Grundlagen des journalistischen Handwerks dazu geführt, dass mit elementaren Regeln des Berufs mit einer Beliebigkeit umgegangen wurde, die ihresgleichen sucht. Und zumindest in Teilen des Berufsstandes wurde eine erschreckende Bereitschaft zur Konformität bis hin zu einem zutiefst autoritären Verhalten sichtbar. Dieses Verhalten, diese regelrechte „Freude“ an der Bloßstellung, Diffamierung und Abwertung von Ungeimpften, „Spaziergängern“ und Demonstranten hatte nichts mit „Fehlern“ zu tun.
Eine Stelle in dem Beitrag der Rheinpfalz stößt besonders negativ hervor. Dillinger schreibt:
„Was ‚Lügenpresse‘-Rufer beim Schimpfen auf Medien oft verwechseln, sind ‚Ausgewogenheit‘ und ‚falsche Balance‘. Die Folge: Sie fordern die Aufnahme fragwürdiger Personen in den Diskurs, negieren aber deren Agenda und fehlende Expertise. Es ist auch heute noch richtig, den Meinungskorridor weit zu lassen, aber auf tatsächliche Experten zu setzen.“
Der Eindruck entsteht, dass eher Dillinger derjenige ist, der etwas verwechselt oder genauer: nicht verstanden hat. Wie kann man auf der einen Seite Bürgern vorwerfen, dass sie die „Aufnahme“ von „fragwürdigen Personen“ (was heißt hier „fragwürdig“?) in den Diskurs verlangen, deren „Agenda“ sie aber negierten, während man als Zeitung im Dauermodus Politiker mit ihrer je eigenen Agenda zu Wort kommen lässt? Von der „Fragwürdigkeit“ eines manchen Politikers einmal ganz abgesehen.
Das Ärgerliche an der zitierten Stelle ist: Dillinger scheint noch immer nicht richtig zu verstehen, dass die eigenen Wahrnehmungsraster im Hinblick auf die journalistische Einordnung von echten oder vermeintlichen Experten dringend selbstkritisch zu hinterfragen sind. Wer sich etwas näher mit den veröffentlichten RKI-Protokollen oder denen des Expertenrates auseinandersetzt, kann schnell erkennen: Das Mottto „follow the science“ war ein Hohn. Hätten Medien doch nur mal auf die vielgeschmähten „alternativen“ Experten gehört. Hätten sie nur mal darauf gehört, wie weitreichend die Schäden für Kinder und Jugendliche sein würden, welche Risiken bei der Impfung bestehen usw. Stattdessen haben Medien – auch die Rheinpfalz – den Meinungskorridor geschlossen.
Ist es so schwer zu verstehen, dass wir als Journalisten niemals den Anspruch haben dürfen, auf dem obersten Felsen der Wirklichkeitsbestimmung zu sitzen? Ja, wir haben die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass in den Publikationen kein Unsinn steht. Aber alleine bei der richtigen Einordnung des Begriffs Unsinn scheitert doch unsere Zunft Tag für Tag. „Unsinn“ wird von dem herrschaftskonformen Journalismus unserer Zeit als das verstanden, was den politischen „Wahrheiten“ entgegensteht. Was sind denn, wie Dillinger schreibt, „tatsächliche“ Experten? War etwa ein Dr. Friedrich Pürner, der sich dem Maßnahmenexzess widersetzt hatte, kein „tatsächlicher“ Experte? Nein, man kommt nicht drumherum anzunehmen, dass die Rheinpfalz beim nächsten Thema, wo kritisch eine Positionierung gegen die vorherrschende Politik notwendig wäre, wo dringend der Meinungskorridor im eigenen Blatt breit gebaut werden müsste, wieder scheitert.
Vieles deutet darauf hin: Noch immer fehlt es an der Bereitschaft, den eigenen Hang zur Konformität in seinen Grundlagen zu hinterfragen. Und an genau dieser Eigenschaft, die leider im Journalismus tief verwurzelt ist, scheitert ein ums andere Mal eine kritische Berichterstattung.
Marcus Klöckner hat sich in den Büchern „Sabotierte Wirklichkeit – oder: Wenn Journalismus zur Glaubenslehre wird“ und „Zombie-Journalismus – Was kommt nach dem Tod der Meinungsfreiheit?“ im Detail mit den Verwerfungen im Journalismus auseinandergesetzt.
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Titelbild: Djavan Rodriguez / Shutterstock
[«*] Das ist die Überschrift in der gedruckten Ausgabe. Online lautet die Überschrift: „Auch Journalisten haben in der Pandemie Fehler gemacht“