Kinder ins Casino. Fünf Weise wollen Sechsjährige aufs Börsenparkett schicken

Kinder ins Casino. Fünf Weise wollen Sechsjährige aufs Börsenparkett schicken

Kinder ins Casino. Fünf Weise wollen Sechsjährige aufs Börsenparkett schicken

Ein Artikel von Ralf Wurzbacher

Der Sachverständigenrat Wirtschaft empfiehlt eine staatliche geförderte „Aktienkultur“ von der Wiege bis zur Bahre. Erste Gehversuche auf dem Kapitalmarkt sollen dafür selbst die Kleinsten der Gesellschaft machen. Damit später auch ja keiner mehr auf dumme Gedanken kommt, etwa den, das irre Geld- und Giersystem infrage zu stellen. Ein Schmähstück von Ralf Wurzbacher.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Früh übt sich, wer ein Börsenspekulant werden will. Und am allerbesten sollten wir das alle sein. Jedenfalls finden das die sogenannten Wirtschaftsweisen, ganz gewiss zu Recht, denn sie haben die Weisheit mit Löffeln gefressen. Oder, noch wahrscheinlicher, schon mit der Muttermilch aufgesogen. So etwas vererbt sich bestimmt. Seinen jüngsten Erguss an Sachverstand hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung auf den am Montag veröffentlichten „Policy Brief“ ejakuliert. Die bahnbrechende Idee: „Ein Kinderstartergeld für Deutschland“.

Auf Staatskosten sollen demnach alle Mädchen und Jungen ab sechs Jahren automatisch und bis zum Erreichen der Volljährigkeit zehn Euro monatlich in Wertpapieren anlegen, in „breit diversifizierte“ Fonds mit „niedrigen Gebühren“ und einem „hohen Anteil an Aktien“.

Selbstredend führen die Vordenker nur Gutes im Schilde: „Dieser Anlagehorizont ermöglicht am Aktienmarkt eine solide Rendite bei geringem Risiko.“ Durch die schrittweise Einführung steige der „öffentliche Finanzierungsbedarf nur langsam an und bleibt kurzfristig gering“. Nach zwölf Jahren dürften sich die Anleger die Erträge entweder auszahlen lassen oder „weiter besparen“, weshalb eine „unbürokratische Überführung in eine private förderfähige Altersvorsorge (…) von Beginn an mitgedacht werden“ müsse. Damit auch alles mit rechten Dingen zugeht, sollten „nur autorisierte UCITS-Fonds berücksichtigt werden, die regulatorische Anforderungen in Bezug auf Diversifizierung, Liquidität, Risikomanagement und zulässige Vermögensgegenstände erfüllen“. So besteht dann Gewissheit, dass das schöne Geld nicht einfach verbrennt – wie ehedem Ende der 1990er, als die Volksaktie der Telekom Hunderttausenden Menschen Verluste bescherte …

Toller Vorschlag? Natürlich! Nur will der Plebs das nicht begreifen. Unter einem Beitrag zum Thema bei Zeit-Online haben üble Kommentatoren kübelweise Geistlosigkeit abgeladen. „Ja, möglichst schnell mitmachen beim Aktienkasino. Irreale Wetten, oft losgelöst von der wirtschaftlichen Realität um möglichst leistungslose Gewinne zu erzielen (oder auch alles zu verlieren)“, schreibt da einer. „Und Delphinschwimmen auf den Malediven. Für jedes Kind ab Seepferdchen“, ein anderer. Eigentlich würdigt so gut wie kein Eintrag das Genie der abendländischen Weisen. Statt dessen so etwas: „Die Krankheit Kapitalismus wird langsam zum Gendefekt.“ Und dann noch das: „Das Geld sollte man lieber in gute Bildung, Kita, Tagesmütter stecken und diese besser ausstatten und bezahlen. Unsere Schulen sind teilweise eine Schande für unser Land.“

Immerhin Letzteres stimmt. An der Bildung hapert es in dieser Republik, an der Erziehung sowieso. Denn „die bisherigen Finanzbildungsprogramme haben, nicht nur in Deutschland, weniger zur Stärkung der Finanzkompetenz in der Bevölkerung beigetragen als erhofft“, weiß die weise Ulrike Malmendier. Deshalb ja auch ihr Vorstoß und der ihrer vier Mitstreiter, schon die Kleinen und Kleinsten auf den Tugendpfad des Kapitalismus zu führen, am besten schon im Uterus. Anders als bisherige Maßnahmen ziele das Kinderstartgeld nämlich darauf ab, „Finanzverhalten durch das Lernen aus Erfahrungen zu stärken – anstatt auf theoretisches Wissen, heißt es in einer Pressemitteilung.

Richtig! Wozu noch graue Theorie? Zum Beispiel ist die Rüstungslobby in Brüssel gerade drauf und dran, Investitionen in Kriegs- und Mordwerkzeug als „nachhaltige“ Geldanlage anerkennen zu lassen, weil Sicherheit – frei nach George Orwell – die „Mutter aller Nachhaltigkeit“ sei. Wer will so etwas wissen? Und wer ist Orwell? Merkt Euch gefälligst: Machen geht über Studieren – vor allem Geldmachen. Und so gehört auch Rheinmetall sicher bald zu den guten, grünen Fonds, die die kleine Lisa in München guten Gewissens oder bar jeden Wissens zeichnen kann. Der kleine Danylo in Kiew wird es ihr danken – wenn alsbald Bomben auf Moskau regnen.

Titelbild: GrashAlex / Shutterstock

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