Die Bundesnetzagentur hat den ersten sogenannten „Trusted Flagger“ („vertrauenswürdiger Hinweisgeber“) benannt. Mithilfe dieser Initiativen sollen „illegale Inhalte, Hass und Fake News“ künftig “sehr schnell und ohne bürokratische Hürde entfernt werden“, so die Behörde stolz. Es sollen also nicht nur illegale Inhalte „sehr schnell“ gelöscht werden – das ist skandalös. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Die Bundesnetzagentur (BNetzA) hat vor einigen Tagen in einer Pressemitteilung geschrieben, dass sie „den ersten Trusted Flagger, einen vertrauenswürdigen Hinweisgeber, gemäß dem Digital Services Act (DSA) zugelassen“ habe. Die Meldestelle REspect! der Stiftung zur Förderung der Jugend in Baden-Württemberg mit Sitz in Sersheim habe diese Zulassung erhalten (Webseite hier). Die Meldestelle sei die erste Organisation gewesen, die einen Zulassungsantrag bei dem Digital Services Coordinator (DSC) in der Bundesnetzagentur eingereicht habe. Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur und kommissarischer Leiter des DSC sagt:
„Plattformen sind verpflichtet, auf Meldungen von Trusted Flaggern sofort zu reagieren. Illegale Inhalte, Hass und Fake News können sehr schnell und ohne bürokratische Hürde entfernt werden. Das hilft, das Internet sicherer zu machen.“
REspect! konzentriere seine Arbeit als Trusted Flagger vor allem auf soziale Netzwerke und Video-Plattformen wie Facebook, X, Instagram, TikTok, YouTube und Telegram, so die Behörde. Der Fokus liege auf „Identifizierung von Hassrede, terroristischer Propaganda und anderen gewalttätigen Inhalten“.
Im Zulassungsverfahren prüfe der DSC die gesetzlichen Voraussetzungen der Zulassung anhand zahlreicher eingereichter Unterlagen. Die Meldestelle REspect! habe dabei laut Bundesnetzagentur ihre besondere Expertise, ihre Unabhängigkeit von Online-Plattformen sowie die präzise und objektive Weitergabe von Meldungen an die Online-Plattformen nachweisen können.
„…unverzüglich Maßnahmen wie beispielsweise die Löschung der Inhalte zu ergreifen…“
Laut Bundesnetzagentur spielen Trusted Flaggers eine zentrale Rolle bei der Umsetzung des Digital Services Act, „um illegale Inhalte im Netz wirksam zu bekämpfen“. Diese Organisationen würden über besondere Erfahrung bei der Identifizierung und Meldung rechtswidriger Inhalte verfügen. Wörtlich heißt es von der Behörde:
„Plattformen sind gesetzlich verpflichtet, Meldungen von Trusted Flaggern prioritär zu behandeln und unverzüglich Maßnahmen wie beispielsweise die Löschung der Inhalte zu ergreifen.“
Das ist starker Tobak, das ist skandalös. Die Welt schreibt dazu:
„Nun darf also eine aktivistische NGO aus der schwäbischen Provinz im Auftrag eines grünen Cheftechnokraten über ‚Hetze, Verschwörungserzählungen und Fake News‘ entscheiden.
Und ‚REspect!‘ soll keineswegs bloß Empfehlungen abgeben, der ‚Trusted Flagger’ ist mit weitreichenden Vollzugsgewalten ausgestattet: ‚Plattformen sind gesetzlich verpflichtet‘, vermeldet die Bundesnetzagentur stolz, ‚Meldungen von Trusted Flaggern prioritär zu behandeln und unverzüglich Maßnahmen wie beispielsweise die Löschung der Inhalte zu ergreifen‘.“
Welcher Konzern riskiert schon Millionenstrafen für die Meinungsfreiheit?
Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, hat in diesem Tweet auf X reagiert:
„Aus gegebenen Anlass: Die @BNetzA entfernt nach dem #DSA keine Inhalte. #Plattformen und Dienste behandeln gemeldete Inhalte auf Grundlage der geltenden #Gesetze und ihrer #Nutzungsbedingungen. Finale Entscheidung liegt wie eh und je bei den #Gerichten.”
Das ist nach Ansicht vieler Beobachter aber eine Schutzbehauptung, die der Praxis in der Realität nicht standhalten wird – dazu noch einmal die Welt:
„Dass eine solche Regelung dazu führt, dass ‚Meldungen‘ ohne große Überprüfungen von den Plattformen umgesetzt werden, versteht sich von selbst – welcher Konzern riskiert schon Millionenstrafen, um im Zweifel auch die Meinungsfreiheit einzelner Nutzer zu verteidigen?“
„Eine rechtsstaatliche und verfassungsrechtliche Perversion“
Zu dem Vorgang gibt es Kritik überwiegend von konservativer Seite – dabei wird mit der Ablehnung des Zensur-Vorhabens kein politischer Inhalt verteidigt, sondern das Prinzip der Meinungsfreiheit. Eine Beschädigung dieses Prinzips wird irgendwann Bürger aller politischer Couleur treffen.
Das Medium Nius hat zum Thema mit einigen Rechtsexperten gesprochen. Demnach sagte Joachim Steinhöfel zu den Trusted Flaggern: „Die steuergeldfinanzierte Einrichtung von ‚vertrauenswürdigen Hinweisgebern‘ ist eine rechtsstaatliche und verfassungsrechtliche Perversion.“ Denn: „Für Straftaten sind Polizei und Staatsanwaltschaften zuständig, beide notorisch unterfinanziert. Statt das Geld in rechtsstaatliche Institutionen zu investieren, landet es bei fragwürdigen staatlichen Vorfeldorganisationen.“ Der Staatsrechtler Volker Boehme-Neßler sagte gegenüber Nius: „Wir schaffen uns mit dem DSA-Meldesystem eine Denunziations-Gesellschaft.“
Der Strafrechtler Udo Vetter sieht laut dem Artikel verfassungsrechtliche Bedenken: „Es ist im Prinzip eine Zensur durch die Zensurbehörde – nicht mehr durch die Hintertür, sondern man marschiert durch den Vordereingang.“ Alles, was bisher an problematischer Meldestruktur existiert, drohe institutionalisiert zu werden. „Die Meldestruktur ist damit staatlich legitimiert.“ Vetter erklärt weiter: „Wir haben es mit einem geschaffenen Meinungs-TÜV zu tun. Wenn der TÜV gerufen wird und keine Plakette vergibt, wird der Meinungsbeitrag gelöscht. Das Portal muss schnell reagieren. Schon im benutzten Wort müssen von Netzagentur-Chef Klaus Müller steckt der staatliche Zwang.“ Auch das verwendete Wort „schnell“ von Müller bedeute eine „faktische Ausschaltung des Rechtsweges“, meint der Jurist.
Im MDR hat auch der Verfassungsrechtler Arnd Diringer dargelegt, dass er das Prinzip der Hinweisgeber für rechtlich problematisch hält.
Meinungsäußerungen, die nicht verboten sind, sind erlaubt
Ich schließe mich der hier zitierten Kritik an. Dazu kommt noch: Die Begriffe werden immer weiter verunklart, die Grenze zwischen „illegal“ und „legal, aber dennoch zu löschen“ wird weiter verwischt. Diese vorsätzlich hergestellte Grauzone kennt man auf anderer Ebene von Begriffen wie „Delegitimierung des Staates“. Wer definiert „Hass“ und „Fake News“? Bei der Bundesnetzagentur werden „illegale Inhalte“ in einem Atemzug mit „Desinformation“ genannt, obwohl die Begriffe völlig unterschiedlich behandelt und streng getrennt werden müssten:
„Der DSA verpflichtet digitale Dienste und Online-Plattformen zu mehr Sorgfalt und Transparenz und ermöglicht, einfacher gegen illegale Inhalte und Produkte, Hass und Hetze sowie Desinformationen vorzugehen.“
Es gibt zweifellos schlimme Volksverhetzung und schwere Beleidigungen im Netz – dagegen kann und sollte juristisch vorgegangen werden, bei einem Urteil eines ordentlichen Gerichts müssen dann natürlich auch Beiträge gelöscht werden. Darum sind Investitionen in den Justiz-Apparat wichtig und überfällig. Aber „Desinformation“ ist Definitionssache, „Trusted Flagger“ sind keine Gerichte und: Meinungsäußerungen, die nicht verboten sind, sind erlaubt. Punkt.
Titelbild: Anelo / Shutterstock