Der Iran und Israel haben keine gemeinsame Grenze, bisher niemals direkt Krieg gegeneinander geführt und keine gegenseitigen territorialen Ansprüche. Trotzdem haben sich seit der Revolution von 1979 die Beziehungen beider Staaten stetig verschlechtert – bis hin zu den iranischen Raketenangriffen auf Israel, denen israelische Schläge gegen Verbündete, Vertreter und diplomatische Einrichtungen Irans, überwiegend in Syrien und im Libanon, vorangingen. Von Ramon Schack.
Die Kriegsgefahr zwischen beiden Staaten ist real. Das war nicht immer so. Unter der Pahlavi-Herrschaft und besonders seit dem Beginn der Sechzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts pflegten Israel und der Iran intensivste Beziehungen, welche seinerzeit mit Recht als eine Art strategische Allianz charakterisiert wurden. Obwohl zwischen beiden Staaten damals nur informelle Beziehungen bestanden, pflegte man auf dem internationalen diplomatischen Bankett das Bonmot von „einer Liebesbeziehung ohne Heiratsurkunde“. Iran ist ein schiitischer, nichtarabischer Staat in einer überwiegend sunnitischen und arabischen Region, mit einer reichen Geschichte von Konflikten und Kriegen mit seinen arabischen und auch nichtarabischen muslimischen Nachbarn. Aufgrund dieser geografischen und ethnokulturellen Rahmenbedingungen, der permanenten Bedrohung seitens der früheren UdSSR und unter dem Aspekt der außenpolitischen Westorientierung des Pahlavi-Regimes betrachtete man damals in Teheran Israel als einen natürlichen Verbündeten.
Ben Gurions Theorie der „peripheren Staaten“
Israel, welches in den Jahren nach der Staatsgründung ums Überleben kämpfte und sich um Anerkennung und Legitimität in der islamischen Welt bemühte, erkannte deshalb schon früh, dass der Iran einen idealen Alliierten darstellt. Der vom damaligen ägyptischen Präsidenten militant propagierte Panarabismus wurde nicht nur in Tel Aviv, sondern auch in Teheran als ernst zu nehmende Herausforderung interpretiert. Das vom ersten israelischen Ministerpräsidenten David Ben Gurion entwickelte Konzept der „peripheren Staaten“ wurde umgehend so etwas wie ein außenpolitisches Credo Tel Avivs in den frühen Jahren des jüdischen Staates. Israel war damals von feindseligen arabischen Staaten umgeben, deshalb war es nach Auffassung Ben Gurions zwingend erforderlich, freundschaftliche Beziehungen zu den Nachbarn der Nachbarstaaten aufzubauen, um die geografische Isolation in der Region zu überwinden.
Zu diesen „peripheren Staaten“ zählten neben dem kaiserlichen Iran auch die Türkei und Äthiopien. Diesbezüglich spielte der Iran für Israel eine besondere Rolle, schon aufgrund der geografischen und demografischen Größe, des ökonomischen Potenzials und natürlich, weil es sich um einen islamischen, nichtarabischen Staat handelte, welcher keinen Grund für eine kriegerische Auseinandersetzung mit dem jüdischen Staat hatte. Die historische Erinnerung an den persischen Kaiser Kyros den Großen, der die babylonische Gefangenschaft der Juden beendete, spielte möglicherweise in der an Geschichtsmythen reichen Region auch eine Rolle. Die engen Beziehungen beider Staaten wurden unmittelbar nach dem Sturz der Pahlavi-Dynastie beendet. Die Islamische Republik betrachtet Israel bis heute als Feindesland und als ein illegitimes Gebilde, dessen Existenz den nationalen Interessen wie auch der Verbreitung der islamischen Revolution fundamental gegenübersteht.
Khomeinis Dogmen
Die Wurzeln dieser feindseligen Haltung gegenüber Israel liegen unter anderem in Khomeinis Dogmen begründet. In seinem Buch über die „Islamische Republik“ behauptete Ayatollah Khomeini, dass der Islam von Anfang an unter den Juden gelitten habe. Ferner thematisierte Khomeini die „Zionistische Herrschaft über Jerusalem“ sowie die Tatsache, dass Israel als ein Brückenkopf des US-Imperialismus in der gesamten Region fungiere. Gegenüber der jüdischen Minderheit im Lande wurden nach der Revolution allerdings tolerantere Positionen formuliert. Khomeini konnte und wollte weder die neu begründete Loyalität der jüdischen Minorität ignorieren noch die im Koran definierte Verantwortung muslimischer Herrscher gegenüber den Juden übergehen. Am Vorabend der „Islamischen Revolution“ von 1979 lebten schätzungsweise 100.000 Juden im Iran.
Die Islamische Revolution als Zäsur
Die Revolution und die Errichtung einer islamischen Theokratie waren eine tiefgreifende Zäsur und ein Desaster für die jüdische Gemeinde im Iran. Zwar kam es im Iran nicht zu antijüdischen Ausschreitungen wie in vielen arabischen Staaten – die Verfassung definiert Juden als Dhimmis, als Schutzbefohlene, und man ist bislang eifrig darum bemüht, die antizionistische Doktrin nicht auf die iranischen Juden zu übertragen –, doch führte die Etablierung der Islamischen Republik und die damit einhergehende Ernennung des schiitischen Islams zur Staatsreligion zu einer graduellen Verschlechterung der Situation religiöser Minderheiten. Rund 75 Prozent der iranischen Juden haben seit der Revolution zusammen mit Millionen anderen Iranern das Land verlassen. Nach Ansicht von Prof. David Menashri, dem Vorsitzenden der Vereinigung der iranischen Juden in Israel, leben insgesamt eine Viertelmillion Juden iranischer Herkunft in Israel. Menashri bezeichnet die Einwanderung iranischer Juden nach Israel als eine Erfolgsgeschichte. Neben dem ehemaligen Präsidenten Moshe Katzaw sei auch der ehemalige Verteidigungsminister Shaul Mofaz gebürtiger Iraner sowie eine Reihe von bedeutenden Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens.
Menashri, der als einer der führenden Iran-Experten weltweit gilt, weist darauf hin, dass die Mehrzahl der Juden, die den Iran verlassen haben, nicht nach Israel, sondern in die USA gezogen sind, und dort speziell nach Los Angeles, dem globalen Zentrum der iranischen Diaspora.
Vor dem Hintergrund dieser historischen Entwicklung sind die in den letzten Jahren von den iranischen Machthabern geäußerten Tiraden gegen Israel und das institutionalisierte Geschichtsverständnis Europas als eine Konstante der iranischen Außenpolitik zu erklären und stellen kein Novum dar. Dem amtierenden israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu sind die intimen Kenntnisse des Nahen und Mittleren Ostens sowie die geostrategische Ausgangslage der Region weit weniger bekannt als dem Staatsgründer David Ben Gurion.
Israelischer Militärhistoriker: „Die Gefahr einer iranischen Atombombe wird permanent übertrieben.“
Benjamin Netanjahu hat von Anbeginn seiner Amtszeiten vor der „iranischen Bombe“ gewarnt.
Was die Gefahr eines iranischen Atomprogramms angeht, so hat ihm eine Reihe von profilierten Experten im eigenen Land schon öfter widersprochen. So stellte der ehemalige Mossad-Chef Meir Dagan vor einigen Jahren fest, als Netanjahu eine militärische Option gegen Teheran thematisierte, dass ein israelischer Angriff auf iranische Anlagen die Atombombe nicht aufhalten würde. Der damalige Chef des Inlandsgeheimdienstes Juval Diskins verdammte die Iran-Politik Netanjahus sogar in Bausch und Bogen. Ferner äußerte der israelische Militärhistoriker Martin van Creveld: „Die Gefahr einer iranischen Atombombe wird permanent übertrieben.“
Laut der iranischen Nachrichtenagentur Fars erklärte das Korps der Iranischen Revolutionsgarden (IRGC), dass der Raketenangriff als eine Reaktion auf die Ermordung des Hamas-Führers Ismail Haniyya, des Hisbollah-Generalsekretärs Hassan Nasrallah und des IRGC-Kommandeurs Abbas Nilforushan im Libanon zu bewerten sei. Teheran warnte diesbezüglich:
„Wenn Israel darauf reagiert, wird es einen vernichtenden Schlag erleiden.“
Wie weit die israelische Seite darauf zu reagieren gedenkt, ist bisher unbekannt. Es steht aber zu befürchten, dass die Gefahr einer massiven militärischen Auseinandersetzung steigt.
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