„Hessen macht sich Stück für Stück kriegstüchtig“ – so lautet die Überschrift zu einem Beitrag der Hessenschau. Von Grundsatzkritik keine Spur. Stattdessen liefert der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine „Berichterstattung“ ab, die als Steigbügelhalter für den Geist der Zeitenwende dient. Hessen wird kriegstüchtig. Und die Hessenschau macht mit. Den Journalismus vergessen wir am besten dabei. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.
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Kriegstüchtig – welch eine perverse Wortschöpfung. Da wird der durch und durch negativ besetzte Begriff Krieg mit dem positiv beladenen Begriff „tüchtig“ verbunden. Auf der einen Seite die Grausamkeit und Brutalität, auf der anderen Seite Bilder von ranken, schlanken, trainierten, gesunden Körpern und die Tugend des Fleißes. Wie „Kriegstüchtigkeit“ am Ende oft genug ausgegangen ist, dürfte jeder wissen, der das Wort Geschichte fehlerfrei buchstabieren kann. Tote und Versehrte auf allen Seiten. Schier unendliche Zerstörung.
Journalisten ist es nicht nur erlaubt, nein, es ist sogar ihre Pflicht, mit Sprache wenigstens halbwegs sorgfältig umzugehen. Begriffe, die sich bequem anbieten, die von der Politik in die öffentlichen Kommunikationskanäle eingespeist werden, sollten Journalisten mit wachsamen und kritischen Augen begegnen. Vor allem dann, wenn es um ein hochgradig politisch aufgeladenes Thema geht. Wenn Politiker den Begriff „kriegstüchtig“ gebrauchen, dann müssen Journalisten ihn nicht einfach nachplappern. Den Begriff kriegstüchtig, und die gesamte, den durchgehenden Realitätsbruch huldigende Ideologie, die gerade mit ihm verbunden wird, gilt es zu dekonstruieren.
Doch was macht die Hessenschau? Sie präsentiert „Kriegstüchtigkeit“ als eine Art Happening, als ein Ereignis, über das konstruktiv berichtet wird. Braucht es dafür einen milliardenschweren öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Ein Bericht eines Bundeswehrmediums würde es doch auch tun. Oder ein entsprechendes Zettelchen von der Pressestelle. Unterschiede dürften im Hinblick auf das, was die Hessenschau abgeliefert hat, wohl kaum zu erwarten sein. Nämlich: Kritik? Fehlanzeige!
Wobei: In dem Beitrag kommt auch ein altgedienter Friedensaktivist zu Wort. Was er gegenüber der Hessenschau vielleicht alles an kritischen Worten gesagt hat, wissen wir nicht. Wir wissen nur, womit das Nachrichtenformat den Friedensbewegten zitiert. Es geht um den Verkehr. Sollten im Kriegsfalle lange Militär-Convoys durch Hessen fahren, könnte es Staus geben.
Das war’s. Grundsatzkritik gegen eine Konfrontationspolitik, die Deutschland in den 3. Weltkrieg führen kann? Fehlanzeige. Stattdessen erfahren die Zuschauer von einer Schulsekretärin. Die robbt auf einem Übungsplatz der Bundeswehr durch den Dreck. Und darf mit dem Sturmgewehr G36 schießen. Journalismus? Bankrotterklärung. Dabei richtet sich die Kritik hier natürlich nicht daran, dass Journalismus zeigt, wie Heimatschutzregimente aufgebaut sind und wie eine Frau, die sonst in der Schule sitzt, Schießübungen im Sinne der Heimatverteidigung absolviert. Es ist das katastrophale Ausbleiben eines kritischen journalistischen Blicks, der diesen Beitrag der Hessenschau zum einem Propagandastück macht.
Die Hessenschau will „berichten“, „wie das Land mit einer Kriegsgefahr umgeht und wo es sich für den Ernstfall wappnen sollte“, und wird so zum Komplizen einer Politik, in der das Primat des Militärischen immer weiter an Momentum gewinnt. Die Hessenschau will berichten, aber durch ihre fehlende Kritik, durch ihre Bereitschaft, einfach nur „darzustellen“, „aufzuzeigen“, hilft sie mit dabei, den „Geist der Zeitenwende“ aufzubauen und zu stärken. Der Beitrag von Teresa Peters gleicht einem journalistischen Totalausfall.
Auch keiner der anderen Interviewten äußert auf irgendeine Weise eine politische Grundsatzkritik an der Absicht, Deutschland kriegstüchtig machen zu wollen. Gab es solche Personen nicht? Konnten sie nicht gefunden werden? Das Erste kann nicht sein. Den es gibt genügend kritische Leute – auch in Hessen. Das Zweite wäre aus journalistischer Sicht sehr schlecht. Stattdessen bietet die Hessenschau vage, gefällige Aussagen eines 41-Jährigen vom DRK. „Gerade der Kriegsfall ist etwas, von dem wir alle nicht wissen, was uns erwartet, weil das niemand von uns bisher erlebt hat.” Und weiter: „Gedanken auch zum Ukraine-Krieg, die unsere Generation vorher noch nicht kannte“.
Auch diese Aussagen passen ins Bild. Ein im Sinne der Politik realitätskonstruierender Beitrag, der es nicht schafft – aus welchen Gründen auch immer –, die Sinnwelt der Zeitenwende aufzubrechen. Da streut die Redaktion den Begriff „Kriegsgefahr“ und die Formulierung „für den Ernstfall wappnen“ ein, ohne auch nur im Ansatz beides zu hinterfragen. Kriegsgefahr? Wo denn? Im Kopf der Kalten Krieger? Ja, dort bestimmt.
Die Dimensionen der Geostrategie und Tiefenpolitik, die den Krieg in der Ukraine, aber auch die in einem schamlosen Akt der Realitätsverzerrung als „Zeitenwende“ bezeichnende Kriegspolitik umgeben, bleibt komplett ausgeblendet. Alles ist im Sinnareal des Artikels eben so, wie es ist. Die Politik dürfte es freuen.
Titelbild: Jose Luis Carrascosa / Shutterstock