Berlin – Hauptstadt des kaputten Mietmarktes und der Obdachlosigkeit

Berlin – Hauptstadt des kaputten Mietmarktes und der Obdachlosigkeit

Berlin – Hauptstadt des kaputten Mietmarktes und der Obdachlosigkeit

Ein Artikel von Frank Blenz

Monopoly ist ein Brettspiel um Häuser und Straßen, das einst aus den USA seinen Siegeszug bis in viele deutsche Wohnzimmer angetreten hat: Der Sieger bekommt die ganze Stadt – die Verlierer stehen mit leeren Händen da. Der Blick auf das wahre Leben zeigt: Aus dem Spiel ist Ernst geworden. Exemplarisch für die Bundesrepublik steht unsere Hauptstadt Berlin, wo vielleicht am gierigsten um die Ware Haus und Wohnen rücksichtslos Kasse gemacht wird. Ein Zwischenruf von Frank Blenz.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Interessen und Rechte der Mieter, der Berliner Bürger bleiben auf der Strecke, Volksentscheide hin oder her. Im schlimmsten Fall landet man auf der Straße. Diese Fälle nehmen zu.

Monopolyplayer in echt und mit ihnen die Politik Hand in Hand

Es ist schon drei Jahre her und nichts passiert. Beim Berliner Volksentscheid über die Vergesellschaftung großer privater Wohnunternehmen 2021 hatte eine deutliche Mehrheit der Bürger für die Enteignung von Unternehmen wie dem Konzern „Deutsche Wohnen“ gestimmt. Danach herrschte Funkstille. Die Politik handelt bis heute nicht im Sinne der Bürger. Nun hat sich die Oppositionspartei Die Linke gemeldet und fordert richtigerweise:

Das Votum der Berlinerinnen und Berliner war eindeutig. Noch eindeutiger zeigen CDU und SPD, dass sie der erfolgreiche Volksentscheid und damit der Willen der Berlinerinnen und Berliner nicht interessiert. Es glauben derzeit immer weniger Menschen, dass die Politik sich falls erforderlich auch mit neuen Wegen wirklich um die Probleme der Leute kümmern will. Der Frust steigt, die Mieten steigen und das Vertrauen in die Demokratie sinkt.

Deutsche Wohnen & Co enteignen ist rechtlich möglich, finanziell leistbar und das beste Instrument, um für dauerhaft bezahlbare Mieten zu sorgen. Das hat die vom rot-grün-roten Senat eingesetzte Expertenkommission Vergesellschaftung unmissverständlich festgestellt. Selbst vom unnötigen, aber vom Senat geplanten Rahmengesetz ist nichts mehr zu hören. Still und heimlich versenkt der Senat den erfolgreichen Volksentscheid.“

Wie versenkt der derzeitige Senat den erfolgreichen Volksentscheid? Der Senat kündigt zwar zunächst ein „Vergesellschaftungsrahmengesetz“ an, was dann aber gewisse Vorarbeiten benötige, wie zum Beispiel ein Gutachten für die Erstellung eines Gesetzentwurfes. Der öffentlich-rechtliche Sender RBB24 berichtet über das Zeitspiel:

Drei Jahre nach dem erfolgreichen Volksentscheid ‚Deutsche Wohnen & Co. enteignen‘ ist ein vom Senat angekündigtes Vergesellschaftungsrahmengesetz noch immer nicht in Arbeit. Finanzsenator Stefan Evers (CDU) sagte im Abgeordnetenhaus, dass ein Gutachten, dass (sic!) für die Erstellung eines entsprechenden Gesetzentwurfs nötig sei, in Kürze in Auftrag gegeben werden könne. ‚Auch ich habe Interesse an der Klärung der verfassungsrechtlichen Fragen‘, erklärte Evers auf Nachfrage im Parlament.“

Kaputter Wohnungsmarkt und kein Ende der Wohnungslosigkeit in Sicht

Es scheint, dass das Enteignen nicht zur Realität werden wird. Dafür nimmt Monopoly weiter Fahrt auf. Und wer kennt das nicht? Beim Spielen des rasanten Monopoly kommt diebische Freude auf, wenn man die Schlossallee sein Eigentum nennen darf. Und weiter bitte. Mehr, mehr, mehr. Der bekannte deutsche Musiker Klaus Lage kritisierte schon 1984 in seinem Lied Monopoly poetisch wie zutreffend, wie das „Spiel“, genannt Wohnungsmarkt, im wahren Leben aus dem Ruder lief.

Monopoly, Monopoly, Wir sind nur die Randfiguren. In einem schlechten Spiel.
Monopoly, Monopoly. Und die Herrn der Schloßallee, verlangen viel zu viel.

Das schlechte Spiel ist noch schlechter geworden, und zwar für die, die zu Verlierern gezählt, gemacht werden – wie die Berliner in ihrer vitalen, vielschichtigen Gesamtheit. Die „Herren Eigentümer“ der Schlossallee, heute gehören zu ihnen große, private Wohnkonzerne, Finanzkonzerne und eben auch die kleineren Akteure auf diesem Marktplatz, die zu viel verlangen. Alle bekommen den Hals nicht voll genug, selbst wenn das Gemeinwesen nach und nach in die Knie geht, eine Stadt wie Berlin eben deswegen nicht lebenswerter wird, sondern zunehmend verwahrlost. Unsichtbar, sichtbar. Das geliebte knorke Zuhause Berlin verschwindet und wird zu einer kalten Metropole.

Die Aktivisten von „Deutsche Wohnen enteignen“ formulierten 2021 wichtige Sätze über diesen Zustand der Stadt, über die Gefahren für die Bürger und kurz und knapp ihren Protest:

Berlin ist unser aller Zuhause, droht aber zu einer Stadt der Reichen zu werden. Die Mieten explodieren, wir werden verdrängt, die Konzerngewinne steigen und unsere Politiker*innen schauen zu. Wir haben die Faxen dicke!“

Die Hatz nach Profit nimmt immer wildere Züge an. Die Mietpreise gehen weiter durch die Decke, Mietpreisbremse, wo bist Du? Gern wird das Argument „Angebot und Nachfrage“ ins Feld geführt. Pech gehabt. Und ja, das Angebot von bezahlbarem Wohnraum ist zu gering, weil zu wenig gebaut wird, aber auch, weil die Mieten nicht mehr fair, sondern gierig erhoben und immer weiter erhöht werden. Wucher nenne ich das. Es wäre ein Leichtes, das Angebot anständiger Mieten zu erhöhen statt die Mieten.

Doch so? Wer nicht mithalten kann, der erlebt sein blaues Wunder. Die Verdrängung angestammter Mieter erfolgt perfide und rücksichtslos. Das Ziel: Nachvermietungen teurer machen. Kasse machen. Den alten Mietern, diesen den Vermietern ausgesetzten Menschen, wird monatelang die Heizung abgestellt. Zunehmend werden Berliner regelrecht so und mit anderen Vernachlässigungen sowie mit hinterlistigen Tricks aus ihren Mietwohnungen vertrieben. Wie das geht? Im Stadtteil Friedrichshain beispielsweise vollzieht sich eine clevere wie asoziale Vorgehensweise, Eigenbedarfskündigung genannt, über die die Berliner Zeitung berichtet und fragt: Müssen diese Friedrichshainer bald ausziehen? Der zuständige Stadtrat warnt mit Blick auf das gesamte Berlin:

Stadtrat: „Das kann der ganzen Stadt drohen.“

Ausziehen trotz Milieuschutz? Diese Frage stellt sich vielen Bewohnern des Quartiers Weberwiese – und ist exemplarisch für den kaputten Berliner Mietmarkt. Der Berliner Wohnungsmarkt ist schon länger angespannt, doch häufig hilft Anwohnern, wenn ihre Wohngegend als „Milieuschutzgebiet“ bezeichnet wird. Eine solche Gegend ist der Kiez rund um den U-Bahnhof Weberwiese. Je nach Einzugsdatum haben einige Mieter im Milieuschutzgebiet Mietrecht auf Lebenszeit – eigentlich. Lediglich der Einzelverkauf mit anschließender Kündigungen wegen Eigenbedarfs könnte daran etwas ändern.

Und nochmal, von dieser bewusst erzeugten und in Kauf genommenen Not der Betroffenen profitieren n u r die Eigentümer, kleinere und eben auch große Akteure wie internationale Finanzunternehmen. Ungeniert, ungebremst. Da gibt es so ein mächtiges Unternehmen, „Blackstone“ genannt, das in der Hauptstadt reichen Interessenten zahlreiche Wohnungen gekauft hat und für sie sehr hohe Renditen „erwirtschaftet“. Wie das geht? Zum Beispiel mittels „Wohnungsumwandlungen“. Aus zwei bezahlbaren Altbauwohnungen wird eine Luxusbude gezaubert. Oder man verkleinert den Wohnraum und bietet Mini-Wohnungen an, am Besten möbliert. Darauf schwören die Rendite-Macher, denn bei genannten Modellen greift die (ohnehin zahnlose) Mietpreisbremse gleich gar nicht.

Am Ende das Tages? Es bleiben Menschen vielleicht so sehr und geschlagen auf der Strecke, dass sie zuletzt obdachlos sind. Kenner der Situation resignieren inzwischen schon und sagen voraus, dass die Wohnungslosigkeit in Berlin über das Jahr 2030 bestehen werde, so Medienberichte:

Berlin ist nach Ansicht von Wohlfahrtsverbänden im Kampf gegen die Wohnungslosigkeit gescheitert. Das Ziel, Wohnungslosigkeit bis 2030 zu beenden, sei in Bund und Land nicht erreichbar, teilten AWO, Caritas, Diakonie, DRK, Paritätischer Wohlfahrtsverband und Jüdische Gemeinde in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit. „Wir werden uns an das Fortdauern der Wohnungslosigkeit gewöhnen müssen“, sagte Ursula Schoen, Direktorin der Diakonie. „Berlin hat an dieser Stelle ein echtes Menschenwürde-Problem.“ Es werde schlimmer, sagte Schoen.

Die am 1. Oktober beginnende Kältehilfe sei nur ein kleiner Ausschnitt der Wohnungslosenhilfe. „Die Grundversorgung ist nicht gesichert, ganz besonders für vulnerable Menschen.“ Schoen hat auch die Federführung von Liga Berlin – den Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege – inne.

Caritas-Direktorin Ulrike Kostka sagte, seit der Corona-Pandemie habe die sichtbare Straßenobdachlosigkeit zugenommen. „Es ist ganz offensichtlich: Der Schlüssel ist der fehlende Wohnraum.“ Der Kampf gegen Wohnungslosigkeit müsse an oberster Stelle stehen.

Spardruck bestehe im Berliner Haushalt ohne Zweifel, „aber ein massiver Abbau in der Wohnungslosenhilfe und Suchthilfe würde automatisch bedeuten, dass mehr Menschen auf der Straße leben und dort verelenden“. Wohnungslosenhilfe, insbesondere mehr begleitende Angebote und mehr Wohnraum, ist aus Kostkas Sicht auch eine Investition in innere Sicherheit und sozialen Frieden.

Sozialer Frieden, innere Sicherheit, ein Land, in dem wir gut und gerne leben?

Ganz klar gesagt: der soziale Frieden ist nicht nur gefährdet und es fühlt sich nicht nur unsicher an, was in und mit unserer Gesellschaft, mit unserem Gemeinwesen, siehe Berlin, mit unseren Rechten und Bedürfnissen wie mit dem Wohnen geschieht – der soziale Frieden ist aufgekündigt und unsere an sich freie und demokratische Gesellschaft am Boden. Apropos Freiheit und Demokratie, im UN-Sozialpakt steht ein Artikel zum Innehalten:

Jeder Mensch hat das Recht auf angemessenen Wohnraum. Das Menschenrecht auf Wohnen ist Teil des Rechts auf einen angemessenen Lebensstandard, wie es in Artikel 11 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Sozialpakt) verbrieft ist.

Wer, wenn nicht all die Wohnungseigentümer, müssten ihrer Verpflichtung nachkommen, die sich aus dem Erwerb von Eigentum ergibt: Eigentum verpflichtet. Die Praxis sieht, wie in diesem Zwischenruf beschrieben, anders aus. Es liegt nahe, Konsequenzen zu fordern und diese mittels eines Volksentscheids auf den verbindlichen Weg (!) zu bringen. In Berlin brachte der Entscheid über die Vergesellschaftung von Wohneigentum bislang nicht den Erfolg, der so wichtig für unser Gemeinwesen, für die Bürger wäre. Ein Autorenteam hat im Tagesspiegel einen Artikel u.a. über das Ziel und über mögliche positive Folgen einer Vergesellschaftung verfasst:

„… ein zentrales Ziel der Vergesellschaftung, „die Mitbestimmung und Kontrolle der Mieter:innen“ auszubauen, indem sie die fraglichen Häuser in eine Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) überführt und dadurch unter demokratischer Beteiligung von Stadtgesellschaft und Mieter:innen zu verwalten erlaubt. Auch diese Forderung nach mehr Mitbestimmung kann auf die Ausweitung menschlicher Handlungsfreiheit – diesmal gemeinsamer Freiheit – hinauslaufen. Denn nicht nur im privaten, sondern auch im staatlichen Wohnungssektor haben Mieter:innen bisher kaum Mitspracherechte.

Durch die Vergesellschaftung wird die Mitbestimmung und Kontrolle der Mieter:innen deutlich ausgebaut. Mieter:innen könnten, wenn es um Sanierung und Klimaschutz, um Gemeinschaftsräume, um Hofbegrünung und Kinderspielplätze, um barrierefreie Wohnungen und alternative Wohnformen geht, frei mitentscheiden – mehr Menschen würden Verantwortung für ihr Umfeld übernehmen.

Daniel James, Heiner Koch und Esther Neuhann sind Wissenschaftliche Mitarbeiter:innen für Philosophie in Düsseldorf, Duisburg und Hamburg. Der Jurist Tim Wihl lehrt Politische Theorie an der Humboldt-Universität. Die in Berlin lebenden Autor:innen verbindet ein gemeinsames Interesse an gesellschaftspolitischen Fragestellungen.“

Leserbriefe zu diesem Beitrag finden Sie hier.

Titelbild: Yellow_man/shutterstock.com